eJournals Transforming cities 6/3

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0054
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2021
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Stadtquartiere im Klimawandel

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2021
Denise Böhnke
Stefan Norra
Die rezenten und zu erwartenden Veränderungen im Niederschlagsregime hin zu mehr Extremen stellen das kommunale Niederschlagsmanagement sowie die Planung vor neue Aufgaben. Vielfältige Anpassungsmaßnahmen stehen mittlerweile hierfür zur Verfügung, dem gegenüber stehen jedoch teilweise hohe Herausforderungen bei der Umsetzung. Dieser Beitrag widmet sich dem Niederschlagsmanagement bzw. der Starkregenvorsorge in Bestand und Neubau, bestehenden Fachberichten und er zeigt interdisziplinäre Zusammenhänge auf und gibt beispielhaft Erkenntnisse aus zwei praxisnahen Forschungsprojekten wider.
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34 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Zu viel UND zu wenig Wasser! In den letzten Jahren wurde die Bedeutung der Klimawandel-Vorhersage „das Wetter wird extremer“ deutlich greifbarer. Ausgehend von einem eher ausgeglichenen Klima in den 80ern, wo Temperaturen über 30 °C im Schnitt einmal im Jahr zu „Hitzefrei“ in der Schule führten und der sommerliche Landregen die Grundlage der Landwirtschaft und Wasserversorgung bildete, erlebten wir in den letzten Jahren einerseits langandauernde Hitze- und Trockenphasen, die die Böden Deutschlands bis in tiefe Schichten austrockneten oder die Quellwasserversorgung im Schwarzwald zeitweise unterbrachen. Versiegende Quellen und niedrige Grundwasserstände werden dort in Zukunft bei sommerlicher Trockenheit häufiger erwartet, aufgrund der klimawandelbedingten Verschiebung der Hauptregenmenge in den Winter. Andererseits erleben wir punktuell bis regional auftretende (Stark-)Regenereignisse, die in diesem Jahr bereits zu großen Schäden für Betroffene und Infrastruktur führten. Klimawandel bedeutet beides gleichzeitig: zu viel und zu wenig Wasser. Daher sind die traditionellen Formen des Umgangs mit der Ressource Wasser nicht mehr ausreichend, Stadtquartiere im Klimawandel Kommunales Niederschlagsmanagement in Bestand und Neubau - Erkenntnisse praxisnaher Forschung Stadtquartier, Klimaanpassung, Niederschlagsmanagement, Bauleitplanung, Starkregenvorsorge Denise Böhnke, Stefan Norra Die rezenten und zu erwartenden Veränderungen im Niederschlagsregime hin zu mehr Extremen stellen das kommunale Niederschlagsmanagement sowie die Planung vor neue Aufgaben. Vielfältige Anpassungsmaßnahmen stehen mittlerweile hierfür zur Verfügung, dem gegenüber stehen jedoch teilweise hohe Herausforderungen bei der Umsetzung. Dieser Beitrag widmet sich dem Niederschlagsmanagement bzw. der Starkregenvorsorge in Bestand und Neubau, bestehenden Fachberichten und er zeigt interdisziplinäre Zusammenhänge auf und gibt beispielhaft Erkenntnisse aus zwei praxisnahen Forschungsprojekten wider. © Andi Graf auf Pixabay THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser? 35 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? die Frage nach notwendigen aber sinnvollen Änderungen wird auf allen Ebenen umso dringlicher. Zwei Forschungsprojekte zur Klimaanpassung in Bestand und Neubau Dieser Beitrag soll exemplarisch Erkenntnisse aus zwei praxisnahen Forschungsprojekten vorstellen, die sich mit dem Thema Wasser im Bestand als auch in der kommunalen Planung beschäftigt haben. In dem von der Landesanstalt für Umwelt BW geförderten Projekt KomKlim begleiteten Forscher des KIT als Klimaanpassungsexperten einen Teil des Bauleitplanungsprozesses für einen neu entstehenden Stadtteil auf der ehemaligen Fläche der Spinelli Baracks, innerhalb des Stadtplanungsamtes