Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0002
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Stresstests für Städte und Gemeinden
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Peter Jakubowski
Die schreckliche Naturkatastrophe im Juli 2021 hat uns als BBSR weit über den fachwissenschaftlichen Bezug hinaus getroffen. Kolleginnen und Kollegen, Familienangehörige sowie Freunde und Bekannte waren und sind im Ahrtal teils direkt betroffen oder indirekt über vielfältigste Hilfeleistungen eingebunden. Insofern ist der in diesem Beitrag skizzierte Vorschlag für eine schnelle Entwicklung und breite Einführung von Instrumenten zur Stärkung der Resilienz unserer Städte und Gemeinden ein Plädoyer zum Handeln, das eben nicht allein aus fachwissenschaftlicher Analyse heraus abgeleitet ist, sondern aus der Überzeugung heraus, dass konkrete Schritte nicht mehr auf sich warten lassen sollten. Dabei sollten im planerischen Kontext aber auch in konkreten Investitionsbereichen neue Wege in den Blick genommen und zum Teil auch auf Vorsorge ausgerichtete Prioritäten gesetzt werden. Viele weitere Entwicklungen im Jahr 2021 unterstreichen die Notwendigkeit einer wirksamen Resilienzpolitik für Deutschland: Der Zusammenbruch der angestrebten staatlichen Ordnung in Afghanistan, sich zum Teil zuspitzende geopolitische Konfrontationen zwischen dem noch so genannten Westen und Russland (akut) sowie China. Der klimapolitische Beschluss der EU-Kommission zur Einstellung der Produktion von Verbrennungsmotoren bis 2035, das Commitment Deutschlands, bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität zu erreichen, immense Gaspreissteigerungen und natürlich der weiterhin als ausgesprochen besorgniserregend einzustufende Verlauf der COVID-19-Pandemie, der nach Experteneinschätzung mit Blick auf die Omikron-Mutation auch den Betrieb kritischer Infrastrukturen beinträchtigen könnte. Wir müssen uns schnell und praxisorientiert bemühen, die Resilienz Deutschlands nicht zuletzt auf Ebene der Städte und Gemeinden zu analysieren und dort deutlich zu steigern, wo Defizite zu Tage treten. Ein wirksames Instrument können hier Stresstests für Städte und Gemeinden sein.
tc710004
4 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Agenda Stresstests für Städte und Gemeinden Ein Vorschlag zur breitenwirksamen Steigerung der Resilienz in Deutschland Peter Jakubowski Die schreckliche Naturkatastrophe im Juli 2021 hat uns als BBSR weit über den fachwissenschaftlichen Bezug hinaus getroffen. Kolleginnen und Kollegen, Familienangehörige sowie Freunde und Bekannte waren und sind im Ahrtal teils direkt betroffen oder indirekt über vielfältigste Hilfeleistungen eingebunden. Insofern ist der in diesem Beitrag skizzierte Vorschlag für eine schnelle Entwicklung und breite Einführung von Instrumenten zur Stärkung der Resilienz unserer Städte und Gemeinden ein Plädoyer zum Handeln, das eben nicht allein aus fachwissenschaftlicher Analyse heraus abgeleitet ist, sondern aus der Überzeugung heraus, dass konkrete Schritte nicht mehr auf sich warten lassen sollten. Dabei sollten im planerischen Kontext aber auch in konkreten Investitionsbereichen neue Wege in den Blick genommen und zum Teil auch auf Vorsorge ausgerichtete Prioritäten gesetzt werden. Viele weitere Entwicklungen im Jahr 2021 unterstreichen die Notwendigkeit einer wirksamen Resilienzpolitik für Deutschland: Der Zusammenbruch der angestrebten staatlichen Ordnung in Afghanistan, sich zum Teil zuspitzende geopolitische Konfrontationen zwischen dem noch so genannten Westen und Russland (akut) sowie China. Der klimapolitische Beschluss der EU-Kommission zur Einstellung der Produktion von Verbrennungsmotoren bis 2035, das Commitment Deutschlands, bis zum Jahr 2045 Klimaneutralität