eJournals Transforming cities 6/4

Transforming cities
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2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2021-0076
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Stadtbäume im Stress

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Fabian Massing
Massimo Recchiuti
Indra Starke-Ottich
Pablo Ellermann
Robert Kreißl
Heinz-Peter Westphal
Georg Zizka
Stadtbäume mit ihren Ökosystemleistungen sollen helfen, die Folgen des Klimawandels für die Stadtbevölkerung zu verringern. Am Beispiel Frankfurt am Main wurde untersucht, welchen Stressfaktoren Stadtbäume ausgesetzt und wie vital sie sind. Viele Bäume befanden sich in einem Zustand, in dem sie die Ökosystemleistungen nicht mehr erbringen können. Als problematisch erwiesen sich mangelnder Schutz vor Betreten und Befahren, Streusalz, Luftschadstoffe, Überwärmung sowie zu kleine Baumscheiben. Der Flächenbedarf für Stadtbäume wird von der Stadtplanung noch nicht hinreichend berücksichtigt.
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35 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lebensraum Stadt Stadtbäume wachsen an urbanen Standorten wie Parks, Straßen, Fußgängerzonen, Parkplätzen und vor öffentlichen Gebäuden [1] und sind in der Regel dort gepflanzt (Bild 1). Nicht unter diesen Begriff fallen hier die Bäume von Wäldern und Waldinseln im Stadtgebiet. Aufgrund ihrer ökologischen Leistungen finden Stadtbäume in den letzten Jahren verstärkt Interesse bei Stadtplanung und Öffentlichkeit. Im Vordergrund steht ihre Bedeutung für die Verbesserung des Stadtklimas, ihre „Ökosystemleistungen“ sind aber vielfältig. Dazu gehören positive Auswirkungen auf die Biodiversität (Nahrungsquelle und/ oder Lebensraum für zahlreiche Tierarten, Flechten, Pilze etc.), kulturelle, ästhetische sowie psychologische Effekte (Verbundenheit, beruhigende Wirkung etc.). Städte sind Wärmeinseln, deren bebaute Bereiche sich tagsüber stark aufheizen und nachts nur langsam abkühlen. Die bisher beobachteten Veränderungen, vor allem die zunehmenden Hitzeperioden, führen zu der Frage, wie die Bürger*innen in Zukunft besser vor Überwärmung geschützt werden können. An Stadtbäume werden diesbezüglich besondere Hoffnungen geknüpft. Durch Beschattung (Bild 2) und Transpiration bewirken sie eine Veränderung des Lokalklimas, insbesondere eine Absenkung der Temperatur. Hinzu kommt ihre luftreinigende Wirkung. Eingriffe in den Baumbestand sind daher heute kaum noch ohne Proteste aus der Bürgerschaft möglich, und das Pflanzen zusätzlicher Stadtbäume wird auch von politischer Seite gefordert. Dabei wird häufig vernachlässigt, dass Stadtbäume kein Allheilmittel gegen Überwärmung sind, und vor allem, dass die Bäume selbst unter der Überwärmung und weiteren Stressfaktoren des Stadtlebens leiden. Sollen Stadtbäume einen möglichst großen positiven Beitrag zum Stadtklima leisten und nicht in kurzen Abständen ausgetauscht werden, ist die Kenntnis der Stressfaktoren und des Vitalitätszustandes der Bäume unverzichtbar. Dies ist keinesfalls nur eine Frage der Kosten, denn große alte Bäume leisten wesentlich mehr für das städtische Stadtbäume im Stress