eJournals Transforming cities 6/3

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0061
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Mehrwert der Klimagerechtigkeit für die Klimaanpassung in Kommunen

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2021
Martina Winker
Jan Hendrik Trapp
Engelbert Schramm
Kommunen müssen Anpassungsmaßnahmen vornehmen, um den zunehmenden Wetterextremen im Zuge des Klimawandels begegnen zu können. Die Frage ist, wo und wie mit Anpassungsmaßnahmen begonnen werden sollte, da nicht das gesamte Stadtgebiet gleichermaßen betroffen ist und gleichzeitig angepasst werden kann. Der Zugang über Klimagerechtigkeit kann eine wichtige Hilfestellung in der Analyse und Identifikation von prioritären Bereichen in der Stadt sein. Dies wird in diesem Artikel am Beispiel von Anpassungsmöglichkeiten im Bereich der blau-grünen Infrastrukturen dargestellt und erläutert.
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68 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Warum Klimagerechtigkeit? Während in der freien Landschaft das Klima weitgehend von natürlichen Gegebenheiten bestimmt wird, besteht in der Stadt durch Bauwerke, Glasfassaden, Asphaltierung und andere Formen der Versiegelung ein menschgemachtes Klima. Hier können die Hitze- und Trockenperioden oder Starkregenereignisse mit dem Überflutungsrisiko besonders stark wirken. In dicht besiedelten Agglomerationen mit einem hohen Anteil versiegelter Flächen tritt vielfach Überhitzung auf, wobei im Sommer auch nachts die Außentemperaturen häufig nicht mehr Mehrwert der Klimagerechtigkeit für die Klimaanpassung in Kommunen Dargelegt am Beispiel blau-grüner Infrastrukturen Klimagerechtigkeit, Stadtgrün, Wasserressourcen, Wasserinfrastruktur, Klimaanpassung, Gerechtigkeitsprinzipien Martina Winker, Jan Hendrik Trapp, Engelbert Schramm Kommunen müssen Anpassungsmaßnahmen vornehmen, um den zunehmenden Wetterextremen im Zuge des Klimawandels begegnen zu können. Die Frage ist, wo und wie mit Anpassungsmaßnahmen begonnen werden sollte, da nicht das gesamte Stadtgebiet gleichermaßen betroffen ist und gleichzeitig angepasst werden kann. Der Zugang über Klimagerechtigkeit kann eine wichtige Hilfestellung in der Analyse und Identifikation von prioritären Bereichen in der Stadt sein. Dies wird in diesem Artikel am Beispiel von Anpassungsmöglichkeiten im Bereich der blau-grünen Infrastrukturen dargestellt und erläutert. THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser? Bild 1: Unwetter mit Starkregen. © pixabay 69 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? unter 20 °C absinken (sogenannte „tropische Nächte“). Man spricht von städtischer Überhitzung. Diese schlägt in die Innenbereiche der Gebäude durch. Ebenso wie Starkregenereignisse werden solche Perioden wahrscheinlich künftig häufiger, länger anhaltend und höher temperiert auftreten und mit Trockenheit einhergehen. Hinzu kommt, dass Schäden, die durch zu viel oder zu wenig Wasser entstehen, in Zukunft eine noch größere Belastung darstellen werden. Folgerichtig ist die Klimaanpassung des urbanen Raums und seiner Infrastrukturen ein zentrales Ziel der Stadtentwicklung. In Bezug auf die Anpassung werden auch Fragen der Klimaresilienz thematisiert. Städte und ihre Infrastrukturen sollen „robust“ und anpassungsfähig sein. Allerdings sind weder alle Räume in einer Stadt in gleicher Weise von den Folgen des Klimawandels betroffen, noch ist ihre Bevölkerung homogen. Vielmehr bestehen Unterschiede im gebauten städtischen Raum, aber auch Unterschiede in der Sozialstruktur. In