Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0064
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Spreeberlin – die Stimme eines Flusses
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Jakob Kukula
Das Projekt „Spreeberlin – die Stimme eines Flusses“ entstand im Rahmen einer Abschlussarbeit im Masterstudiengang Produktdesign an der Kunsthochschule Weißensee Berlin. Ziel war es, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur am Beispiel der Stadt Berlin und der Spree zu untersuchen. Eine dabei entwickelte WebApp soll Bürger*innen über den Zustand des Flusswassers informieren und dabei helfen, die komplexen Zusammenhänge im Ökosystem besser verständlich zu machen und für den Umgang mit wissenschaftlichen Daten zu sensibilisieren. Beim Hochschulwettbewerb zum Wissenschaftsjahr 2020|21 – Bioökonomie unter dem Motto „Zeigt eure Forschung!“ wurde das Projekt ausgezeichnet und wird seither durch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ des BMBF gefördert.
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86 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Problematik Die Beziehung der Stadt Berlin und dem Fluss Spree lässt sich wohl als mangelhaft bezeichnen. Genau betrachtet ist es schon bewundernswert, an was sich die Bewohner*innen der Stadt bereits gewöhnt haben und was folglich kaum mehr in Frage gestellt wird. So gilt etwa ein allgemeiner Konsens, dass man in der Spree auf keinen Fall schwimmen gehen könne. Angesichts des Badeschiffs in Berlin Kreuzberg wird dieser Umstand auf ironische Weise sichtbar. Statt der Wasserqualität der Spree zu trauen, badet man lieber in einem Container. Abschreckend wirkt die Spree unter anderem in den Zeiten im Jahr, zu denen sie besonders stark verschmutzt ist. Daran Schuld trägt sommerlicher Starkregen, der die Mischkanalisation in alten Bezirken wie Neukölln, Kreuzberg oder Mitte überlaufen lässt und Abwässer aus Haushalten sowie von Straßen direkt in den Fluss spült. Um dieses Überlaufen zu verhindern, werden derzeit riesige Auffangbecken unter der Stadt gebaut. Hier wird das Wasser in Zukunft bei Starkregen zwischengespeichert und bei Entlastung der Kanalsysteme wieder zu den Klärwerken gepumpt. Negativ fällt ebenfalls auf, wie wenig das Potenzial der Nähe von Stadt zu Fluss wirklich genutzt wird. Viele Bereiche der Spreeufer lassen sich als Nicht-Orte bezeichnen. Diese sind entweder nicht zugänglich, ungepflegt, direkt an einer Straße gelegen oder durch tiefe Kanalschluchten geprägt. Hier könnten Renaturierungsmaßnahmen sowie die Nutzung der Ufer für Radwege oder Erholungsflächen die Lebensqualität deutlich befördern. Betrachtet man die Nutzung der Spree als Wasserstraße, ist der Eindruck ganz ähnlich. Dieselbetriebene, meist gering besetzte Touristendampfer dominieren das Bild. Frage ist, welche gesünderen und nachhaltigeren Nutzungskonzepte hier stattdessen denkbar wären. Ein weiteres prägnantes Problem ist der Sauerstoffmangel im Wasser, besonders in den heißen Sommermonaten. Während langer Hitzeperioden kommt es zu starkem Blaualgenwachstum (Cyanobakterien). Die abfallenden Blüten von Bäumen, die genannten Überläufe aus der Kanalisation, aber auch die sehr geringe Fließgeschwindigkeit der Spree schaffen ideale Wachstumsbedingungen für Bakterien und Keime. Zudem wird die Wasserqualität durch den Eintrag von Düngemitteln und Pestiziden aus der Landwirtschaft, die Ockerschlammbelastung durch den Kohleabbau in der Lausitz, die Flussarchitektur und die Folgen des Klimawandels verschlechtert. Das Zusammenspiel dieser Faktoren kann den Sauerstoffgehalt im Wasser auf ein für Wasserorganismen gefährliches Niveau senken. Sichtbare Folge ist dann in den Sommermonaten häufiger auftretendes Fischsterben. Berlins aktuelle Spreeberlin - die Stimme eines Flusses Stadtökologie, Gewässerqualität, Umweltbewusstsein, Kimawandel Jakob Kukula Das Projekt „Spreeberlin - die Stimme eines Flusses“ entstand im Rahmen einer Abschlussarbeit im Masterstudiengang Produktdesign an der Kunsthochschule Weißensee Berlin. Ziel war es, das Verhältnis zwischen Mensch und Natur am Beispiel der Stadt Berlin und der Spree zu untersuchen. Eine dabei entwickelte WebApp soll Bürger*innen über den Zustand des Flusswassers informieren und dabei helfen, die komplexen Zusammenhänge im Ökosystem besser verständlich zu machen und für den Umgang mit wissenschaftlichen Daten zu sensibilisieren. Beim Hochschulwettbewerb zum Wissenschaftsjahr 