Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0033
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Soziale Innovation als Treiber städtischer Energiewenden
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Viktoria Reith
Sabrina Hoffmann
Maria Stadler
Karoline Rogge
Niklas Mischkowski
Adrienne Kotler
Die Veränderung von Städten hin zu nachhaltigen, sozial und ökologisch verträglichen und lebenswerten Räumen erfordert Innovationen in ganz verschiedenen Bereichen. Während Innovationen als Treiber gesellschaftlicher Veränderungen lange Zeit vor allem im Bereich technischer Entwicklungen verortet wurden, wächst inzwischen das Bewusstsein dafür, dass soziale Innovationen als Motor gesellschaftlichen Wandels einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung nachhaltiger und lebenswerter Städte leisten können. Genau hier setzt auch ICLEI als europäisches Städtenetzwerk in der Zusammenarbeit mit Städten an. Gerade im Energiebereich sind soziale Innovationen jedoch bislang wenig untersucht. Unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) arbeitet ICLEI zusammen mit Partnerstädten und weiteren Forschungseinrichtungen im Rahmen des EU-geförderten Projekts SONNET zu eben diesem Thema: Social Innovation in Energy Transitions.
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44 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Soziale Innovation als Treiber städtischer Energiewenden Energiewende, Transformation, soziale Innovationen, Stadtlabore, Bürgerbeteiligung Viktoria Reith, Sabrina Hoffmann, Maria Stadler, Karoline Rogge, Niklas Mischkowski, Adrienne Kotler Die Veränderung von Städten hin zu nachhaltigen, sozial und ökologisch verträglichen und lebenswerten Räumen erfordert Innovationen in ganz verschiedenen Bereichen. Während Innovationen als Treiber gesellschaftlicher Veränderungen lange Zeit vor allem im Bereich technischer Entwicklungen verortet wurden, wächst inzwischen das Bewusstsein dafür, dass soziale Innovationen als Motor gesellschaftlichen Wandels einen entscheidenden Beitrag zur Gestaltung nachhaltiger und lebenswerter Städte leisten können. Genau hier setzt auch ICLEI als europäisches Städtenetzwerk in der Zusammenarbeit mit Städten an. Gerade im Energiebereich sind soziale Innovationen jedoch bislang wenig untersucht. Unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) arbeitet ICLEI zusammen mit Partnerstädten und weiteren Forschungseinrichtungen im Rahmen des EU-geförderten Projekts SONNET zu eben diesem Thema: Social Innovation in Energy Transitions. Bild 1: Mannheim - Leben am Neckar. © Daniel Lukac / Stadtmarketing Mannheim GmbH 45 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Unter sozialen Innovationen versteht man dabei Innovationen, die an der Veränderung sozialer Beziehungen ansetzen, beispielsweise durch neue Formen der Kooperation oder durch die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle, Nutzungs- oder Eigentumsstrukturen. In sechs verschiedenen Städten (Mannheim, Antwerpen, Bristol, Grenoble, Warschau und Basel) beschäftigt sich das Projekt SONNET mit Fragen rund um die Rolle sozialer Innovationen für die Energiewende. Was können soziale Innovationen beispielsweise dazu beitragen, unsere Energiequellen, deren Nutzung und Produktion sauberer zu machen? Wie kann eine Veränderung sozialer Beziehungen dabei helfen, unseren zukünftigen CO 2 -Fußabdruck zu reduzieren? Ziel des Projekts ist es, Antworten auf diese Fragen zu erarbeiten und herauszufinden, wie soziale