Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0040
67
2021
62
Die Kreislaufwirtschaft als Teil einer nachhaltigen Ökonomie
67
2021
Max Goldammer
Oliver Rottmann
Insbesondere nachdem das Bundesverfassungsgericht Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes für nicht verfassungskonform erklärt hat, ist die deutsche Klimapolitik wieder verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Im Speziellen kritisierten die Verfassungsrichter, dass für die Zeit nach 2030 keine hinreichenden Maßgaben zur Emissionsreduktion festgelegt sind. Ungeachtet dessen, dass es technologiebasiert schwierig ist, über Dekaden sehr konkrete Zielvorgaben zu implementieren und speziell hier die Legislative entscheidungsrelevant ist, fällt in der deutschen Klimapolitik ein Merkmal doch besonders auf: Der Fokus der Klimapolitik liegt fast ausschließlich auf den drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. Die Potenziale, die von einer konsequent kreislauforientierten Wirtschaft ausgehen, finden dagegen wenig Beachtung.
tc620078
78 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Wirtschaftswachstum, Ressourcenverbrauch und Umweltschutz Der weltweite Anstieg des Rohstoffabbaus und -verbrauchs ist einer der Hauptverursacher des Klimawandels. Verursacht wird dieser Anstieg insbesondere durch eine steigende Weltbevölkerung mit entsprechend wohlstandserhaltenden und -erweiternden Intentionen. Im Rahmen des European Green Deal hat sich die Europäische Kommission nunmehr entschieden, die Klimaziele innerhalb der EU weiter anzuheben. Sie verpflichten sich, die Treibhausgasemissionen bis 2030 nicht wie bisher um 40 %, sondern um mindestens 55 % im Vergleich zu 1990 zu senken. Im April 2021 wurde diese Verschärfung final durch die Unterhändler der EU-Staaten sowie das Europäische Parlament bestätigt. Dies erfordert von allen Ländern eine größere Kraftanstrengung als bisher. Deutschland hat bereits vor Jahren auf den Klimawandel reagiert, im Rahmen der Energiewende wurden weitreichende Klimaschutzmaßnahmen in den Sektoren Strom, Wärme und Mobilität sowie bei der Energieeffizienz implementiert. Im aktuellen Klimaschutzprogramm 2030 werden Sektorziele für die notwendigen Treibhausgasemissionen festgelegt sowie sektorübergreifende Maßnahmen angesprochen [1]. Auffällig ist dabei, dass der Fokus überwiegend auf den Sektoren Wärme, Energie und Verkehr liegt. Die Kreislaufwirtschaft, deren großes Klimaschutzpotenzial vom Bundesumweltministerium selbst sowie auch in vielen weiteren Studien längst erkannt wurde, wird hingegen kaum erwähnt. Dies ist umso erstaunlicher, da ein Wandel hin zur „Circular Economy“ und die konsequente Umsetzung des European Green Deal auch positive, wirtschaftliche Auswirkungen implizieren würde [2]. Dieser Beitrag befasst sich vor diesem Hintergrund mit der Frage, welchen Beitrag die Circular Economy und eine auf Recycling ausgerichtete Kreislaufwirtschaft zum Klimaschutz in Deutschland leisten. Kreislaufwirtschaft als ein Weg zu mehr Nachhaltigkeit Die bisherigen Anstrengungen im Rahmen der Energiewende allein werden nicht ausreichen, die Klimaschutzziele bis 2050 zu erreichen. Ökologische Nachhaltigkeit ist bei einer stetig wachsenden Bevölkerung, die ihr Wohlstandsniveau mindestens beibehalten will, in einem linearen Wirtschaftssystem nur schwer zu erreichen. Ein System, das darauf ausgelegt ist, dass Gegenstände nach ihrer Nutzung entsorgt werden und als Abfall enden, generiert von sich aus kaum Nachhaltigkeit. So führt die Produktion neuer Konsumgüter ohne entsprechendes Recycling und Rückführung in