Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0023
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Digitale Besucherlenkung und Parkraummanagement
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Judith Geßenhardt
Matthias Weis
Jonathan Opitz
Im Rahmen verschiedener kommerzieller Projekte und Förderprojekte wurden innovative Lösungsansätze zur Besucherlenkung in touristischen Regionen erarbeitet. Hierzu gehören die Digitalisierung der Besucherlenkung ebenso wie intermodale Parkraumkonzepte. Mittels der vorgestellten Praxisbeispiele wird gezeigt, wie derartige Lösungen zur Verbesserung des Verkehrsflusses, Reduktion von Parksuchverkehr, Optimierung des Zugangs zu multimodalen Angeboten und damit zu der verbundenen Reduktion von Emissionen beitragen können.
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83 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Seit der Covid-19-Pandemie haben sich die Besucherströme innerhalb Deutschlands maßgeblich verändert. Nationale touristische Highlights werden seitdem regelrecht überrannt. Doch auch vor der Pandemie konnte aufgrund der steigenden Nachfrage nach Erholung in der Natur und nach Outdoorsportarten ein Trend zu vermehrten Tagesausflügen sowie Spontan- und Kurztrips verzeichnet werden. Der gestiegenen Nachfrage nach Erholung und sportlicher Aktivität steht die Überlastung der verkehrlichen Infrastruktur gegenüber, da die Anreise überwiegend mit dem PKW erfolgt. Die Konsequenzen sind Verkehrsprobleme bei der Anfahrt, überfüllte Parkplätze, Parksuchverkehr, illegales Parken sowie übermäßige Lärm- und Schadstoffemissionen. Die Folge ist Stress und Frustration bei Anreise und Parkplatzsuche. Besonders an den Spitzentagen gelangt die Verkehrsinfrastruktur an ihre Kapazitätsgrenzen, was auch mit einer zunehmenden Belastung der Anwohner einhergeht. Basierend auf diesen Entwicklungen wurden von der [ui! ] Urban Mobility Innovations (B2M Software GmbH) innovative Lösungen zur Besucherlenkung in touristischen Regionen und Parkraummanage- Digitale Besucherlenkung und Parkraummanagement Innovationen aus der Praxis Mobilität, Tourismus, Parkraummanagement, Digitalisierung Judith Geßenhardt, Matthias Weis, Jonathan Opitz Im Rahmen verschiedener kommerzieller Projekte und Förderprojekte wurden innovative Lösungsansätze zur Besucherlenkung in touristischen Regionen erarbeitet. Hierzu gehören die Digitalisierung der Besucherlenkung ebenso wie intermodale Parkraumkonzepte. Mittels der vorgestellten Praxisbeispiele wird gezeigt, wie derartige Lösungen zur Verbesserung des Verkehrsflusses, Reduktion von Parksuchverkehr, Optimierung des Zugangs zu multimodalen Angeboten und damit zu der verbundenen Reduktion von Emissionen beitragen können. Besucher Datenerfassung unterwegs Datenvisualisierung und -ausgabe Bilanzierung der Daten und Prognose der Auslastung Datenerfassung am Parkplatz Datenzusammenführung und -analyse Bild 1: Zyklus der digitalen Besucherlenkung. © Geßenhardt et al. 82 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Alexandra König Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Verkehrssystemtechnik Dt. Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Braunschweig Kontakt: alexandra.koenig@dlr.de Elke Bouillon Wissenschaftliche Mitarbeiterin Fachgebiet für Stadt- und Regionalökonomie Fachhochschule Erfurt Kontakt: elke.bouillon@fh-erfurt Christoph Webel Wissenschaftlicher Mitarbeiter Fachgebiet für Stadt- und Regionalökonomie Fachhochschule Erfurt Kontakt: christoph.webel@fh-erfurt Filiz Kurt Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Verkehrssystemtechnik Dt. Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Braunschweig Kontakt: filiz.kurt@dlr.de Lea-Marie Kuhlmann Wissenschaftliche Hilfskraft Institut für Verkehrssystemtechnik Dt. Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Braunschweig Kontakt: lea-marie.kuhlmann@dlr.de Prof. Wolfgang Rid Stadt- und Regionalökonomie Leiter des Fachgebietes Stadt-Mobilität- Energie (Erfurt / Stuttgart) Fachhochschule Erfurt Kontakt: wolfgang.rid@fh-erfurt.de AUTOR*INNEN aktivitäten umgesetzt, um den Transfer der Ergebnisse auf weitere Städte mit Straßenbahnen zu ermöglichen. Anmerkung: Das Projekt DC-LEO wird mit insgesamt 1,5 Mio. Euro vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen der Förderlinie „IKT für Elektromobilität“ gefördert. LITERATUR [1] Bobeth, S.: Psychologisch informierte Ansatzpunkte zur Förderung von Elektroautos im frühen Verbreitungsstadium, 2020. https: / / 141.48.10.209/ bitstream/ 1981185920/ 34057/ 1/ Bobeth_ Sebastian_ Dissertation_2020.pdf [2] Schabbing, B.: Personenverkehr in Deutschland: Einschätzungen und Bewertungen der Nutzer zu relevanten Mobilitätsformen und Anreizsystemen auf Primärforschungsbasis. ISM Research Journal, 5 (1), (2018) S. 106 - 130. https: / / ism.de/ images/ downloads/ research-journal-2018.pdf [3] Baldus, A., Westermann, A.: Smart Home Germany, Quo Vadis? - A Strategic Analysis for Proper Use Cases Across, ISM Research Journal, 5 (1), (2018) S. 1 - 26. https: / / ism.de/ images/ downloads/ research-journal-2018.pdf [4] Appel, H.: Star schicker Vorstädte. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2021. https: / / www.faz.net/ aktuell/ technik-motor/ elektromobilitaet/ wer-kauft-und-faehrt-ein-elektroauto-17332625.html [5] Newmotion: Ergebnisse des EV Driver Survey 2020. Bericht. Abrufbar unter: https: / / a.storyblok. com/ f/ 85281/ e5b2f07a4f/ ev-driver-sur vey-report- 2020-de-4jr9.pdf [6] Sprenger, A.: Kundenerwartungen an die Produkte und Dienstleistungen der Energiewirtschaft in der E-Mobilität. In: Realisierung Utility 4.0 Band 2 (2020) S. 759 - 779). Springer Vieweg, Wiesbaden. https: / / link.springer.com/ content/ pdf/ 10.1007%2F978-3-658-25589-3.pdf [7] Nationale Plattform Mobilität: Flächendeckende Ladeinfrastruktur. Bericht 2020. Unter Mitarbeit von Nationale Plattform Zukunft der Mobilität und Arbeitsgruppe 5. Hg. v. Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur. Berlin. Online verfügbar unter https: / / www.plattform-zukunft-mobilitaet.de/ wp-content/ uploads/ 2020/ 10/ NPM_ AG5_FlaechendeckendeLadeinfrastruktur_final.pdf [8] Raum, M., Belz, B., Kümmell, S.: Ladetechnik. In Elektrifizierung des Antriebsstrangs. Grundlagen - vom Mikro-Hybrid zum vollelektrischen Antrieb. (2019) S. 395 - 407). Springer Vieweg, Berlin, Heidelberg. [9] Windt, A., Arnhold, O.: Ladeinfrastruktur nach 2025/ 2030. Szenarien für den Markthochlauf, 2020. Hrsg. von NOW GmbH - Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur. Berlin. Online verfügbar unter https: / / www.now-gmbh.de/ wp-content/ uploads/ 2020/ 11/ Studie_Ladeinfrastruktur-nach-2025-2.pdf [10] SPD: MEHR FORTSCHRITT WAGEN. Koalitionsvertrag 2021 - 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP). Abrufbar unter: https: / / www.spd.de/ fileadmin/ Dokumente/ Koalitionsvertrag/ Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf [11] Kraftfahrt-Bundesamt - KBA (Hrsg.): Fahrzeugzulassungen (FZ) Bestand an Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern nach Bundesländern, Fahrzeugklassen und ausgewählten Merkmalen. FZ 27. 