zu erreichen, immense Gaspreissteigerungen und natürlich der weiterhin als ausgesprochen besorgniserregend einzustufende Verlauf der COVID-19-Pandemie, der nach Experteneinschätzung mit Blick auf die Omikron-Mutation auch den Betrieb kritischer Infrastrukturen beinträchtigen könnte. Wir müssen uns schnell und praxisorientiert bemühen, die Resilienz Deutschlands nicht zuletzt auf Ebene der Städte und Gemeinden zu analysieren und dort deutlich zu steigern, wo Defizite zu Tage treten. Ein wirksames Instrument können hier Stresstests für Städte und Gemeinden sein. © Prawny auf Pixabay 5 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Agenda Stadtentwicklungspolitische Einordnung Städte haben sich - historisch gesehen - als außerordentlich resiliente Siedlungsformen erwiesen. Sie zeichnen sich neben einer großen Robustheit gegenüber externen Schocks und sich wandelnden Rahmenbedingungen auch dadurch aus, dass in ihnen immer wieder vielfältige Kräfte für Innovationen und Neuorientierungen bis hin zum Wiederaufbau mobilisiert wurden und werden. [1, 2] Allerdings zeigen nicht zuletzt die jüngeren Entwicklungen, dass urbane Resilienz [3, 4] kein Automatismus in der Stadtentwicklung ist. Vor dem Hintergrund der vielfach krisenhaften Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Städte und Gemeinden hat das seinerzeitige Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat im Herbst 2020 einen Expertenbeirat eingesetzt und damit beauftragt aufzuzeigen, mit welchen Ansätzen und Instrumenten Städte und Gemeinden zukunftsfähig und resilient (weiter-)entwickelt werden können. In einem intensiven und interdisziplinär aufgestellten Arbeitsprozess, der im Rahmen der Nationalen Stadtentwicklungspolitik umgesetzt wurde, ist das Memorandum „Urbane Resilienz - Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt“ entstanden. Es formuliert Handlungsempfehlungen und Schlussfolgerungen für die Stadtentwicklung. Das neue Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB) verfolgt das Ziel, das Memorandum in den nächsten Monaten mit Leben zu füllen und in den Städten und Gemeinden vor Ort umzusetzen. [5] Der Expertenrat hat insgesamt zehn Empfehlungen ausgearbeitet, die die Aufgaben der integrierten Stadtentwicklung in einen intensiven transformativen Kontext stellen [5, S. 3 ff.]. Man kann sie in der Summe als transformativen Imperativ für die Stadtentwicklungspolitik auffassen. Neben den seit längerem breiter diskutierten Fragen der integrierten Stadtentwicklung formuliert die erste Empfehlung des Expertenrates eine auch fachlich neue Entwicklungsaufgabe, der bislang nur eine geringe Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Unter der Überschrift „Strategie der urbanen Resilienz aufbauen“ heißt es: „Krisen und Katastrophen wie Klimawandel oder Pandemien zeigen uns, dass eine Strategie der urbanen Resilienz für Städte und Gemeinden mit folgenden drei Dimensionen erforderlich ist: eine robuste Stadtentwicklung, präventive Ansätze zur Risikovermeidung sowie eine Transformations- und Gestaltungsfähigkeit für Zukunftsthemen. Dies ist in Verbindung mit einem Risiko- und Krisenmanagement in allen Handlungsfeldern der integrierten Stadtentwicklung zu verankern.