Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0062
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Klimawandel und Bevölkerungswachstum
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Ulrich Roth
Die Nationale Wasserstrategie soll angesichts des Klimawandels und der Bevölkerungsentwicklung, der ungleichen Verteilung der Wasservorkommen und deren Schutz vor Einflüssen aus der Flächennutzung die natürlichen Wasserreserven sichern, Vorsorge gegen Wasserknappheit leisten, Nutzungskonflikten vorbeugen sowie den Zustand der Gewässer und die Wasserqualität verbessern.
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74 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Ausgangssituation Die öffentliche Wasserversorgung ist nach § 50 Wasserhaushaltsgesetz (WHG, 2009) eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. In den Landeswassergesetzen ist geregelt, dass es Aufgabe der Kommunen ist, die Bevölkerung und die öffentlichen und gewerblichen Einrichtungen mit Trink- und Brauchwasser zu versorgen. In den meisten Ländern hat die öffentliche Wasserversorgung Vorrang vor allen anderen Nutzungen des Grundwassers, so nach § 28 des Hessischen Wassergesetzes (HWG, 2010). Dies war bis zur Novelle 2009 übergeordnet im WHG geregelt. Der Begriff „Daseinsvorsorge“ bezieht sich auf die staatliche Aufgabe der Grundversorgung mit notwendigen Gütern und Dienstleistungen bzw. auf den Betrieb aller öffentlichen Einrichtungen. Rechtliche Grundlage ist die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Grundgesetz. In § 2 Abs. 2 Raumordnungsgesetz ist geregelt, dass in Deutschland „ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben“ sind, wobei „die nachhaltige Daseinsvorsorge zu sichern“ ist. Die Aufgaben der Daseinsvorsorge gehören zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Sie können auch privatwirtschaftlich organisiert werden, wobei innerhalb des grundsätzlichen rechtlichen Rahmens bestimmte Regeln für die konkrete Ausgestaltung gelten. Die diesbezüglichen Prioritäten haben sich in den letzten Jahrzehnten mehrfach verschoben. Im internationalen Vergleich sind Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung in Deutschland vorbildlich. In den Berichten der UN zur menschlichen Entwicklung nimmt Deutschland zusammen mit anderen Ländern Europas einen Spitzenplatz ein [1]. Die Ausgangssituation ist in Deutschland und Nord- , Mittel- und Westeuropa im Vergleich zu anderen Ländern und Weltregionen ausgesprochen günstig. Deutschland liegt in einer gemäßigten Klimazone. Die Infrastruktur ist vollständig und hat einen hohen technischen Standard. Der Anschlussgrad an die öffentliche Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung liegt bei jeweils etwa 99 %. Klimawandel und Bevölkerungswachstum Herausforderungen für die Wasserversorgung Klimawandel, Daseinsvorsorge, Wasserversorgung, Wasserhaushalt, Bevölkerungsentwicklung, Wasserbedarf, Integriertes Wasserressourcen-Management Ulrich Roth Die Nationale Wasserstrategie soll angesichts des Klimawandels und der Bevölkerungsentwicklung, der ungleichen Verteilung der Wasservorkommen und deren Schutz vor Einflüssen aus der Flächennutzung die natürlichen Wasserreserven sichern, Vorsorge gegen Wasserknappheit leisten, Nutzungskonflikten vorbeugen sowie den Zustand der Gewässer und die Wasserqualität verbessern. Bild 1 (links): Hochbehälter Höhr der Verbandsgemeindewerke Bad Ems. © Roth Bild 2 (rechts): Quellfassung in der Nähe von Bad Ems. © Roth 75 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Das scheinbar reibungslose Funktionieren des komplexen Anlagenbestandes wird von der Bevölkerung allgemein als selbstverständlich angesehen - kurzzeitige Betriebsstörungen erregen Aufsehen. Der erforderliche technische und organisatorische