eJournals Transforming cities 7/1

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0012
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Third Places

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Antje Flade
Der Frage wird nachgegangen, welche psychologische Bedeutung der reale öffentliche Raum in der westlichen Gesellschaft gegenwärtig hat. Er bietet Erfahrungen mit allen Sinnen und ermöglicht direkte soziale Begegnungen. Vor allem die im öffentlichen Raum gelegenen „Third Places“ tragen dazu bei, dass Menschen ihre sozialen Bedürfnisse nach Kontakt, Kommunikation und Zugehörigkeit befriedigen können. Aus diesem Grunde sind die dritten Orte ein unverzichtbarer Teil des Lebensraums der Menschen.
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34 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Worum geht es, wenn von „Third Places“ bzw. „dritten Orten“ die Rede ist? Und warum sind diese Orte nicht nur erwähnenswert, sondern sogar sehr wichtig? Dritte Orte tragen zur Lebensqualität bei. Dennoch graten sie leicht aus dem Blick, wenn wegen der immer wieder beklagten Wohnungsknappheit alle Anstrengungen darauf gerichtet sind, erst einmal möglichst rasch viele Wohnungen zu produzieren. Doch zum Lebensraum gehören auch Wohnumgebungen und öffentliche Räume, in denen die Menschen unterwegs sind, um verschiedene Zielorte zu erreichen, und in denen sie mit anderen Menschen zusammen treffen. Es sind gerade die öffentlichen Plätze, die einer Stadt Ausstrahlung und urbane Identität verleihen. Hinzu kommt: Die „Visitabilität“ (visitability) [1] wird durch sie erhöht. Eine solche Stadt zieht Touristen an. Das Konzept Third Places sind Orte im öffentlichen Raum. Der Begriff wurde vor vier Jahrzehnten von Ray Oldenburg und Dennis Brissett geprägt. Mit der Nummerierung „third“ wird eine Reihenfolge zum Ausdruck gebracht. Es gibt First Places, die dem Wohnen dienen, Third Places Orte im öffentlichen Raum Third Places, dritte Orte, soziale Bedürfnisse, gesellschaftliche Teilhabe, Treffpunkte Antje Flade Der Frage wird nachgegangen, welche psychologische Bedeutung der reale öffentliche Raum in der westlichen Gesellschaft gegenwärtig hat. Er bietet Erfahrungen mit allen Sinnen und ermöglicht direkte soziale Begegnungen. Vor allem die im öffentlichen Raum gelegenen „Third Places“ tragen dazu bei, dass Menschen ihre sozialen Bedürfnisse nach Kontakt, Kommunikation und Zugehörigkeit befriedigen können. Aus diesem Grunde sind die dritten Orte ein unverzichtbarer Teil des Lebensraums der Menschen. Bild 1: Sitzgelegenheiten. © A. Flade 35 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität und Second Places, die Lern- und Arbeitsorte. Die dritten Orte sind frei von Pflichten, sie werden in der Freizeit aufgesucht. Sie sind für das Wohlbefinden und die Lebensqualität von enormer Bedeutung, denn die Funktion der dritten Orte ist, einen Ausgleich zu den familiären und beruflichen Tätigkeiten und alltäglichen Belastungen zu schaffen und zugleich ein soziales Leben jenseits der ersten und zweiten Orte zu ermöglichen [2]. Gemeint sind hier keine fernen Urlaubsziele, sondern ohne größeren Zeitaufwand leicht zu erreichende Orte in nahegelegenen öffentlichen Räumen. Es sind Orte, „where people may gather freely and frequently and with relative ease“ [3]. Third Places sind keine exklusiven Orte. Sie schließen niemanden aus. Es sind Orte, deren Atmosphäre als angenehm, anregend und in keiner Weise als dominant und einschüchternd erlebt wird. Es ist ein Gesamteindruck, ein Angemutetwerden. Orte wirken zum Beispiel nüchtern und sachlich oder behaglich und anheimelnd oder auch kalt und abweisend, bedrohlich und bedrückend [4]. Die gefühlsmäßige Reaktion auf einen Ort ist entscheidend, denn ein positiver „emotional response“ bewirkt, dass man gern an dem Ort verweilt und immer wieder gern dort hin geht. Löst ein Ort dagegen negative Gefühle aus, wird man diesen künftig meiden oder versuchen zu vermeiden [5]. Third Places sind Orte, an denen man den Alltag mit seinen alltäglichen Routinen und beruflichen Anforderungen für kurze Zeit