2020|21 - Bioökonomie unter dem Motto „Zeigt eure Forschung! “ wurde das Projekt ausgezeichnet und wird seither durch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ des BMBF gefördert. © Kukula 87 3 · 2021 TR ANSFORMING CITIES FOKUS Forschung + Lehre Lösung für das Sauerstoffproblem ist das Boot „Rudolf Kloos“. Dieses wurde in den 90er Jahren gebaut und pumpt seither in warmen Sommernächten Sauerstoff in die Kanäle, um Fischsterben zu verhindern. Allerdings wird auch die „Rudolf Kloos“ mit Diesel betrieben. Konzept Mithilfe einer Sauerstoff pumpenden Messboje macht die „Spreeberlin“ auf die oben beschriebene Problematik aufmerksam. In den heißen Sommermonaten pumpt die Boje Sauerstoff in den Fluss und versorgt die Spree und ihre Lebewesen damit. Der Eintrag von Sauerstoff funktioniert unabhängig davon, ob Menschen mit der Boje interagieren oder nicht. Unter der Wasseroberfläche sorgt die Boje automatisch dafür, einen Teil des Ökosystems zu verbessern. Sobald genügend Pumpen vorhanden sind, könnte auch die Arbeit des Bootes „Rudolf Kloss“ übernommen werden. Über der Wasseroberfläche kommuniziert die Boje auf visuelle und interaktive Weise mit den Bürger*innen Berlins. Mithilfe einer Webanwendung wird der Ist-Zustand des Flusses vermittelt. Ein wichtiges Ziel des Projektes ist es, die Einstellung der Menschen gegenüber ihrer Umgebung zu verändern, die Wertschätzung der Spree und den Willen zur Verbesserung der Situation zu fördern. Auch wenn es in den letzten Jahren bereits Fortschritte gab und die Diskussion über die Wasserqualität eine größere Öffentlichkeit gefunden hat, besteht noch immer viel Raum für Verbesserungen. Die Arbeit an einer gesünderen Spree sollte vor allem die Bürger*innen selbst einbeziehen. Statt nur Ingenieur*innen, Chemiker*innen oder Vertreter*innen der Berliner Wasserbetriebe mit der Aufgabe zu betrauen, kann gezielte Aufklärungsarbeit und Bildung hier ein erfolgreiches Werkzeug sein. Denn wenn die Menschen in der Stadt mehr über das Problem wissen, fühlen sie sich vielleicht auch mehr in der Verantwortung und es entsteht ein stärkerer Wunsch nach Partizipation. Im Zentrum der Vermittlungsarbeit stehen die Wasserqualität, die durch die Leuchtoberfläche der Boje angezeigt wird, zudem werden aber auch spannende geschichtliche und aktuelle Bezüge zum Thema über die Webanwendung kommuniziert. Durch ein Netzwerk aus Bojen bekommt die Spree eine eigene politische Stimme und kann so auf sich aufmerksam machen. Vorbild und Inspiration hierfür sind Länder wie Neuseeland oder Kolumbien, in denen Ökosysteme wie Flüsse oder Berge dieselben Rechte zugesprochen bekommen wie die Menschen, die in diesen Ländern leben. So lässt sich wesentlich einfacher auf einer politischen und juristischen Ebene die unabdingbare Qualitätsverbesserung von Ökosystemen rechtfertigen, notfalls auch einklagen. Die Boje Die Boje ist modular konzipiert. Das heißt, sie kann je nach Bedarf, mit oder ohne Sauerstoffpumpe hergestellt werden. Im aktuellen Entwurf sind die schwimmenden Bots fest an einem Ort verankert, können aber auch mit einem Boot an eine andere Stelle gebracht werden. Das Herzstück der Boje ist die Messtechnik im Mittelteil. Die Schwimmer sind über zwei Ringe miteinander verbunden. Sie sind zweigeteilt und ermöglichen Zugang zur Messtechnik, sodass diese bei Ausfall oder Defekt einfach ausgetauscht werden kann. Unter der Wasseroberfläche befindet sich die Pumpe. Diese saugt Wasser an und drückt es durch ein trichterförmiges Rohr in die Verteilerschläuche. Dadurch wird über die Sauerstoffschläuche Luft aus der Umgebung angesaugt und in das Wasser eingetragen. Modelle mit Sauerstoffpumpe, welche mehr Energie benötigen, werden mit grünem Stadtstrom betrieben. Für die zweite Version mit der einfachen Messfunktion, reicht eine Solarzelle aus. Für ein weiteres Nutzungsszenario eignen sich besondere Uferorte in Bojennähe. An diesen Orten sind Informationen zu dem Objekt und ein QR-Code vorzufinden, welcher direkt weiter zur Webanwendung leitet. Diese Orte können auch mit Sportgeräten ausgestattet werden, die bei der Nutzung Strom erzeugen und dann der Boje zuführen. So entsteht ein wichtiger Moment der Interaktion und der Vermittlung: Jede unserer Aktivitäten löst etwas in unserer Umwelt aus. Design hat hier die Kraft, kluge Systeme zu entwickeln, die unser Handeln positiv auf unsere Umwelt wirken lässt. Jakob Kukula Produktdesigner Kontakt: info@jakobkukula.com AUTOR © Kukula