Klimawandel, Städte, Ökosystemleistungen, Bäume, Stadtplanung Fabian Massing, Massimo Recchiuti, Indra Starke-Ottich, Pablo Ellermann, Robert Kreißl, Heinz-Peter Westphal, Georg Zizka Stadtbäume mit ihren Ökosystemleistungen sollen helfen, die Folgen des Klimawandels für die Stadtbevölkerung zu verringern. Am Beispiel Frankfurt am Main wurde untersucht, welchen Stressfaktoren Stadtbäume ausgesetzt und wie vital sie sind. Viele Bäume befanden sich in einem Zustand, in dem sie die Ökosystemleistungen nicht mehr erbringen können. Als problematisch erwiesen sich mangelnder Schutz vor Betreten und Befahren, Streusalz, Luftschadstoffe, Überwärmung sowie zu kleine Baumscheiben. Der Flächenbedarf für Stadtbäume wird von der Stadtplanung noch nicht hinreichend berücksichtigt. Bild 1: Stadtbäume prägen den öffentlichen Raum. © I. Starke-Ottich 36 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lebensraum Stadt Ökosystem als kleine, neu gepflanzte. Im Rahmen einer Master-Arbeit wurde die Situation der Stadtbäume in Alt- und Innenstadt von Frankfurt am Main näher untersucht [2]. Daran schloss sich eine studentische Arbeit an, um eine Priorisierung von notwendigen Sanierungsmaßnahmen für Baumstandorte im Innenstadtbereich vorzunehmen und zu begründen. Frankfurt am Main bietet gute Voraussetzungen für diese Untersuchungen. Dort machen sich klimatische Veränderungen bereits deutlich bemerkbar. Die durchschnittliche Zahl der heißen Tage (>30 °C) pro Jahr stieg von 8,7 im Zeitraum 1961 - 1990 auf 16,3 im Zeitraum 1990 - 2019. Sowohl die heißen Tage als auch die besonders belastenden Tropennächte (Temperatur sinkt nachts nicht unter 20 °C) werden nach den Klimamodellierungen bis 2050 deutlich zunehmen [3]. Außerdem sind die Frankfurter Stadtbäume sehr gut durch ein öffentliches Baumkataster dokumentiert, in dem rund 164 000 Einzelbäume an Straßen und in Grünanlagen erfasst sind [4]. Alle Bäume sind mit einer kleinen Plakette mit einer Nummer versehen. Darüber können Bürger*innen im Baumkataster Informationen über den Baum recherchieren, zum Beispiel zu Baumart und Pflanzjahr. Im internen Bereich dient das Baumkataster außerdem zur Organisation und Beauftragung der Baumkontrolle und -pflege. Unter anderem aufgrund des Katasters wurde Frankfurt am Main als „European City of Trees 2014“ ausgezeichnet. Die im Folgenden beschriebenen Stressfaktoren und Probleme für Stadtbäume sind jedoch charakteristisch für viele Großstädte [5, 6]. Stressfaktoren In die Untersuchung der Stressfaktoren gingen 3685 Bäume mit ein, darunter 1656 Straßenbäume und 2029 Bäume in Grünanlagen. Als Standortfaktoren wurden Standortklima, Streusalzexposition und Luftverschmutzung betrachtet. Ein weiteres wichtiges Thema für Stadtbäume ist die Wasserverfügbarkeit. Viele Stadtbäume sind von den natürlichen Grundwasserreserven abgeschnitten, etwa durch U-Bahn-Tunnel oder den insgesamt im Stadtgebiet stark abgesenkten Grundwasserspiegel. Leider lagen keine ausreichend detaillierten Daten zu diesem Faktor vor, so dass er nicht in die Bewertung einbezogen werden konnte. Zur Bewertung des Standortklimas wurde die Klimafunktionskarte des Klimaplanatlasses [7] herangezogen. Diese basiert auf einem städtischen Klimamodell mit einer