hinter sich lässt. Typische Third Places sind Gartenlokale, kleine Läden, Pubs, Bistros, Tavernen und Cafes bzw. Kaffeehäuser [6]. Man trifft dort sowohl Bekannte als auch bislang noch Unbekannte und kann dort die sozialen Bedürfnisse nach Kontakt und Kommunikation auf unkomplizierte Weise befriedigen. Das Gefühl, dazuzugehören und teilzuhaben, fördert das Wohlbefinden [7]. Man kommuniziert Face-to-Face, was in einer digitalisierten Gesellschaft schon fast die Ausnahme ist [8]. Und schließlich sind Third Places Zielorte, die zum Zufußgehen motivieren. Die typischen Merkmale dritter Orte sind in Tabelle- 1 aufgelistet. Der dritte Ort ist ein „gathering place“. Man trifft auf andere Menschen, man kann miteinander reden oder auch einfach nur dort sein, wo auch andere Menschen sind und man nicht allein auf weiter Flur ist. Es müssen nicht sämtliche Merkmale vorhanden sein, um einen Ort in einen Third Place zu verwandeln, aber nur ein Merkmal allein reicht ebenfalls nicht aus. So sind Sitzgelegenheiten zwar sehr wichtig, doch allein machen sie einen Ort noch nicht automatisch zu einem Third Place. Sie gehören jedoch dazu. Sie laden zum Verweilen ein (Bild 1). Die Unverwechselbarkeit dritter Orte war für Oldenburg ein wichtiges Kriterium gewesen, das Orte ausschließt, die man auf den ersten Blick für Third Places halten könnte. „Officials of a popular coffeehouse chain often claim that their establishments are third places, but they aren’t“ [6]. Hier gehen die Ansichten jedoch auseinander. So gab es für Broadway und Engelhardt keinen Zweifel daran, dass es sich bei den in ihrer Fallstudie untersuchten Starbucks-Kaffeehäusern um Third Places gehandelt hat. Und es sind auch nicht alle Third Places schlicht gehalten. So sind manche Kaffeehäuser elegant und mit üppigem Dekor versehen und alles andere als schlicht und bescheiden. Die Unterschiedlichkeit der dritten Orte bewirkt, dass sich auch das Verhalten unterscheidet. So zeigen die Beobachtungen von Broadway und Engelhardt, dass die Anwesenden weniger miteinander reden, wenn ein Cafe wie eine nüchterne Cafeteria in einem Bürogebäude aussieht, während eine wohnlichere Atmosphäre die Kommunikation fördert [7]. Und ob ein Wechsel zwischen drinnen und draußen möglich ist, hängt von den baulichen Merkmalen und vorhandenen Räumlichkeiten ab. Ausblicke nach draußen sind ein angedeuteter Wechsel. Wenn der Third Place ein reiner Außenraum ist, entfällt das Merkmal „Durchlässigkeit“, ohne dass in Zweifel steht, ob es sich um einen dritten Ort handelt (Bild-2). Neben ihrer psychologischen Bedeutung maß Oldenburg den Third Places auch eine gesellschaftliche Bedeutung zu. Er sah in ihnen „focal points of community life“. Er ging so weit, von Schneckenhäusern zu reden, in die sich die Menschen zurückziehen würden, wenn es solche Orte nicht gäbe: „We are, after all, social animals. We are an associating Typische Merkmale von Third Places [9]  Es sind „gathering places“.  Sie sind für alle zugänglich und schließen niemanden aus.  Es gibt ringsum keinen oder kaum Autoverkehr.  Sie sind unverwechselbar.  Es gibt Sitzgelegenheiten.  Im Außenbereich gibt es Überdachungen, die vor zuviel Sonne oder Regen schützen.  Ein unkomplizierter Wechsel zwischen drinnen und draußen ist möglich.  Sie sind nicht weit weg, man erreicht sie zu Fuß.  Es sind kleinräumige Orte.  Sie sind eher schlicht gehalten als gestylt. Tabelle 1: Dritte Orte und ihre typischen Merkmale. 36 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität species whose nature is to share space just as we share experiences ... A habitat that discourages association, one in which people withdraw to privacy as turtles into their shells, denies community“ [6]. Oldenburg hatte die Situation in den Städten Nordamerikas der 1990er Jahre vor Augen gehabt. Er sah die Third Places verschwinden. Diesen Verlust führte er auf eine verfehlte Stadtplanung zurück, die monofunktionale statt anregende multifunktionale Orte hervorbringt, sowie auf eine Verkehrs- und Raumplanung, die den Autoverkehr zu sehr priorisiert, was eine Sub- und Exurbanisierung