2021. Flensburg. Verfügbar unter: https: / / www.kba.de/ SharedDocs/ Publikationen/ DE/ Statistik / Fahrzeuge/ F Z / 2021/ fz27_ 202101.xlsx? _ _ blob=publicationFile&v=5> [12] Bundesnetzagentur: Anzahl der Ladesäulen nach Bundesland (Stand Dezember 2021) Online verfügbar unter: https: / / www.bundesnetzagentur.de/ DE/ Sachgebiete/ ElektrizitaetundGas/ Unternehmen _ Institutionen/ E-Mobilitaet/ Ladesaeulenkarte/ start. html 81 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Der Vergleich zwischen Standorten für Normal- und Schnellladung zeigte, dass die Befragten, die im Besitz eines E-Fahrzeuges sind, aufgrund der höheren Aufenthaltsdauer insbesondere Einkaufs- und Freizeiteinrichtungen als relevante Standorte für Normalladung betrachten (Bild 4). Die Schnellladung wurde insbesondere an Tankstellen und größeren Straßen, aber auch bei Einkaufsmöglichkeiten als relevant erachtet. Die Betrachtung der Relevanz von Eigenschaften öffentlicher Ladeinfrastruktur zeigte, dass insbesondere die Verfügbarkeit der Ladesäulen, ihre Benutzerfreundlichkeit und die sichere Parkmöglichkeit im öffentlichen Raum als äußerst relevant betrachtet wurden (Bild 5). Fazit Hervorzuheben ist, dass die Befragten, unabhängig davon ob sie Erfahrungen mit E-Fahrzeugen haben oder nicht, unzufrieden mit dem Ausbaugrad der öffentlichen Ladeinfrastruktur sind. Hier zeigt sich eine Diskrepanz zwischen der subjektiven Wahrnehmung und dem tatsächlichen Ausbau, denn das Verhältnis der Anzahl der angemeldeten Elektrofahrzeuge zur Anzahl öffentlicher Ladepunkten in Thüringen liegt mit etwa fünf zu eins etwas besser als der Bundesdurchschnitt von sechs zu eins (eigene Berechnungen anhand von Statista [11] und den Daten der Bundesnetzagentur [12]). Der Bedarf für den Ausbau öffentlicher Ladeinfrastruktur ergibt sich in Hinblick auf Standorte in urbanen Wohngebieten, da hier ein Großteil der Befragten nicht über die Möglichkeiten des privaten Ladens verfügen. Die Studie zeigt, dass die Befragten die Ladeleistung je nach Standort und Anwendungsfall unterschiedlich bewerten. So zeigt sich, dass es nicht immer und überall die höchstmögliche Ladeleistung sein muss, die angeboten wird, sondern Befragte gut zwischen Anwendungsfällen unterscheiden können. Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Eigenschaften Sicherheit, Verfügbarkeit und Benutzerfreundlichkeit als besonders relevant für Ladesäulen betrachtet werden. Die Fallstudie zeigt, dass für den bedarfsgerechten Ausbau der Ladeinfrastruktur die jeweiligen soziostrukturellen Bedingungen und Bedürfnisse der Bewohner*innen des Raums beachtet werden sollten. Im weiteren Projektverlauf werden die einzelnen Use Cases weiter ausdifferenziert und genauer betrachtet. Damit soll ein wichtiger Beitrag für einen wirtschaftlichen und anwendungsorientierten Ausbau der Ladeinfrastruktur geleistet werden. Das Projekt wird im Verlauf des letzten Projektjahres eine ökonomische Betrachtung der DC-LEO-Ladeinfrastruktur als Teil der Potenzialanalyse durchführen. Weiterhin werden Multiplikator- 2 Bild 4: Relevanz von Standorten für Befragte mit E-Auto (n = 19). © König et al. Bild 5: Relevanz ausgewählter Eigenschaften der öffentlichen Ladeinfrastruktur. © König et al. Orte für Normal- und Schnellladung Relevanz von Eigenschaften öffentlicher Ladeinfrastruktur (n = 115) 80 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität mit rein beruflicher Nutzung und zwei in sonstigem Besitz). Die E-Fahrzeugbesitzenden waren im Schnitt 54,4 Jahre alt (SD = 11.8) und damit etwas älter als die E-Fahrzeugbesitzenden in der Studie von Sprenger [6]. Wie in Bild 1 dargestellt, wurden Ladesäulen im öffentlichen oder halböffentlichen Raum eher seltener genutzt. Für die Nutzung von E-Mobilität scheint eine private Lademöglichkeit zu Hause eine wichtige Voraussetzung für die Befragten darzustellen. Die Befragung ergab, dass 35,0 % der Befragten (n = 48) über einen Privatparkplatz mit Stromanschluss verfügen und 12,4 % der Befragten (n = 17) einen Privatparkplatz ohne die Möglichkeit der Nachrüstung eines Stromanschlusses besitzen. Weitere 36 Befragte gaben an, über einen Privatparkplatz mit der Möglichkeit der Nachrüstung (26,3 %) zu verfügen und 25 Befragte verfügten über keinen Privatparkplatz (18,2 %). Ladeinfrastruktur: Bewertung und Anforderungen Bei der Einschätzung der Anzahl öffentlicher Ladesäulen in Nordhausen gaben die Befragten einen Wert zwischen zwei und 50 mit einem Mittelwert von 11,4 an, der dem tatsächlichen Wert von 13 sehr nahe kam. Durch die Auswertung der Zufriedenheit mit der aktuellen Ladeinfrastruktur in Thüringen in verschiedenen räumlichen Kontexten, zeigte sich ein eher homogenes Bild, dass auf eine Unzufriedenheit mit dem bisherigen Ausbaugrad hinweist (Bild- 2). Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Befragten, die im Besitz eines E-Autos sind und denen ohne E-Auto. Bild 3 zeigt, welche Standorte sich die Befragten für öffentliche Ladesäulen in Nordhausen wünschen würden. Es wird ersichtlich, dass vor allem die Innenstadt (B2) und das westliche Wohngebiet (A2) als relevante Gebiete betrachtet werden. Bild 1: Nutzung von Ladeorten in Prozent (n = 22). © König et al. Bild 2 (links): Einschätzung der Zufriedenheit mit öffentlicher Ladeinfrastruktur in verschiedenen räumlichen Kontexten. © König et al. Bild 3 (rechts): Karte von Nordhausen mit der Häufigkeit der gewünschten Standorte. © König et al., 2022, Nordhausen in Openstreetmap, Layers: B00T T, CC-BY-SA 2.0) 7 6 21 26 8 14 1 2 Nutzung von Ladeorten Zufriedenheit mit Ladeinfrastruktur in verschiedenen räumlichen Kontexten Mittelwert der Zufriedenheit [1 = sehr unzufrieden, 5 = sehr zufrieden] im städtischen Raum im ländlichen Raum an Landstraßen an Autobahnen Fehlerbalken: 95 % Konfidenzintervall 5 4 3 2 1 Besitz E-Auto nein ja 2,5 2,1 1,7 1,7 1,8 1,9 2,4 2,3 79 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität ren im Anwendungsgebiet Nordhausen (Thüringen) evaluiert sowie im Rahmen von Multiplikator-Aktivitäten weiteren Städten mit einer Straßenbahn-Infrastruktur bekannt gemacht. Entsprechend des Zieles der neuen Bundesregierung, „den vorauslaufenden Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur mit dem Ziel von einer Million öffentlich und diskriminierungsfrei zugänglichen Ladepunkten bis 2030 mit Schwerpunkt auf Schnellladeinfrastruktur ressortübergreifend zu beschleunigen“ ([10], S. 51f.) will das Projekt DC-LEO Verbraucherbedürfnisse