“ [5, S. 3] Genau an dieser Stelle kann und sollte ein Stresstest für Städte und Gemeinden ansetzen. Der Stresstest ist dabei als neues strategisches Instrument der integrierten Stadtentwicklung zu verstehen, das die bisherigen Instrumente der Stadtentwicklungsplanung erweitert und im Kontext der Risikovorsorge, die Instrumente und Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes [6], die ebenfalls gestärkt werden sollten, konsequent ergänzt. Aufbauend auf Vorüberlegungen auch des BBSR [7] könnte ein Stresstest, der vor jeder Beschlussfassung eines kommunalen Haushaltes auf der kommunalen Ebene durchgeführt wird, die strategische Lücke der integrierten Stadtentwicklungspolitik ausfüllen. Sofern es gelingt, diese Stresstests praxis- und handlungsorientiert weiter zu entwickeln, können sie zu einem breit wirkenden Instrument der Risikovorsorge in Deutschland werden. Warum? Ein solches Instrument nutzt alle Informationsvorteile der Kommunen im föderalen Kontext (konsequent dezentral). Stresstests sind ressortübergreifend und interdisziplinär ausgerichtet und können so Resilienz im Gesamtgefüge einer Kommune einordnen. Obligatorische kommunale Stresstests führen deutschlandweit zu einer systematischen und zielgerichteten Risiko-Kommunikation vor Ort; sie können auch zur wichtigen Einbindung der Bürgerinnen und Bürger beitragen. Kommunale Stresstests stellen eine unmittelbare Verbindung zu Entscheidungen über kommunale Investitionen her. Kommunale Stresstests sind in der Lage, systematische Fehlanreize zu reduzieren, die regelmäßig dazu führen, dass Vorsorgemaßnahmen zu gering ausfallen. Der Bund mit dem BBSR kann bei der praxisorientierten Weiterentwicklung der Methodik für kommunale Stresstests fachlich breit unterstützen. Nachfolgend werden erste fachliche Grundlagen skizziert, die die Idee eines Stresstests für Städte und Gemeinden umreißen. Fachliche Grundlagen für einen Stresstest für Städte [8, 9] Bereits 2018 hat ein Forschungskonsortium unter Führung der Universität Bonn zusammen mit kommunalen Praxispartnern im Auftrag des BSSR einen Prototyp für einen Stresstest für Städte und Gemeinden entwickelt, der auf dem Modell einer „funktionsfähigen Stadt“ fußt. Hierin werden die urbanen Grundfunktionen als Kerneigenschaften einer funktionsfähigen Stadt formuliert und durch Deskriptoren abgebildet, mit denen dann die 6 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Agenda zentralen Resilienzeigenschaften einer Stadt beschrieben werden können (Bild 1). Hierzu wurde die Heuristik der Resilienz [10, 11, 12] zu den zentralen Eigenschaften der Robustheit und der Anpassungsfähigkeit verdichtet. Diese Verdichtung erwies sich zum einen in der Zusammenarbeit mit kommunalen Praktikern als hinreichend klarer Weg zur Vermittlung des wissenschaftlich breit diskutierten Resilienz-Konzeptes. Zum anderen ermöglichte es einen Zugang zur empirischen Beschreibung der Resilienz einer Stadt oder Gemeinde. Die weitere Konkretisierung des Stresstests erfolgt durch einen multikriteriellen Ansatz, bei dem die Resilienzdimensionen „Robustheit“ und „Anpassungsfähigkeit“ durch ein breites Indikatorenset abgebildet werden (Bild 2). Eine weitere Grundlage für den Stresstest bildet die Einsicht, dass die Resilienz einer Stadt zunächst nicht pauschal, sondern erst gegenüber konkreten Risiken oder Stressen beurteilt werden kann. Der Prototyp des Stresstests ermöglicht die Bewertung von insgesamt acht ausgewählten Stressszenarien. Sie stellen mögliche, auf die Städte zukommende negative (Stress auslösende) Veränderungen dar, deren Auslöser nicht auf der kommunalen Ebene zu beeinflussen sind. Dabei wurden sowohl abrupt auftretende Stresse als auch schleichende negative Prozesse berücksichtigt. Diese Stressszenarien sind regelmäßig zu erweitern bzw. anzupassen. Dies ermöglicht es zumindest grundsätzlich, sich auf Stresse vorzubereiten, die im Rahmen der Fachdiskurse bereits bekannt und nach einer Abwägung vor Ort als relevant eingestuft werden. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die handhabbare Formulierung dieser Stressszenarien zum Teil deshalb herausfordernd ist, weil viele Risiken an sich vernetzt und vielfach interdependent sind. Nur wenn es gelingt, diese Stresse oder Risiken auf die konkrete kommunale Betroffenheit und Lösungsfähigkeit hin auszuformulieren, kann ein Stresstest hilfreiche Einschätzungen liefern. So wird es zum Beispiel noch nicht zielführend sein, die allgemeinen Risiken der zunehmenden Digitalisierung oder den Ausfall kritischer Infrastrukturen als Stress zu formulieren. Beide Bereiche wären in ihren Wirkungen auf die Stadt oder Gemeinde genauer zu beschreiben. Entsprechend führt die angemessene Beschreibung relevanter Stresse bereits zu ersten Erkenntnissen im Rahmen der Erarbeitung eines Stresstests. [8, S. 21 ff.] Für den Prototyp des Stresstests wurden auf Basis des Modells einer funktionsfähigen Stadt für jedes Stressszenario die jeweils signifikant betroffenen Deskriptoren identifiziert. Die Robustheit wurde dabei mit quantitativen Indikatoren der amtlichen Statistik erfasst und unter Berücksichtigung der Indikatorausprägungen aller deutschen kreisfreien Städte in fünf Stufen klassifiziert. Die Anpassungsfähigkeit wurde über die Beantwortung eines Fragebogens zu Konzepten, Strategien und organisatorisch-instituionellen Ansätzen zur Bewältigung der ausgewählten Stresssituationen eingeschätzt. Der Fragebogen wurde in den kommunalen Fachverwaltungen beantwortet, so dass hier eine Selbsteinschätzung der Kommune vorliegt. Die Auswertung des Fragebogens zur Einschätzung der Anpassungsfähigkeit mündet in die Einordnung der jeweiligen Antworten in eine ebenfalls fünfstufige Skala. Dies ermöglicht methodisch die Zusammenführung der beiden zentralen Resilienz-Komponenten „Robustheit“ und „Anpassungsfähigkeit“ unter anderem in der Resilienz- Matrix als wichtiger Baustein der Kommunikation der Ergebnisse des Stresstests. Der Prototyp für einen Stresstest besteht aus zwei zentralen Bausteinen: Wohnen Mobilität Versorgung Arbeiten Governance Umweltqualität Gesundheit Pandemie Dürre Mehrtägiger IT-Ausfall Gesellschaftliche Polarisierung Mehrtägiger Stomausfall Massive Außenzuwanderung Erhöhte Anzahl Tropennächte Gasmangellage Hochwasser Branchenkrise Bild 1: Modell einer funktionsfähigen Stadt. © Jakubowski, in Anlehnung an BBSR (Hrsg.) (2018), S. 19. Bild 2: Ausgewählte Stresskonstellationen für eine strategische Resilienz-Analyse. © Jakubowski 7 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Agenda 1. Eine Datenbank, mit der die Robustheit über quantitative Indikatoren bestimmt wird. 2. Ein Fragebogen zur Anpassungsfähigkeit. Dieses qualitative Bewertungstool wurde in der Pilotphase erprobt und validiert und kann in weiteren Städten zur Anwendung kommen. Die verwendete Berechnungsmethodik liefert relative Robustheits- und Anpassungsfähigkeitsmaße. Relativ bedeutet hierbei, dass höhere Werte der Indizes eine höhere Resilienz im Vergleich zu Städten mit niedrigeren Werten anzeigen. Eine absolute Aussage zur Resilienz ist nicht möglich, da keine technologischen oder gesetzlichen Grenzwerte der Indikatoren in Bezug auf die Stressszenarien vorliegen, die etwa eine Abweichungsanalyse ermöglichen. Für die Pilotanwendung wurden für jede kreisfreie Stadt in Deutschland und für jedes Stressszenario die einzelnen Indikatoren mit ihrer Einordnung in die fünfstufige Skala sowie die Zusammenfassung der Robustheit auf Ebene der Deskriptoren sowie der Szenarien berechnet. Über die Auswertung des Fragebogens kann die Resilienzdimension Robustheit um die Dimension der Anpassungsfähigkeit ergänzt werden. Aus dieser Zusammenführung ergibt sich die Resilienz. Die Ergebnisse zu den Resilienzdimensionen Anpassungsfähigkeit und Robustheit werden für jede Stadt in Form von Resilienzprofilen aufbereitet. Neben dem Überblick zu allen Stressszenarien enthält das Resilienzprofil detaillierte Ergebnisdarstellungen für jedes Szenario. Daran kann die Robustheit und Anpassungsfähigkeit der jeweils betroffenen Deskriptoren abgelesen werden. So