vielen Städten liegen beispielsweise Einfamilienhausgebiete im Grünen oder sind nachts gut durchlüftet. Der konzeptionelle Zugang über den Begriff der „Klimagerechtigkeit“ kann zu einer Differenzierung der politischen Maßnahmen beitragen. Besonderes und bisher (zu) selten genutztes Potenzial für mehr Klimagerechtigkeit bietet die Vernetzung und das Wechselspiel von stadttechnischer Infrastruktur mit den grünen (Grünanlagen, Gründächer usw.) und blauen Infrastrukturen (Wasserkörper/ Gewässer). Für gewöhnlich wird Klimagerechtigkeit unter einer globalen und intergenerationalen Perspektive diskutiert, in der auf die sozial und räumlich ungleichen Bedrohungen und Anpassungsbedarfe durch den Klimawandel sowie die ungleichen Beiträge in Form von Treibhausgasemissionen im Globalen Süden und Norden hingewiesen wird [1]. Im urbanen Kontext war Klimagerechtigkeit lange ein eher unüblicher Begriff [2], wenn er auch in letzter Zeit verstärkt insbesondere von politischen Akteuren der demokratischen Parteien aufgegriffen wird und eine klimagerechte Stadtentwicklung auch im Baugesetzbuch auf Basis von § 1, Abs. 5 im Zusammenwirken mit § 1a, Abs. 5 implizit angelegt ist. Zudem ist auf kommunaler Ebene der Ansatz der Umweltgerechtigkeit seit Jahren fest etabliert. Umweltgerechtigkeit zielt als normatives Leitbild auf die Vermeidung und den Abbau der sozialräumlichen Konzentration gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen sowie die Gewährleistung eines sozialräumlich gerechten Zugangs zu Umweltressourcen [3]. Neben den beiden genannten Gerechtigkeitsprinzipien, Verteilungsgerechtigkeit mit Blick auf Umweltbelastungen und Zugangsgerechtigkeit zu Umweltressourcen, wird in der Auseinandersetzung mit Umweltgerechtigkeit regelmäßig als drittes Prinzip die Verfahrensgerechtigkeit im Sinne von Beteiligungsmöglichkeiten an Entscheidungsprozessen bei umweltrelevanten Vorhaben eingeführt [1,- 4]. Alle drei dieser sich überlagernden und wechselseitig beeinflussenden Gerechtigkeitsdimensionen - Verteilungsgerechtigkeit, Zugangsgerechtigkeit, Verfahrensgerechtigkeit - sind für die Auseinandersetzung mit Klimawandelfolgen im urbanen Kontext relevant. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff der Klimagerechtigkeit ist geeignet, in die Suche nach einer klimaangepassten Stadtentwicklung veränderte Perspektiven, sozial-räumliche Differenzierungen und Prioritäten einzutragen. Verteilungsgerechtigkeit, Zugangsgerechtigkeit, Verfahrensgerechtigkeit: drei Dimensionen der Klimagerechtigkeit Verteilungsgerechtigkeit: Durch den Zugang über den Gerechtigkeitsbegriff können soziale Ungleichheiten und räumliche Unterschiede explizit in die Diskussion um urbane Klimaanpassung aufgenommen werden. Denn die Klimafolgen schlagen sich in der Stadt räumlich ungleich nieder und werden zusätzlich durch soziale Ungleichheiten in städtischen Räumen überlagert: Hochverdichtete und versiegelte Quartiere können sich bei Hitze stärker aufheizen und bei Starkregen eher überflutet werden als weniger dicht bebaute Stadtviertel - in vielen Städten lassen sich räumlich „hot spots“ des Klimawandels identifizieren, wie zum Beispiel kommunale Hitzeaktions- und Risikovorsorgepläne zeigen. Öffentliche Grünflächen und Parks sowie private Gärten sind in der Stadt räumlich nicht gleich verteilt. Neben der sozialen Ungleichheit, beispielsweise aufgrund von Einkommen und Bildungsabschlüssen, werden unter der Perspektive von Klimagerechtigkeit auch individuelle Merkmale wie Alter, Geschlecht, Erkrankungen etc. und damit die unterschiedliche