eJournals Transforming cities 6/2

Transforming cities
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2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0031
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Ohne Brennstoff heizen

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Klaus W. König
Der Nachholbedarf auf dem Wärmemarkt gefährdet den Erfolg der Energiewende, falls sich nichts ändert. Doch die CO2 -Bepreisung zeigt Wirkung. Die Diskussion um den richtigen Brennstoff ist in vollem Gange. Dabei gibt es auch Lösungen, die ganz ohne Brennstoff auskommen.
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36 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Der technologische Fortschritt bei Wärmepumpen und Geräten zur Wärmeübertragung in Verbindung mit einem „Kalten Nahwärmenetz“ ermöglicht, neben Einzelobjekten auch komplette Wohngebiete durch Abwasserwärmenutzung effizient und klimaschonend mit Wärme zu versorgen. Laut Umweltministerium Baden-Württemberg ist das Potenzial beträchtlich, zehn Prozent aller Gebäude könnten damit versorgt werden. Abwasserwärme - das flüssige Gold In der Gemeinde Schallstadt, südwestlich von Freiburg im Breisgau, waren die Voraussetzungen im Neubaugebiet Weiermatten günstig. Ein Wohngebiet mit rund 200 Wohnungen sowie das neue Rathaus entstanden unweit eines vorhandenen Abwasserkanals. Auf Brennstoffe, ob regenerativ oder synthetisch, kann komplett verzichtet werden. Der vorhandene Kanal in Schallstadt-Weiermatten sammelt die Abwässer der benachbarten Gemeinden Ebringen und Pfaffenweiler, hat einen Trockenwetterabfluss von rund 23 Litern pro Sekunde und einen Durchmesser von 90 Zentimetern. Er ist Eigentum des Abwasserzweckverbandes Breisgauer Bucht, dem somit offiziell Wasser und Wärme gehören. Die kostenfreie Entnahme wurde gestattet, nicht jedoch Einbauten im Kanal. Pumpen, durch einen Schlammrechen vor groben Partikeln geschützt, fördern das Abwasser aus einem Bypass zu den Wärmetauschern in der Heizzentrale. Von dort fließt das abgekühlte Wasser im Freispiegel zurück. Das ist der so genannte Primärkreislauf, dessen Temperatur an der Entnahmestelle des Kanals im Winter erfahrungsgemäß etwa 10 bis 12 °C beträgt, im Sommer über 20 °C. Kaltes Wärmenetz - ein paradoxer Begriff Im Unterschied zur klassischen Fernwärmeversorgung arbeitet das „Kalte Nahwärmenetz“, hier als Sekundärkreislauf zwischen Wärmetauscher und Wärmepumpen bei den Anschlussnehmern, mit niedrigen Temperaturen. Damit werden die Wärmeverluste in der Leitung minimiert. Im letzten Abschnitt, dem Gebäude mit den Nutzern, übernimmt die Wärmepumpe die Bereitstellung der gewünschten Warmwasser- und Heiztemperatur. Dies geschieht mit Hilfe von elektrischem Strom, funktioniert wie ein Kühlschrank mit dem physikalischen Prinzip von abwechselnder Kompression und Entspannung, erzielt aber Ohne Brennstoff heizen Kaltes Nahwärmenetz, Abwasserwärmenutzung, unterirdischer Pufferspeicher, thermischer Ausgleich Klaus W. König Der Nachholbedarf auf dem Wärmemarkt gefährdet den Erfolg der Energiewende, falls sich nichts ändert. Doch die CO 2 -Bepreisung zeigt Wirkung. Die Diskussion um den richtigen Brennstoff ist in vollem Gange. Dabei gibt es auch Lösungen, die ganz ohne Brennstoff auskommen. © Mohammad Rezaie on Unsplash Bild 1: Heizzentrale im neuen Rathaus, Armaturenschacht (schwarz) und Pufferspeicher (rot). Primärkreislauf vom Abwasserkanal (braun) zu den Wärmetauschern, Sekundärkreislauf des Kalten Nahwärmenetzes zu den Hausanschlüssen. © Energiedienst 37 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie den gegenteiligen Effekt. Je tiefer das Temperaturniveau der Gebäudeheizungen liegt, desto effizienter, weil stromsparend, können die Wärmepumpen arbeiten. Im Sommer funktionieren die Wärmepumpen in umgekehrter Weise als Kältemaschinen zur Raumkühlung. Allerdings wird die Wärme nicht in den Abwasserkanal eingespeist, sondern im Quartier „versenkt“. Dazu dient ein thermischer Puffer, ein 500 Kubikmeter fassendes unterirdisches Wasserbecken - das noch weitere Vorteile bringt. Pufferspeicher - das unterirdische Depot Der unterirdische Wasserbehälter schafft den Ausgleich von „Angebot und Nachfrage“ in Bezug auf Wärme und befindet sich unmittelbar vor der Heizzentrale, die in einem Anbau des neuen Rathauses untergebracht ist. Im Winter besteht die Möglichkeit, daraus Wärme zu gewinnen, falls die Abwasserwärme nicht ausreicht. Dann wird der Sekundärkreislauf nicht nur über die Wärmetauscher, sondern auch durch das Pufferbecken „gefahren“ - Dreiwegeventile im Armaturenschacht vor der Heizzentrale machen das Beimischen möglich. In gewissen Grenzen wirken das Material des Betonbehälters und das umgebende Erdreich bzw. Grundwasser als zusätzliche thermische Puffer, sowohl bei der Heizung im Winter, als auch bei der Kühlung im Sommer. „Ein Pufferspeicher aus Beton in der hier verwendeten Bauart und Größenordnung wird in einem unserer Fertigteilwerke hergestellt“, sagt Andreas Bölling, beim Hersteller Mall für diesen Großbehälter verantwortlich. „Er wird in Segmenten zum gewünschten Termin zur Baustelle gebracht und innerhalb von zwei Tagen montiert“. Das machen die Monteure des Herstellers, unterstützt von einem Autokran, damit die Gewährleistung in einer Hand liegt. Für den Aushub vorab, für den Anschluss der Leitungen sowie das Verfüllen der Baugrube danach wird ein Tiefbauunternehmen beauftragt. So kann das Gelände oberhalb des Behälters nach etwa acht Tagen vom Garten- und Landschaftsbaubetrieb fertiggestellt werden - bei Bedarf wie in Schallstadt sogar als Parkplatz, denn das Speicherbauwerk aus Betonfertigteilen ist gemäß Statik mit 0,5 Meter Mindestüberdeckung für PKW und LKW befahrbar. Wärmetauscher - eine saubere und sichere Sache Rein physikalisch gesehen wird Wärme nicht getauscht, sondern übertragen. Im Anbau des neuen Rathauses Schallstadt stehen in der Heizzentrale zwei baugleiche Wärmetauscher-Geräte nebeneinander, die man demnach auch Wärmeübertrager nennen könnte. Bei Spitzenbedarf sind sie gleichzeitig in Betrieb, sonst abwechselnd. Das Abwasser, das im Siebschacht beim Kanal entnommen wird, fließt im Primärkreislauf zu den Wärmetauschern und um zwei bis vier Kelvin abgekühlt zum Kanal zurück. Diese Energiedifferenz wird auf den Sekundärkreislauf, das Kalte Nahwärmenetz, übertragen. In den Wärmetauschern begegnen sich beide Kreisläufe, wobei das klare Wasser des Nahwärmenetzes in einer Vielzahl dünner Edelstahlrohre fließt. Die Rohre liegen als „Batterie“ parallel angeordnet im trüben Abwasserstrom und übertragen die Wärme sehr gut, solange sich kein Belag aus gelösten organischen Feinstoffen des Abwassers auf ihnen bildet. Um das zu vermeiden, fährt ein Reinigungsschlitten innerhalb der beiden Wärmetauscher einbis zweimal pro Tag für 200 Sekunden automatisch über die Rohroberflächen. Bild 