Mannheim. Dabei standen Fragen im Vordergrund, wie das geplante Quartier klimaangepasst gestaltet (etwa in Bezug auf Trockenheit und Starkregen) und dies überzeugend kommuniziert werden kann, aber auch welche Hindernisse derzeit für die tatsächliche Umsetzung bestehen [1]. In einem aktuellen BMBF- Forschungsprojekt mit der Stadt Karlsruhe liegt der Fokus unter anderem auf der (Software-gestützten) Beschreibung und Bewertung der Ressource Wasser und von Ökosystemleistungen im Hinblick auf einen effizienten und nachhaltigen Ressourceneinsatz - am Beispiel des Bestandsquartiers Innenstadt-Ost [2]. Dieser Beitrag präsentiert exemplarisch einige Erkenntnisse zum Thema Niederschlagsmanagement in Bestand und Neubau, mehr Informationen sind in den jeweiligen Veröffentlichungen zu den Projekten zu finden. Ergebnisse vieler praxisnaher Forschungskollaborationen Die verschiedenen Ressorts der Bundesregierung sowie der Landesregierungen stellen in den letzten Jahren vermehrt Gelder zur Verfügung, um die Folgen des Klimawandels, Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen zu untersuchen und Lösungsstrategien bzw. Maßnahmen zu entwickeln. Besonders hervorzuheben sind dabei Kooperationen zwischen Universitäten und Praxispartnern (Gewerbe, Verwaltung usw.) die das neue Thema sowohl aus wissenschaftlicher Sicht als auch im Sinne der Praxistauglichkeit bearbeiten. Als Ergebnis ist eine Vielzahl an Praxishilfen, Leitfäden und Merkblättern mit teils ähnlichen Inhalten entstanden, wobei die konkrete Auswahl sicher von Fragestellung und persönlicher Betroffenheit abhängt. Einen Überblick über eine kleine Auswahl von Praxishilfen zur Starkregenvorsorge und ihren Themen bietet Tabelle 1. Zielgruppen sind hierbei Kommunen und Ingenieurbüros, aber auch Architekten und private Bauherren. Alle vorgestellten Leitfäden enthalten Maßnahmenbeschreibungen, qualitative Wirkungsbeschreibungen, Anforderungen sowie Empfehlungen zur Umsetzung, planungsrelevante Informationen sowie weiterführende Literatur. Meist Synergieaber auch Konfliktpotenziale, den Bezug zu DIN-Normen, B-Plan-relevante Hinweise, seltener Angaben zu Kosten oder quantitativer Wirkung (Angaben und Berechnungsmethoden). Der Fokus der Leitfäden liegt hier auf Seite der Planung. Im Bestand sind die Möglichkeiten aufgrund des Planungsrechts und bestehender Zwänge deutlich eingeschränkt bzw. erfordern andere Instrumente zur Umsetzung. Dezentrale, platzsparende Lösungen können aber auch hier lokal eingesetzt werden (rigolengebundene Versickerung). Dem gegenüber steht die Schwierigkeit, dass die Vorhersage der Veränderung des Niederschlagsregimes über Klimamodelle deutlich komplexer ist und dadurch weniger eindeutig ausfällt als bei der Temperaturentwicklung. Diese Unsicherheit erschwert langfristige Planungen. Die letzten Jahre deuten jedoch darauf hin, dass sich das Wetter bzw. die Witterung von Jahr zu Jahr stärker unterscheidet (das Wetter wird extremer), als dies früher der Fall war. Da die traditionelle Infrastruktur auf das Regionalklima des letzten Jahrhunderts ausgelegt ist, muss dessen Änderung unweigerlich zu Engpässen (Trockenheit) und Überschreitungen (Starkregen) im Bestand führen. Starkregenthematik im Bestand Während die Zahl an Überschwemmungen durch Flusshochwasser in Deutschland in über 30 Jahren (1980 - 2010) relativ konstant geblieben ist, haben sich schadenträchtige Unwetter mit Starkregen in der gleichen Zeit fast verdreifacht (Tabelle 1, Nr. 2). Derartige Überschwemmungen betreffen also nicht nur Gemeinden an Bach- oder Flussläufen, sondern vermehrt alle restlichen Siedlungen, bei denen sich im Starkregenfall das Wasser oberflächlich lokal staut bzw. konzentriert abfließt. Kommunales Starkregenrisikomanagement setzt dabei vermehrt auf Starkregengefahrenkarten, die