Vulnerabilität der/ des Einzelnen thematisiert. Denn ältere Menschen, kleine Kinder und Menschen mit chronischen Erkrankungen sind etwa bei Hitzewellen einem höheren Risiko ausgesetzt als Gesunde [5, 6]. Gleichzeitig sind hier auch Themen wie die Umlage von Anpassungs- und Schadenskosten und eingesetzte Ressourcen relevant. Die Verteilungsgerechtigkeit als Dimension der Klimagerechtigkeit erkennt diese Ungleichverteilungen im städtischen, sozial differenzierten Raum an. Und so kann es im Kontext der Verteilungsgerechtigkeit beispielsweise darum gehen, eine „gerechte sozialräumliche Verteilung von Grün“ [7] in der Stadt herzustellen. 70 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Zugangsgerechtigkeit: Die Zugangsgerechtigkeit ist mit der Verteilungsgerechtigkeit verknüpft, zeichnet sich aber durch einen Gestaltungsanspruch aus. Beispielsweise variieren die sogenannte „Grünausstattung“ und „Grünerreichbarkeit“ nicht nur von Stadt zu Stadt, sondern auch innerhalb einer Stadt. Gerade der Zugang zu Grün in fußläufiger Entfernung, also im direkten Wohnumfeld und Quartier, hat sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie als wichtiger Faktor für Gesundheit und die Lebensqualität im Quartier erwiesen. Hier geht es jedoch nicht nur um den physischen Zugang, sondern auch um die damit verbundenen Ökosystemleistungen. So trägt Stadtgrün etwa durch die Verdunstung von Wasser und Verschattung zur Kühlung in der Stadt bei. Wichtig mit Blick auf den Zugang ist jedoch auch die Ausgestaltung der Zugänglichkeit auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen [8]. So kann etwa der Zugang über Treppen oder unbefestigte Wege als auch mangelnde Beleuchtung oder fehlende Übersicht dazu führen, dass zum Beispiel Menschen mit eingeschränkter Mobilität etwa mit Gehhilfen oder Menschen mit hohem Sicherheitsbedürfnis wie etwa Frauen aufgrund ihrer geschlechtsspezifischen Sozialisation die entsprechenden Angebote trotzdem nicht nutzen können und werden. Neben der unterschiedlichen Verwundbarkeit sozialer Gruppen verfügen diese jedoch auch über unterschiedliche Ressourcen beim Umgang mit und der Anpassung an die Folgen des Klimawandels sowie der Beteiligung an (planerischen) Entscheidungsprozessen. Letzteres greift der Aspekt der Verfahrensgerechtigkeit auf. Verfahrensgerechtigkeit: Dieser Aspekt zielt auf eine gerechte und möglichst gleiche Beteiligung von Akteuren an kommunalen Planungsprozessen ab, unabhängig von ihrem sozio-ökonomischen Status sowie sozio-demographischen Merkmalen. Verfahrensgerechtigkeit kann so angelegt werden, dass die Beteiligung (besonders) vulnerabler Gruppen an den Planungsprozessen gezielt gesucht bzw. gefördert wird, da diese ein besonderes Schutzbedürfnis gegenüber Klimafolgen haben. Zudem ermöglicht eine integrative Planung unter früher Einbeziehung aller Akteure eine Aushandlung auf Augenhöhe und damit ein ausgewogeneres Ergebnis bezüglich der Ziele und Interessen der einzelnen kommunalen Akteure, ihrer eingesetzten Ressourcen, als auch in der Prioritätensetzung der anstehenden Gestaltung. Einführung blau-grüner Infrastrukturen Neben der Wasserinfrastruktur, bestehend aus Wasserver- und Abwasserentsorgung sowie Niederschlagswassermanagement, können auch Gewässer und urbanes Grün als blaue und grüne Infrastruktur begriffen werden. Dabei ist wichtig, dass zum urbanen Grün nicht nur die öffentlichen Parks, Grünflächen oder Straßenbäume zählen, sondern auch privates Stadtgrün berücksichtigt wird. In der Debatte wird immer häufiger von einer blau-grünen Infrastruktur gesprochen [9, 