Rasterweite von 15 m. Das Modell unterscheidet 30 Klimastufen in sechs sogenannten Klimatopen von der Kaltluftentstehungszone bis zum Überwärmungsgebiet. Ab Stufe 19 werden die Bereiche als Überwärmungsgebiete bezeichnet und im Rahmen dieser Studie als „stärker belastet“ bewertet. Die Streusalzexposition wurde anhand der Entfernung des Baumes zu Straßen und Plätzen, bei denen im Winter salzbasierte Auftaumittel eingesetzt werden, ermittelt. Die Grenze zwischen „exponierten“ und „wenig exponierten“ Standorten wurde bei 2-m gezogen [8]. Die Luftverschmutzung konnte nur eingeschränkt einbezogen werden, da in Frankfurt kein Bild 2: Stadtbäume erfüllen viele wichtige Ökosystemfunktionen, zum Beispiel als Schattenspender für Sitzmöglichkeiten. © P. Ellermann. Bild 3: Parkbäume haben deutlich bessere Standortbedingungen als Straßenbäume. © I. Starke-Ottich. 37 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lebensraum Stadt ausreichend dichtes Netz an Messstellen zur Verfügung stand. Für Stickstoffdioxid lag jedoch eine Studie vor [9], in der stationäre Messungen mit mobilen Messungen per Fahrrad verknüpft sind. Aus diesen wurde eine Rasterkarte extrapoliert, die mit den Baumstandorten verglichen werden konnte. Wie gestresst sind Frankfurts Bäume? Die Daten des Klimaplanatlas zeigen, dass 1919 Bäume an überwärmten Standorten stehen, 1512 von ihnen Straßenbäume. Stadtbäume, die das Glück haben, in einer Grünanlage zu stehen, haben es in Hinblick auf Überwärmung deutlich besser (Bild 3). Die Straßenbäume stehen oft einzeln, relativ weit entfernt vom nächsten Baum, und sind von Häuserfassaden, Straßen- und Gehsteigbelägen umgeben, die sich aufheizen und Wärme abstrahlen. Die Bäume in Grünanlagen dagegen stehen häufiger in Gruppen, in der Regel von zusätzlichem Grün (Rasenflächen, Rabatten) umgeben. Auch beim Faktor Streusalz sind erwartungsgemäß die Straßenbäume besonders betroffen. Bei 1590 Straßenbäumen wird der empfohlene Mindestabstand zu den gestreuten Bereichen nicht eingehalten, lediglich bei 66 Straßenbäumen ist der Abstand so groß, dass sie vermutlich kaum durch Streusalz beeinflusst werden. Den Bäumen in Grünanlagen geht es deutlich besser, lediglich 232 Bäume sind dort dem negativen Einfluss der Taumittel stärker ausgesetzt. In Hinblick auf Luftverschmutzung ergab sich dagegen kein Unterschied. Empfohlene Grenzwerte wurden für alle untersuchten Bäume weit überschritten, teilweise um das Dreifache. Um zu verdeutlichen, wie gestresst die Bäume sind, wurden alle untersuchten Faktoren miteinander verknüpft (Bild 4). Es zeigt sich deutlich, dass insbesondere die Bäume entlang der großen Straßen und der öffentlichen Plätze von allen untersuchten Stressfaktoren betroffen sind. Aber gerade dort sind die Bäume für die Stadtbevölkerung besonders wichtig! Ausbaustandards für Baumscheiben Von zentraler Bedeutung für die Lebensbedingungen der Stadtbäume ist die Ausgestaltung des Standortes, besonders die Größe von Pflanzgrube und Baumscheibe. Sie ist entscheidend dafür, ob grundsätzlich geeignete Baumarten und -sorten an den extremen urbanen Standorten langfristig überleben können. Als Baumscheibe wird der unversiegelte Bereich an der Stammbasis