Aufwand wird kaum wahrgenommen - die meisten Anlagen sind ja unterirdisch oder liegen unauffällig im Gelände (Bilder 1, 2). Die Kosten werden von der Bevölkerung meist falsch eingeschätzt, der Wasserpreis für zu hoch gehalten - oft ohne ihn zu kennen. Klimawandel und Bevölkerungsentwicklung, daneben auch die ungleiche Verteilung der Wasservorkommen und deren Schutz vor Einflüssen aus der Flächennutzung werden die Sicherstellung der Wasserversorgung und die Ressourcenbewirtschaftung in den nächsten Jahren aber vor große Herausforderungen stellen. Dies ist inzwischen nicht nur auf der technischen, sondern auch auf der politischen Agenda angekommen. Deshalb hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit eine „Nationale Wasserstrategie“ aufgestellt [2, 3]. Mit der Strategie will das Ministerium „die Natürlichen Wasserreserven sichern, Vorsorge gegen Wasserknappheit leisten, Nutzungskonflikten vorbeugen, sowie den Zustand der Gewässer und die Wasserqualität verbessern.“ Dazu schreibt das Ministerium [4]: „Beim Wasser steht Deutschland vor enormen Herausforderungen. Der Klimawandel stellt alte Gewissheiten zusehends in Frage. Drei Dürrejahre in Folge haben gezeigt, dass Deutschlands Wasserreichtum keine Selbstverständlichkeit mehr ist. […] Wasser soll nicht zum begrenzenden Faktor für die regionale Entwicklung werden. […]“. In Hessen hat das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV) ein Leitbild für ein „Integriertes Wasserressourcen-Management Rhein-Main“ veröffentlicht [5]. Zentrale Zielsetzungen des IWRM sind der vorsorgende Schutz der Wasserressourcen, die langfristige Sicherstellung der Wasserversorgung, die umweltverträgliche Ressourcennutzung und eine effiziente Wassernutzung. Für die Rhein-Main-Region (Südhessen) haben die in der Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main (WRM) zusammenwirkenden Wasserversorgungsunternehmen, Behörden und Institutionen die Problematiken und die sich daraus ergebenden Handlungsbedarfe in der „Situationsanalyse zur Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region“ [6] dokumentiert und nach dem Trockenjahr 2018 Gutachten zur aktuellen Versorgungssituation und zu den Auswirkungen des Klimawandels in Auftrag gegeben [7]. Versorgungssituation der Jahre 2018 bis 2020 Die Sommer der Jahre 2018 bis 2020 waren außergewöhnlich heiß und trocken. In solchen Sommern steigt der Wasserbedarf. Er nimmt im Verlauf der Phasen mit schönem Sommerwetter immer weiter zu (Bild 3). Die Maximalwerte am Ende solcher Phasen sind maßgeblich für die Auslegung der Versorgungsanlagen. Das Normenwerk des DVGW enthält hierfür die einschlägigen Vorschriften - das Arbeitsblatt W 410 [8] enthält Kennzahlen für den Wasserbedarf. Das Verhältnis zwischen dem maximalen und dem mittleren Wasserbedarf in einem Versorgungsgebiet ist abhängig von dessen Größe und Struktur. In großen Städten mit gemischter Struktur hat der Tages-Spitzenfaktor f d die Größenordnung 1,5 oder kleiner (Bild 4). In einzelnen Wohngebieten ist der Wasserbedarf an Wochenenden mit heißem Sommerwetter doppelt so hoch wie im Durchschnitt. In Gewerbegebieten kann der Faktor noch deutlich höher sein - vor allem, wenn Betriebe der Getränke- und Lebensmittelbranchen vorhanden sind und aus dem öffentlichen Netz versorgt werden. 0 5 10 15 20 25 30 35 40 0 5 10 15 20 25 30 35 40 Niederschlagshöhe Schulferien Tagesmaximum der Lufttemperatur Niederschlagshöhe in mm/ d Maximale Tagestemperatur in °C Station 1420 - Frankfurt am Main Daten: www.dwd.de Bild 3: Maximale Tagestemperatur, Niederschlag und Schulferien im Trockenjahr 2018. © Roth [7] 0 100.000 200.000 300.000 400.000 500.000 600.000 700.000 800.000 900.000 Summe WRM-Unternehmen Mittelwert: 600.472 m³/ d Kubikmeter pro Tag 6. August 2018: 815.666 m³ Bild 4: Wasseraufkommen der neun in der Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main (WRM) beteiligten Unternehmen, Tageswerte 2018. © Roth [7] 76 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Das Jahr 2019 war ebenfalls trocken, wenn auch nicht vergleichbar mit 2018. 