10]. Gemeint sind städtische grüne und blaue Infrastrukturen, die als strategisches Netz geplant sind und verstanden werden, welches sich durch die Stadt zieht. Diese Infrastruktur kann aus naturnahen und künstlich angelegten Elementen bestehen. Wichtig ist das gemeinsame Beplanen und Weiterentwickeln dieser Infrastrukturen, da Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Bereichen bestehen, wie folgende Zusammenhänge zeigen: Ohne Wasser kann das Stadtgrün seinen Ökosystemleistungen in Hitzeperioden nicht nachkommen. Ohne Entsiegelung und den in der Folge teilentsiegelten Flächen und Grünflächen, die für Wasserrückhalt aber auch Versickerung und Verdunstung sorgen, wären die Auswirkungen von Starkregen noch viel deutlicher. Vor dem Hintergrund der Vernetzung ist es sinnvoll, Stadtgrün und Wasserressourcen auch mit Blick auf die Erreichung einer größtmöglichen Klimagerechtigkeit im urbanen Raum gemeinsam zu betrachten. Mehrwert der Klimagerechtigkeit am Beispiel der blau-grünen Infrastrukturen Mit Blick auf die in den nächsten Jahren sehr großen und notwendigen Anstrengen zur Anpassung der Kommunen an den Klimawandel, kann eine Betrachtung durch die Brille der Klimagerechtigkeit hilfreich sein. Dies wird an einigen ausgewählten Aspekten Bild 2: Wasserspielplatz im Palmengarten, Frankfurt am Main. © Martina Winker, ISOE, 2017 71 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? und Beispielen entlang der blau-grünen Infrastrukturen etwas genauer dargestellt. Ganzheitliche Analyse der Risiken und Schadensereignisse durchführen, um Ressourcen zielführend zu nutzen und Synergien zu identifizieren Städte und Kommunen haben die unterschiedlichsten Karten und Vorsorgepläne. So gibt es zum Beispiel Hitze- oder Hochwassergefährdungskarten ebenso wie Hitzeaktions- und Risikovorsorgepläne. Häufig werden jedoch die weiteren Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel einseitig diskutiert. So werden Maßnahmen im Bereich der blauen und grünen Infrastrukturen, um eine bessere Starkregenvorsorge zu erzielen, nicht unbedingt gleichzeitig mit Blick auf den Erhalt ihrer Funktionen in langen Hitze- und Trockenperioden gestaltet. So enthält beispielsweise das dezentrale Regenwassermanagement mit seinen unterschiedlichen Komponenten wie Dach- und Fassadenbegrünung, Wasserspeicherung und Entsiegelung wichtige Elemente, um Starkregenereignisse abzumildern. Gleichzeitig könnten diese Maßnahmen auch in Phasen langanhaltender Trockenheit und Hitze wichtige Beiträge zu Kühlung und Erhalt der Aufenthaltsfähigkeit leisten. Dafür braucht es jedoch Ergänzungen, um das Regenwasser für Bewässerungszwecke nutzen zu können, als auch intelligente Möglichkeiten, idealerweise jenseits von Trinkwasser, zur Nachspeisung der Zisternen/ Speicherelemente. Zudem bedarf es bei der Anlage von Fassaden- und Dachbegrünung einiger Überlegungen für dieses Szenario mit Blick auf Substratauswahl und Bodenvolumen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Investitionen und Betriebskosten für Maßnahmen im Bereich des dezentralen Regenwassermanagements mit wenig zusätzlichem Aufwand, gemessen an Gesamtaufwand und -kosten, Wirksamkeit in beide Richtungen erzielen können. Dafür braucht es jedoch die notwendigen Kenntnisse, Vorwissen und Bereitschaft zur Umsetzung. Ist bekannt, wo sich besonders vulnerable Quartiere befinden, die unter beiden Extremwetterszenarien leiden und gegen die Auswirkungen gerüstet werden müssen, können diese entsprechend klimagerecht umgestaltet werden. Besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen gezielt in den Blick nehmen. Der mit der Verteilungs- und Zugangsgerechtigkeit verbundene Gestaltungsanspruch kommunalen Handelns in der Klimaanpassung muss auch dahingehend ausgelegt werden, dass Anpassungsmaßnahmen mittels blau-grüner Infrastrukturen nicht nur ausgehend von mikroklimatisch besonders betroffenen Räumen entschieden werden. Dabei lassen sich gerade sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Quartiere prioritär berücksichtigen. So haben in ihrer Mobilität eingeschränkte Menschen oder auch Menschen mit geringerem Einkommen weniger Möglichkeiten, in Trocken- und Hitzeperioden Orte mit angenehmer Aufenthaltsqualität zu erreichen. Das heißt, für sie ist der Bedarf von öffentlichem Grün in der direkten Umgebung besonders groß, da zum Beispiel kein Geld für Ausflüge oder Reisen vorhanden ist, um in Hitzeperioden aus der Stadt rauszukommen, oder aber dies aufgrund der eingeschränkten Mobilität deutlich erschwert ist. Gleichzeitig sind das Gruppen, die meist weniger Möglichkeiten haben, eigenständig Schutzmaßnahmen, wie bessere Dämmung von Dächern und Wänden, Rollläden aber auch Barrieren gegen Überflutungswasser oder Elemente des dezentralen Regenwassermanagements, zu ergreifen. Dies kann an den geringeren finanziellen Ressourcen, an mangelndem Wissen oder Überforderung in der Umsetzung (Angebote von Handwerker einholen, Implementierung organisieren) liegen und daran, dass in Mietverhältnissen der eigene Handlungsspielraum deutlich geringer, aber ein Umzug aus finanziellen oder organisatorischen Gründen nicht möglich ist. Das heißt, hier macht eine Aufwertung bestehender Grünflächen, wie etwa in die Jahre gekommenes Bestandsgrün oder unattraktive versiegelte Hinterhöfe, einen großen Unterschied, sodass die Zugangsgerechtigkeit verbessert werden kann. Dies sollte mit Blick auf die zuvor geschilderten Überlegungen zu Risiken und Schadensereignissen jedoch auch hinsichtlich der Verteilungsgerechtigkeit geschehen. Bild 3: Gemeinsame Quartiersbegehung zur integrierten Planung der Infrastruktur. © Jan Trapp, 2018 72 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Prioritäten bei der Planung und Umsetzung richtig setzen und beachten. Gleichzeitig ist völlig klar, dass trotz einer optimalen Nutzung synergetischer Effekte nicht alle Ziele gleichzeitig erreicht werden können. Angesichts der Flächenkonkurrenzen in den Städten Deutschlands sind die Kapazitäten von blau-grünen Infrastrukturen endlich. Keineswegs lässt sich Starkregenereignissen, Trockenheit und Hitze gleichzeitig begegnen und eine hohe Aufenthaltsqualität garantieren. Nimmt man weitere Ziele wie den Erhalt und die Erhöhung der Biodiversität, den Grundwasserschutz oder auch Luftreinhaltung und Lärmschutz hinzu, zeigt sich dies noch deutlicher. Das heißt, es gilt bewusst Prioritäten bei den Zielen zu identifizieren und auszuhandeln. Was hat wo Priorität? In gewissen Gebieten, etwa Trinkwasserschutzgebieten oder Landschaftsschutzgebieten sind diese eindeutig vermerkt. Es bleibt jedoch meist ein großer urbaner Bereich, in dem dies ausgehandelt und neu entschieden werden muss. Hier gilt es gesamtstädtische Strategien und Pläne, aber auch die Interessen der Stadtgesellschaft ausreichend zu kennen und zu berücksichtigen. Denn nur durch eine gemeinsam getragene Strategie im privaten und öffentlichen Raum können Veränderungen wirksam erreicht werden. Dabei gilt es nicht nur die planerischen Ziele und Prioritäten zu beachten, sondern auch die prozessualen Entscheidungen im Auge zu behalten. Es ist wichtig abzusichern, dass Erwartungen