Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0053
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Starkregen - Herausforderung für Bevölkerungsschutz und Stadtentwicklung
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Isabelle Fischer
Susanne Krings
Im Projekt „Klassifikation meteorologischer Extremereignisse zur Risikovorsorge gegenüber Starkregen für den Bevölkerungsschutz und die Stadtentwicklung“ (KlamEx, 2019 – 2020) der Strategischen Behördenallianz „Anpassung an den Klimawandel“ wurde unter anderem der Zusammenhang zwischen Starkregenereignissen und dem Einsatzgeschehen der Feuerwehren mit quantitativen und qualitativen Methoden untersucht. Unter den Ergebnissen sind Handlungsempfehlungen zur Anpassung an und zum Umgang mit Starkregen im Katastrophenschutz und in der Stadtentwicklung.
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30 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Während dieser Beitrag entstand, zwei Wochen nach Unwettertief „Bernd“, sind weiterhin Einsatzkräfte in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Katastropheneinsatz. Extreme Regenfälle hatten Starkregen - Herausforderung für Bevölkerungsschutz und Stadtentwicklung Ergebnisse aus dem Projekt „KlamEx“ Bevölkerungsschutz, Stadtentwicklung, Starkregen, Klimawandel Isabelle Fischer, Susanne Krings Im Projekt „Klassifikation meteorologischer Extremereignisse zur Risikovorsorge gegenüber Starkregen für den Bevölkerungsschutz und die Stadtentwicklung“ (KlamEx, 2019 - 2020) der Strategischen Behördenallianz „Anpassung an den Klimawandel“ wurde unter anderem der Zusammenhang zwischen Starkregenereignissen und dem Einsatzgeschehen der Feuerwehren mit quantitativen und qualitativen Methoden untersucht. Unter den Ergebnissen sind Handlungsempfehlungen zur Anpassung an und zum Umgang mit Starkregen im Katastrophenschutz und in der Stadtentwicklung. Mitte August 2021 im Westen Deutschlands in kürzester Zeit zu Hochwasserereignissen mit verheerenden Folgen geführt. Die aktuellen Ereignisse haben ein in Deutschland bisher nicht dagewesenes Ausmaß. Allerdings bringen Starkregenereignisse und deren Folgen Jahr für Jahr Menschen in Gefahr, verursachen massive Schäden an Gebäuden und Infrastrukturen und stellen die Gefahrenabwehr vor erhebliche Herausforderungen. Regelmäßig wird in diesem Zusammenhang auch die Frage nach der Bedeutung des Klimawandels für das Auftreten extremer Wetterphänomene diskutiert. Die Strategische Behördenallianz „Anpassung an den Klimawandel“ setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 2007 mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Extremwetterereignisse auseinander. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), der Deutsche Wetterdienst (DWD), die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW) und das Umweltbundesamt (UBA) führen im Rahmen der Behördenallianz gemeinsame Forschungsprojekte durch, um die Wissensbasis zu erweitern und den gesellschaftlichen Umgang mit den Folgen des Klimawandels zu verbessern. Das gerade abgeschlossene Forschungsprojekt der Behördenallianz trägt den Kurztitel „KlamEx“, für: „Klassifikation meteorologischer Extremereignisse zur Risikovorsorge gegenüber Starkregen für den Bevölkerungsschutz und die Stadtentwicklung“ (01/ 2019 - 12/ 2020; Abschlussbericht: BBK 2021 [1]). Ziel des Vorhabens war es, die Zusammenhänge zwischen dem meteorologisch beschreibbaren Ereignis und dem dadurch ausgelösten Einsatzgeschehen genauer unter die Lupe zu nehmen. © Thomas Oettinger auf Pixabay 31 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Anlass für das BBK, sich damit im Rahmen des Projekts auseinanderzusetzen, gab unter anderem der Monitoringbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel [2]. Um etwaige Auswirkungen klimatischer Veränderungen auf den Bevölkerungsschutz abbilden zu können, wird hier auch auf den Indikator „Einsatzstunden bei wetter- und witterungsbedingten Schadenereignissen“ zurückgegriffen ([2] S. 234 - 235). Da die Indikatoren des Berichts für ganz Deutschland gelten, können im konkreten Fall nur die Einsatzstunden des THW berücksichtigt werden, da diese bundesweit vorliegen. Dieser Umstand begrenzt allerdings die Aussagekraft des Indikators, weil das THW nur auf Anforderung in den Einsatz geht und mit seinen Spezialfähigkeiten auch schwerpunktmäßig für bestimmte Einsatzbereiche angefordert wird. Die vielen Einsatzstunden, die von Feuerwehren und Hilfsorganisationen geleistet werden, können bislang nicht berücksichtigt werden ([2] S. 235). Dieser Umstand ist vor dem Hintergrund besonders unglücklich, dass Einsatzkräfte immer wieder von einer Zunahme extremwetterbedingter Einsätze berichteten. Einblicke in die Ergebnisse des KlamEx-Projekts Um dem Verhältnis von Ereignis und Einsatz einen Schritt näher zu kommen, ging das KlamEx-Projekt zunächst den Grundsatzfragen nach, was genau unter einem „Ereignis“ und unter einem „Einsatz“ zu verstehen ist, denn tatsächlich ist es nicht trivial, diese Fragen eindeutig zu beantworten. Beim DWD wurde daher zunächst eine meteorologische Definition extremer Niederschlagsereignisse erarbeitet. Angewendet auf die Datengrundlage der radarbasierten Niederschlagsklimatologie (RADKLIM) konnte anhand dessen ein Katalog aller in Deutschland seit dem Jahr 2001 verzeichneten extremen Niederschlagsereignisse generiert werden. Jedes einzelne Ereignis ist darin erfasst und hinsichtlich einer Reihe von Eigenschaften, etwa seiner räumlichen Ausdehnung, Andauer und Intensität, beschrieben. Die katalogisierten Ereignisse wurden anschließend unter anderem hinsichtlich ihrer räumlichen Verteilung betrachtet. Bild 1 zeigt die räumliche Verteilung aller Extremereignisse der Dauerstufe 1 - 9- Stunden (Typ „Starkregen“) für den Zeitraum 2001 - 2020. Gerade starke Niederschläge mit kurzer Dauerstufe sind in den letzten 20 Jahren in allen Regionen Deutschlands aufgetreten. Betrachtet man die Häufigkeit der katalogisierten Ereignisse, zeigt sich über die vergangenen zwei Jahrzehnte eine leichte Zunahme. Für die Ableitung eines Klimatrends zu mehr extremen Niederschlagsereignissen ist die Zeitreihe aktuell noch zu kurz. Der Katalog wird aber durch den DWD kontinuierlich fortgeschrieben, sodass entsprechende Auswertungen perspektivisch möglich werden. Es konnte allerdings anhand der im Projekt erstellten Datenbasis ein bislang in der Fachliteratur nur als Hypothese formulierter Zusammenhang zwischen der Temperatur und der Extremität von Niederschlagsereignissen empirisch nachgewiesen werden: Die Intensität der Ereignisse, sowohl bezogen auf Starkregen als auch auf Dauerregen (das heißt: Ereignisse die hinsichtlich einer längeren Dauerstufe als extrem eingestuft wurden) nimmt demnach mit einer Zunahme der Temperatur zu. Gleichzeitig erhöht sich der Anteil des Starkregens im Verhältnis zum Dauerregen. Niederschläge treten also bei steigenden Temperaturen häufiger in Form kurzer, konvektiver Ereignisse auf. Diese Verschiebung in der Niederschlagscharakteristik Bild 1: Deutschlandweites Auftreten extremer Starkniederschlagsereignisse der Dauerstufe 1 - 9 Stunden in den Jahren 2001 bis 2020. © DWD 2021; aus KlamEx- Abschlussbericht, BBK 2021 32 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? konnte im KlamEx-Projekt erstmals direkt anhand von Messdaten gezeigt werden. Die Frage, was genau ein „Einsatz“ ist, wurde im Projekt denjenigen gestellt, die ganz praktisch damit zu tun haben: Mittels einer Online-Befragung haben 182 Feuerwehren und untere Katastrophenschutzbehörden aus zehn Bundesländern Auskunft darüber gegeben, was sie unter einem Einsatz verstehen und wie die von ihnen angewandten Verfahren zur Einsatzerfassung aussehen. Die so entstandene Übersicht über die Erfassungspraxis zeigt ein heterogenes Bild. So kann ein „Einsatz“ etwa bezogen auf jede Einsatzstelle (zum Beispiel: eine Adresse), auf jede ausrückende taktische Einheit (zum Beispiel: ein bestimmtes Fahrzeug und dessen Besatzung) oder ein