bezeichnet. Als Hobbygärtner lernt man, dass der Bereich, den die Baumwurzeln einnehmen, in etwa dem der Krone entspricht. Davon sind die meisten Stadtbäume weit entfernt. Die Stadt Frankfurt hat für die Ausgestaltung der Baumscheiben Standards festgelegt [10]. Demnach sollen sie aus Bewässerungs- und Belüftungsgründen mindestens 6 m² groß sein. Mit Rechteckbügeln oder anderen Maßnahmen sollen sie vor dem Befahren geschützt werden, weil dies zu Bodenverdichtung und schlimmstenfalls zu direkter Beschädigung der Bäume führt (Bild 5). Ideal ist eine Gestaltung, die auch ein Begehen durch Passanten und Hunde Bild 4: Kombinierte Standortbedingungen der Stadtbäume. Aufsummierung von Grenzwertüberschreitungen in den Kategorien Klima, Salzexposition und Luftschadstoffexposition (Massing 2017). Blau = 0, Grün = 1, Gelb = 2, Rot = 3 Grenzwertüberschreitungen. Bild 5: In der Frankfurter Goethestraße dienen Bäume als Trennelemente zwischen parkenden Fahrzeugen. Aufgrund fehlender Schutzvorrichtungen sind am Stamm bereits mechanische Verletzungen entstanden. © M. Recchiuti 38 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lebensraum Stadt verhindert, um Verdichtung und Schadstoffeinträge (zum Beispiel Hundeurin) zu reduzieren (Bild 6). Wo Befahren und Begehen nicht verhindert werden können, sind sogenannte Baumroste und eine Lavalit-Schicht aufzubringen, um die Funktionsfähigkeit der Baumscheibe (Gasaustausch, Wasseraufnahme) bestmöglich zu gewährleisten. Untersucht wurden 1656 Straßenbäume. Diese waren überwiegend gut vor Befahren geschützt, lediglich 74 Bäume (4,5 %) wiesen keinen entsprechenden Schutz auf. 416 Baumstandorte (25 %) waren nicht ausreichend vor Betreten durch Passanten und Hunde geschützt, die meisten Straßenbäume (71,5 %) sind also in dieser Hinsicht gut gesichert. Anders fielen dagegen die Ergebnisse in Hinblick auf die Größe der Baumscheiben aus. Die Mindestgröße von 6 m² wurde bei 1177 Baumstandorten (71-%) unterschritten (Bild 7)! Zudem war auffällig, dass sich in den Spalten der verwendeten Baumroste oft Zigarettenkippen ansammeln (Bild 5). In den Filtern und Zigarettenresten befindet sich eine große Zahl teilweise stark toxischer Substanzen. Man muss davon ausgehen, dass bei Regen Schadstoffe ausgewaschen werden und in den Boden gelangen, die Auswirkungen auf das Bodenleben und eventuell auch auf die Stadtbäume selbst haben. Hilfe für Stadtbäume Die Ergebnisse zeigen, dass dringender Bedarf besteht, die vorhandenen Baumstandorte zu sanieren, um die Bäume „fit für den Klimawandel“ zu machen. Dies ist im Bestand, gerade in der Alt- und Innenstadt, oft nicht leicht. Bei Neuanlagen in Frankfurter Neubaugebieten wurden einige Erkenntnisse bereits umgesetzt. So sind dort tendenziell größere Baumscheiben zu finden und es gibt Beispiele für Doppelalleen, in denen sich die Bäume gegenseitig kühlen können (Bild 8). Auch in Hinblick auf eine sinnvolle Ausgestaltung der Baumscheiben gibt es positive Beispiele. Allerdings besteht auch bei neuen Standorten noch viel Verbesserungspotenzial. So sind verdichtete Böden, ungeeignetes Substrat oder mangelnder Schutz vor Befahren noch immer häufig zu beobachten. Wie kann den vorhandenen Bäumen der Frankfurter