Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0014
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Enerige, die Menschen bewegt
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Fabian Gierl
Jan Vorkötter
Das planerische Leitbild einer autogerechten Stadt aus den 1960er und 1970er-Jahren spiegelt sich bis heute in unseren Metropolen wider. Mehrspurige Hauptverkehrsstraßen, fehlende Fahrradspuren, mangelnde Parkplätze und viel zu schmale Fußwege führen in großen Städten fast täglich zum Verkehrschaos. Das Ergebnis: lange Staus, Luftverschmutzung sowie unzufriedene Pendler und Einwohner. Trotz der Versuche verschiedener Städte, wie zum Beispiel Berlin mit seiner Radverkehrsstrategie oder Stuttgart mit dem strategischen Fußgängerkonzept, lassen sich diese gewachsenen urbanen Strukturen nur langsam verändern. Ist also eine echte Energie- und Mobilitätswende nur auf Halbgas möglich?
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42 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Zumindest in der Theorie sind Lösungen bekannt, um das Verkehrssystem energieärmer und klimafreundlicher zu gestalten: Experten sprechen von einem sogenannten Avoid-Shift-Improve-Modell. Es umfasst drei Handlungsschritte, um den ökologischen Fußbzw. Reifenabdruck des Verkehrssektors zu reduzieren: den Verkehr zu vermeiden durch eine Reduzierung der Mobilitätsbedürfnisse, den Verkehr zu verlagern auf umweltschonende Verkehrsträger und schließlich den Verkehr zu verbessern durch Einsatz effizienter Antriebstechnologien. Die gemeinhin einfachste und wirtschaftlichste Maßnahme ist, Verkehr bzw. Mobilität zu reduzieren. Wer sich weniger automobil bewegt, benötigt auch weniger fossile Energie. So gilt es, Mobilität von ihren Anlässen her zu denken und Verkehr gar nicht erst entstehen zu lassen. Das ist zum einen mit Städten der kurzen Wege möglich. Dafür braucht es gemischt genutzte Quartiere, die ihren Einwohnern Wohn-, Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten bieten. Zum anderen müssen Arbeitgeber auch nach der Corona-Pandemie die Vorteile des mobilen Arbeitens nutzen und die digitalen Kommunikations- und Kollaborationssysteme dort einsetzen, wo sie unnötige Dienstreisen vermeiden. Allerdings ist dieser Hebel endlich: Denn völliger Stillstand ist selbst in der Stadt der kurzen Wege weder eine realistische noch eine lebenswerte Option. Und persönliche Kontakte in Büros und auf Messen können auf Dauer nicht gleichwertig im virtuellen Raum stattfinden. Energie, die Menschen bewegt Urbane Mobilität, Verkehrwende, ÖPNV, Elektrofahrzeuge, alternative Kraftstoffe Fabian Gierl, Jan Vorkötter Das planerische Leitbild einer autogerechten Stadt aus den 1960er und 1970er-Jahren spiegelt sich bis heute in unseren Metropolen wider. Mehrspurige Hauptverkehrsstraßen, fehlende Fahrradspuren, mangelnde Parkplätze und viel zu schmale Fußwege führen in großen Städten fast täglich zum Verkehrschaos. Das Ergebnis: lange Staus, Luftverschmutzung sowie unzufriedene Pendler und Einwohner. Trotz der Versuche verschiedener Städte, wie zum Beispiel Berlin mit seiner Radverkehrsstrategie oder Stuttgart mit dem strategischen Fußgängerkonzept, lassen sich diese gewachsenen urbanen Strukturen nur langsam verändern. Ist also eine echte Energie- und Mobilitätswende nur auf Halbgas möglich? © pheat rukkatarakul auf Pixabay 43 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Straßenbahn und Stadtbus statt SUV So gilt es im zweiten Schritt den Verkehr auf alternative Verkehrsträger zu verlagern. Im besten Fall steigt also, wer heute den SUV nutzt, morgen auf die Straßenbahn um. Weithin bekannt ist aber auch, dass dieser Schritt für viele kein leichter ist. Es braucht umso attraktivere Alternativen. Für diejenigen, die auf ein Auto nicht verzichten können oder wollen, bietet