potenzielle Fließwege sowie Überschwemmungsbereiche simulieren und so bestehende Risikobereiche präventiv aufzeigen (Tabelle 1, Nr. 9). Das grundsätzliche Problem ist die Bodenversiegelung in bebauten Gebieten, da diese den natürlichen Wasserhaushalt derart stört, dass der hohe Anteil des natürlicherweise in den Boden versickernden und von der Vegetation zurückgehaltenen Wassers nun fast vollständig in das Kanalsystem abgeleitet werden muss. Untersuchungen zur Versiegelungssituation mittels Biotopkartierungen 36 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? ergaben zum Beispiel für den Straßen- und Wegebereich der Innenstadt-Ost Karlsruhe, dass rund 95 % der Fläche von 90 000 m² versiegelt (Pflaster = vollversiegelt), die Innenhöfe der Blockrandbebauungen (83 000 m²) zu 56 % vollversiegelt und zu 17 % teilversiegelt (Schotterwege usw.) sind. Entsiegelungspotenziale stehen dabei immer Flächenzwängen entgegen. Im Privaten ist die Eigentümerstruktur oft ein Hinderungsgrund für Veränderungen (zum Beispiel: Neugestaltung eines Hinterhofes, der mehreren Eigentümern anteilig gehört), da zunächst gemeinsame Visionen entwickelt und rechtliche Absprachen getroffen werden müssen. Im öffentlichen Raum bestehen durch Nutzungsbedarfe von Straßen, Gehwegen usw. kaum Entsiegelungspotenziale, dafür werden in Karlsruhe streckenweise die Gleistrassen begrünt. Basiert die schadlose Ableitung des Niederschlages fast ausschließlich auf dem städtischen Kanalsystem (wie es in vielen Städten Deutschlands der Fall ist), gewinnen hydraulisch-technische Merkmale wie das Kanalsystem (Misch- oder Trennsystem), die Kanaldimensionierung, Vorhandensein von Regenrückhalteoptionen (Bauwerke, Gründächer, multifunktionale Flächen usw.) an Bedeutung. Die lokale Starkregengefährdung hängt daher stark von der Kapazität des Kanalsystems ab. Ein entscheidender und oft unterschätzter Flaschenhals für den tatsächlichen Wasserabfluss in das Kanalsystem ist der Übergang von Straße zu Kanal durch den Straßenablauf („Gully“). Ist dessen Funktionalität durch Verunreinigung beeinträchtigt, kann nur ein Bruchteil der den Berechnungen zu Grunde gelegten Regenmengen abgeführt werden, Rückstau ist die Folge mit entsprechender Gefährdung für umliegende Infrastrukturen. Eine grundlegende Vorsorgemaßnahme sind daher gut gewartete und regelmäßig gesäuberte Sinkkästen. Bei unversiegelten Flächen hängt die tatsächliche Versickerung stark von der Wasserdurchlässigkeit des vorhandenen (meist anthropogen überprägten) Bodens bzw. vom Bodentyp ab, aber auch vom Bild 1: Qualitative Unterschiede des Wasserhaushalts in natürlicher (links) versus bebauter (rechts) Umwelt. © Böhnke Nr. Name des Leitfadens Thema Fokus bzw. Kurzbeschreibung Einzelmaßnahmen und Maßnahmenkonzepte zur Klimawandelanpassung 1 Maßnahmensteckbriefe der Regenwasserbewirtschaftung - Ergebnisse des Projektes KURAS (2017) Regenwasserbewirtschaftung Maßnahmen-Steckbriefe (mit vielen relevanten Details) 2 Leitfaden für eine wassersensible Stadt- und Freiraumgestaltung in Köln (2016) Regenwasserbewirtschaftung, Fokus Starkregen Maßnahmen-Steckbriefe (u. a.); Leitfaden für Kommunen, Stadt-/ Landschaftsplaner, Architekten 3 Hinweise für eine wassersensible Straßenraumgestaltung, Hamburg (2015) Regenwasserbewirtschaftung, Fokus Starkregen Maßnahmen-Steckbriefe (u. a.); Leitfaden für Planung und Entwurf von Stadtstraßen 4 MURIEL - Multifunktionale Retentionsflächen. Teil 1 - 3: Wissenschaftl. Grundl., Praxistests, Arbeitshilfe (2017) Starkregenvorsorge - Anlage multifunktionaler Retentionsflächen Umfassende Informationen (u. a. Maßnahmen + deren Bewertung und Betrieb, Fördermöglichkeiten) 5 Wassersensible Stadt- und Freiraumplanung - SAMUWA (2016) Wasserhaushalt, Überflutungsvorsorge, städtebauliches Leitbild - für