und Nutzerfreundlichkeit der Ladeinfrastruktur in den Mittelpunkt stellen. Dazu wurden Anforderungen der zukünftigen Nutzer*innen in einer frühen Projektphase erhoben, um diese in die Konzeptentwicklung einfließen zu lassen. Methodik der Befragung Um Anforderungsprofile der zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer in Nordhausen zu erheben und zielgruppenspezifisch zu analysieren, wurde eine Fragebogenstudie durchgeführt. Die Befragung adressierte sowohl E-Fahrzeug-Besitzende als auch Personen, die noch keinen Kontakt zu Elektromobilität hatten. Der Fokus der Fragen lag auf der Bewertung der öffentlichen Ladeinfrastruktur, der Relevanz von Eigenschaften der Ladeinfrastruktur und den potenziellen Standorten für den Aufbau neuer Ladeinfrastruktur. Um einen möglichst großen Teil der Grundgesamtheit zu erreichen, wurde eine postalische Haushaltsbefragung mit einer Onlinebefragung kombiniert. Im Sommer 2021 wurden 1000 Fragebögen mit frankiertem Rückumschlag an zufällig ausgewählte Haushalte in Nordhausen und den umliegenden Orten verteilt, sowie parallel der Aufruf zur Onlinebefragung über soziale Medien und lokale Onlinemedien verteilt. Insgesamt nahmen 137 Personen an der Onlinebefragung (n = 37) oder der Haushaltsbefragung (n = 100) teil. Die Mehrheit der Befragten war männlich (61,3 %, n = 84). Der Altersdurchschnitt der Befragten betrug 49,8 Jahre (SD = 18,4). Ein Großteil der Personen war in Vollzeit beschäftigt (48,7 %) oder bereits im Ruhestand (20,2 %). Die meisten Personen gaben an, in einem Ort mit über 10 000 Einwohner*innen (61,7 %) und weitere 12,5 % der Befragten in einem Ort mit weniger als 1000 Einwohner*innen zu leben. Ergebnisse Nutzung von E-Mobilität Etwa 17 % der Befragten (n = 24) gaben an, ein E- Fahrzeug zu besitzen (davon elf im Privatbesitz, zehn Dienstwagen mit privater Nutzung, ein Dienstwagen Eine hohe Durchdringung von Elektromobilität lässt sich unter anderem durch eine Steigerung der Akzeptanz erreichen. Als Barrieren für den Kauf eines E-Autos werden in Befragungen neben zu hohen Anschaffungspreisen und den als zu gering wahrgenommenen Reichweiten meist eine unzureichend ausgebaute öffentliche Ladeinfrastruktur genannt [1, 2, 3]. Die als ausbaufähig empfundene öffentliche Ladeinfrastruktur ist einer der Gründe dafür, dass E-Autos zumeist von Personen gekauft werden, die über eine private Lademöglichkeit oder die Möglichkeit, bei ihrem Arbeitsgeber zu laden, verfügen [4, 5]. Sprenger stellte in einer Befragung von 1000 E-Fahrzeugfahrer*innen fest, dass zahlreiche Faktoren für die Akzeptanz von öffentlichen Ladesäulen eine Rolle spielen, wie begrenzte Parkzeiten und die Transparenz von Bezahloptionen [6]. Um eine Kundenbindung zu erreichen, schlägt der Autor deshalb vor, Preistransparenz und neue Angebotskombinationen aus Parken und Laden zu schaffen, um das Angebot dem Bedarf und den Gewohnheiten unterschiedlicher Zielgruppen anzupassen. Bislang wurde die Ladeinfrastruktur eher hinsichtlich der Leistung (Normalladen, Schnellladen, High Power Charging) [7], des Ladeortes (privates Laden, öffentliches Laden/ halböffentliches Laden) [7, 8] oder der generellen Unterscheidung zwischen Alltagsladen und öffentlichem Laden [9] betrachtet. Für bedarfsgerechte Ladeinfrastruktur-Konzepte sollten die Analysen jedoch stärker auf die engen Verflechtungen zwischen den Anforderungen unterschiedlicher Nutzergruppen, der Qualität der Ladesäule (Gleichstrom/ Wechselstrom) sowie deren Standorten fokussieren. Bei Betrachtung der Anwendungsfälle kann die Ladeinfrastruktur in die vier Kategorien Alltagsladen, unterwegs Laden, Laden am Zielort sowie Gelegenheitsladen unterschieden werden. Je nach Standort und damit verbundenem Anwendungsfall ergeben sich daraus unterschiedliche Anforderungen an die Ladeinfrastruktur. Hier setzt das Forschungsprojekt DC-LEO - Gleichstromladen an elektrischen Oberleitungen an. Das Projekt setzt sich zum Ziel, eine Ladeinfrastruktur zu entwickeln, welche die Oberleitung von Straßenbahnen nutzt, um Netzausbaukosten zu reduzieren und zusätzliche Standorte im Stadtraum zu erschließen. Somit können preisgünstigere Angebote für das (Schnell-)Laden im öffentlichen Raum gemacht werden. Zudem wird durch die Erhöhung potenzieller LIS-Standorte eine höhere Flexibilität für urbane LIS-Standortkonzepte ermöglicht. Die im Verbundprojekt realisierte Gleichstrom-Ladesäule wird während der Projektlaufzeit hinsichtlich technischer, wirtschaftlicher und nutzerzentrierter Fakto- 78 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität © rostichep auf Pixabay Bedarfsgerechte urbane Ladeinfrastruktur Eine Fallstudie am Beispiel der Stadt Nordhausen Elektromobilität, Use Cases, Case Study, urbane Mobilität, Ladeinfrastruktur Alexandra König, Elke Bouillon, Christoph Webel, Filiz Kurt, Lea-Marie Kuhlmann, Wolfgang Rid Der Markthochlauf von Elektromobilität wird stellenweise durch die als unzureichend wahrgenommene Ladeinfrastruktur gebremst. Der Fokus der Anstrengungen beim Ausbau der Ladeinfrastruktur liegt derzeit auf der Bereitstellung von High Power Charging (HPC). In Zukunft wird es bei einer flächendeckenden wirtschaftlichen und bedarfsorientierten Ladeinfrastruktur jedoch darum gehen, das Ladenetz entsprechend den differenzierten Anwendungsfällen (Use Cases) kostengünstig auszubauen. Das Forschungsprojekt DC-LEO setzt sich zum Ziel, eine neuartige Ladeinfrastruktur auf Basis der Oberleitungen von Straßenbahnen für den urbanen Raum zu entwickeln und zu erproben. Der Beitrag präsentiert die Ergebnisse einer Bevölkerungsbefragung in Nordhausen, Thüringen (N = 137). Die Ergebnisse zeigen eine geringe Zufriedenheit der Befragten mit der Verfügbarkeit öffentlicher Ladeinfrastruktur in Thüringen in verschiedenen räumlichen Kontexten. Weiterhin zeigte sich, dass Lademöglichkeiten im öffentlichen und halböffentlichen Raum in Nordhausen aktuell selten genutzt werden, jedoch 18 % der Befragten über keinen Privatparkplatz und weitere 26 % über einen Privatparkplatz ohne Stromanschluss verfügen. Auf Basis der Ergebnisse können Empfehlungen für die bedarfsgerechte Entwicklung der Ladeinfrastruktur (zum Beispiel: Standorte und Use Cases) abgeleitet werden. 