den Wirtschaftskreislauf zu mehr Emissionen klimaschädlicher Treibhausgase und zu hoher Ressourcenverschwendung [3]. So hat sich seit dem Jahr 1970 die Menge der jährlich abgebauten Rohstoffe von 27 Mrd. Tonnen auf 92-Mrd. Tonnen im Jahr 2017 erhöht. Bis 2060 ist bei Fortschreibung dieses Trends mit einem erneuten Anstieg auf etwa 190 Mrd. Tonnen zu rechnen [4]. Die Circular Economy hat den Anspruch, ein Wirtschaftssystem zu schaffen, in dem keine Rohstoff-, Nährstoff- oder Wertverluste entstehen [5]. Somit kann der bestehende Zusammenhang zwischen Wirtschaftsentwicklung und Abfallaufkommen auf- Die Kreislaufwirtschaft als Teil einer nachhaltigen Ökonomie Kreislaufwirtschaft, Recycling, nachhaltige Ökonomie; Klimaschutz Max Goldammer, Oliver Rottmann Insbesondere nachdem das Bundesverfassungsgericht Teile des deutschen Klimaschutzgesetzes für nicht verfassungskonform erklärt hat, ist die deutsche Klimapolitik wieder verstärkt in den Blick der Öffentlichkeit geraten. Im Speziellen kritisierten die Verfassungsrichter, dass für die Zeit nach 2030 keine hinreichenden Maßgaben zur Emissionsreduktion festgelegt sind. Ungeachtet dessen, dass es technologiebasiert schwierig ist, über Dekaden sehr konkrete Zielvorgaben zu implementieren und speziell hier die Legislative entscheidungsrelevant ist, fällt in der deutschen Klimapolitik ein Merkmal doch besonders auf: Der Fokus der Klimapolitik liegt fast ausschließlich auf den drei Sektoren Strom, Wärme und Mobilität. Die Potenziale, die von einer konsequent kreislauforientierten Wirtschaft ausgehen, finden dagegen wenig Beachtung. 79 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft gebrochen und eine Entkopplung von Wachstum und Ressourcennutzung erreicht werden. Damit spielt die Circular Economy eine wesentliche Rolle beim umfassenden Wandel der Industrie hin zu langfristiger Wettbewerbsfähigkeit und Klimaneutralität [6]. Neben der Abfallvermeidung und dem Ressourcenschutz kommt der gesteigerten Rückführung von Sekundärrohstoffen aus Recyclingprozessen im Rahmen der Kreislaufwirtschaft eine besondere Bedeutung zu. Ohne effektives und effizientes Recycling sind die Nachhaltigkeitsziele nicht zu erreichen. Ein Wandel hin zur Kreislaufwirtschaft würde Europa unter Ausnutzug neuer Technologien mehr wirtschaftliche Vorteile bis zum Jahr 2030 bieten als der momentane lineare Entwicklungspfad. Dies entspricht einem zusätzlichen Anstieg des BIP um 0,5 %. Auch die Umsetzung des European Green Deal hat das Potenzial, bis 2030 etwa 700 000 neue Arbeitsplätze zu schaffen [7]. Grundzüge der Kreislaufwirtschaft Der Wertschöpfungskreislauf der Circular Economy unterscheidet sich in einigen Punkten fundamental vom heute vorherrschenden linearen Wirtschaftssystem. Ziel der Circular Economy ist die Entkopplung vom Wirtschaftswachstum und dem Verbrauch knapper, natürlicher Ressourcen sowie eine ökologisch nachhaltige Produktion. In Bild 1 sind die sechs Stufen dieses Wertschöpfungskreislaufs schematisch dargestellt. Am Beginn der Wertschöpfung steht ein nachhaltiges Produktdesign. Dieses setzt ganz oder überwiegend auf Sekundärrohstoffe und gestaltet Produkte so, dass am Ende des Lebenszyklus ein problemloses Recycling möglich ist. Ziel ist es, Produkte so zu konzipieren, dass sie langlebig, möglichst leicht zu reparieren sowie wiederverwendbar und recycelbar sind. Die Herstellung der Produkte soll möglichst ressourcenschonend erfolgen. Wo möglich, ist der Verzicht auf den Input neuer Materialien zentral und diese sind durch Recyclingrohstoffe zu ersetzen. Zusätzlich sollten möglichst wenige