Innovationen zu nachhaltigeren Energiesystemen in Europa beitragen können. Um ein genaueres Verständnis der Vielfalt sozialer Innovationen im Energiebereich zu gewinnen, sowie deren Prozesse und Potenziale zu erforschen, steht im Fokus des Projektes der Ansatz von City Labs (in Anlehnung an sogenannte Reallabore, welche als Kooperation zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft das gegenseitige Lernen in einem experimentellen Umfeld ermöglichen). In diesen Experimentierräumen werden Transformationspotenziale in den jeweiligen Städten direkt vor Ort eruiert und Strategien zur Umsetzung bestimmter Maßnahmen erprobt, reflektiert und evaluiert. Die jeweiligen City Labs setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte und untersuchen die sozio-ökonomischen, sozio-kulturellen und sozio-politischen Bedingungen sozialer Innovationen im Energiebereich. Das City Lab Mannheim Eines der City Labs wird in der Stadt Mannheim durchgeführt. Hier liegt der Fokus auf der Entwicklung und Erprobung neuer organisatorischer Steuerungs- und Beteiligungsprozesse. Ziel ist es, das Verständnis für die Herausforderungen der lokalen Energiewende aus Sicht der Nutzenden und aus Systemperspektive zu schärfen sowie ein Momentum für neue soziale Innovationen zu schaffen. Dies umfasst sowohl inneradministrative Prozesse in der Stadtverwaltung als auch eine breit angelegte Beteiligung an Transformationsprozessen, um die Bürgerschaft aktiv in die Mitgestaltung und Entscheidungsfindung einzubeziehen. Strategien werden dazu gemeinsam mit verschiedenen Akteursgruppen durch innovative Methoden (beispielsweise Design Thinking) ausgearbeitet, im Anschluss in der Praxis getestet und evaluiert. Durch das City Lab wird ein Raum geschaffen, der lokalen Akteuren die Möglichkeit zur Vernetzung gibt, während gleichzeitig die Stadt Mannheim deren Aktivitäten zur lokalen Energiewende unterstützt. Die Stadt Mannheim bietet wichtige Faktoren für die Erforschung urbaner sozialer Innovationen. Aufgrund der zentralen Lage in einer industrieintensiven Metropolregion, die sich derzeit auf dem Weg der Dekarbonisierung befindet, ist die soziale und lokale Energiewende für die Stadt von großer Bedeutung. Deshalb hat sich Mannheim bereits politisch im Leitbild „Mannheim 2030“ zu einer klimagerechten, klimaneutralen und resilienten Stadtentwicklung verpflichtet. Der Ausbau regenerativer Energien auf lokaler Ebene soll durch innovative Projekte, welche sozialverträglich, ökologisch sinnvoll und ökonomisch realisierbar sind, vorangetrieben werden. Darüber hinaus hat die Stadt gemeinsam mit ICLEI die „Mannheim Message“ im Rahmen der Sustainable Cities and Towns 2020 Konferenz verabschiedet - ein Leitbild für die europäische Stadtentwicklung, für die Umsetzung des Europäischen Green Deals auf lokaler Ebene. „Dies ist ein extrem vorbildlicher Prozess; die Stadt Mannheim ist sowohl auf europäischer wie auf deutscher Ebene ein Vorreiter in Sachen politischer Wille und Offenheit für nachhaltige Erneuerungen. Die Logik sozialer Innovation hilft hierbei, um gemeinsame Entwicklungspfade zwischen Stadt, Bürger*innen, und Unternehmen zu gestalten“, betont Niklas Mischkowski, Officer für Governance and Social Innovation bei ICLEI. Das City Lab wurde im Stadtteil Neckarstadt- West etabliert. Hierbei handelt es sich um ein oft benachteiligtes Viertel mit sozialen Problemlagen, dennoch ist Neckarstadt-West ein aktiver, kreativer und diverser Stadtteil. Eine energetische Quartiersanalyse zeigt dem City Lab, welche