77 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Ladeinfrastruktur aufbauen zu wollen, dargestellt werden. Zunächst findet sich die Einhaltung von selbst gesteckten oder gesetzlich verankerten Umweltzielen, nicht nur in Bezug auf Stickoxide, als Begründung. Darüber hinaus wird angegeben, die Ladeinfrastruktur als Service und zur Kundenbindung anbieten zu wollen. Spannend ist hierbei, dass in beiden Anwendungsfällen darauf hingewiesen wird, dass häufig bereits Elektrofahrzeuge vorhanden sind - sowohl bei Kund*innen als auch Mitarbeitenden oder sogar im eigenen Fuhrpark - und die Ladeinfrastruktur als notwendige Konsequenz aufgebaut wird. Speziellere Begründungen sind meist betriebsbedingter Art und kommen im Anwendungsfall „privates Firmengelände“ vor: So kann LIS nicht nur zum Laden an sich, sondern auch zu Demonstrations- und Schulungszwecken eingesetzt werden. Nochmals eine komplett andere Motivation bietet das Vorhandensein von PV-Anlagen und der daraus resultierende Wunsch zur Eigenstromnutzung durch Elektrofahrzeuge. Ähnlich divers erfolgt bei den verschiedenen LZE auch die Festlegung der Anzahl der benötigten Ladepunkte. Die Schwierigkeit, die angemessene Anzahl benötigter Ladepunkte zu bestimmen, fasst eine*r der Interviewten mit der Antwort auf die Frage, wie die Anzahl festgelegt wurde, so zusammen: „Nach Gefühl. Nach Gefühl und Erwartung. Klar, wir haben uns überlegt, wie viele Autos gebraucht werden und wie viele geladen werden müssen, allerdings überholt sich das immer schnell.“ Andere LZE vergeben die Festlegung der Anzahl benötigter Ladepunkte extern, allerdings handelt es sich dann um größere Ladepunktzahlen. Daneben werden viele weitere Methoden angewendet und kombiniert: eine Abschätzung nach der Größe des vorhandenen Fuhrparks und der geplanten Elektifizierungsquote, genaue Vorgaben für die Anzahl der Ladepunkte vonseiten höhergelagerter Ebenen, sodass kein Spielraum für eigene Abschätzungen gegeben war oder die Ausrichtung nach direkten Anfragen von Kund*innen. Betrachtet man die Entscheidungswege der LZE, ob die neu aufgebaute Ladeinfrastruktur selbst betrieben oder der Betrieb vergeben werden soll, ergibt sich ein ebenso heterogenes Bild. Im Anwendungsfall „Parkhaus / P&R“ wird der Betrieb, definiert über Anschaffung, Installation und Abrechnung, größtenteils selbst durchgeführt. Im Anwendungsfall „privates Firmengelände“ gibt es sowohl LZE, die die LIS komplett selbst betreiben, als auch solche, die den Betrieb komplett vergeben haben. Als Grund für die externe Vergabe wird meist fehlendes Know-How angegeben. Fazit Alle Ergebnisse sind vorläufig und verändern sich mit neuen LZE, die auf das Projekt aufmerksam werden. Dennoch lassen sich bereits erste Trends erkennen, wie den großen Anteil an LZE, der die Förderung nutzt, um in die Elektromobilität einzusteigen. Dies lässt darauf schließen, dass das Förderprogramm auch für bislang unerfahrene LZE gut zugänglich ist und eine Motivation darstellt, Ladeinfrastruktur aufzubauen - auch wenn es, wie in den qualitativen Interviews angesprochen, eine Vielzahl weiterer Gründe gibt. Ergebnisse einzelner LZE aus den Tiefeninterviews wurden im Jahr 2020 als Sammlung von Fallbeispielen veröffentlicht [4], eine Veröffentlichung für die seitdem neu hinzugekommenen Tiefeninterviews ist für das Q 2 2022 geplant. Eine ausführliche Auswertung aller Interview- und Befragungsdaten erfolgt im Rahmen des LINOx BW-Leitfadens, der als Abschlussbericht des Projekts voraussichtlich im vierten Quartal 2022 veröffentlicht wird. LITERATUR [1] Richtlinie 2008/ 50/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa. https: / / eur-lex.europa. eu/ legal-content/ DE/ ALL/ ? uri=CELE X: 32008L0050, letzter Zugriff am 11.01.2022 [2] Umweltbundesamt (UBA): Liste der Städte mit NO2-Grenzwertüberschreitung, 2019. https: / / www. umweltbundesamt.de/ dokument/ liste-der-staedteno2-grenzwertueberschreitung, letzter Zugriff am 11.01.2022 [3] LINOx BW: Projekthomepage, https: / / linox-bw.de/ , letzter Zugriff am 11.01.2022 [4] Graf, A., Hager, K., Kasnatscheew, A.: Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge: Grundlagen und Anwendungsbeispiele aus dem Förderprojekt LINOx BW. e-mobil BW (Hg.). Stuttgart, 2020. Karsten Hager, M.Sc. Geschäftsführer Institut Stadt|Mobilität|Energie (ISME) GmbH Kontakt: karsten.hager@i-sme.de Alexandra Graf, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut Stadt|Mobilität|Energie (ISME) GmbH Kontakt: alexandra.graf@i-sme.de AUTOR*INNEN 76 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Dieselfahrzeugen zu finden sind. Der vergleichsweise große Anteil an SUV-Laufleistungen überrascht im Vergleich zur reinen Fahrzeuganzahl in dieser Kategorie. Das Einsparpotenzial vor dem Hintergrund einer Stickoxid-Reduktion ist somit eindeutig identifizierbar. Darüber hinaus erlauben gut 74 % aller LZE die private Nutzung der Dienstfahrzeuge. Handelt es sich dabei um Elektrofahrzeuge, ist eine große Multiplikatorwirkung zu erwarten. Abschließend liegen zum Zeitpunkt des Ausfüllens des Fragebogens für 48 bestehende Ladepunkte der LZE im Anwendungsfall „privates Firmengelände“ Energiedaten vor, die in der Summe in ihrem Lebenszyklus bisher 63 953,1 kWh abgegeben haben; zudem sind bei etwa 54 % der LZE Erzeugungsanlagen für erneuerbare Energien bereits vorhanden, vorrangig Photovoltaikanlagen, vereinzelt Blockheizkraftzwerke. Beim Anwendungsfall „Parkhaus / P&R“ liegen für 44 bestehende Ladepunkte Energiedaten vor, die in der Summe in ihrem Lebenszyklus bisher 212 920,7 kWh abgegeben haben - rund 3,5 mal so viel wie beim privaten Firmengelände. Ein Grund ist sicherlich der höhere Durchsatz an Fahrzeugen. Hier sind allerdings nur bei 36 % der LZE Erzeugungsanlagen für erneuerbare Energien vorhanden - wieder zum größten Teil Photovoltaikanlagen. Parkierungsanlagen bieten im überdachten Zustand gute Möglichkeiten für Photovoltaikanlagen, sodass dieses Potenzial noch ausgebaut werden kann. Die derzeit untersuchten Parkierungsanlagen verfügen insgesamt über 6575 Stellplätze, von denen 5666 öffentlich zugänglich sind (rund 86 %). In Anbetracht der geplanten 542 Ladepunkte sowie den 44 bestehenden Ladepunkten ergibt sich eine Quote von etwa 9 % der Stellplätze, die mit Ladeinfrastruktur ausgestattet sind bzw. werden sollen. Qualitative Ergebnisse Die nachfolgenden qualitativen Ergebnisse basieren auf sechs durchgeführten Lead-Partner-Interviews im Anwendungsfall privates Firmengelände und drei Interviews im Anwendungsfall „Parkhaus / P&R“. Über alle Anwendungsfälle hinweg wurden bislang insgesamt 19 Interviews geführt; aktuell sind mindestens sechs weitere geplant. Die Auswertung und Erhebung der qualitativen Interviewdaten ist zwar noch nicht abgeschlossen, dennoch können bereits vorläufige Ergebnisse zusammengefasst werden. Dabei sollen Begründungen, Entscheidungswege und Herangehensweisen dargestellt werden, die mittels standardisierter Fragebögen nur schlecht erfassbar sind. So können beispielsweise in beiden Anwendungsfällen die Gründe der LZE, überhaupt Bild 3: Antriebsarten der Fahrzeuge in LZE- Fuhrparks nach Fahrzeugklassen. © Hager, Graf Bild 4: Durchschnittliche Jahreslaufleistung nach Antriebsart und Fahrzeugklasse je LZE- Fahrzeug. © Hager, Graf Antriebsarten nach Fahrzeugklassen n = 1467 Anzahl Fahrzeuge absolut 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 98 16 2 40 1 