eJournals Transforming cities 6/3

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0045
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Mit Sensorik und KI zu mehr Resilienz

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Regina Gnirss
Dominik Kolesch
Extremwetter nimmt zu und stellt neue Anforderungen unter anderem an das Wassermanagement. Das wird besonders bei Starkregenereignissen deutlich. Das Thema betrifft nicht nur die Wasserver- und Abwasserentsorger, sondern auch andere Bereiche der Daseinsvorsorge. Überflutete Straßen wirken sich auf den Verkehr und den Handlungsspielraum der Einsatzkräfte aus. Die Akteure in der Stadt müssen sich deshalb mehr vernetzen. Auch neue Maßnahmen zum Wassermanagement, zum Beispiel der Einsatz von Robotik und KI sind gefragt, um auch bei extremerem Wetter die Wasserversorgung zu gewährleisten.
tc630008
8 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Der Trend zur Urbanisierung ist weiterhin ungebrochen: Die Menschen ziehen in die Städte und der Wasserverbrauch steigt. In Berlin drehen schon heute jeden Tag knapp 3,7 Mio. Menschen ihren Wasserhahn auf. Das Wassermanagement und die Infrastruktur dahinter bleiben für die meisten aber unsichtbar. Doch gerade die Trockenphasen und die unterirdische Kanalisation die hohen Abflussintensitäten des Starkregens nicht aufnehmen und ableiten kann. Damit wird das Thema Wasser automatisch für andere Akteure in der Stadt relevant. Der Verkehr ist betroffen und mit ihm die Fahrwege für Polizei, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk und für Pendelnde. Die Herausforderungen des Wassermanagements werden somit wichtiger für Mobilitätsdienstleistungen, kritische Infrastrukturen und die öffentliche Sicherheit. Die Wasserver- und Abwasserentsorger in den Städten müssen erkennen, wie vernetzt die Daseinsvorsorge in den Städten schon heute ist und sie demnach vernetzter denken. In Berlin haben wir uns bereits auf den Weg gemacht. Überflutungen in der Stadt Zusammen mit den anderen Infrastrukturbetreibern der Stadt - Berliner Verkehrsbetriebe, Berliner Stadtreinigung, Vattenfall Wärme Berlin, GASAG und Stromnetz Berlin - haben wir das InfraLab Berlin gegründet. Hier forschen wir gemeinsam an der Stadt der Zukunft und widmen uns Themen, die alle angehen und nur miteinander gelöst werden können. Dazu zählen zum Beispiel Überflutungsereignisse durch Starkregen im urbanen Raum. Ereignisse wie jene in Mit Sensorik und KI zu mehr Resilienz Wassermanagement, Klimawandel, Resilienz, KI, Robotik Regina Gnirss, Dominik Kolesch Extremwetter nimmt zu und stellt neue Anforderungen unter anderem an das Wassermanagement. Das wird besonders bei Starkregenereignissen deutlich. Das Thema betrifft nicht nur die Wasserver- und Abwasserentsorger, sondern auch andere Bereiche der Daseinsvorsorge. Überflutete Straßen wirken sich auf den Verkehr und den Handlungsspielraum der Einsatzkräfte aus. Die Akteure in der Stadt müssen sich deshalb mehr vernetzen. Auch neue Maßnahmen zum Wassermanagement, zum Beispiel der Einsatz von Robotik und KI sind gefragt, um auch bei extremerem Wetter die Wasserversorgung zu gewährleisten. Überschwemmungen in den letzten Sommern haben gezeigt, was der Klimawandel für die Städte bedeutet. Das künftige Wassermanagement der Städte muss auf extremeres Wetter ausgelegt sein und braucht neue Tools zur Instandhaltung und Schadenserkennung, wenn es den Herausforderungen gewachsen sein soll. Zu viel oder zu wenig Regen? Und Herausforderungen gibt es viele: Klimawandel bedeutet nicht nur mehr aride Wetterphasen, sondern auch, dass zum Beispiel Starkregen wesentlich häufiger und heftiger vorkommt. In kurzer Zeit regnen unzählige Liter auf die Städte. Insbesondere in stark versiegelten urbanen Verkehrsräumen kann es dann zu pluvialen Überflutungen kommen, da Bild 1: Sensoren an und unter der Straße und in Abflüssen messen im Projekt SENSARE den aktuellen Wasserstand und versenden ihn über LoRaWAN. © SENSARE Bild 2: Automatisch erkannte und markierte Schadensarten entlang einer Kanalhaltung. © AUZUK A / e.sigma 9 