Abfallprodukte anfallen [8]. Produktionsausschuss bzw. Fehlproduktionen können durch das nachhaltige Design direkt recycelt und erneut in den Produktionsprozess eingespeist werden. Anstelle des Verkaufs von Produkten und Gütern setzt die Circular Economy auf den Verkauf von Nutzungsberechtigungen an diesen Produkten. Dies ist vergleichbar mit einem Leasingmodell, bei dem der Produzent Eigentümer bleibt und die Produkte am Ende der Nutzungsdauer zurücknimmt und direkt in den Wiederverwertungsprozess integriert. Diese „Leihmodelle“ erhöhen gleichzeitig die Lebensspanne der Produkte und Geräte, da die verleihenden Unternehmen ein Interesse daran haben, den Wartungsaufwand ihrer Produkte möglichst gering zu halten und so lange wie möglich von ihnen zu profitieren. Gänzlich werden sich Abfälle auch in Zukunft nicht vermeiden lassen und mit zunehmender Knappheit an Ressourcen wird der Einsatz recycelter Sekundärrohstoffe weiter ansteigen. Besonderes Augenmerk liegt daher auf der Sammlung und Wiederverwertung nicht mehr genutzter Produkte. Eine Entsorgungsinfrastruktur mit getrennter Erfassung und Sortierung der Abfallprodukte birgt die Basis für effektives Recycling und für den Beginn eines neuen Kreislaufs [9]. Kreislaufwirtschaft als Pfeiler einer ökologischen und nachhaltigen Wirtschaft Mit der Verabschiedung des neuen Aktionsplans Kreislaufwirtschaft im März 2020 hat sich auch die EU dieser Thematik erneut angenommen und eine zukunftsfähige Agenda für die Schaffung eines umweltfreundlichen und wirtschaftlich wettbewerbsfähigen Europa implementiert [10]. Ziel des neuen Aktionsplans Kreislaufwirtschaft in der EU ist es, den Anteil der kreislauforientiert verwendeten Materialien in den nächsten zehn Jahren zu verdoppeln. Im Zuge der Klimaneutralität soll die Kreislaufwirtschaft auch auf etablierte Wirtschaftsakteure ausgeweitet werden mit dem Ziel, das zukünftige Wachstum von der Ressourcennutzung zu entkoppeln. Dies kann nur durch eine konsequente Steigerung der Recyclingbemühungen und damit verbunden dem verstärkten Einsatz von Sekundärrohstoffen gelingen [11]. Um diese Ziele zu erreichen, hat die EU verbindliche Recyclingquoten für ihre Mitgliedstaaten Bild 1: Schematische Darstellung der Circular Economy. Quelle: https: / / kemen-design.de/ portfolio/ webseiten/ , (05.05.2021) 80 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft festgelegt. Die Recyclingquote von Siedlungsabfällen soll bis 2035 auf 65 % steigen, bei Verpackungsabfällen sollen sogar 70 % bis zum Jahr 2030 erreicht werden. Der Anteil der Siedlungsabfälle, die deponiert werden, soll auf maximal 10 % bis zum Jahr 2035 reduziert werden und die Ablagerung getrennt gesammelter Rohstoffe soll komplett untersagt werden. Flankierend wurden Systeme und Maßnahmen verabschiedet, die die Circular Economy stärken sollen, so zum Beispiel das System der erweiterten Herstellerverantwortung sowie Fördermittel zur Förderung von Wiederverwendung und Industriesymbiose [12]. Trotz aller Bemühungen sinkt aktuell jedoch das Abfallvolumen innerhalb der Europäischen Union nicht und auch das selbst gesetzte Ziel einer Recyclingquote von 50 % aller Siedlungsabfälle wird in etwa der Hälfte der EU-Staaten nicht erreicht [13]. Kreislaufwirtschaft in Deutschland - das KrWG Durch das Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) werden die europäischen Vorgaben in deutsches Recht überführt. Die Grundsätze der Abfallvermeidung und die Abfallbewirtschaftung folgen einer fünfstufigen Abfallhierarchie. Erste Stufe ist die Abfallvermeidung, gefolgt von der Vorbereitung zur