sich Carsharing als umweltschonendere Alternative an. Der Flächenverbrauch eines PKW beträgt das Fünfbis Zehnfache gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln. Das sind Flächen, die sich bei einer guten Planung für viel sinnvollere Zwecke nutzen und die Innenstädte für Besucher und Bewohner attraktiver gestalten lassen. Doch es gibt noch weiter Luft nach oben: Um die Energie- und Verkehrswende wirklich voranzubringen, gilt es klimafreundliche Technologien einzusetzen. Und so sollten in Zukunft alle Verkehrsmittel mit regenerativen Energien angetrieben werden. Wasserstoffbetriebene Busse und Elektroautos sind dafür schon heute gute Beispiele. Vor allem bei Letzteren zeichnet sich eine positive Entwicklung ab: In den vergangenen Jahren ist die Elektrifizierung der Fahrzeugantriebe zum großen Trend geworden, der den Markt erobert. Auch die Ladeinfrastruktur wächst und wird zum Teil beim Bau von neuen Gebäuden und Quartieren schon mitgedacht. Derzeit nehmen elektrisch aufladbare Fahrzeuge, Hybridfahrzeuge und reine Elektroautos in Deutschland noch einen Anteil von 15 Prozent bei Neuzulassungen ein. Die Tendenz ist aber steigend. Förderprogramme des Bundes und EU-Richtlinien zur Erreichung der Klimaschutzziele wirken beschleunigend auf diesen Trend ein: Bis Ende des Jahrzehnts wird mit über zehn Mio. E-Fahrzeugen auf deutschen Straßen gerechnet. Aktuell sind über eine Mio. E-Fahrzeuge zugelassen. Das Elektroauto ist aber nur dann ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch der Strom aus der Ladesäule und die Energie für die Produktionsstätte klimafreundlich erzeugt werden. Leider bleibt derzeit der Anteil an erneuerbaren Energien im Energienetz mangels Speicherkapazitäten begrenzt. Energie aus regenerativen Quellen muss oftmals bei Spannungsspitzen vom Netz genommen werden - fossile Energien bleiben hingegen angebunden. Dabei wäre bilanziell gesehen bereits heute ein deutlich grünerer Energiemix möglich. Die parkenden Vehikel müssen zukünftig als dezentrale Energiespeicher einen Beitrag leisten und könnten durch die intelligente Netzanbindung über Smart Grids sogar zur Netzstabilität beitragen. Wasserstoff schließt Lücken im System Um die doppelte Transformation zu schaffen, braucht es also die Kopplung beider Sektoren. Für einen reibungslosen und damit energieeffizienten Übergang müssen verschiedene Technologiepfade eingeschlagen werden. So gilt neben batterieelektrischen Antrieben der klimafreundlich hergestellte Innovativ, energieautark, nachhaltig - das sind einige der vielen Eigenschaften der neuen Tank- und Rastanlage im bayerischen Fürholzen. Denn erstmals verfügt sie über alle modernen Tanksysteme der Zukunft. Neben den üblichen flüssigen und gasförmigen Tankmedien gehören dazu die Medien für die alternativen Antriebe wie Erdgas, Wasserstoff und eine moderne Schnellladeinfrastruktur für Elektroautos. Zusätzlich wurde die Tank- und Rastanlage im Energie-Plus-Standard errichtet. Das Projekt an der A9 zwischen der Anschlussstelle Allershausen und dem Autobahnkreuz Neufahrn hat die Autobahndirektion Südbayern umgesetzt. Für die Projektsteuerung und das innovative Energiekonzept zeichneten die Infrastruktur- und Engineering-Experten von Drees & Sommer verantwortlich. RASTANLAGE FÜRHOLZEN Rastanlage Fürholzen. © Jakob Härter 44 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Spätestens seit der Mitte 2020 veröffentlichten „Nationalen Wasserstoffstrategie“ der Bundesregierung verspricht dieser innovative Energieträger spannende Entwicklungen auch im Mobilitätssektor. Im Kontext urbaner Mobilität sollte Wasserstoff daher neben der Batterietechnologie als weiterer Baustein in die Systembetrachtung miteinbezogen werden. Sicherlich ist der Hebel zur CO 2 -Reduzierung des wertvollen grünen Wasserstoffs in der Schwer- und