120 266 19 37 20 44 72 16 3 0 20 63 2 1 0 28 458 0 10 35 10 81 1 4 0 Klein- und Kleinstwagen Kompaktklasse Obere Mittelklasse SUV Nutzfahrzeuge Sonstige Benzin Diesel PHEV Elektro Unbekannt Durchschnittliche Jahreslaufleistung (in km) nach Antriebsart und Fahrzeugklasse pro Fahrzeug 120000,00 100000,00 80000,00 60000,00 40000,00 20000,00 0,00 Klein- und Kleinstwagen Kompaktklasse Obere Mittelklasse SUV Nutzfahrzeuge Sonstige Benzin Diesel PHEV Elektro 75 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Projektanzahl in Abhängigkeit der Ladepunktanzahl Privates Firmengelände Parkhaus / P&R 1 - 5 Ladepunkte 84 9 6 - 10 Ladepunkte 24 9 11 - 15 Ladepunkte 4 1 16 - 20 Ladepunkte 4 3 Mehr als 20 Ladepunkte 9 6 Summe 125 28 Halb-öffentlicher Zugang 81 23 Geplantes Lademanagement 65 25 Geplanter eigener separater Netzanschluss 44 10 Geplanter Speicher 10 1 Vor LINOx BW bereits Ladeinfrastruktur vorhanden 67 21 Anzahl geplanter Ladepunkte insgesamt 793 542 AC geplant 710 539 <= 10 kW 75 155 11 kW 195 269 22 kW 440 115 DC geplant 83 3 <= 25 kW 14 0 26 - 50 kW 59 3 Mehr als 50 KW 10 0 Tabelle 1: Kennziffern der geplanten Vorhaben der LZE im Projekt LINOx BW. © Hager, Graf Quantitative Ergebnisse: Die nachfolgenden quantitativen Ergebnisse basieren auf den Ergebnissen der t 0 -Befragung von insgesamt 192 einzelnen Projekten bei 110 verschiedenen LZE (summierte Zahlen für alle Anwendungsfälle des Projektes). Tabelle 1 zeigt gesammelte Ergebnisse der Antragsunterlagen der einzelnen LZE. Zum aktuellen Zeitpunkt sind 125 Projekte dem Anwendungsfall „privates Firmengelände“ zugeordnet. Hierbei dominieren kleinere Projekte mit ein bis fünf Ladepunkten, was in Kombination mit der Aussage, dass nur 67 von 125 Projekte bereits vor LINOx-BW Ladeinfrastruktur umgesetzt haben, vermuten lässt, dass viele kleinere neue Antragsteller das vereinfachte Antragsverfahren genutzt haben, um aktiv in die Elektromobilität einzusteigen. Die Quote des geplanten Lademanagements mit etwa 50 % aller Projekte sowie die vergleichsweise geringe Anzahl geplanter Speicher lässt auf eine Fokussierung der Projekte auf den Mobilitätsbereich schließen - Potenziale für eine Sektorenkopplung „Verkehr und Energie“ müssen erschlossen werden. Knapp 90 % der geplanten Ladepunkte sind im AC-Bereich angesiedelt, hierbei soll die deutliche Mehrheit mit 22 kW Ladeleistung ausgestattet werden. Im DC-Bereich sind heterogene und hohe Ladeleistungen zu finden - beides kann auf potenziell hohe Laufleistungen der Elektrofahrzeuge im Fuhrpark, kurze Standzeiten der Elektrofahrzeuge oder auch Prestigegründe deuten. In den 28 Projekten im Anwendungsfall „Parkhaus / P&R“ setzt jedes dritte Projekt mindestens 16- Ladepunkte um. Dadurch, dass 75 % aller Projekte bereits Ladeinfrastruktur vor LINOx BW umgesetzt hatten, sowie nahezu alle Projekte ein Lademanagement planen, sind breite Vorkenntnisse in diesem Anwendungsfall zu vermuten. Bei den insgesamt 542 geplanten Ladepunkten dominieren kleinere Ladeleistungen im AC-Bereich. Dass tendenziell Ladepunkte mit kleineren Ladeleistungen mit Lademanagement kombiniert werden, wie es optimalerweise in der Elektromobilität in Parkhäusern der Fall sein sollte, unterstützt die These umfassender Vorkenntnisse der LZE. Mangelhaft sieht es in der Sektorenkopplung aus: Nur ein Projekt plant den Aufbau eines Speichers. Die folgenden Bilder zeigen Ergebnisse der t 0 -Befragung. Die Bilder 2 und 3 zeigen Ergebnisse des bestehenden Fuhrparks der LZE im Anwendungsfall „privates Firmengelände“. 1467 Fahrzeuge sind zum aktuellen Zeitpunkt der Datenauswertung bei diesen LZE vorhanden. Gut zwei Drittel der Fahrzeuge besitzen einen Dieselmotor, insgesamt nur 9 % der Fahrzeuge sind zumindest teilweise elektrisch unterwegs (Bild 2). Bild 3 unterstreicht, dass momentan vor allem im Klein- und Kleinstwagensegment Elektrofahrzeuge vorhanden sind. Die große Anzahl an Nutzfahrzeugen liegt an einer vergleichsweise hohen Quote von Kommunen bzw. kommunalen Eigenbetrieben, die über LINOx BW gefördert werden. Bild 4 zeigt, dass die höchsten Jahreslaufleistungen mit großem Abstand in der oberen Mittelklasse bei Bild 2: Antriebsarten der Fahrzeuge in LZE- Fuhrparks. © Hager, Graf Antriebsarten je Fahrzeug n = 1467 Elektro 6 % PHEV 3 % Unbekannt 4 % Benzin 22 % Diesel 65 % 74 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Die im vorliegenden Praxisbericht verwendeten Daten sind auf den Stichtag 31. Oktober 2021 datiert - das offizielle Projektende ist auf den 30. September 2022 terminiert. Zum Stichtag wurden im Rahmen des Forschungsprojektes bereits rund 1700 Ladepunkte in 23 Städten unter Inanspruchnahme von rund 8,2 Mio. Euro Fördermitteln gefördert. Bild 1 zeigt die räumliche Übersicht der geförderten Ladepunkte in den einzelnen Kommunen. Forschungsdesign des Projektes Die Ziele der Forschung in LINOx BW sind eine übergreifende räumliche Analyse unterschiedlicher Rahmenbedingungen der einzelnen LZE in den jeweiligen Kommunen, die dahinterliegenden Planungsprozesse und Nutzerpräferenzen, die Integration der Ladeinfrastruktur in kommunale Energiesysteme sowie die Abschätzung der Reduktion von Stickoxiden durch den Aufbau der Ladeinfrastruktur. Die Einteilung der LZE erfolgt in sieben verschiedene Anwendungsfälle: „Wohnquartier“, „halb-öffentlicher Raum“, „Parkhaus / P&R“, „privates Firmengelände“, „Pflegedienste“, „Pedelec“ und „Tourismus“. Im vorliegenden Praxisbericht werden bisherige Erkenntnisse zu den Anwendungsfällen „Parkhaus / P&R“ sowie „privates Firmengelände“ vorgestellt. Zunächst stellt sich die Frage der Definition der beiden Anwendungsfälle: In den vorzulegenden Antragsunterlagen der LZE ist darzustellen, an welchen Orten und unter welchen Zugangsbedingungen welche Anzahl an geplanter Ladeinfrastruktur mit welcher Ladeleistung realisiert werden soll. Sobald die Zugangsbedingungen auf eine geschlossene Nutzergruppe wie beispielsweise Mitarbeiter*innen eines Unternehmens beschränkt sind, wird der LZE dem Anwendungsfall „privates Firmengelände“ zugeteilt (auch wenn diese Stellplätze in einem Parkhaus untergebracht sind). Sofern eine teilweise öffentliche Nutzung der Ladeinfrastruktur in einem Parkhaus oder an einem P&R-Standort geplant ist, erfolgt eine Zuteilung zu diesem Anwendungsfall. Bei Mischnutzungen erfolgt eine Zuteilung in „Parkhaus / P&R“. Zur wissenschaftlichen Analyse der geplanten Vorhaben der einzelnen LZE wird eine Kombination aus qualitativen und quantitativen Befragungen durchgeführt. Im Zuge der Übersendung des jeweiligen Förderbescheids für die geplante Ladeinfrastruktur müssen alle LZE einen teilstandardisierten t 0 -Fragebogen ausfüllen, in denen diese Angaben zum Status Quo ihres Vorhabens machen, etwa zu den Themenbereichen Fuhrpark, bereits bestehender Ladeinfrastruktur, zur Größe