zur Folge hatte. Doch es ist nicht eingetreten, was Oldenburg befürchtet hatte, dass nämlich der städtische öffentliche Raum total verödete, und die Third Places überflüssig geworden sind. Dass die Beliebtheit der dritten Orte eher noch zugenommen hat, haben Broadway und Engelhardt in ihrer Untersuchung von Kaffeehäusern in Minneapolis nachgewiesen. Es sind, zumindest in den Städten, in denen sie ihre Beobachtungen durchgeführt haben, stark frequentierte Orte. Littman hat auf einen Aspekt aufmerksam gemacht, der oft übersehen wird. Die Konzeption von Lebensräumen, in denen es räumlich voneinander getrennte erste und zweite sowie dritte Orte gibt, zwischen denen sich die Menschen frei bewegen können, passt nicht für alle, insbesondere nicht für das Klientel, mit dem die sozialen Dienste zu tun haben. Dazu sind ältere Menschen, deren Beweglichkeit stark eingeschränkt ist, sowie des Weiteren Obdachlose und Inhaftierte zu rechnen. „Individuals whose lives are constrained for any number of reasons do not have this same freedom. Their places are thus „collapsed“ - perhaps geographically so, or perhaps their mobility limitations constrain free movement“ [10]. Littman hat das Collapsed Place- Modell vorgestellt, in dem die ersten, zweiten und dritten Orte zusammenfallen. Ihr Modell liefert eine theoretische Ausgangsbasis für die Konzeption einer ortsorientierten Sozialarbeit. Empirische Befunde Werden die anhand einer Reihe von Merkmalen beschriebenen Third Places überhaupt als soziale Orte erlebt? Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen sprechen dafür. Metha und Bosson haben insgesamt 19 Straßenblöcke in drei Geschäftsstraßen (Main Streets) in Städten in Massachusetts ausgewählt und dort insgesamt 51 Personen danach befragt, welche Orte in den betreffenden Blöcken sie kennen und welche Bedeutung diese für sie haben [9]. Von den insgesamt 120 genannten Orten, darunter Apotheken, Schuhgeschäfte usw., wurden 17 Orte aufgrund der Aussagen:  der Aufenthalt ist angenehm und anregend, so dass man gern dort verweilt,  man trifft Bekannte und lernt neue Leute kennen,  man kann etwas trinken und essen, ohne dass es viel kostet,  der Ort ist gut zu erreichen, als Third Places klassifiziert. Der gefühlsmäßige Eindruck, dass der Aufenthalt an diesen Orten angenehm und anregend ist, und dass es ein Treffpunkt ist, stimmt mit den Beschreibungen des Konzepts überein. Dass man dort auch preiswert essen und etwas trinken kann, trägt zum lustvollen Erleben bei. Abdulkarim und Nasar untersuchten keine realen Orte, sondern führten ein klassisches Experiment durch, in dem 60 Versuchspersonen Fotos von Plätzen dargeboten bekamen [1]. Auf den Fotos wurden bestimmte Merkmale wie beispielsweise Sitzgelegenheiten durch Hinzufügen oder Weglassen systematisch variiert. Zu jedem Bild sollten die Versuchspersonen Stellung zu vier Aussagen nehmen:  Ich würde einen Umweg machen, um diesen Ort zu besuchen und dort Zeit zu verbringen.  Ich würde an diesem Ort anhalten, wenn ich zufällig vorbeikomme.  Das ist ein Ort, um sich mit einem Freund oder einer Freundin zu treffen.  Ich würde diesen Ort oft aufsuchen. Jede Aussage sollte auf einer Skala von 0 (stimmt gar nicht) bis 10 (stimmt vollkommen) beurteilt werden. Zu jedem Bild wurde dann ein Gesamtwert, der Perceived Visitability Score, ermittelt. Deutlich erkennbar war, dass vor allem Sitzgelegenheiten einen Ort besuchenswert machen. Das Ergebnis leuchtet ein, denn wenn man an einem Ort verweilen möchte, sind Sitzgelegenheiten natürlich willkommen. Bild 2: Third Place im Außenraum mit Überdachung. © A. Flade 37 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Broadway und Engelhardt haben sich in ihrer Untersuchung mit Kaffeehäusern als Third Places befasst [7]. Ihrer Beobachtung nach sind diese in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Abgesehen davon, dass Oldenburg eher ein Verschwinden der Kaffeehäuser vermutet hatte, was er auf die Motorisierung zurückführte, würde man im Zeitalter der sozialen Medien, in dem die Menschen lieber texten als reden, die hohen Besucherzahlen nicht