ermöglicht die Abbildung der Robustheit (Bild- 3) die Einordnung in das Spektrum der kreisfreien Städte in Deutschland. Die zu bewertende Stadt wird als schwarze Raute dargestellt. Es kann abgelesen werden, wieviel Prozent aller Städte eine bessere bzw. schlechtere Bewertung der Robustheit in einem bestimmten Stressszenario und den jeweils betroffenen Deskriptoren aufweisen. Die beispielhafte Einordnung der Stadt bei 20 % bedeutet, dass 1/ 5 der Städte eine geringere und 4/ 5 der Städte gegenüber dem betrachteten Stress eine höhere Robustheit aufweisen. Um die Transparenz zu erhöhen, werden alle genutzten Indikatoren auch tabellarisch mit Referenzwerten zur Einordnung im Spektrum der kreisfreien Städte angezeigt. Diese Resilienzprofile sind als Ergebnis verwaltungsinterner Diskussionsprozesse zu verstehen und sollen im eigenen Ermessen der Städte intern weiterverwendet werden. [8, S. 37] Die Profile ermöglichen den Städten somit eine Selbstevaluierung mit einer mehrdimensionalen Auswertung ihrer Resilienzeigenschaften. Mit diesem Wissen können Handlungsbedarfe abgeleitet und Maßnahmen zur Verbesserung der Situation zielgerichtet entwickelt und durchgeführt werden. Die Resilienzprofile liefern mit Diagrammen, Tabellen sowie textlichen Erläuterungen transparente Informationen und konsistente Aussagen über die Resilienz einer Stadt. Ein bedeutendes Darstellungselement für die strategische Kommunikation der Resultate des Stresstests ist die Resilienzmatrix, in der auf der Horizontalen das Ergebnis der Robustheit und auf der Vertikalen die Anpassungsfähigkeit abgetragen ist (Bild 4). Aus der Resilienzmatrix kann so die Resilienz einer Stadt gegenüber Stressen abgelesen werden. Über die Farbgebung können Ergebnisse, die im rot-orangen Quadranten liegen als problematische Bereiche rasch identifiziert werden. Umgekehrt zeigt die blaue Farbgebung eine hohe bis sehr hohe Resilienz an. Sind nur Robustheit oder Anpassungsfähigkeit als hoch zu bewerten, während die andere Dimension eine schlechtere Bewertung aufweist, erscheint die Bewertung des Stressszenarios im mittleren gelben Farbspektrum. In der Praxis empfiehlt es sich, zur Durchführung eines Stresstests eine Projektgruppe zu bilden, die mit den relevanten kommunalen Fachämtern und sehr gering gering mittel hoch sehr hoch Musterstadt Verteilung der kreisfreien Städte nach der Robustheit Robustheit Deskriptor 1 Deskriptor 2 0% 20% 40% 60% 80% 100% Bild 3: Robustheit einer Musterstadt gegenüber einem Stressszenario. © BBSR (Hrsg.) (2018), S. 37. sehr gering gering mittel hoch sehr hoch Robustheit Anpassungsfähigkeit Pandemie Starkregen Thermische Belastung Mehrtägiger Stromausfall Außenzuwanderung Gesellschaftliche Polarisierung Bevölkerungsrückgang Bild 4: Resilienzmatrix mit exemplarischen Stressfaktoren. © Jakubowski, in Anlehnung an BBSR (Hrsg.) (2018): S. 38 8 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Agenda möglicherweise weiteren Akteuren besetzt ist. Sie muss methodische Fragen ebenso klären wie die zu verwendenden Informationen, Daten und Indikatoren. Zur Selbsteinschätzung fiele auch die Befragung in die Zuständigkeit dieser Projektgruppe. Die Ergebnisse der Analyse und die ausgewerteten Befragungen liefern die Basis für kommunale Workshops und die Diskussion zur Resilienz der Stadt. Aus den Pilotstädten, die das Forschungsvorhaben zum „Stresstest Stadt“ aktiv begleitet haben, gab es eine Menge ermunterndes Feedback: Ein pragmatischer Selbsttest kann aufbauend auf den skizzierten Vorarbeiten ein wichtiges Element städtischer Planung werden. Verantwortliche in einer Kommune sollten daher neben ihren bisherigen Alltagsaufgaben wieder stärker die Risiken für die Entwicklung ihrer Stadt anerkennen - und zum Beispiel mithilfe eines systematischen