der Parkierungsanlage oder zur Unternehmensgröße. Für jeden Anwendungsfall sind zudem weitere spezifische Fragen zu beantworten. Mit ausreichend zeitlichem Vorlauf zum Projektende werden alle LZE einen t 1 -Fragebogen (aktuell geplant: Versand im März 2022) bekommen, der erneut zum Beispiel den Fuhrpark der LZE erfragt, nun aber auch die Strommenge, die die geförderte Ladeinfrastruktur seit dem jeweiligen Datum der Inbetriebnahme an Elektrofahrzeuge abgegeben hat. Diese Informationen dienen der abschließenden Ermittlung der Reduktion von Stickoxiden durch das Projekt. Darüber hinaus wurden bei der Prüfung der Antragsunterlagen der einzelnen LZE auffallend umfangreiche oder spezielle Projekte, beispielsweise mit weitgreifender Integration erneuerbarer Energien oder der Nutzung für e-Carsharing-Flotten zu einem ungefähr einstündigen telefonischen Leitfadeninterview ausgewählt (sogenannte Lead-Partner). Der Leitfaden umfasst vier Frageblöcke: Analyse von Kommunikations- und Entscheidungswegen, Analyse der Kosten-Erlösdaten und der Betreibermodelle, Nutzungsintensität der Ladeinfrastruktur sowie anwendungsfallspezifische Fragen. Bild 1: Geförderte Ladepunkte in den 23 Kommunen in LINOx BW. © Hager, Graf Stuttgart Backnang Heilbronn Mannheim Freiburg Ludwigsburg Heidelberg Reutlingen Ravensburg Schwäbisch Gmünd Ilsfeld Esslingen Tübingen Leonberg Kuchen Markgröningen Herrenberg Sindelfingen Freiberg am Neckar Mögglingen Heidenheim Ulm Leinfelden-Echterdingen Geförderte Ladepunkte (AC und DC) aller LZE in den 23 Kommunen in LINOx BW 193 8 194 32 243 312 106 107 170 23 16 34 47 37 5 10 2 28 3 2 4 136 4 73 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Hintergrund und Projektinformationen Die in Deutschland gültigen Grenzwerte für Stickoxide wurden von der EU-Kommission im Jahr 2008 verabschiedet und müssen seit 2010 in allen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden [1]. Im Jahr 2017 überschritten allerdings deutschlandweit 65 Städte den gesetzlich vorgeschriebenen Tageshöchstwert von 40 μg/ m³ [2]. Bei anhaltender Überschreitung der Grenzwerte sind die betroffenen Städte rechtlich verpflichtet, Maßnahmen zur Senkung der Stickoxidwerte zu unternehmen, wie beispielsweise Fahrverbote für Fahrzeuge mit Dieselmotor. Um solchen Maßnahmen entgegenzuwirken, hat die Bundesregierung 2017 das Sofortprogramm „Saubere Luft 2017 - 2020“ ins Leben gerufen. Im Rahmen dieses Sofortprogramms hat das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi, heute Bundesministerium für Wirtschaft und Klima) das Forschungsprojekt LINOx BW gefördert, das den Aufbau von Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in den betroffenen Städten in Baden-Württemberg unterstützt [3]. Konsortialpartner des Projektes sind der Städtetag Baden-Württemberg als Konsortialführer, der Verband Region Stuttgart, das Institut Stadt|Mobilität|Energie (ISME), das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden- Württemberg (ZSW) sowie die e-mobil BW - Landesagentur für neue Mobilitätslösungen und Automotive Baden-Württemberg als assoziierter Partner. Alleinstellungsmerkmal des Projektes ist die Bündelung von interessierten Antragstellern (im Folgenden Letztzuwendungsempfänger (LZE) genannt), die in einer der betroffenen Kommunen ihren Unternehmenssitz haben oder einen regelmäßigen Fahrtbezug zu einer der betroffenen Kommunen nachweisen können. Zudem sind die Kommunen selbst ebenfalls antragsberechtigt. Diese stellen einen Antrag auf Förderung beim Verband Region Stuttgart, der, sofern von einer Projektjury genehmigt, im Rahmen eines Weiterleitungsvertrags die Fördergelder des Bundes an die LZE nach regelmäßiger Vorlage von Abrechnungen übersendet. Zwischenergebnisse des BMWi-Projektes LINOx BW Fact-Sheet der Anwendungsfälle: Parkhaus - P&R - privates Firmengelände Elektromobilität, Ladeinfrastruktur, Baden-Württemberg, Stickoxide, Parkhaus, Firmengelände Karsten Hager, Alexandra Graf LINOx BW wurde im Zuge des Sofortprogramms „Saubere 2017-2020“ gefördert und bündelt Aktivitäten des Ladeinfrastrukturaufbaus der insgesamt 23 baden-württembergischen Städte, die in den Jahren 2017 und 2018 die Stickoxidgrenzwerte überschritten haben. Das vierjährige Projekt endet offiziell zum 30.September 2022; bereits jetzt wurden rund 1700 Ladepunkte bei etwa 110 verschiedenen Antragstellern in insgesamt sieben unterschiedlichen Anwendungsfällen gefördert. Der vorliegende Praxisbericht konzentriert sich auf die wissenschaftlichen Zwischenergebnisse dieser Anwendungsfälle, die auf einer quantitativen Befragung sowie qualitativen Leitfadeninterviews basieren. © Stux on pixabay 72 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Interdisziplinäre Kooperation in der Gestaltung urbaner Quartiere Die genannten Ansätze sind in erster Linie eine Reaktion auf die geschilderten Entwicklungen im urbanen Waren- und Wirtschaftsverkehr und zugleich wichtige Bausteine der künftigen Auseinandersetzung mit urbaner Logistik im Bestand. Um nicht durch die dynamische Entwicklung überrollt zu werden, wird es für die Kommunen entscheidend sein, diese Logistikbedürfnisse frühzeitig proaktiv mitzudenken, sie als wichtiges Handlungsfeld in alle relevanten Planungs- und Steuerungsprozesse zu integrieren und so die Möglichkeiten der konzeptionellen Steuerung bestmöglich zu nutzen [5]. Für eine ganzheitliche Betrachtung stadtverträglicher Lieferstrukturen können standortbezogene Mobilitätskonzepte, integrierte Stadtentwicklungskonzepte und Quartiersplanungen einen wichtigen konzeptionellen Rahmen schaffen. Nur so wird gleichermaßen Mehrwert für logistische Ver- und Entsorgung wie für Lebens- und Aufenthaltsqualität in Stadtraum und Quartier zu gestalten sein. Insbesondere bei Quartiersneuentwicklungen machen es die aktuellen Trends im Warenverkehr erforderlich, sorgfältig auszuloten, welche Maßnahmen für die logistischen Anforderungen aus dem Quartier sowie den umgebenden Stadtvierteln umgesetzt werden können. Dabei bedarf es nicht nur einzelner Lösungen, sondern vielmehr eines breiten Maßnahmenspektrums: Neben der stadtraumverträglichen Integration geeigneter Mikro-Hubs müssen die neuen Anforderungen auch mit Flächenumverteilung und Neugestaltungen im Straßenraum einhergehen, sollen Güterströme verstärkt gebündelt und auf alternative Transportmittel umgeschlagen werden. Auch kann zentralen Orten wie den Haltepunkten des öffentlichen Verkehrs eine größere Bedeutung bei der Abwicklung von Lieferketten und Paketempfang zukommen. Darüber hinaus sind Organisations- und Managementstrukturen sowie Steuerungsinstrumente einzubeziehen und für die ortsspezifischen Bedarfe zu konkretisieren. Dabei ist darauf zu achten, dass urbane Logistikansätze der Dienstleister weniger miteinander konkurrieren, als dass an möglichst vielen