Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0049
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Vertikale Klima-Klär-Anlage
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Vera Middendorf
Nadja Becker
Matthias Schulz
Verdichtete Städte führen in Kombination mit dem Klimawandel zu vielen Herausforderungen. Erwärmungseffekte („urban heat island effect“), wenig Platz für blau-grüne Infrastruktur und die Überlastung der urbanen Abwasserstruktur bei Extremwetterereignissen sind nur einige davon. Im Rahmen des BMBF-Förderprogramms „Ressourceneffiziente Stadtquartiere“ entwickeln neun Partner derzeit VertiKKA, eine Vertikale Klima-Klär-Anlage. VertiKKA möchte die Komponenten Fassadenbegrünung und Photovoltaik (PV) mit neuartigem Abwassermanagement zu einer platzsparenden, multifunktionalen Gesamtlösung für urbane Räume kombinieren.
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20 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Beschreibung von VertiKKA: VertiKKA ist ein Modul, das die Elemente Fassadenbegrünung, Grauwasserreinigung und Energieerzeugung durch Photovoltaik verbindet. Die angestrebten positiven Auswirkungen von VertiKKA liegen in der Kombination der Einzelvorteile von Fassadenbegrünungssystemen (zum Beispiel: gesteigerte Kühlungs- und Dämmwirkung, Verbesserung von Luftqualität und Feinstaubbindung, Reduktion der Lärmbelastung) und der Erzeugung von erneuerbarem Strom durch PV. Bei der Bewässerung mit Grauwasser kann dieses gereinigt, Nährstoffe recycled und Trinkwasser (im Vergleich zu einer Fassadenbegrünungs- Bewässerung mit Trinkwasser) eingespart werden. Zusätzlich will VertiKKA folgende Synergieeffekte ausnutzen: Schutz der Pflanzen vor extremen Witterungsbedingungen durch die PV-Module; höhere PV-Stromerträge durch Kühlungseffekte der Pflanzen; ständige Verfügbarkeit von getrennt erfasstem Grauwasser für die Bewässerung der Fassadenbegrünungsmodule und dadurch ständige Verfügbarkeit von gereinigtem Grauwasser. Im Detail unterscheidet sich VertiKKA von bereits vorhandenen Fassadenbegrünungssystemen oder gebäudeintegrierter Photovoltaik. VertiKKA ist als autarke Einheit mit geringem Wartungsaufwand konzipiert und wird als „angelehnt-stehende“ Variante mit einem Trägergerüst an der Fassade fixiert. Die Photovoltaik- Elemente sind bewegliche, semitransparente, bifaziale PV-Module. Momentan wird an mehreren PV-Modulen geforscht: Glas-Glas- Modulen, Folien-Modulen sowie eine Kombination aus beiden. In normalem Zustand sind sie geöffnet, verschatten die Pflanzen und schützen sie so vor zu starker Sonneneinstrahlung. Bei Starkregenereignissen oder extremen Wetterbedingungen schließen sie sich zu einer geschlossenen Fassade vor der Begrünung. Somit trägt die Photovoltaik zu einem geringeren Wartungsaufwand der Pflanzwand nach extremem Wetter bei. Bewässert wird mit getrennt erfasstem, vorgereinigtem Grauwasser. Das Prinzip bei der Reinigung des Grauwassers entspricht einer Tropfkörperanlage bzw. einem Biofilter. Im VertiKKA-Projekt werden gerade verschiedene Reinigungssubstrate getestet. So werden Substrate aus Pflanzenkohle verschiedener Ausgangs- Vertikale Klima-Klär-Anlage Grauwasserreinigung und -nutzung durch Fassadenbegrünung Fassadenbegrünung, Grauwasserreinigung, Fassaden-PV, Stadtklima, urbanes Abwassersystem Vera Middendorf, Nadja Becker, Matthias Schulz Verdichtete Städte führen in Kombination mit dem Klimawandel zu vielen Herausforderungen. Erwärmungseffekte („urban heat island effect“), wenig Platz für blau-grüne Infrastruktur und die Überlastung der urbanen Abwasserstruktur bei Extremwetterereignissen sind nur einige davon. Im Rahmen des BMBF-Förderprogramms „Ressourceneffiziente Stadtquartiere“ entwickeln neun Partner derzeit VertiKKA, eine Vertikale Klima-Klär-Anlage. VertiKKA möchte die Komponenten Fassadenbegrünung und Photovoltaik (PV) mit neuartigem Abwassermanagement zu einer platzsparenden, multifunktionalen Gesamtlösung für urbane Räume kombinieren. Bild 1: Konzept kreislauforientiertes Abwassermanagementsystem über VertiKKA. © Middendorf et al., in Anlehnung an Maier, K. et al. 2017 [1] Dünger VertiKKA Grauwasser Schwarzwasser Biomasse & Co-Substrate Strom & Wärme Energie Landwirtschaft Biogasanlage Betriebswasser Siedlung 