Wiederverwendung, dem Recycling, der sonstigen Verwertung und erst als letzter Stufe der Abfallbeseitigung. Vorrang hat dabei jeweils die Stufe, die die geringsten negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt aufweist. Zur Umsetzung dieser Abfallhierarchie sind verbindliche Quoten und Zielvorgaben festgelegt. So müssen seit dem 1. Januar 2020 mindestens 50 % der Siedlungsabfälle recycelt und zur Wiederverwertung vorbereitet werden. Bis zum Jahr 2035 muss der Anteil auf 65 % steigen [14]. Deutschland nimmt mit Bezug auf die Abfallbehandlung und das Recycling in Europa eine Technologieführerrolle ein. So wurde in den letzten Jahrzehnten ein flächendeckendes Netz aus über 15 000 Vorbehandlungs-, Sortier- und Aufbereitungsanlagen etabliert. Der Einsatz von Nahinfrarottechnologie ermöglicht es, unterschiedlichste Materialarten zu erkennen, Kamerasystemen ermöglichen eine Sortierung nach Farben und Formen und sensorgestützte Technologien helfen Fremdkörper zu identifizieren. All diese Technologien vereinfachen den Zugang zu hochwertigen Sekundärrohstoffen und bilden die Grundlage einer effektiven Kreislaufwirtschaft [15]. Bei genauer Betrachtung der unterschiedlichen Quoten wird deutlich, inwieweit die Recyclingbemühungen in Deutschland und der EU im Vergleich erfolgreich sind und wo Nachholbedarf besteht. Recyclingquoten im europäischen Vergleich Bild 2 illustriert die Recyclingrate von Verpackungsabfällen in Deutschland im Vergleich zum EU-weiten Durchschnitt. Es ist zu erkennen, dass sowohl Deutschland als auch die gesamte EU auf einem guten Weg ist, das für 2030 vorgeschriebene Ziel einer 70 %-Recyclingquote zu erreichen. Die europaweite Quote hat sich von 55 % im Jahr 2005 auf 66 % im Jahr 2018 erhöht. Die deutsche Recyclingquote bewegt sich seit Jahren um die 70 %, mit einem Maximum von 74 % im Jahr 2009. Seitdem ist ein leichter Abfall dieser Quote auf 69 % im Jahr 2018 zu beobachten. Im Rahmen der Novellierung des Abfallrechts der Europäischen Union aus dem Jahr 2018 wurden die vorgeschriebenen Recyclingquoten von Siedlungsabfällen weiter erhöht. Statt wie bisher 50 % erfordern die neuen Ziele Recyclingquoten von 55 % im Jahr 2025 und 65 % im Jahr 2035 [16]. Deutschland erreicht das für 2035 vorgeschriebene Ziel bereits seit dem Jahr 2014 durchgehend. Europaweit ist ein starker Anstieg der Recyclingquote von 33 % im Jahr 2005 auf 48 % im Jahr 2019 zu beobachten, die notwendige Quote von 55 % ist allerdings noch nicht erreicht, so dass hier weitere Maßnahmen nötig sind (siehe Bild 3). Eng verbunden mit der Erhöhung der Recyclingquote von Siedlungsabfällen ist die Reduktion des Anteils der deponierten Siedlungsabfälle. Europaweit wurden im Jahr 2018 immer noch 45 % der Bild 2: Recyclingrate von Verpackungsabfällen in Deutschland und der EU. © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat Bild 3: Recyclingrate von Siedlungsabfällen in Deutschland und der EU © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 Deutschland EU27 68% 64% 72% 69% 66% 68% 70% 55% 67% 60% 63% 68% 65% 71% 74% 67% 67% 71% 71% 71% 73% 72% 69% 57% 59% 64% 65% 67% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Deutschland EU27 61% 43% 63% 67% 33% 41% 42% 47% 64% 63% 62% 63% 64% 67% 63% 66% 37% 38% 45% 65% 67% 67% 67% 33% 35% 37% 39% 47% 47% 48% 81 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Siedlungsabfälle deponiert und somit dem Wertstoffkreislauf entzogen, da sie nicht wiederverwendet werden können. In Deutschland beträgt dieser Anteil im Jahr 2018 noch 18 % (siehe Bild 4). Der zehnprozentige Rückgang dieses Anteils