gemeinsamen Lösungen gearbeitet wird. Mit der Novellierung der Baunutzungsverordnung 2017 und der neuen Gebietskategorie „Urbanes Gebiet“ werden künftig im Sinne der „Stadt der kurzen Wege“ verstärkt gemischte Quartiere und Stadtteile mit hoher Nutzungsdichte entstehen können - eine Chance, um die Perspektiven von Innenstadtlogistik und Stadtplanung zusammenzuführen und auch baurechtlich Grundlagen für neue Nutzungsmischungen vorzubereiten. Hier kann der Mixed-Use-Ansatz nicht nur eine Antwort auf den Mangel geeigneter Immobilien und Flächen sein, sondern ein bewusster Steuerungsansatz, um Logistikbedürfnisse und Stadtraumqualitäten in Einklang zu bringen. Die Gestaltung guter integrierter Lösungen setzt dabei von allen Akteuren - aus Wissenschaft, Wirtschaft, Stadt- und Verkehrsplanung sowie Politik - ein hohes Maß an Engagement und Offenheit voraus. Die Bereitschaft zur interdisziplinären Zusammenarbeit vorausgesetzt, kann so eine nachhaltige wie attraktive Logistik im urbanen Raum gelingen. LITERATUR [1] KE Consult & Prognos: Marktanalyse urbane Wirtschaftsverkehre in Deutschland, 2019. [2] BIEK: Presseinformation 07/ 2021; BIEK 2020: KEP- Studie 2020 - Analyse des Marktes in Deutschland, 2021. [3] Lierow, M., Wisotzky, D.: Letzte Meile macht E-Food zu schaffen. Lebensmittelzeitung 22 (2019) S. 34. [4] Industrie- und Handelskammer Region Stuttgart (Hrsg.): Hölderich, P., Weiß, M., Wolff, P., Rüdiger, D., Jarmer, J.-P., Flammann, M., Micchiche, G.: City-Logistik neu gedacht - Impulse für das Stuttgarter Rosensteinviertel, 2020. [5] Planersocietät (Hrsg.): Wolff, P., Frehn, M., Weiß, M., Redicker, L., Baniseth, R., Becker, N.: Urbane Logistik in der Stadt und Verkehrsplanung, 2021. • Alle Abbildungen in Anlehnung und Weiterentwicklung an die Impulsstudie „City-Logistik neu gedacht“ [4]. Dipl.-Ing. Mario Flammann Architekt und Stadtplaner Geschäftsführender Gesellschafter pesch partner architekten stadtplaner GmbH Stuttgart/ Dortmund Kontakt: Flammann@pesch-partner.de Philipp Hölderich, M.Sc. Stadt- und Verkehrsplaner Team- und Standortleiter Planersocietät in Karlsruhe Kontakt: hoelderich@planersocietaet.de Pascal Wolff, M.Sc. Geograph und Raumplaner Projektleiter Planersocietät in Dortmund Kontakt: wolff@planersocietaet.de AUTOREN 71 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität stadtraumgestalterische Einbindung dieser, wenn auch teilweise nur temporär genutzten Flächen ist für deren Akzeptanz von besonderer Bedeutung. Der erforderliche Flächenbedarf hängt dabei von der Anzahl der Dienstleister und der potenziellen Empfänger im Einzugsbereich des Mikro-Hubs ab. Die Vorteile einer effizienteren räumlichen Nutzung stehen hierbei den individuellen Nachteilen einer Anpassung und Harmonisierung der Betriebsabläufe der Nutzenden gegenüber. Der am stärksten kooperativ angelegte Ansatz des Mikro-Hubs ist die Verknüpfung mit einer White-Label-Belieferung (Beispiel: Velocarrier: mehrere Städte seit 2017), bei der eine gebündelte Zustellung vom Mikro-Hub auf der letzten Meile durch einen neutralen Transportdienstleister erfolgt. Hoher Konkurrenzdruck in der KEP-Branche mit jeweils eigenen optimierten Logistiksystemen erschwert jedoch oftmals die Zusammenarbeit und die Bereitschaft, Infrastrukturen gemeinsam zu nutzen. Mit dem Ziel einer minimalen Verkehrsbelastung im Quartier kann eine solche Bündelung aus Sicht der Kommunen jedoch wünschenswert sein. Die Ausweisung größerer Neubauflächen für Logistik in urbanen Quartieren wird nur in seltenen Fällen gelingen, stehen sie doch in direkter Konkurrenz zu weiteren innenstadtrelevanten Nutzungsarten wie Wohnen, Büro und Handel; zudem bestehen bei solchen Flächen hohe Miet- und Preiserwartungen. So liegt es nahe, dass nicht nur Akteure aus der Logistik-Branche verstärkt eine kooperative Gebäude- oder Flächennutzung in den Blick nehmen und effiziente nutzungsgemischte Lösungen im Bestand gesucht werden. Hier bietet der Ansatz der Multi- oder Mixed-Use-Immobilien und -Flächen neue Chancen für eine nachhaltige urbane Logistik. Durch die Kombination unterschiedlicher Nutzungen kann einerseits die Kostenstruktur der Mikro-Hubs verbessert werden, zugleich bieten neue Nutzungsnachbarschaften Möglichkeiten für Angebotserweiterungen und Synergieeffekte. Pilot- und Forschungsprojekte untersuchen die funktionalen und ökonomischen Vor- und Nachteile von Mehrfachnutzungen (Beispiel: Parkup, evopark/ Velocarrier/ Fraunhofer IAO, Stuttgart 2017). Sie zeigen auf, dass von erweiterten kundenorientierten Serviceangeboten und integrierten Geschäftsmodellen nicht allein die Logistikdienstleister, sondern das Quartiersumfeld insgesamt profitieren kann (Beispiel: Logistik Concierge Wien 2018). Eine Kooperation der Logistiker ist darüber hinaus auch mit dem bestehenden Einzelhandel (Beispiel: RealLab Hamburg: Hamburg 2021) oder in Kombination mit Mobility-Hubs möglich. Multi-Use-Ansätze bieten vor allem Chancen für die Etablierung neuer urbaner Bausteine, in denen Logistikprozesse stadtverträglich integriert werden können. Einer lebendigen Erdgeschosszone kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Sie sollte, auch bei komplexen funktionalen Anforderungen an einen leistungsfähigen Güterumschlag, sorgfältig gestaltet und wo möglich mit attraktiven Nutzungen belegt werden, um Stadtraum und Nachbarschaft qualitativ aufzuwerten. Unter Berücksichtigung erforderlicher Einfahrtshöhen, Wenderadien, Flächenbedarfe und Gewichtslimits bieten insbesondere Parkhäuser und Tiefgaragen in Innenstadtnähe oder Quartiersgaragen Möglichkeiten für die Integration dieser kooperativen Konzepte. Auch bestehender Bild 5: Mixed-Use- Immobilien - neue Chancen für integrierte urbane Logistikbausteine. © pesch partner Leerstand im Erdgeschoss etwa durch ungenutzte Ladenlokale kann Potenzial für eine integrierte Logistikfläche bieten und so wiederbelebt werden. Die „Renaissance der Quartiersgaragen“, die nicht zuletzt aus Wirtschaftlichkeits- und Nachhaltigkeitsgesichtspunkten in aktuellen Quartiersentwicklungen verstärkt an Bedeutung gewinnen, bietet hier Chancen, Mobilitäts- und Logistikbedarfe mit ergänzenden Versorgungsinfrastrukturen für das Stadtquartier zu bündeln. Im besten Fall kristallisieren sich hier neue lebendige Begegnungsorte mit einem stadtteilrelevanten Versorgungsangebot (Paketstation, Nahversorgung, Quartierswerkstatt etc.) heraus. Die Gestaltpotenziale dieser neuen urbanen Logistikbausteine sind heute bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Umso mehr sollten sich Planer aufgefordert fühlen, die funktionalen und gestalterischen Chancen interdisziplinär auszuloten und überzeugende Bilder für deren stadtverträgliche Integration zu entwickeln. 