Innenstadt am besten geholfen werden? Es müssten Baumscheiben vergrößert und besser geschützt werden, was bauliche Maßnahmen sind, teilweise wären auch Methoden der Bodenaufbereitung nötig, etwa das Auflockern mit Hilfe von Druckluft. Diese Maßnahmen sind kosten- und personalintensiv und können daher nicht gleichzeitig für alle Bäume durchgeführt werden. Für eine Priorisierung wurde im Frühjahr 2021 eine exemplarische Vitalitätsuntersuchung von 293 Stadtbäumen durchgeführt. Die Bewertung erfolgte nach Roloff [11] in vier Stufen (0 - 3). Die Stadt Frankfurt hat aus baumkontrolltechnischen Gründen eine Stufe 4 implementiert:  VS 0 - Exploration: Neue Triebe eines gesunden Laubbaums befinden sich in der Explorationsphase. Aus Knospen der Seiten- und Wipfeltriebe entstehen netzartige Langtriebe, durch welche die Krone geschlossen und kompakt erscheint. Bei Astbeschneidung werden Lücken schnell durch neue Triebe geschlossen. Bild 6: Die Kombination aus Schutzbügeln aus Metall und Unterpflanzung schützt die Baumscheibe dieses Straßenbaums vor dem Betreten und Befahren. © I. Starke-Ottich Bild 7: In der Frankfurter Innenstadt sind viele Baumscheiben zu klein und werden dazu noch als Stellfläche genutzt. © P. Ellermann 39 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lebensraum Stadt  VS 1 - Degeneration: Die Degenerationsphase ist vor allem bei den Trieben von bereits leicht gestressten Bäumen zu beobachten. Hier ragen durch die Kurztriebbildung aus den Seitenknospen nur noch spießartige Äste aus der Krone, um welche die Blätter dicht angeordnet sind. Die Krone besitzt eine weniger harmonische Form.  VS 2 - Stagnation: Bei Ästen mit Krähenfuß- oder pinselartigem Wachstum ist die Stagnationsphase eingetreten. Diese entsteht durch das Abbrechen von bereits älteren, geschwächten Ästen, woraufhin nur junge Triebe an den Wipfeln überleben. Durch die Krone tritt viel Sonnenlicht, welches nicht durch Laubblätter aufgenommen wird.  VS 3 - Resignation: Absterbende Bäume, bei denen kein Wachstum mehr stattfindet. Selbst die jüngsten Zweige zeigen wenig bis keine Belaubung. Die Krone ist nur noch skelettartig und sehr fragmentiert ausgebildet.  VS 4 - Bereits abgestorbene Bäume: Keine lebenden Bereiche vorhanden. Zusätzlich wurden die Zwischenschritte x,4 und x,6 zwischen den ganzen Zahlen hinzugefügt, um eine feinere Abstufung zu erreichen, wobei x,4 eine Tendenz zur niedrigeren und x,6 eine Tendenz zur höheren Ziffer der Bewertungsskala bedeutet. Auch die Ausgestaltung und Größe der Baumscheiben wurde nochmals im Detail betrachtet. Die durchschnittliche Vitalität aller untersuchten Bäume betrug 1,7, sie stehen in der Degenerationsphase, nahe an der Stagnationsphase. Nicht alle Bäume besitzen eine Baumscheibe, einige sind in die flächige Gestaltung von öffentlichen Plätzen eingebettet, zum Beispiel mit neuartigen Sickerbelägen (Bild 9). Diese sollen zwar Gasaustausch und Wasseraufnahme gewährleisten, allerdings fehlen Erfahrungswerte, ob sich die Beläge durch Schmutz und Feinstaub zusetzen und dann nicht mehr funktional sind. 209 der untersuchten Bäume verfügten über eine Baumscheibe, welche im Durchschnitt eine Fläche von nur 3,2 m² umfasste, also weit