3: In der Heizzentrale stehen zwei baugleiche Wärmetauscher. Bei Spitzenbedarf sind sie gleichzeitig in Betrieb, sonst abwechselnd. Das Kalte Nahwärmenetz nimmt hier etwa zwei bis vier Kelvin Energie auf und versorgt damit die Wärmepumpen der Gebäude. © Huber Bild 2: Kaltes Nahwärmenetz, Sekundärkreislauf zwischen Wärmetauscher und Hausanschlüssen. Rohrleitungen links in das Gebiet Weiermatten, rechts in das Gebiet neue Ortsmitte. Ungedämmte Leitungen für Wasser mit 12-16 °C im Vorlauf. © Energiedienst/ Junkov 38 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Wärmepumpen - die einzige Wärmequelle im Haus Decken Wärmepumpen wie bei diesem Projekt den Wärmebedarf vollständig ab, sind die Investitionskosten niedrig. Eine solche „monovalente“ Betriebsweise mit nur einem System für Grund- und Spitzenlast kommt mit wenig Technik im Heizungskeller aus. Bei Wärmepumpen ergeben sich weitere Vorteile dadurch, dass ein Brennstofflager nicht nötig ist und ein Schornstein entfallen kann. Vergleichbar mit Wärme aus Grundwasser (8 bis 15 °C) werden bei einem Kalten Nahwärmenetz Wasser-Wasser- Wärmepumpen verwendet. Da die Energie in beiden Fällen schon auf einem relativ hohen Temperaturniveau liegt, sind auch die Betriebskosten der Wärmepumpen niedrig. Die Steuerung des Kalten Nahwärmenetzes schaltet den Primärkreislauf und damit auch die Wärmetauscher zeitweise ab, wenn die Wärmepumpen in den Gebäuden keinen Bedarf haben. „Oder wenn das Abwasser im Sommer zu viel Energie liefert, denn handelsübliche Wasser- Wasser-Wärmepumpen funktionieren nur bis etwa 20 °C Quelltemperatur störungsfrei“, erklärt Stefan Schlachter, Projektleiter der Energiedienst AG, die das Kalte Nahwärmenetz realisiert und betreibt. „Da nicht nur Heizung, sondern auch Warmwasserbereitung über die Wärmepumpen erfolgt, sinkt die Netztemperatur allmählich so weit ab, bis der Normalbetrieb mit Abwasserwärme automatisch wieder anläuft“. Elektrischer Strom - der Brennstoffersatz Es ist kein Geheimnis, dass Wärmepumpen elektrischen Strom benötigen und die Wirtschaftlichkeit vom Verhältnis dieser investierten elektrischen Energie zur gewonnenen thermischen Bild 4: Thermischer Pufferspeicher. Herstellung der Betonfertigteile im Werk der Firma Mall, Donaueschingen. Halbkreisförmiges Endstück des Behälters, 6,00 m breit, 2,90 m hoch. © Mall Bild 5: Thermischer Pufferspeicher. Montage eines runden Endstücks mit Überstand der Bodenplatte als Auftriebssicherung. Die Auflast nach Verfüllen der Baugrube wirkt dem Auftrieb des leeren Behälters bei hohem Grundwasserstand entgegen. © Mall Bild 6: Thermischer Pufferspeicher. Montage der oberen Behälterhälfte in „gestülpter“ Elementbauweise. Jedes U-förmige Segment verlängert den Behälter um drei Meter. An der Seitenfläche die Öffnung für eine DN 350 Rohrdurchführung. © Mall 39 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Energie abhängt. Energiedienst- AG ist zunächst nur Contractor der Wärmelieferung inklusive Hausanschluss für das Gebiet Weiermatten, das Quartier neue Ortsmitte, die Gruppe der Plusenergiehäuser und das neue Rathaus. Wer die Wärmepumpen betreibt und woher der dazu erforderliche Strom kommt, ist unterschiedlich. Die Bewohner einiger Gebäude beziehen die elektrische Energie aus eigenen Photovoltaikanlagen. Zusätzlich oder alternativ bietet Energiedienst den Wärmenutzern den zu 100 Prozent regenerativ erzeugten Strom aus eigenen