21 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum stoffe und Blähglasgranulat eingesetzt. Die Begrünung besteht aus einem Vlies-Substrat-System, bei dem eine umfassende Pflanzenauswahl je nach Standortbedingungen und anderen Präferenzen möglich ist. Die smarte Steuerung und Überwachung von PV und Bewässerung wird über Sensorik je nach äußeren Bedingungen gewährleistet. Insgesamt soll die VertiKKA als innovatives GI-Konzept die Ressourceneffizienz, Lebensqualität und Klimaanpassung urbaner Räume verbessern und so einen Beitrag leisten zur nachhaltigen Stadtentwicklung und zur Erreichung der Sustainable Development Goals (SDGs). Um dies zu belegen, wird die technische Entwicklung begleitet von einer umfassenden und ganzheitlichen Nachhaltigkeit suntersuchung. Diese enthält die Bewertung und Darstellung der ökologischen, ökonomischen und sozialen Effekte, die für Fassade, Gebäude, Quartier und Stadt von der VertiKKA ausgehen. Ferner leistet die VertiKKA einen Beitrag für das Neudenken von Abwassermanagementsystemen. Neue urbane Entwässerung Da VertiKKA mit Grauwasser bewässert wird, ist eine Abwassertrennung in Grau- und Schwarzwasser bereits am Entstehungsort notwendig. Das Grauwasser wird das ganze Jahr über die Fassade gereinigt und steht danach zur Bewässerung des Gartens, von Grünanlagen oder für die Toilettenspülung wieder zur Verfügung. Das Wasser wird also nicht abgeführt, sondern im Sinne einer Schwammstadt vor Ort gebraucht, verdunstet und versickert. Das hat den positiven Nebeneffekt, dass der Überhitzung der Städte mit der Erzeugung von Verdunstungskälte über VertiKKA entgegengewirkt wird. Außerdem können die Nährstoffe, die im Grauwasser enthalten sind, direkt an den Wänden in Pflanzenwachstum umgewandelt werden. Das anfallende Schwarzwasser kann zum Beispiel zusammen mit Küchenabfällen lokal gesammelt und über eine Unterdruckleitung in eine dezentrale Biogasanlage eingespeist werden. Das energiereiche Schwarzwasser wird zur lokalen und erneuerbaren Energieproduktion genutzt. Die gewonnene Wärme und der Strom können im Quartier sofort genutzt werden. Der anfallende Gärrest aus der Biogasanlage wird als Dünger direkt auf landwirtschaftliche Felder ausgebracht, sodass die darin enthaltenen Nährstoffe im Sinne einer Kreislaufwirtschaft wieder in Biomasse umgewandelt werden können. So werden die Nährstoffe und Eigenschaften der verschiedenen Abwässer optimal genutzt. Einen zusätzlichen Effekt bringt die Entlastung der Abwasserkanäle. Durch die dezentrale Nutzung der Grau- und teilweise auch Schwarzwasserströme werden unterirdische Stauräume frei, die bei Starkregenereignissen dazu dienen, Überschwemmungen zu vermeiden. Daneben können die Stauräume etwa auch Platz für Transportleitungen bieten. VertiKKA trägt somit zu einem Neudenken beim urbanen Abwassermanagement bei. Vision Wie würde demnach eine klimaresilliente Stadt aussehen? Die Stadt ist grün: VertiKKA ist Teil einer lebenswerten Stadt, die durch viel Stadtgrün - Parks, Bäume, aber auch Fassadenbegrünung - der urbanen Überhitzung entgegenwirkt. Die Stadt ist blau: Abwässer werden vor Ort getrennt und darin enthaltene Nährstoffe effizient genutzt. Die Stadt ist gelb: Energieproduktion geschieht lokal direkt an den Wänden durch Photovoltaik-Strom und in den Biogasanlagen, die mit Schwarzwasser und Küchenabfällen gefüttert werden. Die Stadt ist vernetzt: Die Notwendigkeit für künstliche Dünger entfällt, die Abwassersysteme werden entlastet und können den unterirdischen Raum für andere Nutzungsformen (etwa Transportleitungen und/ oder Stauraum für Starkregenereignisse) überlassen. Das Leben in der Stadt ist bezahlbar: Der öffentliche ökologische und soziale Nutzen der VertiKKA auf Quartiers- und Stadtebene wird durch öffentliche Fördergelder kompensiert, so dass sich der Betrieb einer VertiKKA auch wirtschaftlich darstellen lässt. QUELLEN: [1] Maier, K., Wolf, M., Londong, J.: Die Neuorganisation der ländlichen Abwasserentsorgung. In: Wasserwirtschaft, Wassertechnik 67, 7 - 8, (2017) 34 - 37. Vera Middendorf Björnsen Beratende Ingenieure GmbH Kontakt: v.middendorf@bjoernsen.de Matthias Schulz Björnsen Beratende Ingenieure GmbH Kontakt: m.schulz@bjoernsen.de Nadja Becker IZES gGmbH Kontakt: becker@izes.de AUTOREN