2020 war dann erneut ein ausgeprägtes Trockenjahr, wobei auch die Corona-Pandemie und die Lockdowns erhebliche Auswirkungen auf den Wasserbedarf der Städte und Gemeinden hatten. Relevant hierfür waren vor allem die Regelungen zu Homeoffice, Distanzunterricht und Kurzarbeit und deren Auswirkungen auf die Pendlerströme. An den Arbeitsplätzen - also überwiegend in den großen Städten - ging der Wasserverbrauch dadurch zurück. Zugleich stieg der Wasserverbrauch in den Wohngebieten. Die entsprechenden Verbrauchsanteile verschoben sich von den Gewerbegebieten und Bürostandorten in die Wohngebiete, also vor allem in die Umlandkommunen. 2020 war die Bewässerung von Gärten und das Befüllen von Swimming-Pools ein besonderes Problem für die Wasserversorgung. Da viele Menschen, die unter normalen Bedingungen zur Arbeit in der Stadt gewesen wären, bei schönem Sommerwetter zu Hause waren, entstanden hierdurch zum Teil extrem hohe Verbrauchsspitzen, die die Wasserversorgung in einigen Fällen an die Grenzen ihrer technischen Möglichkeiten brachten. Der Sommer 2021 war bislang eher wechselhaft - es ist noch nicht klar, wie er rückblickend zu bewerten sein wird. Jedenfalls waren die Jahre 2018 bis 2020 eine Trockenperiode, deren Ende derzeit noch offen ist. In solchen Trockenperioden steigt nicht nur der Wasserbedarf an. Zugleich geht das Wasserdargebot vor allem in oberflächennahen Gewinnungsanlagen zurück, also in Quellfassungen, Schürfungen und Stollen, aber auch in Brunnen in wenig ergiebigen Grundwasserleitern [9]. Dies betrifft vor allem die Mittelgebirge. In Ortschaften, die nur aus Quellfassungen versorgt werden, können in solchen Situationen Wassernotstände auftreten - die Versorgung kann dann nur mit Tankwagen aufrechterhalten werden. Abhilfe könnte der Anschluss an ein Verbundsystem schaffen - je nach Lage und Größe der Ortschaft ist dies jedoch ein teures Unterfangen. Brunnen in ergiebigen und speicherfähigen Grundwasserleitern haben in der Regel ein sicheres Dargebot und können auch zur Abdeckung von Bedarfsschwankungen genutzt werden. Dies gilt auch für Stollen mit Verschlüssen, hinter denen bei niedrigem Wasserverbrauch Wasser gespeichert werden kann (Bild 5). Bei Gewinnung von Uferfiltrat und erst recht bei der Stützung der Grundwasserleiter mit Infiltration von aufbereitetem Flusswasser (Grundwasseranreicherung), wie es beispielsweise im Ruhrgebiet, im Hessischen Ried und im Frankfurter Stadtwald praktiziert wird, ist das Dargebot besonders sicher, auch in Trockenperioden. In Trockenjahren wie 2018 und 2020 zeigen sich die Schwachstellen in den Versorgungssystemen. Es ergeben sich zusätzliche Informationen bzw. Erkenntnisse, die in die weitere Optimierung der Versorgungssysteme einfließen können. Dies betrifft sowohl die kommunale Ebene als auch überörtliche Verbundsysteme. Für die Rhein-Main-Region beispielsweise enthält die Situationsanalyse der Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main (WRM) [6] einen Katalog von Maßnahmen zur regionalweiten Sicherung der Wasserversorgung gerade in Trockenperioden. 