Siwawi, Stadt-/ Landschaftsplaner Vorgehensmodell für den Planungsprozess, Analysemethoden (u. a. Wabila) 6 Grauwasserrecycling wirtschaftlich schon rentabel? (2005) Grauwasser und seine Nutzung Kurzübersicht zum Thema, weiterführende Literatur Klimaanpassung in Raumplanung und auf Bauleitplanungsebene 7 Klimaanpassung in der räumlichen Planung (2016) u. a. Starkregen, Hochwasser in Raumordnung und Bauleitplanung Ausführliche Praxishilfe, fachl./ rechtl. Grundlagen mit Formulierungshilfen 8 Klimaanpassung in Planungsverfahren (2008) Leitfaden für die Stadt- und Regionalplanung, Schwerpunkt Nordwestdeutschland Maßnahmen der Landschafts-/ Stadtplanung, Hochwasseru. Küstenschutz 9 Leitfaden Kommunales Starkregenrisikomanagement in Baden-Württemberg (2016) Starkregen - Risikomanagement und Analyse der Gefahrenlage für Kommunen. Umfassender thematischer Überblick, u. a. Starkregengefahrenkarten, Fördermöglichkeiten Tabelle 1: Berichte und Leitfäden zum Thema (Stark-)Regenmanagement als Klimaanpassung und deren Inhalte. © Böhnke 37 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Grad der Austrocknung des Bodens (insbesondere bei tonhaltigen Böden), der Topographie des Geländes usw. Bei ebenem Gelände mit gut durchlässigen Böden, wie in Mannheim und Karlsruhe, kann überschüssiges Regenwasser gut in Mulden (begrünt, multifunktional, bei Bedarf kombiniert mit Rigolen; privater oder öffentlicher Bereich) gesammelt und versickert werden; anspruchsvoller ist dabei die Schaffung von wasserleitenden Gefälle- und Bordstrukturen (mind. 2 % Gefälle) im Straßenraum aufgrund der ebenen Topographie ([1], Tabelle 1, Nr.-2). Soll die Wassermenge nachträglich reduziert werden, die im Starkregenfall im Bestand abgeleitet werden muss, kann dies über Entsiegelung und Begrünungsmaßnahmen oder die nachträgliche Implementierung von Zwischenspeichern bzw. Versickerungsbauwerken jeglicher Form erreicht werden - von Dachbegrünungen, über Mulden-Rigolen-Lösungen oder Zisternen zur Regenwassersammlung. Die Regenwasserbewirtschaftung ist auch im Hinblick auf Trockenphasen und zum Schutz der Ressource Wasser eine zukunftsfähige Maßnahme mit vielen Synergieeffekten (Tabelle 1, Nr.-1). Konzeptuelle Darstellung der Ressource Wasser unter wasserwirtschaftlichen Aspekten Da einerseits ein Zuviel an Wasser besteht und das überschüssige Regenwasser im Starkregenfall schadlos „entsorgt“ werden muss (ableiten, zwischenspeichern, versickern usw.), andererseits aber die Ressource Wasser an sich ein wertvolles Gut ist, sollte das Ziel nachhaltigen Wassermanagements die Schonung von Trinkwasserressourcen (meist Grund- oder Oberflächenwasser) sein und die gezielte Sammlung, Aufbereitung und Nutzung von Regenwasser (zentral oder dezentral). Zur Schonung von Trinkwasser kann auch die Nutzung von Grauwasser als Sekundärquelle sinnvoll sein (Tabelle- 1, Nr. 1, 6). Eine Übersicht über verschiedene Aspekte zum Thema Wasser/ -wirtschaft im Bestand gibt Bild-2. Die Bedeutung von Schonung bzw. Sanierung von Grund- und Oberflächenwasserressourcen sowie die Regenwassernutzung wird durch den Klimawandel sehr wahrscheinlich zunehmen. Zwar ist die genaue Entwicklung der regionalen Niederschlagsverteilung schwer zu prognostizieren, nicht aber die Effekte der gut prognostizierbaren Temperaturerhöhung. Höhere Verdunstungsraten und längere Trockenphasen werden zu einem höheren Wasserverbrauch in verschiedenen Sektoren führen. War beispielsweise die deutsche Landwirtschaft in vielen Sparten nicht oder wenig auf Bewässerung angewiesen, führen höhere Temperaturen (mehr Verdunstung) und längere Trockenzeiten (weniger oberflächennahes Bodenwasser) unweigerlich zu höherem Wasserbedarf für die Bewässerung (vor allem für Obstbäume und Feldfrüchte), um die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Bild 