Handlungsschwerpunkte lokal gesetzt werden können und wo Entwicklungsbedarf besteht. Das Projekt SONNET nutzt die bereits bestehenden Netzwerke in der Neckarstadt-West, um Ideen sozialer Innovationen in der Energiewende zu verbreiten. Durch das City Lab kann das vielseitige Handlungsfeld „Energie“ an die lokalen Akteur*innen herangetragen, Multiplikator*innen für das Projekt gewonnen, sowie erste Maßnahmenideen entwickelt und gemeinschaftlich umgesetzt werden. Bürger*innenbeteiligung in Zeiten einer Pandemie - Herausforderung und Chance Das Mannheimer City Lab startete im Dezember 2019 gemeinsam mit Vertreter*innen der Stadtverwaltung, Akteur*innen und Multiplikator*innen aus lokalen Netzwerken und mit wissenschaftlicher 46 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Unterstützung des Fraunhofer ISI mit mehreren Design Thinking Workshops. In diesem kreativen Prozess wurden vielfältige Ideen entwickelt, wie soziale Innovationen im Quartier Neckarstadt-West gelingen können. Die in diesem Prozess erarbeiteten Kernideen sollten einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht und mit dieser diskutiert werden. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt die Corona-Pandemie bereits in vollem Gange und stellte die Weiterentwicklung des Projekts zunächst vor große Herausforderungen, denn die geplanten Beteiligungsaktionen konnten nicht wie geplant vor Ort durchgeführt werden. Ganz im Sinne der Erforschung neuer organisatorischer Steuerungsprozesse wurde kurzfristig ein neues Partizipationskonzept erarbeitet. So nutzte das Mannheimer City Lab alternative Wege zur Bürger*innenbeteiligung - nicht nur virtuell. Im September 2020 wurde ein Pop-Up-Event im öffentlichen Raum organisiert, bei dem Passant*innen unter Einhaltung eines Hygienekonzeptes dazu eingeladen waren, die bisherigen Ideen zu diskutieren, zu schärfen sowie neue Sichtweisen mit einzubringen. Das Projekt SONNET sowie die Ideen wurde in zahlreichen Netzwerken und Kooperationsgesprächen (zum Beispiel: Quartiermanagement, Verbraucherzentrale, Campus Neckarstadt-West, etc.) vorgestellt und diskutiert. Die Ergebnisse flossen schließlich in ein interaktives Quartiersgespräch ein, das im Dezember 2020 virtuell stattfand. Über 50- Teilnehmer*innen informierten sich rund um die Aktivitäten des SONNET City Labs in der Neckarstadt-West und bauten die Ideen zur lokalen, sozialen Energiewende weiter aus. In mehreren Kleingruppen wurden lebhafte Diskussionen zu den Themen „umweltfreundliche Mobilität“, „Förderung, Bildung und Partizipation“ sowie „Energie und Wohnen“ geführt. Einige dieser Ideen sind: Ausbau von Mobilitätsstationen zur Unterstützung des multimodalen Verkehrsverhaltens, Förderung des Umweltverbundes und Reduktion des motorisierten Individualverkehrs (MIV) Neuauflage der Aktion „Spar dir dein Auto! “: Ein Wettbewerb bei dem die Teilnehmenden auf den eigenen PKW verzichten und dafür kostenfreie oder vergünstigte Angebote für ÖPNV, Bike- und Carsharing erhalten inklusive medialer Begleitung Einrichtung eines „Ideenbusses“ als Ort zur Information über Best-Practice-Beispiele, zum Austausch und zur Vernetzung lokaler Akteur*innen zu gemeinschaftlichen Projekten Einrichtung eines Quartiersfonds (Crowdfunding), um privates Engagement und öffentliche Ressourcen zur Funktionsstärkung und lokalen Bild 2: Ideendokumentation im Quartier. © MV V Regioplan GmbH Bild 3: Das Mobile Grüne Zimmer ® . © Helix Pflanzen GmbH 47 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Entwicklung