2018 zeigte sich, dass die darin enthaltenen Bewertungen absolut realistisch sind. In Einzelfällen zeigte sich in der Trockenperiode 2018 bis 2020, dass die Kapazität der vorhandenen Anlagen wie Pumpwerken bzw. Druckerhöhungsanlagen nicht ausreicht, um den Spitzenwasserbedarf zu decken. Örtlich wurde auch erkennbar, dass Behälter zu klein sind, oder dass die Steuerung der Anlagen nicht optimal ist. Hier kann die Situation in Trockenjahren genutzt werden, um Optimierungsbedarf zu erkennen und Schwachstellen zu beseitigen. Entwicklung von Witterung und Klima Jahre wie 2018 bis 2020 sind nichts grundsätzlich Neues. Trockenjahre treten immer wieder auf. In der Fachliteratur [10] werden 1953, 1959, 1964 und dann als „Klimaanomalie“ 1976 genannt, danach 1990 und 1991. Die Jahre 2003 bis 2006 bzw. April 2007 waren verbreitet eine Trockenperiode. Mit Einschränkung ist 2015 zu nennen. 2018 bis 2020 war dann wieder eine ausgeprägte Trockenperiode. Die Ereignisse der 1950er bis 1970er Jahre waren ausschlaggebend für die Entwicklung der Wasserversorgungsstrukturen, wie wir sie heute kennen und für selbstverständlich halten. Problematisch für die Wasserversorgung ist einerseits, dass viele der damals gebauten Anlagen - ähnlich wie die Autobahnbrücken aus dieser Zeit - heute an die Grenze ihrer Lebensdauer kommen und saniert oder ersetzt werden müssen. Andererseits treten Trockenjahre wie 2018 und 2020 nur etwa alle 10 bis 15 Jahre auf. In den Jahren dazwischen scheint alles in Ordnung zu sein. Anscheinend gibt es keinen Handlungsbedarf - in den nassen Jahren um 2010 wurden sogar die Vorgaben im Normenwerk des DVGW verbreitet angezweifelt. In der nächsten Trockenperiode - aktuell 2018 bis 2020 - steht man dann wieder vor dem gleichen Problem. Im Gegensatz zu der wechselnden Witterung ist der Klimawandel eine Entwicklung, deren Auswirkungen sich langfristig zeigt. Bereits in den letzten Jahrzehnten ist es wärmer geworden. Der DWD hat jüngst bekannt gegeben, dass die mittlere 77 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Temperatur in Deutschland in den letzten 150 Jahren um etwa 2°C zugenommen hat. Daran ist nicht zu zweifeln. Die unmittelbaren Auswirkungen des Klimawandels sind relativ klar. Es ist damit zu rechnen, dass heiße Sommer häufiger werden. Eine wärmere Atmosphäre enthält mehr Energie, so dass katastrophale Ereignisse zunehmen werden. Da wärmere Luft mehr Wasserdampf aufnehmen kann, werden Starkregenereignisse zunehmen. Seit Jahren zeigt sich ein Trend, dass sich die Niederschläge in den Winter verlagern. Bei Quellen ist im Sommer oft ein Rückgang der Schüttung zu beobachten. Einzelne Ereignisse - zum Beispiel lokale Starkregenereignisse - sind praktisch nicht prognostizierbar. Auffällig waren in den letzten Jahren auch ökologische Auswirkungen, wie das Absterben ganzer Fichtenwälder bzw. generell von Baumarten, die feuchtes und kühles Klima bevorzugen. Schwierig ist die Vorhersage, welche Auswirkungen der Klimawandel auf den Wasserhaushalt in Deutschland haben wird. Die Modelle zeigen hierfür viele verschiedene Szenarien auf. Auch regional bestehen große Unterschiede. Mittelfristig sind eher moderate Entwicklungen zu erwarten. Längerfristig kann es deutliche Veränderungen geben, für die die Modelle erhebliche Bandbreiten aufzeigen. Demnach gibt es für die zukünftige Entwicklung nicht die eine Wahrheit, auf die wir uns einstellen könnten. Das ist zwar unbequem - vor allem auch für die Politik und die öffentliche Diskussion - Tatsache ist aber, dass wir die Zukunft nicht kennen. Bevölkerungsentwicklung Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland ist ausgesprochen unterschiedlich. Während es in dünn besiedelten und strukturschwachen Regionen nach wie vor einen Bevölkerungsrückgang nach dem Muster des Demografischen Wandels gibt, besteht vor allem in den Ballungsräumen ein teils deutliches Bevölkerungswachstum. Neben der internen Zuwanderung aus anderen Teilen Deutschlands und der externen Zuwanderung aus anderen Ländern spielt in den letzten Jahren auch eine steigende Geburtenrate eine Rolle. Bild 6 zeigt exemplarisch die Bevölkerungsprognose für die Rhein-Main-Region (Regierungsbezirk Darmstadt) aus der WRM-Situationsanalyse 