zwischen den Jahren 2004 und 2006 ist auf das 2005 eingeführte Verbot der Deponierung von unbehandelten, biologisch abbaubaren Abfällen zurückzuführen [17]. Zur Erreichung der Zielvorgabe der Europäischen Union von maximal 10 % deponierten Siedlungsabfällen sind sowohl europaals auch deutschlandweit weitere Anstrengungen notwendig. Im Rahmen des neuen Aktionsplans Kreislaufwirtschaft der Europäischen Union soll der Anteil der in der Kreislaufwirtschaft verwendeten Materialien in den nächsten zehn Jahren verdoppelt werden [18]. Mit Blick auf den in Bild 5 dargestellten Anteil über die letzte Dekade wird deutlich, dass hierbei noch Potenzial nach oben herrscht. Zwar ist ein leicht positiver Trend zu erkennen, zur Erreichung der Ziele müsste der Anstieg allerdings von durchschnittlich 0,1 % in den letzten zehn Jahren auf 1 % pro Jahr verzehnfacht werden. Abschließend ist festzuhalten, dass über die gesamte Europäische Union hinweg die Bedeutung des Recyclings und der Wiederverwertung von Rohstoffen zugenommen hat. Zur Erreichung der festgelegten Ziele und der langfristigen Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch sind weitere Bemühungen notwendig. Dann liefert eine umfassende moderne Recyclingstruktur einen wichtigen Beitrag auf dem Weg in eine Circular Economy und hilft, die europäischen Klimaziele zu erreichen. Kreislaufwirtschaft und Klimaschutz in Deutschland Die Kreislaufwirtschaft stellt einen wesentlichen Bestandteil einer künftigen nachhaltigen Industrie auf dem Weg zur Klimaneutralität dar. Durch hohe Rezyklatquoten und die Wiedereinbringung hochwertiger Sekundärrohstoffe in den Wirtschaftskreislauf anstelle der Deponierung von Abfällen und der Verwendung neuer Primärrohstoffe könnten enorme Mengen schädlicher Treibhausgase eingespart werden. Allein das Verbot der Deponierung unbehandelter Abfälle aus dem Jahr 2005 hat in Deutschland den Treibhausgasausstoß der Abfalldeponien um 77 % im Vergleich zu 1990 gesenkt [19]. Dies entspricht einem Rückgang von 38,3 Mio. Tonnen CO 2 - Äquivalenten im Jahr 1990 auf nur noch 9,7 Mio. Tonnen im Jahr 2018. Auch über die Einsparungen, die originär dem Abfallsektor zuzuordnen sind, besteht sektorenübergreifend enormes weiteres Potenzial für die Kreislaufwirtschaft. So liegen weitere Hebel in der Steigerung der Energieeffizienz in der Produktion, in der Substitution von Primärenergieträgern sowie in der Nutzung von Fern-, Strom- und Prozesswärme in der energetischen Abfallbehandlung. Insgesamt werden durch das stoffliche Recycling und die Verwertung von Sekundärrohstoffen jährlich über 100 TWh Primärenergie eingespart, was dem durchschnittlichen Stromverbrauch von 32 Mio. Haushalten entspricht [20]. Ein Blick auf ausgewählte Recyclingprodukte verdeutlicht das Potenzial, welches mit Bezug auf den Klimaschutz besteht. So werden bei der Verwendung einer Tonne Recyclingkunststoff im Vergleich zur Verwendung von Primärrohstoffen je nach Produktion zwischen 1,45 und 3,2 Tonnen CO 2 -Äquivalente eingespart. Gleichzeitig wird bei der Produktion nur etwa ein Drittel bis die Hälfte Energie benötigt, die im Falle der Herstellung von Neuware verbraucht würde [21]. Auch die Verwendung von recycelten Metallen bildet einen aktiven Beitrag zum Klimaschutz. Bei der Herstellung einer Tonne Recycling-Kupfer entstehen 62 % weniger CO 2 -Emissionen, was einem Rückgang von 3,4 Tonnen entspricht, und es werden etwa 85 % weniger Energie benötigt. Bei Aluminium können pro Tonne in der Produktion zehn Tonnen CO 2 eingespart werden, gegenüber der Produktion von Neuware entspricht dies einer