unter dem vorgesehenen Ausbaustandard (Bild 7). Da häufig Plätze oder Straßenzüge mit derselben Baumart bepflanzt werden, zeigen diese dort oft eine ähnliche Vitalität, so dass die Betrachtung zur Priorisierung auf dieser räumlichen Basis erfolgen kann. Ein Beispiel mit besonders hoher Priorität für standortverbessernde Maßnahmen ist die Frankfurter Goethestraße. Die Bäume hier weisen im Mittel eine Vitalität von 2,4 auf, sind also bereits in der Stagnationsphase mit aufgelichteten Kronen. Es handelt sich um 39 sogenannte Stadtbirnen (Pyrus calleryana) und zwei Hybrid-Platanen (Platanus-x hispanica), wobei den Platanen die Vitalitätsstufe 1,6 zugeordnet wurde. Die Stadtbirnen sind alle direkt an der Straße platziert und dienen als Trennelemente zwischen parkenden Fahrzeugen (Bild 10). Acht der 39 Stadtbirnen besitzen keinen Baumschutzbügel oder sonstige Schutzvorrichtungen, um diese vor Beschädigungen durch Kraftfahrzeuge zu schützen, weswegen an manchen dieser Exemplare mechanische Verletzungen am Stamm zu beobachten sind (Bild 5). Die Baumscheiben der Stadtbirnen besitzen eine Fläche von circa 4 m² und sind bei 39 der 41 Bäume mit Gitterrosten bedeckt. Es sind häufig Zigarettenreste und andere Verschmutzungen zwischen den Gitterrosten vorhanden, zudem werden diese häufig als Parkflächen für Fahrräder und Elektro-Roller benutzt. Stadtbirnen werden grundsätzlich für die Pflanzung in Städten empfohlen, allerdings scheint auch diese Art unter extremen Bedingungen an ihre Gren- Bild 8: Doppelalleen mit Grünstreifen in Frankfurter Neubaugebieten, in denen die Bedingungen für Straßenbäume deutlich verbessert wurden. © I. Starke-Ottich Bild 9: Sind neuartige Sickerbeläge für eine befestigte Oberfläche im Bereich der Baumscheibe auf Dauer eine gute Lösung? © P. Ellermann 40 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lebensraum Stadt zen zu kommen. Am Standort Frankfurt-Roßmarkt ist der Zustand dieser Baumart noch schlechter, dort wurde für diese Art im Mittel die Vitalitätsstufe 2,9 vergeben, sie stehen also am Beginn der Resignationsphase, das heißt, es findet kein Wachstum mehr statt und die Bäume beginnen abzusterben. Zwar können abgängige Bäume bei Neupflanzungen durch andere Baumarten ersetzt werden, jedoch gibt es keine „Wunderbäume“, die völlig ohne Platz und Wasser leben könnten. Zudem erbringen nachgepflanzte junge Bäume nur einen Teil der positiven lokalklimatischen und ökologischen Wirkung. Der häufige Einsatz von einzelnen Baumarten kann auch zu Problemen führen, wenn sich Schädlinge oder Krankheiten ausbreiten, für die die durch Stress geschwächten Bäume häufig besonders anfällig sind. Schon jetzt hat Frankfurt in der Innenstadt beispielsweise einen sehr hohen Anteil an Platanen (42,3 % der 2017 untersuchten Straßenbäume [2]). Die Stadtbirnen der Goethestraße weisen stark geschädigte Kronen auf. Damit können sie ihre Ökosystemleistungen nur noch eingeschränkt erbringen. Es besteht dringender Handlungsbedarf. Wenn es dort langfristig Bäume geben soll, müssen die Baumscheiben vergrößert und besser geschützt werden, auch wenn dies nur auf Kosten von Parkplätzen in dieser Straße, die als Luxus-Einkaufsstraße gilt, zu erreichen ist. Zudem