ganzes Ereignis (zum Beispiel: „Sturmtief Ela“) erfasst und dokumentiert werden. Je nachdem, welche Informationen zur Einsatzursache hinterlegt werden, lässt sich eine mehr oder weniger eindeutige Verknüpfung mit einem meteorologischen Ereignis herstellen: Während die Angabe „Starkregen“ recht klar auf den Auslöser des Einsatzes schließen lässt, kann sich hinter einem „Wasser“-Einsatz auch ein Rohrbruch verbergen. Hinzu kommt ein breites Spektrum zur Datenerfassung und -verarbeitung genutzter Systeme, die nicht durchgängig untereinander kompatibel sein dürften. Die uneinheitliche Auslegung des Einsatzbegriffs und die vielfältigen Dokumentationsweisen erschweren die organisationsübergreifende Vergleichbarkeit der Einsatzdaten und stehen einer statistischen Auswertung entgegen. Die Heterogenität der Einsatzerfassung war im Grunde nicht überraschend, in ihrer Ausprägung allerdings bislang unbekannt. Die empirischen Daten geben einen zuvor nicht verfügbaren Überblick. Aus diesem geht auch hervor, dass zwar oft nicht genau dieselben, aber doch durchaus ähnliche Informationen erhoben werden. Es werden beispielsweise regelmäßig Ortsangaben für die Einsätze gemacht - sei es in Form von Adressdaten oder GPS-Koordinaten. Diese Ähnlichkeiten können Ansatzpunkte für eine Weiterentwicklung der Erfassungspraxis hin zu einer besseren Vergleichbarkeit bieten. Die Wahrnehmung einer generell zunehmenden Einsatzbelastung aufgrund von extremen Wetterereignissen lässt sich demnach nicht ohne weiteres durch eine Auswertung der Einsatzdaten über alle Organisationen und administrativen Einheiten hinweg überprüfen. Daher wurde im Projekt zusätzlich die Frage aufgeworfen, inwiefern das mit dem Ereigniskatalog nun flächendeckend homogen erfasste Auftreten von extremen Niederschlagsereignissen Rückschlüsse auf das diesbezügliche Einsatzgeschehen zulässt. Um sich dieser Fragestellung anzunähern, bedurfte es einer genaueren Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Ereignis und Einsatz. Dieser wurde im Rahmen des KlamEx-Projekts exemplarisch anhand von Fallstudiengebieten untersucht. Neben Informationen zu den dort seit 2001 niedergegangenen, katalogisierten Niederschlagsereignissen wurden die örtlichen Feuerwehreinsatzdaten sowie eine Reihe gebietsbezogener Daten genutzt. Die Korrelationsanalysen, von denen eine in Bild 2 beispielhaft dargestellt ist, ergaben deutliche Unterschiede hinsichtlich der Stärke des Zusammenhangs zwischen dem Einsatzgeschehen und den meteorologischen Ereignisparametern einerseits und dem Einsatzgeschehen und den nicht-meteorologischen Gebietsparametern andererseits: Während die Korrelation mit den Ereignisparametern im niedrigen positiven Bereich liegt (vgl. Bild-2a), ist die Korrelation mit den Gebietsparametern - Topographie, Besiedlungsdichte und Versiegelungsgrad - deutlich höher (vgl. Bild 2b - d). Ob es im Zuge eines Niederschlagsereignisses zu Einsätzen kommt, wird demzufolge maßgeblich von Faktoren beeinflusst, die mit den Gegebenheiten vor Ort zu tun haben. Darüber hinaus dürften weitere, nicht direkt messbare Faktoren einen Einfluss auf das Einsatzgeschehen haben. In Experteninterviews mit Ein- Bild 2: Beispiel für die Verschneidung und Korrelationsanalyse in einem Fallstudiengebiet: a) Niederschlagssumme, b) Topographic Position Index ( TPI), c) Bevölkerungsdichte, d) Versiegelungsgrad. Der höhere Korrelationseffizient (r) weist darauf hin, dass das Einsatzgeschehen „enger“ mit den Gebietsparametern (b - d) verknüpft ist als mit den meteorologischen Parametern (a) . © KlamEx- Abschlussbericht, BBK 2021 33 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? satzkräften der Feuerwehr wurden Informationsgrad und Risikobewusstsein sowie das Maß an Selbsthilfefähigkeit in der Bevölkerung als relevante Faktoren für die Herausbildung von Einsatzstellen bzw. für deren Ausbleiben genannt. Bei einem intensiver betrachteten Niederschlagsereignis im Fallstudiengebiet Nordwalde im Jahr 2010 konnte allein durch