unbedingt erwarten. Doch offensichtlich reicht eine Online-Kommunikation nicht aus, um die sozialen Bedürfnisse zu befriedigen. Zusammensein mit anderen Menschen ist ein Grundbedürfnis. Wie die Forscher feststellten, hängt die Lebendigkeit der Kommunikation jedoch von der Atmosphäre des Ortes ab. Ein Kaffeehaus mit heimeligem Ambiente fördert den sozialen Austausch. Ähnelt dessen Ambiente dagegen eher einem nüchternen Büroraum, wird weniger kommuniziert. Vom Design der dritten Orte hängt es ab, wie ausgiebig sozial interagiert wird. Schlussbemerkungen Empirische Forschungsergebnisse bestätigen, dass die Beschreibung von dritten Orten anhand objektiver Merkmale mit deren Erleben als sozialen Orten korrespondiert. Die in Tabelle 1 aufgelisteten Merkmale sind damit eine Ausgangsbasis für die Gestaltung dritter Orte in öffentlichen Räumen. Es ist ein lohnendes Unterfangen, mit dem zweierlei erreicht wird: Es werden Orte geschaffen, wo Menschen ihre sozialen Bedürfnisse befriedigen können. Zugleich wird die „Visitabilität“ der Stadt gesteigert. Sie wird für Touristen attraktiv. Wenn in großer Zahl Wohnungen gebaut werden, geht es vor allem um eine Vergrößerung des Angebots an First Places. Second Places wie Schulen und Büros, die gut erreichbar sein sollen und zu denen man auch ohne Auto gelangen kann, sind eine Aufgabe der Stadt- und Infrastrukturplanung. Doch auch Third Places sind, was die Lebensqualität betrifft, ein wichtiger Bestandteil des Lebensraums. Anzunehmen ist, dass sie in einer digitalisierten Welt, in der zunehmend online kommuniziert wird, immer wichtiger werden, denn sie sind die verbleibenden Orte, die unkomplizierte Face-to-Face Begegnungen ermöglichen [8]. Abschließend sei noch auf ein derzeit höchst aktuelles Thema, nämlich das Home Office, hingewiesen. Im Home Office ist die räumliche Trennung zwischen First und Second Place aufgehoben. Durch Verlagerung des Arbeitsplatzes in die Wohnung sollen direkte Kontakte so weit wie möglich minimiert werden, um die sich ausbreitende Pandemie zu stoppen. Die Vorgabe, soziale Kontakte zu vermeiden, hat direkte Auswirkungen auf die dritten Orte. Denn Third Places sind Orte, an denen sich Menschen begegnen und miteinander Kontakt aufnehmen. Sie veröden, wenn Kontakte unterbleiben sollen. Ein auf das Home Office zusammengeschrumpfter Lebensraum verliert an Lebensqualität. Dabei wären soziale Orte gerade in Krisenzeiten besonders wichtig. LITERATUR [1] Abdulkarim, D., Nasar, J. L.: Do seats, food vendors, and sculptures improve plaza visitability? Environment and Behavior, 46 (2014), S. 805 - 825. [2] Oldenburg, R., Brissett, D.: The third space. Qualitative Sociology, 5, (1982) S. 265-284. [3] Oldenburg, R.: Celebrating the third place. Inspiring stories about the „Great Good Places” at the heart of our communities. New York: Marlowe, (2001) S. 2. [4] Kruse, L.: Raum und Bewegung. In: Kruse, L., Graumann, C. F., Lantermann, E. D. (Hrsg.): Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen (1996) S. 313 - 324). Weinheim: Psychologie Verlags Union. [5] Russell, J. A., Snodgrass, J.: Emotion and the environment. In: Stokols, D., Altman, I. (Hrsg.): Handbook of environmental psychology. Bd. 1, (1987) S. 245 - 280). New York: Wiley. [6] Oldenburg, R.: The great good place: Cafes, coffee shops, bookstores, bars, hair salons, and other hangouts at the heart of a community. Cambridge, (1999) MA: Da Capo Press, S. 3; S. 203. [7] Broadway, M. J., Engelhardt, O.: Designing places to be alone or together: A look at independently owned Minneapolis coffeehouses. Space and Culture, 24 (2) (2021), S. 310 - 327. [8] Flade, A.: Third places - Reale Inseln in der virtuellen Welt. Wiesbaden: Springer. 2016. [9] Metha, V., Bosson, J. K.: Third places and the social life of streets. Environment and Behavior, 42 (2010) S. 779 - 805. [10] Littman, D. M.: Third place theory and social work: Considering collapsed places. Journal of Social Work, 21 (5), (2021) S. 1225. Dr. Antje Flade Diplom-Psychologin Angewandte Wohn- und Mobilitätsforschung (AWMF), Hamburg Kontakt: awmf-hh@web.de AUTORIN