sind eine Auflockerung des Bodens, zum Beispiel mit Druckluft, und eventuell weitere bodenverbessernde Maßnahmen notwendig. Im untersuchten Abschnitt der Kaiserstraße befinden sich acht Bäume der sogenannten Stadt-Linde (Tilia cordata ‚Greenspire‘ ) mit einer durchschnittlichen Vitalitätsstufe von 2,5. Im Gegensatz zur Goethestraße stehen die Bäume hier auf dem Gehsteig, Beschädigungen durch Fahrzeuge sind unwahrscheinlich. Die Größe der Baumscheiben variiert zwischen 0 und circa 3 m². Der Boden der Baumscheiben ist stark verdichtet. Einige Bäume haben auf diesen Stressfaktor mit an der Oberfläche verlaufenden Wurzeln reagiert. Müll, insbesondere Zigarettenstummel, sowie abgestellte Fahrräder und E-Roller prägen das Bild der Baumscheiben. Im Gegensatz zur engen Goethestraße wäre es hier deutlich leichter, ausreichend große Baumscheiben oder sogar einen durchgehenden Grünstreifen anzulegen, ohne Fahrbahn, Parkplatzangebot und Gehweg zu beeinträchtigen. Eine Unterpflanzung mit Sträuchern könnte das Betreten und die damit verbundene Verdichtung sowie den Eintrag von Schadstoffen, zum Beispiel Hundeurin und Zigarettenstummel, minimieren. Hier ließe sich eine attraktive Anlage gestalten, eventuell mit Unterbrechungen des Grünstreifens für querende Fußgänger oder ausgewiesenen Fahrrad-Stellplätzen. Fazit Stadtbäume erfüllen zahlreiche wichtige Funktionen im „Ökosystem Stadt“. Durch den Klimawandel und häufigere Extremwetterlagen ist ihre Bedeutung nochmals gestiegen - aber auch die auf sie wirkenden Stressfaktoren haben sich verstärkt. Erfreulicherweise finden Bedeutung und ökosystemare Leistungen der Stadtbäume bei Stadtplanern und Öffentlichkeit immer größeres Interesse. Weit verbreitete, jahrzehntelang bewährte Arten zeigen aber in den letzten Jahren vermehrt Anfälligkeit für Stress und Krankheiten. Damit Stadtbäume die an sie gerichteten Erwartungen im Hinblick auf lokalklimatische Effekte und andere Ökosystemleistungen erfüllen können, muss dafür Sorge getragen werden, dass sie auch geeignete Lebensbedingungen am Standort vorfinden. Dies ist, wie die beispielhaften Untersuchungen aus Frankfurt zeigen, bisher oft nicht der Fall. Ein großer Teil der untersuchten Bäume ist so vielen Stressfaktoren ausgesetzt, dass ihre Vitalität und Lebensdauer stark eingeschränkt bzw. verkürzt sind und sie ihre ökologischen und sozialen Funktionen nicht mehr vollumfänglich erfüllen können. Viele Bäume weisen bereits deutliche Schäden auf. Die beiden hier gezeigten Ansätze, das heißt, die Verschneidung von verschiedenen Datensätzen (Klimaplan, Schadstoffmessungen etc.) zur Bild 10: In der Frankfurter Goethestraße besteht großer Handlungsbedarf, um die Situation der Stadtbäume zu verbessern. © M. Recchiuti 41 4 · 2021 TR ANSFORMING CITIES THEMA Lebensraum Stadt Fabian Massing, M.Sc. Capital Project Delivery ERM GmbH Kontakt: fabian.massing@erm.com Massimo Recchiuti, B.Sc. Studierender Goethe-Universität Frankfurt am Main Kontakt: massimorecchiuti@gmail.com Dr. Indra Starke-Ottich Arbeitsgruppe Biotopkartierung Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Kontakt: indra.starke-ottich@senckenberg.de Pablo Ellermann, B. Sc. Sachgebiet Baummanagement Grünflächenamt der Stadt Frankfurt am Main Kontakt: pablo.ellermann@stadt-frankfurt.de Robert Kreißl Sachgebiet Baummanagement Grünflächenamt der Stadt Frankfurt am Main Kontakt: robert.kreissl@stadt-frankfurt.de Dipl.