Stresstests analysieren. [9, S. 48] Ausblick Mit dem Memorandum für Urbane Resilienz hat der Bund ein Bündel von Empfehlungen vorgeschlagen, mit denen die Stadtentwicklungspolitik Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Resilienz unterstützen kann. Das hier vorgestellte prototypische Instrument eines Stresstests für Städte kann durchaus die aktuell noch bestehende strategische Lücke der integrierten Stadtentwicklung füllen: Stresstests sind ganzheitlich ausgerichtet und nehmen die Informationsvorteile der Städte und Gemeinden auf, weil sie als Hilfestellung für eine Selbsteinschätzung auf kommunaler Ebene konzipiert sind. Der Stresstest kann und will keine fachlichen Detailanalysen zu den adressierten Themenbereichen und Stresskonstellationen ersetzen. Er ist gewissermaßen als Einstieg für zwingend notwendige vertiefende und fokussierte Untersuchungen in den Städten zu verstehen. Das BBSR wird die Idee in 2022 zusammen mit dem neuen Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen weiterentwickeln. Mit Blick auf den schnellen Handlungsbedarf wird es dabei um eine Weiterentwicklung der ersten prototypischen Ideen und einen breiteren Praxistest gehen. Unabhängig von dieser Ausrichtung ist es von großer Bedeutung, dass sich der Fachdiskurs in Deutschland und Europa weiter intensiviert, um die bestehende Resilienz-Lücke in der praktischen Stadtentwicklung möglichst schnell schließen zu können. Genau in diesen Kontext ist auch das Engagement des BBSR zur Etablierung von Stresstests für Städte und Gemeinden einzuordnen. LITERATUR: [1] Schott, D.: Katastrophen, Krisen und städtische Resilienz: Blicke in die Stadtgeschichte. Informationen zur Raumentwicklung, (2013) S. 297 - 307. [2] Vale, L. J., Campanella, T. J. (Hrsg.): The Resilient City, How modern cities recover from desaster, Oxford u. a. O., 2005. [3] Jakubowski, P.: Resilienz - Eine zusätzliche Denkfigur für gute Stadtentwicklung. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4 (2013) S. 371 - 378. [4] Jakubowski, P.: Resilienz - brauchen wir nach dem Corona-Schock neue Leitbilder für die Stadtentwicklung? In: Informationen zur Raumetwicklung (IzR), Bonn, Heft 4 (2020), S. 16 - 29. [5] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Memorandum urbane Resilienz: Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt, 2021. Internet: https: / / www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de/ NSPWeb/ SharedDocs/ Blogeintraege/ DE/ memorandum_urbane_resilienz.html [6] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen, Bonn, 2019. [7] BBSR (Hrsg.): Stresstest Stadt - Mit neuen Risiken planen und leben lernen, 2018. Internet: https: / / www. bbsr.bund.de/ BBSR / DE/ forschung/ programme/ exwost/ Studien/ 2014/ StresstestStadt/ 01-start.html [8] BBSR (Hrsg.): Stresstest Stadt - Wie resilient sind unsere Städte? Unsicherheiten der Stadtentwicklung identifizieren, analysieren und bewerten, Sonderveröffentlichung, Bonn, 2018. [9] Jakubowski, P., Kötter Th., Weiß, D.: Urbane Resilienz auf dem Prüfstand - eine Anleitung für die Praxis der Stadtentwicklung, in: RaumPlanung; Heft 1 (2019), S. 8 - 14. [10] Zolli, A., Healy, A. M.: Resilience - Why things Bounce Back, London, 2012. [11] Jakubowski, P.: Resilienz als neues Leitbild gesellschaftlicher Entwicklung? , in: Pies, I. (Hrsg.): Das weite Feld der Ökonomik, In: Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft, Band 98, Stuttgart, 2013. [12] Kegler, H.: Resilienz - Strategien & Perspektiven für die widerstandsfähige und lernende Stadt, in: Bauwelt Fundamente Bd.152, Birkhäuser Berlin, 2014. Dr. Peter Jakubowski Leiter der Abteilung Raum- und Stadtentwicklung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Kontakt: Peter.Jakubowski@BBR.Bund.de AUTOR