2016 [6]. Die neueren Bevölkerungsprognosen schreiben den dargestellten Trend fort. Aus der Landesentwicklungs- und Regionalplanung ergibt sich für die Ballungsräume weiteres Wachstum. Hier spielt vor allem die Ausweisung weiterer Wohn- und Gewerbegebiete eine Rolle. Eine herausgehobene Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der „Große Frankfurter Bogen“, mit dem das Hessische Wirtschaftsministerium im Rhein- Main-Raum bezahlbaren Wohnraum schaffen will [11]. Demnach ist vor allem in den Kernräumen mit weiterem Bevölkerungswachstum zu rechnen. Entwicklung des Wasserbedarfs Maßgeblich für den zukünftigen Wasserbedarf ist einerseits die Bevölkerungsentwicklung, andererseits die Entwicklung des Pro-Kopf-Verbrauchs (Bild 7). Der größte Teil des Trinkwasserverbrauchs entfällt auf den unmittelbaren Bedarf der Bevölkerung. Der Anteil gewerblicher und öffentlicher Einrichtungen ist relativ gering - er ist in Mittel- und Oberzentren meist deutlich höher als in kleineren Kommunen. Eigenbedarf und Verluste sind in Deutschland generell niedrig - ihr Anteil am Verbrauch ist in kleinen Kommunen meist höher als in größeren Städten. Bild 5: Portal des Elisabethenstollens in Bad Homburg vor der Höhe. © Roth 3.500.000 3.600.000 3.700.000 3.800.000 3.900.000 4.000.000 4.100.000 4.200.000 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 eurostat (2014 - 2080) Statistisches Landesamt (2014 - 2030) Hessen Agentur (2014 - 2050) Bertelsmann Stiftung (2012 - 2030) BBSR (2012 - 2035) Übernahme: Oberer Wert Mittelwert Übernahme: Unterer Wert Bestandsdaten 1977 - 2011 (HSL/ RP DA) Zensus 2011 (Bestand am 9.5.2011) Bestandsdaten 2011 - 2020 (HSL) Einwohnerzahl +8,4% +1,0% +4,7% Bild 6: Bevölkerungsentwicklung 1977 bis 2020 und Bevölkerungsprognosen für Südhessen. © Roth [6] 78 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Infolge der Umsetzung von Wassersparmaßnahmen - vor allem im Bereich der Toilettenspülung und der Haushaltsgeräte - ist der Pro-Kopf-Verbrauch zwischen etwa 1990 und etwa 2010 deutlich zurückgegangen (Bild 7). Das Potenzial dieser klassischen Wassersparmaßnahmen ist weitgehend ausgeschöpft. In den letzten Jahren war der Pro- Kopf-Verbrauch auf niedrigem Niveau nahezu konstant - abgesehen von höheren Einzelwerten in den Trockenjahren 2003 und 2018. Bei einem innerhalb einer gewissen Schwankungsbreite mehr oder weniger konstanten Pro- Kopf-Verbrauch ist die Bevölkerungsentwicklung der maßgebliche Faktor für die Entwicklung des Wasserbedarfs. Für die Rhein-Main-Region ist demnach mit einer moderaten Zunahme des Wasserbedarfs zu rechnen (Bild 8). Strukturell gegeben ist dabei vor allem die Abhängigkeit der Kernräume von Zulieferungen aus dem Umland. Die Wasservorkommen in den dicht besiedelten und intensiv genutzten Kernräumen reichen oft ohnehin nicht aus - hinzu kommen die Auswirkungen der Flächennutzung auf die Grundwasserqualität und die Nutzbarkeit der Wasservorkommen. Brauchwassernetze bzw. die Nutzung von Wasser unterschiedlicher Herkunft und Qualität für verschiedene Zwecke sind in Deutschland seit langem üblich und machen weit über 50 % der gesamten Wassernutzung aus. Als Kühlwasser wird in der Regel Flusswasser eingesetzt. Industrie und Gewerbe nutzen - wo immer möglich - eigene Ressourcen. Auch für Grün- und Sportanlagen wird bevorzugt Brauchwasser eingesetzt. Die Unterstützung der Grundwassergewinnung durch Infiltration von aufbereitetem Flusswasser ist eine besondere Form der Brauchwassernutzung. Problemstellungen In Trockenperioden wie 2018 bis 2020 zeigen sich die Schwachstellen in bestehenden Versorgungssystemen. Auftretende Probleme sind beispielsweise: Rückgang der Schüttung von Quellen, Schürfungen und Stollen. Rückläufiges Dargebot bei Brunnen in wenig ergiebigen