Transforming cities
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2366-7281
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0071
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Nachhaltige Quartiere: von abstrakt zu konkret
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Christine Lemaitre
Katja Walther
Grünflächen, Spielplatz und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe – es scheint einen gewissen Konsens darüber zu geben, was ein lebenswertes Stadtquartier ausmacht. Doch neben den ersichtlichen Kriterien, gibt es eine Reihe abstrakterer Aspekte, die wesentlich sind – für ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Quartier. Klimaschutz und -anpassung, Ressourcenschonung, Gesundheit und Wohlbefinden der Bewohner – all dies sind essentielle Aspekte für die Städte von morgen. Doch wie setzt man diese Ziele um? Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen setzt sich dafür ein, dass Gebäude im Einklang mit Menschen und Umwelt entstehen. Mit ihrem Zertifizierungssystem lässt sich Nachhaltigkeit systematisch umsetzen. Das Klimaquartier in Esslingen ist hierfür ein Beispiel.
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14 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Was macht ein zukunftsfähiges Quartier aus? „Der Park ist direkt um die Ecke“, „hier wohnen Jung und Alt harmonisch zusammen“, „Einkaufsmöglichkeiten und Spielplatz fußläufig zu erreichen“ - typische Werbesätze für ein neues Quartiers in unserer Gegend - oder Wortfetzen, die man von Bekannten aufschnappt, die zufrieden sind mit ihrem Wohnort. Es scheint einen gewissen Konsens darüber zu geben, was ein lebenswertes Stadtquartier ausmacht. Die Kriterien sind anschaulich und ersichtlich und die Natur spielt eine wesentliche Rolle. Schnell wird solch ein Quartier als nachhaltig deklariert. Aber ist es das wirklich? Zugegeben, es wird viel abstrakter, wenn wir von nicht sichtbaren CO 2 -Emissionen sprechen, die ein Quartier durch Heizen und Lüften im Jahr ausstößt. Oder von den endlichen Ressourcen, die in den Gebäuden verbaut Nachhaltige Quartiere: von abstrakt zu konkret Nachhaltiges Quartier, Klimaquartier, nachhaltiges Bauen, Zertifizierung Christine Lemaitre, Katja Walther Grünflächen, Spielplatz und Einkaufsmöglichkeiten in der Nähe - es scheint einen gewissen Konsens darüber zu geben, was ein lebenswertes Stadtquartier ausmacht. Doch neben den ersichtlichen Kriterien, gibt es eine Reihe abstrakterer Aspekte, die wesentlich sind - für ein nachhaltiges und zukunftsfähiges Quartier. Klimaschutz und -anpassung, Ressourcenschonung, Gesundheit und Wohlbefinden der Bewohner - all dies sind essentielle Aspekte für die Städte von morgen. Doch wie setzt man diese Ziele um? Die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen setzt sich dafür ein, dass Gebäude im Einklang mit Menschen und Umwelt entstehen. Mit ihrem Zertifizierungssystem lässt sich Nachhaltigkeit systematisch umsetzen. Das Klimaquartier in Esslingen ist hierfür ein Beispiel. Bild 1: Klimaquartier „Neue Weststadt“ in der Stadt Esslingen am Neckar. © Maximilian Kamps, Agentur Blumberg GmbH sind, vom allgemeinen Flächenmangel und der Versiegelung, die zu Überflutungen bei Starkregen führen können. Diese Kriterien sind für Bewohner schwer greifbar, weil nicht ersichtlich. Und doch sind sie essentiell um ein Quartier wirklich zukunftsfähig zu machen. Doch wer kümmert sich darum? Klima- und Ressourcenschutz sind noch nicht in Mark und Bein übergegangen. Sie sind noch keine Voraussetzung für neue 15 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Quartiersentwicklungen oder Renovierungen. Und wenn doch, so fehlt häufig die Referenz: wie viel CO 2 ist denn nun legitim? Ist Holz wirklich besser? Bestand erhalten oder neu bauen? Was hier gebraucht wird, ist eine neue Planungs- und Baukultur, die nicht nur nach Form und Funktion in einem definierten Zeit- und Kostenrahmen fragt, sondern oben genannte