Selbstbzw. Nachbarschaftshilfe die Zahl der Einsatzstellen von 350 auf 250 reduziert werden. Schlussfolgerungen Mit Blick auf die Vorsorge vor extremen Niederschlagsereignissen lassen sich aus dem Ereigniskatalog mehrere grundlegende Erkenntnisse ableiten. So geht etwa aus der räumlichen Analyse hervor, dass sich das Auftreten extremer Ereignisse des Starkregentyps im Beobachtungszeitraum deutlich schwächer an den orographischen Bedingungen orientierte als es bei extremen Dauerregenereignissen der Fall war. Insbesondere kurze, heftige Starkregenereignissen können davon ausgehend praktisch überall in Deutschland auftreten. Darüber hinaus konnte nachgewiesen werden, dass die „Extremität“ der Niederschlagsereignisse mit der Temperatur zunimmt, sowohl bei Starkregen als auch bei Dauerregen. Vorsorge vor extremen Niederschlagsereignissen dürfte daher im Zuge des Klimawandels weiter an Bedeutung gewinnen. Ob ein extremes Niederschlagsereignis ein ausgeprägtes Einsatzgeschehen hervorruft, wird allerdings auch ganz maßgeblich von nicht-meteorologischen Parametern mitbestimmt: Aus der genaueren Betrachtung einzelner Extremereignisse in den Fallbeispielgebieten, lässt sich der hohe Einfluss der Bedingungen vor Ort ableiten. Diese Einsicht unterstreicht zum Beispiel den Wert von Starkregengefahrenkarten bzw. -risikokarten auf Basis entsprechender Informationen für die planerische und bauliche Vorsorge ebenso wie für die Gefahrenabwehr. Zu den hinsichtlich des Einsatzgeschehens einflussreichen Bedingungen vor Ort zählen den befragten Experten zufolge allerdings auch solche, die man selten in Karten vermerkt finden wird, wie eben die Selbstschutz- und Selbsthilfefähigkeiten der Bevölkerung. Maßnahmen zur Verbesserung des Umgangs mit extremen Niederschlagsereignissen können dementsprechend an unterschiedlichen Stellen ansetzen. Auf Basis der Projektergebnisse stellt der KlamEx-Abschlussbericht daher umfangreiche Handlungsempfehlungen mit den Schwerpunkten Bevölkerungsschutz und Stadtentwicklung zusammen. Ob Einsätze aufgrund von extremen Niederschlagsereignissen in Deutschland tatsächlich zugenommen haben, kann auch nach dem Abschluss des KlamEx-Projekts letztlich nicht beantwortet werden. Ziel des Projekts war es allerdings auch eher, die Möglichkeiten der Nutzung von Einsatzdaten für ein Monitoring des Einsatzgeschehens auszuloten. Der so entstandene Überblick über die Praxis der Einsatzerfassung und -dokumentation macht zwar deutlich, dass eine übergreifende Auswertung der Daten nicht ohne weiteres möglich ist. Allerdings konnten auch Gemeinsamkeiten zwischen den Datensätzen herausgearbeitet und Ansatzpunkte für eine verbesserte Kompatibilität zwischen den erfassten Einsatzinformationen und den dabei verwendeten Dokumentationsformen und -systemen aufgezeigt werden. Von den Befragten wurde vielfach ein hohes Interesse signalisiert, das Thema weiterzuverfolgen. Weitere Informationen sind dem vollständigen Abschlussbericht des KlamEx-Pojekts [1] sowie der Projekthomepage zu entnehmen unter: www.dwd.de/ klamex LITERATUR: [1] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) (Hrsg.): Klassifikation meteorologischer Extremereignisse zur Risikovorsorge gegenüber Starkregen für den Bevölkerungsschutz und die Stadtentwicklung (KlamEx). Projekt der Strategischen Behördenallianz „Anpassung an den Klimawandel“. Bonn, 2021. [2] Bundesregierung: Monitoringbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel, 2019. (Herausgegeben vom Umweltbundesamt, Dessau). Aufrufbar unter: https: / / www.umweltbundesamt. de/ sites/ default/ files/ medien/ 1410/ publikationen/ das_monitoringbericht_2019_barrierefrei.pdf Isabelle Fischer Sachbearbeiterin Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Kontakt: referat-II.3@bbk.bund.de Susanne Krings Referatsleiterin (komm.) Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe Strategie Kritische Infrastrukturen, Cybersicherheit Kritische Infrastrukturen Kontakt: referat-II.3@bbk.bund.de AUTORINNEN