Wasserkraftwerken am Hochrhein an. Die Gemeinde Schallstadt, Eigentümerin des Rathauses, hat für dieses Gebäude das Komplettangebot von Energiedienst (Lieferung von Wärme und Betrieb der Wärmepumpe) angenommen. Jahresarbeitszahl - das Maß für Effizienz Mit einer errechneten Jahresarbeitszahl ( JAZ) von 5,56 läuft die Wärmepumpe im Rathaus sehr effizient. Das bedeutet, im Vergleich zur abgegebenen Wärmeenergie beträgt die Aufnahme von elektrischer Energie nur rund 18 %. Eine wichtige Größe, denn der Strom für die Wärmepumpe kann allgemein als Ersatz für Brennstoff gesehen werden. Er stammt bei Energiedienst aus erneuerbarer Ressource und entspricht vollumfänglich den Kriterien des Klimaschutzes. Dazu kommen, wie immer bei der Verwendung einheimischer regenerativer Energien, volkswirtschaftliche Vorteile: Kapital für Energieimport fließt nicht aus Deutschland ab, neue Arbeitsplätze entstehen, zusätzliche Steuereinnahmen stärken die beteiligten Kommunen. Das mit einem Pufferspeicher kombinierte Kalte Nahwärmenetz in Schallstadt mit Wärme aus Abwasser der Umgebung und Strom aus Wasserkraft der Region ist ein gelungenes Beispiel dafür. WEITERE INFORMATIONEN • Realisierte Sonderlösungen. Referenzbroschüre Mall GmbH, Donaueschingen. https: / / www. mall.info/ downloads/ • Merkblatt DWA-M 114: Abwasserwärmenutzung, April 2020. Deutsche Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall e. V. (DWA), Hennef. https: / / webshop.dwa.de/ de/ dwam -114 a b w a s s e r w a r m e n u tzung-4-2020.html Dipl.-Ing. Klaus W. König Fachjournalist, Lehrbeauftragter an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen, öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Bewirtschaftung und Nutzung von Regenwasser kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR Projektdaten: Kaltes Nahwärmenetz Adresse Heizzentrale: Neues Rathaus Waldseemüllerstr. 1, 79227 Schallstadt Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald, Baden-Württemberg Bauherrschaft + Realisierung, Betreiber: Energiedienst AG, Rheinfelden Herstellung + Montage Pufferspeicher 500 m³, Armaturenschacht, Siebschacht: Mall GmbH, Donaueschingen Tiefbau, Schachtmontagen, Leitungsgräben: Johann Joos GmbH & Co KG, Hartheim Schachtsiebanlage (Typ RoK4), Abwasser-Wärmetauscher (2 x Typ RoWin): Fab. Huber SE, Berching Entzugsleistung gesamt: 400 kW - dies entspricht 70 % der erforderlichen Spitzenleistung (restliche Leistung wird über Pufferspeicher und solaren Eintrag sichergestellt) Rechenwert Jahresenergiebedarf der Anschlussnehmer: 1 200 000 kWh Kalkulierte CO 2 -Einsparung für das Gesamtnetz pro Jahr: 325 t - bei Verwendung von CO 2 -freiem Strom, gegenüber reiner Gasheizung Jahr der Inbetriebnahme: 2021 Fördermittel des Landes Baden-Württemberg: 216 299-€ Projektträgerschaft: Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Umwelt- und Energieforschung, Programm BWPLUS Projektdaten: Haustechnik Neues Rathaus Rechenwert Jahresenergiebedarf: 130 000 kWh Kalkulierte CO 2 -Einsparung pro Jahr: 35 t Wärmepumpen: Typ Eco Touch DS 5090.5DT, Fab. Waterkotte mit je einem 1 500-Liter-Pufferspeicher für Heizung und für Kühlung Warmwasser-Pufferspeicher: nicht vorhanden, da dezentrale Erwärmung JAZ Heiztechnik: bei VL/ RL 35/ 28 und 12 °C Quelltemperatur = 5,56 Stromversorgung Wärmepumpe: 100 % Strom aus Wasserkraft von NaturEnergie Stromversorgung Gebäude: 40 kW Photovoltaik Jahr der Inbetriebnahme: 2021