Grundwasserleitern. Reduzierung der zulässigen Entnahmemengen auch bei ergiebigen Grundwasserleitern wegen Erreichen von Grenzgrundwasserständen, Mindestabflussregelungen oder anderer ökologischer Bewirtschaftungsauflagen. Erreichen der Kapazitätsgrenzen technischer Anlagen wie Pumpwerke, Druckerhöhungsanlagen und Wasserbehälter. Höhere Ausfall-Wahrscheinlichkeit bei älteren Anlagen unter hoher Belastung. Die hierdurch verursachten Versorgungssituationen bieten die Möglichkeit, Probleme zu erkennen, zu dokumentieren und Abhilfe zu schaffen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass man die gewonnenen Erkenntnisse auch tatsächlich umsetzt. Sonst besteht die Gefahr, dass man in folgenden Jahren mit weniger schönem Wetter die erforderlichen Maßnahmen nicht mehr für wichtig hält und bis zum nächsten Trockenjahr aufschiebt. Die zum Teil extrem hohen Verbrauchsspitzen waren zum Teil durch intensive Bewässerung von Gärten und durch das Befüllen von Pools verursacht. Vor allem letzteres kann zu extremen Situationen in den Versorgungsleitungen in den Wohngebieten führen, die für eine solche Belastung nicht ausgelegt sind. Das Ausfallen der Regenwassernutzungsanlagen in Neubaugebieten nach längerer Trockenheit und das Befüllen der Zisternen mit Trinkwasser führt ebenfalls zu extrem hohen Verbrauchsspitzen. Hier kann nur an die Vernunft der Menschen appelliert werden - entsprechende Informationskampagnen haben teilweise merklichen Erfolg gezeigt. Infolge des Klimawandels ist zukünftig häufiger mit ausgeprägten Hitzeperioden, Dürren und Stark- 0 50 100 150 200 250 3.000.000 3.250.000 3.500.000 3.750.000 4.000.000 4.250.000 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 Einwohnerzahl Gesamtverbrauch mit Verlusten Wasserabgabe an Verbraucher (ohne Verluste) Haushalte und Kleingewerbe Pro-Kopf-Verbrauch in Liter pro Einwohner und Tag 223 201 164 212 123 149 165 195 164 Haushalte und Kleingewerbe Industrie und Großgewerbe Eigenbedarf und Verluste Einwohnerzahl Bild 7: Pro-Kopf- Verbrauch und Einwohnerzahl in Südhessen 1977 bis 2019. © Roth [6] 0 50 100 150 200 250 300 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020 2025 2030 Gesamtverbrauch mit Verlusten Wasserabgabe an Verbraucher Haushalte und Kleingewerbe Prognose: Max. im Trockenjahr Prognose: Obere Variante Prognose: Mittlerer Trend Prognose: Untere Variante Millionen Kubikmeter pro Jahr 230,4 206,6 255,3 245 223 268,1 241 Bild 8: Wasserverbrauch 1977 bis 2019 und Bedarfsprognose 2030 für Südhessen. © Roth [6] 79 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? regenereignissen zu rechnen. Die Probleme mit Quellfassungen und ähnlichen Anlagen werden sich vermutlich verstärken - dies betrifft vor allem ländliche Räume. Parallel dazu ist infolge des Bevölkerungswachstums vor allem in den Kernräumen und Ballungsgebieten auch bei konstantem oder leicht rückläufigem Pro-Kopf-Verbrauch mit einer Zunahme des Wasserbedarfs zu rechnen. Ein Problem besteht auch darin, dass das reibungslose Funktionieren von Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung in Deutschland verbreitet als selbstverständlich angesehen wird. Dies betrifft nicht nur generell die Bevölkerung, sondern zum Teil auch Planer, die mit der Aufstellung von Bebauungsplänen befasst sind. Der im Bebauungsplan erforderliche Nachweis, dass Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung gesichert sind, beschränkt sich dann gerne auf die Feststellung, dass das die Stadtwerke machen. So einfach ist es jedoch leider nicht immer. Lösungsansätze Die Nationale Wasserstrategie [2] enthält im Aktionsprogramm Wasser einen ausführlichen Maßnahmenkatalog zur zukunftssicheren Entwicklung der Wasserinfrastrukturen. Dies bezieht sich auf alle Aspekte einer nachhaltigen Wasserwirtschaft. Aufgeführt