verarbeitenden Industrie noch größer. Doch auch in der Mobilität wird Wasserstoff Lücken im System schließen können - nämlich dort, wo die Batteriespeicher an ihre Grenzen stoßen. Der mittels Elektrolyse aus Wasser erzeugte gasförmige oder flüssige Energieträger hat den großen Vorteil, dass während des Herstellprozesses keine CO 2 -Emissionen anfallen. Zudem kann die Energie aus regenerativen Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse durch die Erzeugung von Wasserstoff gespeichert und zum Verbraucher transportiert werden. Das sind beispielsweise Tankstellen, wo vor allem LKW, also der Schwertransport, damit betankt werden sollen. Erste deutsche Städte wie zum Beispiel Frankfurt am Main arbeiten bereits an Konzepten einer regionalen Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Auch führende Technologieunternehmen sind ganz vorne dabei: So baut zum Beispiel Siemens an seinem Standort in Görlitz ein Wasserstoff-Forschungszentrum, in dem die Erzeugung, Speicherung und Nutzung des innovativen Energieträgers untersucht werden. Die Chance liegt damit in der Schaffung eines geschlossenen und lokalen Energie-Ökosystems, das Energie flexibel zur Verfügung stellt - und zwar dort, wo sie gerade benötigt wird. Bei der echten Mobilitätswende kommt es auf den richtigen Mix an. Denn der Fokus auf einen Energieträger führt genauso zum Kurzschluss wie die Bevorzugung eines Mobilitätsträgers mehr Stillstand als Fortschritt erwirkt. Sinnvoll ist deswegen: Das Auto für die kurze Strecke fährt elektrisch, der Bus für den täglichen Weg zur Arbeit nutzt Wasserstoff und die Straßenbahn wird aus 100 Prozent regenerativem Strom angetrieben. Wer doch noch seinen geschätzten „Verbrenner“ im Stadtverkehr zirkulieren lassen möchte, greift auf synthetische Kraftstoffe, sogenannte eFuels, zurück. Vernetzt und nachhaltig mobil in der Smart City Was die Zukunft der urbanen Mobilität auszeichnen muss: Sie ist vielfältig, multimodal, bedarfsgerecht und nutzerfreundlich. Morgens aus dem Haus über den Kindergarten zur Arbeit, danach zum Supermarkt, ins Fitnessstudio oder Kino und wieder nach Hause - in einer clever geplanten Smart City stehen Menschen verschiedenste nachhaltige Mobilitätslösungen zur Verfügung. Die meisten Strecken bestreiten sie in der Stadt der kurzen Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Das Quartier, in dem sie wohnen, erzeugt selbst Energie, die von Wohnungen genauso wie von Elektroautos genutzt wird. Eine Seilbahn bringt Pendler schnell und emissionsfrei von A nach- B. Und smarte Technologien und Apps erlauben es, alle Verkehrsmittel effizient miteinander zu kombinieren und den Energieverbrauch optimal zu steuern. All das mag nach einem Idealbild klingen, doch es gibt schon Städte wie Kopenhagen und Singapur, die diese Ideen verwirklichen. Hierzulande sind es vor allem Quartiersentwicklungen wie das Quartier Heidestraße in Berlin, die solche innovativen Lösungen umsetzen. Fabian Gierl Senior Consultant und Mobilitätsexperte Drees & Sommer Kontakt: info@dreso.com Jan Vorkötter Senior Consultant und Infrastrukturberater Drees & Sommer Kontakt: info@dreso.com AUTOREN Energieeffizient, emissionsarm und leise: Seilbahnen gelten seit jeher als eine nachhaltige Mobilitätsform. Dennoch gibt es gerade in Deutschland wenig Erfahrungen mit Seilbahnsystemen im urbanen Bereich. Um das zu ändern, hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) das Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE gemeinsam mit der Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH (VWI) mit einer Studie beauftragt. Ihre Aufgabe ist es, die „stadt- und verkehrsplanerische Integration urbaner Seilbahnprojekte“ zu untersuchen und einen Leitfaden für die „Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV)“ zu erstellen. SEILBAHNEN FÜR STÄDTE IM VISIER