zu aktivieren sowie transparente Entscheidungsfindung zur finanziellen Unterstützung von „Energieprojekten“ vor Ort Angebot eines Kinderenergiecamps als Motivation zum spielerischen Erlernen und Sensibilisieren zu Klimaschutzthemen; Schüler*innen gehen als Multiplikator*innen in ihr soziales Umfeld; mit der Klimaschutzagentur Mannheim gGmbH kann an bestehende städtische Angebote angeknüpft werden (zum Beispiel: Klimahelden, KliMAaktive Schule). Gamification: Lokaler Gebrauch von verhaltensändernden Apps kann die Motivation schaffen, sich mit den Themen Energie und Klima auseinanderzusetzen. Durch spielerische Erfahrungen können Reize geschaffen werden, Klimaschutz langfristig in das Alltagshandeln zu integrieren. Energieoptimierte Musterwohnung als Live-Demonstration: engagierte Gebäudeeigentümer- *innen werden bei ihren umfangreichen Sanierungsmaßnahmen beraten, unterstützt und ermöglichen Interessierten einen Einblick, wie sich die Umsetzungshemmnisse bei kleinen und großen Investitionsvorhaben reduzieren lassen (vom Kühlschrankkauf über den Austausch der Beleuchtung bis zur solarenergetischen Potenzialnutzung) Ausblick - Beteiligung weitergedacht Um trotz anhaltender Pandemiebedingungen die Bürger*innenbeteiligung zu sichern, wird das City Lab von Mai bis August 2021 das Mobile Grüne Zimmer ® in den Stadtteil bringen. Dieses bietet eine Bühne für die lokalen Organisationen und Vereine, um Mitstreiter*innen für ihre Aktionen zur Umsetzung der lokalen Energiewende zu gewinnen. Des Weiteren steht ab Juni 2021 die App Klimathon zur Verfügung, bei der sich alle Bewohner*innen von Neckarstadt-West über mehrere Wochen bei unterschiedlichen „Challenges“ in Energie- und Klimaschutzthemen gegeneinander und miteinander messen können. Dies stellt eine Möglichkeit dar, auch in pandemischen Zeiten Bürger*innen zu aktivieren und spielerisch zu informieren. Darüber hinaus kann über die entwickelten Ideen auf dem Mannheimer Online-Beteiligungsportal „Mannheim gemeinsam gestalten“ abgestimmt, Unterstützung angeboten oder es können neue Sichtweisen eingebracht werden. Um die erarbeiteten Maßnahmen des SONNET Projekts in die Umsetzung zu bringen und zu verstetigen sowie Beteiligungsmöglichkeiten perspektivisch auch abseits des virtuellen Raums anbieten zu können, wird in Neckarstadt-West ein Sanierungsmanagement mit einer geplanten Lauf- Sabrina Hoffmann Projektleitung Nachhaltige Stadtentwicklung Stadt Mannheim Kontakt: sabrina.hoffmann@mannheim.de Viktoria Reith Klimafolgenanpassungsmanagerin Stadt Mannheim Kontakt: viktoria.reith@mannheim.de Maria Stadler Wissenschaftliche Mitarbeiterin Competence Center Politik und Gesellschaft Fraunhofer ISI Kontakt: maria.stadler@isi.fraunhofer.de Karoline Rogge Wissenschaftliche Leitung SONNET- Projekt + Stellvertretende Leiterin Competence Center Politik und Gesellschaft Fraunhofer ISI Kontakt: karoline.rogge@isi.fraunhofer.de Niklas Mischkowski Officer Governance & Social Innovation ICLEI Kontakt: niklas.mischkowski@iclei.org Adrienne Kotler Officer Communications & Member Relations ICLEI Kontakt: adrienne.kotler@iclei.org AUTOR*INNEN zeit von fünf Jahren implementiert. Ob es den Europäischen Green Deal, die Mannheim Message oder das lokale City Lab betrifft: Städte und ihre Partnerorganisationen werden durch die Pandemie zu langfristigem Denken angehalten. „Und das ist sicher eine notwendige Fähigkeit in Fragen der Nachhaltigkeit“, findet man auch bei ICLEI. Weiterführende Informationen unter: www.sonnet-energy.eu