werden zunächst Maßnahmen zur Stärkung des Bewusstseins für die Ressource Wasser, zum Beispiel eine zielgruppenorientierte Kommunikationsstrategie für die Bevölkerung und Schulungsprogramme für Politiker. In Bezug auf die Wasserversorgung ist eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen benannt, darunter: Weiterentwicklung der Infrastruktur Begrenzung der Risiken durch Stoffeinträge Realisierung einer gewässerverträglichen und klimaangepassten Flächennutzung im urbanen und ländlichen Raum Weiterentwicklung der nachhaltigen Gewässerbewirtschaftung Stärkung der leistungsfähigen Verwaltung, Verbesserung der Datenflüsse, Optimierung des Ordnungsrahmens und Sicherung der Finanzierung Darauf basierend machen die mit der Wasserversorgung befassten Verbände konkrete Maßnahmenvorschläge [12]. 1. Sicherstellung des Vorrangs der öffentlichen Trinkwasserversorgung 2. Stärkung des Vorsorgebzw. Verursacherprinzips und Verbesserung des Schutzes der Trinkwasserressourcen vor Verunreinigungen 3. Vergabe flexibler und ausreichender Wasserrechte, Aufstockung des Klimawandelzuschlags 4. Unterstützung für Investitionen in die wasserwirtschaftliche Infrastruktur 5. Anpassung der Genehmigungsverfahren 6. Maßnahmen und Anreize zur Senkung des Wasserverbrauchs in der Landwirtschaft 7. Stärkung der Versorgungssicherheit durch Kooperation und interkommunale Zusammenarbeit 8. Einsatz von Wasserwiederverwendung in der Industrie 9. Regelungen zu Monitoring-Instrumenten 10. Forschung zu Klimawandel und Resilienz In Bezug auf die Entwicklung der Infrastruktur ist im Einzelnen aufgeführt [2]: Kontinuierliche Instandhaltung und Anpassung der bestehenden Anlagen (Bild 9) Erarbeitung flächendeckender Wasserversorgungskonzepte Vermeidung einer Übernutzung örtlicher Wasserressourcen Überörtliche, regionale und überregionale Vernetzung der Infrastrukturen Entwurf von Rahmenkonzepten und Fördersystemen insbesondere im Hinblick auf die Langfristigkeit der Investitionen Anpassung der gesetzlichen Regelungen Besondere Bedeutung für die nachhaltige Sicherung der Wasserversorgung hat der konsequente Schutz der Wasserressourcen und der Vorrang der öffentlichen Wasserversorgung vor anderen Nutzungen. Dies setzt zwingend voraus, dass die wasserwirtschaftlichen Notwendigkeiten in der Landesentwicklungs- und Regionalplanung angemessen berücksichtigt werden. Auch bei der Aufstellung von Flächennutzungs- und Bebauungsplänen, vor allem bei größeren Baugebieten und bei der Ansiedlung von Betrieben oder Einrichtungen mit hohem Wasserbedarf sind die wasserwirtschaftlichen Belange stärker zu berücksichtigen als dies bisher oft der Fall war. Bild 9: Wasserkammer eines Behälters nach Sanierung. © Roth 80 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Zu viel oder zu wenig Wasser ? Ein wesentlicher Aspekt ist dabei, dass die Lösungen an die jeweilige örtliche Situation angepasst sein müssen. In einem Dorf im Mittelgebirge mit einer Versorgung aus Quellfassungen ist die Problemstellung eine völlig andere als in einer Großstadt mit leistungsfähigen Wasserwerken an der Peripherie und Zulieferungen aus dem Umland. In vielen Ballungsräumen gibt es Verbundsysteme zur regionalweiten Sicherung der Wasserversorgung [6]. Es kann also keine politisch verordneten Patentlösungen geben. Vielmehr kommt es darauf an, an jedem Ort individuell richtige Lösungen zu finden. Bei der Festlegung der Rahmenbedingungen wie auch bei der Findung geeigneter Lösungsansätze kommt es also darauf an, dass sachlich diskutiert und objektiv zielführende Lösungen angestrebt, gefunden und zeitnah umgesetzt werden. Die verstärkte Kommunikation gegenüber Bevölkerung und Politik mit dem Ziel, das Bewusstsein für die wasserwirtschaftlichen Notwendigkeiten zu stärken, bildet hierfür eine