Reduktion von 85 % [22]. Die Energieeinsparungen bei der Aluminiumproduktion betragen 95 % [23]. In Deutschland wurden im Jahr 2014 etwa 50 % der NE-Metalle aus Bild 4: Anteil deponierter Siedlungsabfälle in Deutschland und der EU © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat Bild 5: Anteil der in der Kreislaufwirtschaft verwendeten Materialien © Goldammer, Rottmann; Daten: Eurostat 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 Deutschland EU27 52% 19% 47% 31% 19% 18% 18% 47% 48% 46% 45% 45% 48% 21% 20% 18% 12,5% 12,0% 11,5% 11,0% 10,5% 10,0% 9,5% 9,0% 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Deutschland EU27 11,0% 11,2% 11,1% 10,4% 11,0% 11,7% 11,6% 11,5% 12,0% 12,2% 10,7% 10,2% 10,7% 10,9% 10,8% 11,2% 11,4% 11,6% 11,9% 82 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Recyclingmaterialien gewonnen, gleichzeitig machte die Sekundärproduktion lediglich 14 % der insgesamt etwa 11 Mio. Tonnen Treibhausgasemissionen aus [24]. Die Nutzung von Recyclingpapier spart mindestens 2,85 Tonnen CO 2 -Äquivalente in der Herstellung je Tonne Papier, wenn die für das Holzwachstum genutzte Fläche alternativ zum Anbau von Energiepflanzen genutzt und somit beispielsweise Bioethanol produziert wird [25]. Die Verwendung von Glasscherben in der Glasindustrie verringert die CO 2 -Emissionen je 10 % Scherbeneinsatz um 3,6 % und den notwendigen Energieeinsatz um 3 % im Vergleich zur Produktion aus Neuware [26]. Seit Jahren leistet die Kreislaufwirtschaft durch konsequentes Recycling einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz - nicht nur im Abfallsektor, sondern auch sektorenübergreifend. Im Vergleich zu 1990 sind die Treibhausgasemissionen des Abfallsektors bis zum Jahr 2018 um 74,6 % gesunken [27] und betragen im Jahr 2019 noch neun Mio. Tonnen CO 2 -Äquivalente. Zum Vergleich: Die Energiewirtschaft stößt jährlich 254 Mio. Tonnen CO 2 -Äquivalente aus und der Verkehrssektor 163 Mio. Tonnen. Bezogen auf die Gesamtemissionen von 805 Mio. Tonnen beträgt der Beitrag der Abfallwirtschaft somit nur noch 1 % [28]. Die Rolle der öffentlichen Hand Grundsätzlich bedarf es für mehr Nachhaltigkeit in der öffentlichen Kreislauf- und Abfallwirtschaft mehrerer Dinge. Einerseits braucht es auf Seiten der Bevölkerung eine höhere Sensibilisierung und Aufklärung in Bezug auf die richtige Trennung von Abfällen. Auf der anderen Seite muss die Abfallentsorgung für die Bevölkerung bequem sein. Die Bürger müssen die notwendigen Leistungen bürgernah und „vor der Haustür“ erhalten. Über die Festlegung der Abfallgebühren, die Leerungszeiten sowie die Bereitstellung der zur Umsetzung der gesetzlichen Getrenntsammlung von Abfällen notwendigen Entsorgungsbehälter können Städte und Gemeinden das Verhalten der Verbraucher in die gewünschte, nachhaltige Richtung beeinflussen [29]. Der Markt für Abfallentsorgung ist breit gefächert, neben den kommunalen Eigenbetrieben gibt es rund 10 700 privatwirtschaftliche Entsorgungsunternehmen. Mit einem Marktanteil von knapp 50% sind kommunale Entsorgungsunternehmen vertreten. [30]. In der Realität wird die Pflicht zur Getrenntsammlung allerdings häufig nicht in letzter Konsequenz durchgesetzt. So wurden 2020 in etwa jedem siebten Landkreis nicht flächendeckend Biotonnen angeboten. Vergleichende Beobachtungen ergaben, dass durch diese Einführung die Restmüllmenge um bis zu 50 % reduziert werden kann. Ein großes Potenzial, das leider viel zu häufig ungenutzt bleibt. Neben der verbindlichen Quotierung von Rezyklaten liegt der Fokus sowohl in der europäischen als auch in der deutschen Politik