2: Wasser(-wirtschaft) im urbanen Raum: Herkunft, Stoffflüsse sowie Nachhaltigkeits- und Seitenaspekte. © Böhnke, Quellen: s. Tab.1 38 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Kommunale Klimaanpassung im Neubau Es gibt sehr viele Leitfäden und Praxishilfen, die sich mit dem Thema beschäftigen. Da insbesondere Starkregen ein über einen kurzen Zeitraum auftretendes und eher technisches Problem darstellt, seine Effekte vergleichsweise gut abschätzbar, sichtbar und auch messbar sind, bieten die Leitfäden im Vergleich zu Schriften zu anderen Klimawandelfolgen deutlich mehr konkrete, oft praxiserprobte Anpassungs- und Minderungsmaßnahmen samt Festsetzungsmöglichkeiten für den Bauleitplan. Doch noch ein anderer Effekt scheint dieses Thema für den Prozess der Bauleitplanung gut handhabbar zu machen: Die Effekte einzelner Starkregenvorsorge- Maßnahmen sind deutlich konkreter zu beziffern und können anhand weniger Parameter (zum Beispiel: Regenmenge/ Zeiteinheit, Fassungsvermögen der Rückhaltemaßnahme, Kanaldimensionierung usw.) vergleichsweise genau abgeschätzt werden und sind im Abwägungsprozess daher gut begründbar („harter Faktor“). Im Gegensatz dazu sind die Effekte von Maßnahmen zur Linderung von Hitze deutlich schwerer zu beziffern, da das lokale Mikroklima und dessen Effekt auf die Anwohner (Biometeorologie) das Ergebnis hochkomplexer und raumzeitlich stark variierender (Wechsel-)Vorgänge sind, und die simple Rückführung auf einfache Parameter wie zum Beispiel Lufttemperatur („durch die Maßnahme wird es im Mittel um 1 °C kühler vor Ort“) irreführend und eher kontraproduktiv sein können. Wer schon im Sommer von der Sonne in den Schatten Baumes getreten ist weiß, dass nicht allein die Lufttemperatur für das Wohlbefinden entscheidend ist. Da die Bauleitplanung aber derartige Größen in ihrer Argumentation benötigt, und diese für Hitze deutlich weniger konkret zu formulieren sind als für andere Bereiche, hat das Thema immer Nachteile gegenüber anderen Belangen („weicher Faktor“). Ein weiter kritischer Faktor beim Thema Starkregenvorsorge in der Bauleitplanung ist „den richtigen Zeitpunkt“ nicht zu verpassen. Gemeint sind sowohl die richtige Planungsphase (Rahmenplanung, städtebaulicher Entwurf, B-Plan, Objektplanung usw.) als auch das Thema innerhalb der jeweiligen Planungsphase frühzeitig einzubringen. Ein Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Bauleitplanern und Klimaanpassungsexperten ist der Vorschlag einer Zuordnung verschiedener Starkregen-Anpassungsmaßnahmen zu den einzelnen Planungsphasen (Tabelle 2). Flächenintensive Maßnahmen wie Flächen- oder Muldenversickerung oder das Schaffen einer angepassten Geländetopographie sind Aspekte, die sehr frühzeitig in den städtebaulichen Entwurf, besser noch in die Vorplanung bzw. in die Bedingungen bei der Wettbewerbsausschreibung integriert werden müssen. Eine nachträgliche Berücksichtigung flächenintensiver Lösungen kann erhebliche Planänderungen erfordern, die aus Zeit- und Kostengründen schwer vertretbar wären. Als Folge müssten, ähnlich wie im Bestand, kleinteilige und dezentrale Lösungen gesucht werden die teils deutlich teurer und ressourcenintensiver sind (Flächen-/ Muldenversickerung versus technische Rigolen). Dabei sind diese Starkregen-Sammelflächen, multifunktional und ansprechend gestaltet, auch hinsichtlich des Freiraums ein Gewinn, lockern sie doch den Gebäudebestand auf, wirken sich begrünt positiv auf das Mikroklima aus und bieten entsprechend ausgestaltet eine hohe Aufenthaltsqualität. Die größte Schwierigkeit aber auch größte Chance ist es daher, die neuen Ansprüche der Klimaanpassung in die bestehende Planungsroutine zu integrieren. Dies kann über den frühzeitigen und regelmäßigen Einbezug eines Klimaanpassungsexperten in den