wesentliche Grundlage [2]. Die wasserwirtschaftlichen Zusammenhänge sind komplex und umfassen Fragestellungen der Versorgung mit Trinkwasser und Brauchwasser für unterschiedliche Zwecke, Ableitung von Abwasser und Niederschlagswasser, Hochwasserrückhaltung, Schutz von Oberflächenwasser und Grundwasser und Sicherung kritischer Infrastrukturen. Dies führt letztlich zu „Wassermanagementkonzepten“, in denen die verschiedenen Aspekte je nach örtlichen Gegebenheiten und Erfordernissen gebündelt werden. Aus der im Grundgesetz und im Wasserhaushaltsgesetz festgelegten kommunalen Verantwortung für die Daseinsvorsorge ergibt sich für solche Konzepte ein kommunaler bzw. - je nach Struktur - regionaler Ansatz. Beispiel für einen solchen Ansatz ist das Programm des Hessischen Ministeriums für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV), das darauf abzielt, die Wassernutzung in den Städten und Gemeinden auf Grundlage „Kommunaler Wasserkonzepte“ zu optimieren [5]. Dies bezieht sich nicht nur auf Trinkwasser, sondern auf alle Wassernutzungen. Wesentlich dabei ist nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Versorgungsunternehmen und Behörden, sondern auch die Einbeziehung der Baubzw. Stadtplanungsämter sowie der Grünflächenämter und der Bauhöfe bzw. generell aller Beteiligter. Es geht um die Erhaltung und zukunftssichere Optimierung der bestehenden Infrastruktur vor dem Hintergrund von Klimawandel und Bevölkerungswachstum, darüber hinaus aber auch um die Entwicklung neuer zukunftsfähiger Konzepte für die dauerhafte Sicherung der Wasserversorgung. LITERATUR [1] Deutsche Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. (Hrsg.): Bericht über die menschliche Entwicklung 2006: Nicht nur eine Frage der Knappheit: Macht, Armut und die globale Wasserkrise. Berlin, 2006. [2] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Nationale Wasserstrategie. Entwurf des Bundesumweltministeriums, Berlin, Juni 2021. [3] Umweltbundesamt (Hrsg.): Ausgewählte Fachinformationen zur Nationalen Wasserstrategie. Abschlussbericht. Dessau, Juni 2021. [4] Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit: Bundesumweltministerin Schulze legt nationale Wasserstrategie vor. Pressemitteilung Nr. 122, Berlin, 8.6.2021. www.bmu.de (Abruf am 23.6.2021). [5] Hessisches Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (HMUKLV): Leitbild für ein Integriertes Wasserressourcen-Management Rhein-Main (IWRM Rhein-Main). Wiesbaden, 8. März 2019. [6] Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main (WRM): Situationsanalyse zur Wasserversorgung in der Rhein-Main-Region - Fortschreibung - Juli 2016. Groß-Gerau, 2016. www.ag-wrm.de. [7] Arbeitsgemeinschaft Wasserversorgung Rhein-Main (WRM): Fachgutachten zum Spitzenbedarf und zum Klimawandel - Zwischenergebnisse. Groß-Gerau, 2019. www.ag-wrm.de. [8] Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW): Arbeitsblatt W 410: Wasserbedarf - Kennwerte und Einflussgrößen. Bonn, 2008. [9] Roth, U.: Situation der Wasserversorgung in heißen Sommern - was können wir aus Trockenperioden lernen? Interview. DVGW-Landesgruppen Hessen und Rheinland-Pfalz: Hessen im Blick / Rheinland-Pfalz im Blick. Ausgabe 2/ 2020. www.dr-roth-badems.de. [10] Glaser, R.: Klimageschichte Mitteleuropas - 1000 Jahre Wetter, Klima, Katastrophen. Primus-Verlag, Darmstadt, 2001. [11] www.grosser-frankfurter-bogen.de [12] Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e. V. (BDEW) / Deutscher Verein des Gas- und Wasserfaches e.V. (DVGW) / Verband kommunaler Unternehmen (VKU): Bedarfe der Wasserversorgung in Zeiten des Klimawandels - Maßnahmenvorschläge des BDEW, DVGW und VKU zur Sicherung der Wasserversorgung. Berlin, Juni 2021. AUTOR Prof. Dr.-Ing. Ulrich Roth Beratender Ingenieur Kontakt: dr.roth-badems@t-online.de