auf der Produktion und der Beschaffung der öffentlichen Hand. Die momentan geltenden EU-Kriterien für umweltorientierte öffentliche Beschaffung zeigen dabei auf Grund ihrer Freiwilligkeit nur eine geringe Wirkung. Von der Europäischen Kommission werden daher verbindliche Zielvorgaben für die öffentliche Beschaffung vorgeschlagen. Europaweit macht die Kaufkraft der Behörden und öffentlichen Stellen 14 % des BIP aus. Diese Kaufkraft birgt, wird sie konsequent an nachhaltigem Konsum ausgerichtet, enormes Potenzial und hat Strahlkraft auf andere Branchen und die Privatwirtschaft [31]. Die Vorgaben für eine nachhaltige Beschaffung der öffentlichen Hand sind in Deutschland in § 45 des KrWG verankert. Mit einem Beschaffungsvolumen der öffentlichen Hand in Höhe von rund 35 % der gesamten Staatsausgaben besitzt diese hier einen mächtigen Hebel [32]. In der Realität geht die nachhaltige Beschaffung allerdings oft kaum über den Kauf von Recyclingpapier hinaus. Denkbar wäre beispielsweise eine Erweiterung der Ökodesign- Richtlinie über explizite Energieeffizienzkriterien. Eine Kennzeichnung besonders recyclingfähiger und somit ressourcenschonender und klimafreundlicher Produkte kann einen ersten Hebel setzen, das Konsumverhalten ökologischer zu gestalten. Marktwirtschaftliche Anreize können einen Nährboden für ökologisches Verhalten in der Wirtschaft schaffen. Als Vorbild auf dem Weg zu einer klima- und ressourcenschonenden Kreislaufwirtschaft spielt die öffentliche Hand in Deutschland daher sowohl auf der Beschaffungsseite als auch bei der Abfallentsorgung eine entscheidende Rolle. Schluss Um die europäischen Klimaziele zu erreichen, ist langfristig eine gewisse Entkopplung des Wachstums vom Ressourcenverbrauch notwendig. Mit dem „Neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft“ hat die Europäische Kommission hier verbindliche Vorgaben zur Abfallvermeidung und zum Recycling gemacht. In Deutschland sind diese Vorgaben mit der Novellierung des Kreislaufwirtschaftsgesetzes in geltendes Recht überführt worden. Während europaweit eine zunehmende Bedeutung des Recyclings und der Verwendung von Sekundärrohstoffen erkennbar ist, nimmt Deutschland hier weiterhin eine 83 2 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Umbau zur Stadt der Zukunft Führungsposition ein. Diese Position macht sich auch im Hinblick auf den Klimaschutz bemerkbar. Seit 1990 konnten die Treibhausgasemissionen der Abfallwirtschaft um etwa 75 % gesenkt werden, die Abfallwirtschaft ist momentan nur noch für 1 % der Gesamtemissionen in Deutschland verantwortlich. Häufig wird dabei aus den Augen verloren, dass Recycling ein Querschnittsthema ist, das auch über die originären Einsparungen im Abfallsektor große positive Klimaschutzeffekte hat. Um diese Potenziale vollständig zu nutzen, ist in besonderem Maße auch die öffentliche Hand mit ihrer Vorbildfunktion gefragt. LITERATURVERZEICHNIS [1] Bundesregierung (Hrsg.): Klimaschutzprogramm 2030 der Bundesregierung zur Umsetzung des Klimaschutzplans 2050, Berlin, 2019. [2] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 2. [3] Wilms, H., Rottmann, O.: Mehr recyceln, Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 17.2.2021. [4] Internationales Ressource Panel (Hrsg.): Global Resources Outlook 2019. Natural resources for the future we want. United Nations Environment Programme, Kenia, 2019. [5] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, S. 181. [6] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, S. 7. [7] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 181. [8] European Environment