Themen nahtlos einfließen lässt. Man müsste wissen, wo man die nötigen Informationen herbekommt und wann die Entscheidungen zu fällen sind. Man brauchte klare Ziele und einen fortlaufenden Abgleich im Verlauf mit diesen Zielen. Damit die Verantwortlichen für Gestaltung, Verwaltung und Erhaltung im städtischen Kontext mit diesen zentralen Zukunftsthemen umgehen können, wurde das DGNB-System entwickelt, das den Planungsprozess begleitet und alle relevanten Kriterien der ökologischen, soziokulturellen und ökonomischen Dimension einfließen lässt. Am Ende des Prozesses ist dies ein Qualitätssicherungsinstrument, das dabei hilft zu verifizieren, dass einmal Geplantes auch wirklich so umgesetzt wurde. Wie damit ein Klimaquartier entstehen kann, zeigt das folgende Beispiel. Neue Weststadt - Entwicklung eines Klimaquartiers Das Klimaquartier „Neue Weststadt“ ist aktuell das bedeutendste Stadtentwicklungsprojekt der Stadt Esslingen am Neckar. Im Rahmen der Eckpunkte „klimaneutraler Betrieb“, „kompakte Stadt“ und „Nutzungsmischung“ entsteht auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs ein urbanes Quartier mit rund 460 Wohneinheiten. Wohnen, Gewerbe, Nahversorgung, direkter Anschluss an den ÖPNV und die Nachbarschaft zum neuen Campus der Hochschule Esslingen kennzeichnen das Klimaquartier, an dessen Entwicklung die Esslinger Bürgerinnen und Bürger von Beginn an beteiligt waren. Von den fünf Blöcken des Klimaquartiers sind derzeit die Blöcke B und C fertiggestellt. Block D befindet sich kurz vor der Fertigstellung, der Wettbewerb für Block A ist abgeschlossen. Neu entstehende Naherholungsflächen wie der Neckaruferpark federn die hohe Nachverdichtung im Quartier ab. Mit weiteren sozialen Begegnungsorten eines Quartiers-, eines Stadtteil- und eines Spielplatzes wird der öffentliche Raum zusätzlich optimiert. Die Familienfreundlichkeit zeigt sich auch an der Gestaltung der Innenhöfe und der Bereitstellung einer KiTa in Block D direkt vor Ort. Alternativen zum motorisierten Individualverkehr bietet die Nähe zum Esslinger Bahnhof und dem ZOB sowie ein E-Car-Sharing direkt vor Ort. Für diese Planung erhielt die Neue Weststadt das DGNB-Zertifikat in Gold; als erste begutachtete Einheit nach Fertigstellung wurde dieses Zertifikat für Block B in der Umsetzung bestätigt. Bereits im städtebaulichen Vertrag zum Quartier wurde der klimaneutrale Betrieb der Gebäude verpflichtend fixiert. Die Vollsolarisierung der Dachflächen und ein ambitioniertes energetisches Konzept, das erstmals in Deutschland die Produktion von grünem Wasserstoff in einem urbanen Quartier integriert, realisieren diesen Anspruch. In einer unterirdischen Energiezentrale werden zwei Elektrolyseur-Einheiten komplett mit erneuerbarer Energie betrieben. Die hierbei entstehende Abwärme wird per Nahwärmenetz innerhalb des Quartiers genutzt. Neben der Unterstützung des klimaneutralen Betriebs der Gebäude wird der Elektrolysevorgang so in seiner Effizienz deutlich gesteigert und wirtschaftlich darstellbar. Diese Kopplung der Sektoren Strom und Wärme wird durch die Einbindung des Oberleitungsbus- Systems des Städtischen ÖPNV ergänzt. Das Klimaquartier Neue Weststadt ist eines der sechs Leuchtturmprojekte innerhalb des 6.- Energieforschungsprogramms im Förderbereich „Energieeffiziente Stadt“ der Bundesministerien für Wirtschaft und Energie sowie Bildung und Forschung. Die weitere Entwicklung in der Neuen Weststadt soll ebenfalls mit dem Anspruch umgesetzt werden, annähernd Klimaneutralität zu erreichen. Die Verstetigung der Elektrolyseurtechnologie ist vorgesehen. Dr. Christine Lemaitre Geschäftsführender Vorstand Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen, DGNB e. V. Kontakt: c.lemaitre@dgnb.de Dr. Katja Walther Leitung Sachgebiet Nachhaltigkeit und Klimaschutz Stadtplanungsamt Stadt Esslingen am Neckar katja.walther@esslingen.de AUTORINNEN Bild 2: Brennstoffzellenfahrzeug im Klimaquartier. © Maximilian Kamps, Agentur Blumberg GmbH