der Bürger*innen auch realisierbar sind und dauerhaft Bestand haben. So muss etwa die Förderung von privatem Grün mit dem Wassermanagement abgestimmt sein. Es ist wenig förderlich, wenn für dieselben Personen in der nächsten Trockenzeit aufgrund von Wasserlimitierungen im Trinkwasserbereich ein Bewässerungsverbot für Stadtgrün ausgesprochen wird. Vermutlich kann eine Stadt durch in der Konsequenz nicht vollständig durchdachte Fördermaßnahmen (hier am Beispiel Stadtgrün) mittelfristig sogar Gefahr laufen, engagierte Bürger*innen zu enttäuschen und bezüglich zukünftiger Beteiligungen zu verlieren. Fazit Angesichts des fortschreitenden Klimawandels ist es erforderlich, die kommunale Planung an die unvermeidlichen Folgen der Klimaveränderung anzupassen. Einerseits muss Starkregenvosorge über dezentrale Regenwasserbewirtschaftung und eine angepasste Planung (insbesondere Bodennutzung und Vermeidung von Versiegelung) mitgedacht werden. Andererseits kann der städtischen Überhitzung durch verstärkte Begrünung begegnet werden, da durch die Verdunstung ein Kühleffekt erzielt wird. Insbesondere im Innenstadtbereich wird auch das Konzept der vertikalen Begrünung wichtig. Fassadenbegrünung kann aber auch im Bestand mit der Isolation der Gebäudehülle verknüpft werden. Urbanes Grün lässt sich zudem so gestalten, dass Niederschläge dort zurückgehalten werden und Wasser verdunsten und versickern kann. Eine klimagerechte Stadtentwicklung geht grundsätzlich davon aus, dass sich die Klimafolgen räumlich in der Stadt ungleich niederschlagen; in der Regel werden sie zusätzlich durch soziale Ungleichheiten im städtischen Räumen überlagert, wie vorhandene Umweltkartierungen zeigen. Die Auseinandersetzung mit Fragen der Klimagerechtigkeit in die Stadtentwicklung bedeutet, die bestehenden bzw. sich abzeichnenden Ungerechtigkeiten zu benennen und zu versuchen, diese aktiv zumindest abzumildern oder - weitergehend - zu kompensieren [11]. In kommunalpolitische Entscheidungen können dabei sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen und Quartiere prioritär berücksichtigt werden. Vereinfacht ausgedrückt, kann die Verschiedenheit der Vulnerabilität und der Problembewältigungskapazität der sozialen Gruppierungen eine unterschiedliche und unterschiedlich rasche Behandlung erfordern. Die abgeleiteten Maßnahmen sollten zudem angepasst an die jeweils fokussierten Bevölkerungsgruppen anders (aus)gestaltet werden. Es ist jeweils daran zu denken, die entsprechenden Zielgruppen angemessen zu adressieren. Die Erreichbarkeit von bzw. der Zugang zu Grün in fußläufiger Entfernung, also im direkten Wohnumfeld und Quartier, hat sich nicht zuletzt in der Corona-Pandemie als wichtiger Faktor für Gesundheit und die Lebensqualität im Quartier erwiesen. Hier kann eine klimagerechte Grünplanung unter Berücksichtigung alternativer Wasserressourcen ansetzen. Für die sozialverträgliche Gestaltung von gebietsbezogenen Maßnahmen zur Verbesserung der Klimagerechtigkeit kann die Öffentlichkeitsbeteiligung eine wichtige Formel sein und mehr Verfahrensgerechtigkeit herstellen. Bei einer Analyse der Gebiete mit mehrfachen und hohen Klimabelastungen liefert die Partizipation der davon unmittelbar betroffenen Bewohnerschaft zusätzliche Erkenntnisse. Frühzeitige Beteiligung der Bevölkerung erlaubt, dass die Betroffenen bei der Entwicklung von Maßnahmenkonzepten ihre eigenen Vorstellungen und Prioritäten einbringen und in den sich anschließenden Planungsprozess eintragen. Außerdem erlauben es Beteiligungsansätze wie das Quartiersmanagement, die im Gebiet lebenden