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Münster (2014), Dortmund (2015) und Berlin (2017) machen die potenzielle Intensität und das Ausmaß deutlich. Das vom BMVI geförderte Projekt „SEN- SARE“ (Sensorbasierte Stadtgebietsanalyse für Starkregen zur Warnung und Resilienzverbesserung der Verkehrsinfrastruktur) erstellt Gefahrenkarten für Starkregenereignisse und sendet Warninformationen direkt in die Leitzentrale der Verkehrsinfrastruktur. Deshalb haben wir im Projekt alle Senken der Stadt, in denen Überflutungen entstehen können, digital erfasst. Darüber lassen wir Simulationen laufen, die unterschiedliche Regenszenarien abbilden. In vier Quartieren überprüfen wir die Ergebnisse mit realen Starkregenereignissen: Die Signale der Sensoren in und unter der Straße werden mit LoRaWAN übertragen. So stellen wir fest, ab wann die Kanalisation überfordert ist und Straßen zum Beispiel für Busse nicht mehr befahrbar sind. Das ermöglicht uns unter anderem, den Verkehr und den ÖPNV umzuleiten, wenn das System digital Alarm schlägt. Neben dem InfraLab sind weitere Partner aus Industrie, Wissenschaft und Verwaltung mit dabei. SENSARE soll uns und anderen Städten helfen, resilienter gegenüber den Folgen des Klimawandels zu werden. Das überschüssige Wasser auf der Straße wird im weitverzweigten Kanalnetz in Berlin gespeichert. Dazu kommen kathedral-große Stauräume, die fast 300 000- m 3 Wasser fassen können. Insgesamt ist das Kanalnetz in Berlin 9 700 km lang - soweit wie ein Langstreckenflug von Berlin nach Tokyo. Damit das Abwasser mit dem Regenwasser ungehindert zu den Klärwerken gepumpt werden kann, inspizieren wir unsere Kanäle in regelmäßigen Abständen. Dazu nutzen wir einen Kamera-Roboter, der Bilder aufnimmt, mit denen wir Schäden erkennen. Bisher werten die Fachexpert*innen der Berliner Wasserbetriebe das komplette 2D-Bildmaterial manuell aus, was ebenso zeitintensiv wie fehleranfällig ist. Mit KI die Kanalisation erhalten Die Berliner Wasserbetriebe forschen daran, diese Bilderkennung und Schadensklassifizierung in die Hände einer künstlichen Intelligenz zu geben. 2016 startete das vom BMBF geförderte Forschungsprojekt „AUZUKA“ mit dem ehrgeizigen Ziel, für Kommunen Assistenzsysteme zu schaffen, die Kanalschäden (teil-) automatisiert erfassen können. Die Herausforderung liegt in der neuartigen kontrastreicheren Bildqualität sowie in eindeutig und für alle möglichen Schäden ausreichende vorhandene Trainingsdaten zur automatisierten Bilderkennung. Das entwickelte virtuelle Auswertesystem ist bereits bei den Berliner Wasserbetrieben in der Testanwendung. Die Qualität in der Kanalinspektion konnte so deutlich gesteigert werden. Künstliche Intelligenz kann auch auf anderem Wege dabei helfen, das Kanalsystem in Stand zu halten, das teilweise schon über 100- Jahre alt ist. Regelmäßige Investitionen und Bauvorhaben sind notwendig, um das Netz zu erhalten. Und je gezielter Schäden behoben werden können, desto besser. Im Projekt „SEMA- Berlin“ simuliert eine künstliche Intelligenz den Alterungsprozess der Kanäle. Die KI zieht ihr Wissen aus über 140 000 Datensätzen zum Zustand, zu baulichen Eigenschaften und zu Umwelteinflüssen der Berliner Abwasserkanäle. Auch das Alter und Material der Kanäle und Open Data zu Boden- Regina Gnirss Leiterin Forschung und Entwicklung Berliner Wasserbetriebe Kontakt: regina.gnirss@bwb.de Dominik Kolesch Berliner Wasserbetriebe Kontakt: dominik.kolesch@bwb.de AUTOR*INNEN Bild 3 (oben): Eine künstliche Intelligenz simuliert den Alterungsprozess der Berliner Kanalisation. © Kompetenzzentrum Wasser Berlin / SEMA-Berlin Bild 4 (unten): Im InfraLab Berlin entwickeln die Infrastrukturbetreiber der Stadt Ideen und Konzepte für die smarte Stadt der Zukunft. © InfraLab Berlin art oder dem Grundwasserniveau werden genutzt. Das ermöglicht es, einen digitalen Blick in die Zukunft zu werfen. Die Ergebnisse von SEMA-Berlin tragen dazu bei, das Kanalsystem gezielt zu erhalten und zu sanieren, damit in Berlin auch in Zukunft das Wasser weiter aus dem Wasserhahn fließt - und die Kanalisation den zunehmenden Starkregen verlässlich aufnehmen kann.