-Ing. (FH) Heinz-Peter Westphal Abteilung Grünflächenmanagement Grünflächenamt der Stadt Frankfurt am Main Kontakt: heinz-peter.westphal@stadt-frankfurt.de Prof. Dr. Georg Zizka Abteilung Botanik und Molekuare Evolutionsforschung Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum und Goethe-Universität Frankfurt am Main Kontakt: georg.zizka@senckenberg.de Bewertung der Baumstandorte sowie die Vitalitätseinschätzung nach Roloff [11] sind geeignet, geschädigte Stadtbäume und Baumstandorte mit besonders hohem Handlungsbedarf zu identifizieren. Damit können vorhandene Mittel gezielt eingesetzt werden, um den Bestand von Stadtbäumen zu sichern und zu fördern. Im Zentrum steht die optimale Gestaltung des Baumstandortes, insbesondere bezüglich Größe der Pflanzgrube und Größe und Schutz der Baumscheibe. In der immer stärker werdenden Flächenkonkurrenz in wachsenden Großstädten hat dieser Bedarf an unversiegelter Fläche bisher nicht die ausreichende Priorität. LITERATUR [1] Moser, A., Rötzer, T., Pauleit, S., Pretzsch, H.: Stadtbäume: Wachstum, Funktionen und Leistungen-Risiken und Forschungsperspektiven. Allg Forst-u J-Ztg, 188 (5/ 6), (2018) S. 94 - 111. [2] Massing, F.: Untersuchungen zu Standortbedingungen, Standortausbau und Zukunftstauglichkeit von Stadtbäumen zum Zweck der Entwicklung eines Konzeptes zur Standortverbesserung. 65 S., Masterarbeit, Goethe Universität, Frankfurt am Main, 2017. [3] Früh, B., Koßmann, M., Roos, M.: Frankfurt am Main im Klimawandel - Eine Untersuchung zur städtischen Wärmebelastung. Berichte des Deutschen Wetterdienstes 237: (2011) S. 1 - 68. [4] Stadt Frankfurt am Main: Geoportal Frankfurt. Baumkataster, 2021. URL: https: / / geoportal.frankfurt.de/ karte/ ? layerIds=55037,55033,55035,118,28& visibility=true,true,true,true,true&transparency=0,0 ,0,0,0&center=477500,5551000&zoomLevel=4 Zugriff 22.10.2021. [5] Dickhaut, W., Eschenbach, A. (Hrsg.): Entwicklungskonzept Stadtbäume. HafenCity Universität Hamburg, Hamburg, 2018. [6] Saha, S.: Stadtbäume im Stress. Earth System Knowledge Platform, 2019 [www.eskp.de], 6. doi: 10.2312/ eskp.019. Zugriff. 1.9.2021 [7] Stadt Frankfurt am Main: Klimaplanatlas 2016 für Frankfurt, 2016. URL: https: / / frankfurt.de/ themen/ klima-und-energie/ stadtklima/ klimaplanatlas Zugriff 22.10.2021 [8] Pedersen, L.B., Randrup, T. B., Ingerslev, M.: Effects of road distance and protective measures on deicing NaCl deposition and soil solution chemistry in planted median strips. Journal of Arcoriculture 26 (5): (2000) S. 238 - 245. [9] Bigge, K., Pöhler, D., Horbanski, M., Lampel, J. De Aguinaga, A., Platt, U.: Stickstoffdioxid-Messungen in 12 Städten 15.02.-17.03.2016. Abschlussbericht. 150 S., Greenpeace Deutschland, Hamburg, 2016. [10] Stadt Frankfurt am Main: Ausbaustandards für öffentliche Grünflächen und Straßenbegleitgrün. 7 S., 2000. Unveröffentlichtes Dokument. [11] Roloff, A.: Baumkronen. Verständnis und praktische Bedeutung eines komplexen Naturphänomens, 2001. 181 S. AUTOR*INNEN