Agency (Hrsg.): Circular Economy in Europe. Developing the knowledge base, Luxemburg, (2016) S. 26f. [9] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 181. [10] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 3. [11] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 212. [12] Amanatidis, G.: Ressource efficiency and the Circular Economy in: Resource efficiency and the circular economy | Fact Sheets on the European Union | European Parliament (europa.eu), (01.05.2021). [13] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 14. [14] Kreislaufwirtschaftsgesetz, § 6 und §14. [15] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 28. [16] Europäisches Parlament und Rat (Hrsg.): Richtlinie (EU) 2018/ 851 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2018 zur Änderung der Richtlinie 2008/ 98/ EG über Abfälle, (2018) S. 129. [17] BMU, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.): Abfallwirtschaft in Deutschland 2020, Berlin, (2020) S. 42. [18] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 2. [19] BMU, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.): Abfallwirtschaft in Deutschland 2020, Berlin, (2020) S. 42. [20] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 190. [21] Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e. V. (Hrsg.): CO 2 -Gutschriften für mehr Klimaschutz und Recycling, Pressemitteilung vom 17. Dezember 2019, in: https: / / www.bvse.de/ gutinformiert-kunststoffrecycling/ pressemitteilungenkunststof frec ycling / 5252co2-gutschrif ten-fuermehr-recycling-und-klimaschutz.html, 30.03.2021. [22] Verband Deutscher Metallhändler e. V. (Hrsg.): Metallrecycling ist aktiver Klimaschutz, in: http: / / www. vdm.berlin/ themen.php? i=20, 25.2.2021. [23] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 190. [24] Buchert, M., Bulach, W., Stahl, H. / Öko-Institut e. V. (Hrsg.): „Klimaschutzpotenziale des Metallrecyclings und des anthropogenen Metalllagers“, Darmstadt, (2016) S. 7f. [25] Umweltbundesamt (Hrsg.): Papier und Druckerzeugnisse, 2015, in: https: / / www.umweltbundesamt.de/ papier-druckerzeugnisse#vorteile-von-recyclingpapieren, 10.01.2021. [26] Arbeitsgemeinschaft Verpackung + Umwelt e. V. (Hrsg.): Aktuelles zu Verpackung und Nachhaltigkeit, in: https: / / www.agvu.de/ de/ 125-125/ , 25.03.2021. [27] Umweltbundesamt (Hrsg.): Berichterstattung unter der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen und dem Kyoto-Protokoll 2020 - Nationaler Inventarbericht zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990 - 2018, Dessau-Roßlau, (2020) S. 145. [28] BMU, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (Hrsg.): Klimaschutz in Zahlen, Berlin, (2020) S. 26. [29] Wilms, H., Rottmann, O.: Mehr recyceln, Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau, 17.2.2021. [30] Prognos AG (Bearb.): Statusbericht der deutschen Kreislaufwirtschaft 2020, Düsseldorf, (2020) S. 74. [31] Europäische Kommission (Hrsg.): Ein neuer Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft. Für ein sauberes und wettbewerbsfähiges Europa, Brüssel, (2020) S. 6. [32] OECD (Hrsg.): Öffentliche Vergabe in Deutschland. Strategische Ansatzpunkte zum Wohl der Menschen und für wirtschaftliches Wachstum, Paris, (2019) S. 15. Max Goldammer, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) Kontakt: mgoldammer@wifa.uni-leipzig.de Dr. Oliver Rottmann Geschäftsführer Kompetenzzentrums Öffentliche Wirtschaft, Infrastruktur und Daseinsvorsorge e. V. (KOWID) und Kompetenzzentrum für kommunale Infrastruktur Sachsen (KOMKIS) Kontakt: rottmann@wifa.uni-leipzig.de AUTOREN