Planungsprozess geschehen, der am besten direkt im Stadtplanungsamt verortet ist. Oder auch über eine klare Verteilung von Zuständigkeiten für Bild 3: Starkregenereignis und Effekte auf versiegelten (oben) versus begrünten (unten) Flächen. © Böhnke 39 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? die neuen Belange, und eine intensivere und frühzeitigere Zusammenarbeit zwischen Planungsamt und Fachabteilungen. Aufgrund des sektoral organisierten Verwaltungssystems ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Fachbereichen systemimmanent erheblich erschwert. Um den Anforderungen des Baugesetzbuches zur Förderung der Klimaanpassung (§ 1 Abs. 5) dennoch gerecht zu werden, ist daher - bis Planungsroutinen entwickelt sind und das Thema der Klimaanpassung fachbereichsübergreifend implementiert ist - ein erhöhter Arbeitseinsatz unumgänglich. Die Lokal-Politik kann durch die Priorisierung des Themas hierbei entscheidende Impulse geben. Abschließend ist zu sagen, dass die Wissengrundlage zum Thema Klimawandel und -anpassung in vielfältiger Form vorhanden ist, viele naturnahe bis technische Anpassungsmaßnahmen stehen zur Klimaanpassung in Bestand und Neubau zur Verfügung. Die Realisierung in der Praxis ist dabei mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert, etwa dem politischen Willen, der Integration in Verwaltungsstrukturen und -abläufe, der wirtschaftlichen Machbarkeit (von Einzelhaushalten bis Staat) aber auch der gesellschaftlichen Tragfähigkeit der notwendigen Anpassungen. Die Dringlichkeit zur Umsetzung ergibt sich direkt aus den rezenten und zu erwartenden Auswirkungen des Klimawandels, die die bisherigen Formen im Umgang mit Themen wie Niederschlags- und Wasserressourcenmanagement, aber auch mit Hitze auf die Probe stellen. Dr. Denise Böhnke Wissenschaftliche Mitarbeiterin Arbeitsgruppe Umweltsystemanalyse Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) Kontakt: denise.boehnke@kit.edu apl. Prof. Dr. Stefan Norra Leiter Arbeitsgruppe Umweltmineralogie und Umweltsystemanalyse Karlsruhe Institut für Technologie (KIT) Kontakt: stefan.norra@kit.edu AUTOR*INNEN Erst-Verortung Maßnahmen zur Zielerreichung 1 Übergeordnete/ Strategische/ Rahmenplanung Rückbau und Entsiegelung (Retention/ Versickerung) Grünflächen anlegen (Retention/ Versickerung) Reaktivierung ehem. Gräben und Fließgewässer Reduzierung der baulichen Dichte 2 Städtebaulicher Entwurf Bauliche Dichte regeln (z. B. GRZ) Flächen- oder Muldenversickerung Angepasste Geländetopographie schaffen (schadlose Ableitung) Grünflächen anlegen (Retention/ Versickerung) 3 B-Plan Wasserdurchlässige Beläge (Versickerung) Fassadenbegrünung (Wasserrückhalt) Dachbegrünung (Wasserrückhalt) Begleitmaßnahmen Starkregenvorsorge, z. B. Erdgeschossbodenhöhe, Straßenoberkanten usw. (schadlose Ableitung) Multifunktionale Fläche (Sammel-Retention/ Versickerung) 4 Objektplanung Regenwasserspeicherung (Baumrigole, Speichermulde) Angepasste Straßentopographie schaffen (schadlose Ableitung) Gebäudegebundene Retentionsräume (Neubau) Abdichtung gegen Sickerwasser (z. B. Schwarze/ weiße Wannen) Schutzmaßnahmen gegen Rückstau (Hebeanlage, Verschluss) LITERATUR [1] Institut für Industriebetriebslehre und Industrielle Produktion (IIP): NaMaRes - Ressourcenmanagement im Quartier im Kontext nachhaltiger Stadtentwicklung, 2019. Projekt-Homepage. https: / / www.iip. kit.edu/ 1064_4242.php. [2] Vogt A., Böhnke D., Norra S.: Umsetzung der kommunalen Klimaanpassung in die Bauleitplanung im Pilotprojekt der Entwicklung des Geländes der Spinelli Barracks / Grünzug Nordost in Mannheim. Abschlussbericht mit Maßnahmenkatalog. Hrsg: LUBW Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (LUBW). Karlsruhe, 2018. Tabelle 2: Strategische Maßnahmen für das Regenwassermanagement. © Böhnke