70 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität automatisierte Paketzustellungen durch autonome Fahrzeuge bzw. selbstfahrende Paketroboter denkbar, sobald technologische Hürden überwunden und ein konfliktfreies und sicheres Verkehrsgeschehen sichergestellt werden kann. Hierzu laufen Pilot- und Forschungsprojekte derzeit vornehmlich auf Privatgrundstücken oder im Ausland (Beispiel: Posten Norge: Norwegen 2018). Während die Feindistribution auf der „letzten Meile“ immer vielfältiger wird und gemeinsam mit dem eigentlichen Warenumschlag gedacht wird, ist die Anlieferung des Mikro-Hubs - also die „vorletzte Meile“ - von einem zentralen Depot oder einem regionalen Verteilzentrum meist nicht Gegenstand der Betrachtungen und wird klassisch per LKW oder mit einem Transporter im Nahverkehr gewährleistet. Aber auch hier existieren aktuelle Trends und visionäre Ansätze: Sowohl eine zeitliche als auch eine räumliche Verlagerung der Wirtschaftsverkehre wird hier geprüft, um Störungen zu minimieren. So werden beispielsweise Projekte zu geräuscharmer Belieferung in Randzeiten erprobt (Beispiel: GeNaLog: Köln 2017). Auch mit der Einbindung etwa von Straßenbahnen (Beispiel: Logistiktram: Frankfurt 2020) oder der Verlagerung auf eigenständige unterirdische Warentransportsysteme (Beispiel: Smart-City-Loop: Hamburg 2021) wird experimentiert und geforscht. Dabei gilt es, Vor- und Nachteile, die sich durch die Mehrfachnutzung bestehender bzw. den Aufbau spezifischer Infrastrukturen hinsichtlich Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit ergeben, sorgfältig abzuwägen. Soll eine stadtverträgliche Optimierung der Warentransporte im urbanen Raum gelingen, sind in diesem Zusammenhang nicht nur verkehrsbezogene Fragen des Zu- und Abverkehrs eines Mikro- Hubs zu beantworten, sondern die städtebauliche Integration und flächensparende Gestaltung eines solchen „Mikro-Umschlagplatzes“ insgesamt mitzudenken. Inzwischen existieren verschiedene Ansätze und Ideen, einen oder zumeist mehrere Mikro-Hubs in urbanen Räumen zu etablieren. Erste Erfahrungen wurden in der Praxis vornehmlich mit (temporären) Single-User Mikro-Hubs gesammelt (Beispiel: UPS Hamburg Modell: Hamburg 2015). Das sind Umschlagspunkte, die lediglich durch einen Dienstleister/ Nutzer in Anspruch genommen werden. Die Möglichkeit des Warenumschlags bzw. die zur Verfügung stehende Fläche und übrige Infrastruktur (Beispiel: E-Lademöglichkeiten) wird also von nur einem Akteur als Baustein der Lieferkette genutzt. Da bei jedem weiteren Nutzer Skaleneffekte für die notwendigen Flächen für diese Umschlagspunkte (vor allem die Zu- und Abfahrten, Rangierflächen) und ergänzende Infrastrukturen auftreten, können in einer gemeinsamen Nutzung Flächen- und Kostenvorteile (etwa anfallende Nebenkosten oder auch notwendige sanitäre Anlagen) liegen. Diese Vorteile entstehen insbesondere bei Nutzung geeigneter zentrumsnaher Immobilien und Flächen, die angesichts der hohen Miet- und Nebenkosten in der Regel für einen einzelnen Nutzer nicht effizient bewirtschaftet werden können. Als eine konsequente Weiterentwicklung der Single-User Mikro-Hubs sind demnach die (temporären) Multi-User Mikro-Hubs zu verstehen (Beispiel: KoMoDo und Te-Damm: Berlin 2018 und 2020). Neben der kooperativen Nutzung durch die großen national und international tätigen KEP-Dienstleister ist auch eine „Beimischung“ von etablierten lokalen Händlern oder weiteren Akteuren möglich. Eine Bild 3: Single-User Mikro- Hubs - temporäre Pilotphasen der Innenstadtlogistik. © pesch partner Bild 4: Multi-User Mikro-Hubs - kooperative Nutzungsperspektiven. © pesch partner 69 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität dem Stückgutverkehr mit 90 Mio. Tonnen und der KEP-Branche (Kurier-, Paket- und Expressbranche) mit 25 Mio. Tonnen (Stand: 2018) zeigt sich dieser Trend insbesondere durch die Zunahme im B2C- Segment (Business-to-Consumer) [1]. Vor allem die Zunahme des Online-Handels hat den Güterverkehr in den vergangenen Jahren auch abseits von Hauptverkehrsstraßen und klassischen Umschlagplätzen im Stadtbild immer deutlicher sichtbar gemacht. Das signifikante Wachstum im deutschen Markt mit etwa 1,7 Mrd. Sendungen im Jahr 2000, gut 2,3 Mrd. Sendungen im Jahr 2010 und gut 4 Mrd. Sendungen im Jahr 2020 ist ungebrochen. Die Covid-19-Pandemie wirkt dabei als Trendbeschleuniger mit einem sprunghaften Anstieg um 400 Mio. Sendungen allein im Jahr 2020 gegenüber 2019 [2]. Immer kürzere Bestell- und Lieferzyklen mit „Same-Day-“ und „Instant-Delivery“-Services bei gleichzeitiger Zunahme anspruchsvoller Warengruppen und individuellere Kundenansprüche können dazu führen, dass sich das Sendungsaufkommen bis Ende des Jahrzehnts nochmals mehr als verdoppeln wird [3]. Die starke Präsenz insbesondere der KEP-Dienste im Stadtbild und die erwartete weitere Zunahme zeigen sich auch im Fahrzeugbestand. Auch bedingt durch geringere Transportvolumina der einzelnen Fahrzeuge liegen KEP-Dienste hier mit etwa 130 000 Fahrzeugen bereits deutlich vor dem Stückgutverkehr (etwa 70 000) und hinter der Konsumgüterlogistik (gut 210 000 Fahrzeugen) - allerdings weit weniger deutlich als in der Betrachtung der Gütermenge (Deutschland Stand: 2018) [1]. Dynamik und Prognosen der Stadt- und Mobilitätsentwicklung verdeutlichen die Notwendigkeit einer flächensparsamen und effizienten Organisation der Paketzustellung. Ihre stadtverträgliche Realisierung muss wichtiges Ziel in der Entwicklung urbaner Quartiere sein. Dafür müssen urbane, funktional wie räumlich anspruchsvolle, kompakte Logistiklösungen gesucht werden, die in gleichem Maße für den öffentlichen Stadtraum und das Quartier einen Mehrwert schaffen. Gerade bei starker urbaner Verdichtung ist eine integrierte und effiziente Abwicklung aller Mobilitätsaspekte erforderlich, um den hohen Ansprüchen an Lebensqualität durch die Förderung von Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit gerecht werden zu können. Lösungsansätze - Mikro-Hubs als Dreh- und Angelpunkt der Quartierslogistik Das Spektrum an denkbaren urbanen Logistiklösungen muss dabei bewusst breit gedacht werden - innovative Pilotprojekte umfassen gleichermaßen Straßenraum, Immobilienplanung wie Organisationsstrukturen - das zeigen aktuelle Studien [4]. Im Fokus stehen dabei einerseits Überlegungen zu organisatorischen Maßnahmen (zum Beispiel: Quartierslogistikmanagement, sensorgestütztes Lieferzonenmanagement) und weitere Optionen im Ablauf der Endzustellung bzw. Übergabe der Ware (zum Beispiel: private Paketempfangsanlagen, öffentliche Quartiersboxen), die stark durch eine Optimierung der Logistikprozesse und damit verbundener Kostenreduktion getrieben sind; andererseits vor allem der urbane Transport und der dafür notwendige Warenumschlag. Einige Städte erproben in diesem Zusammenhang im Sinne der Verkehrsvermeidung, -verlagerung und verträglichen Abwicklung (umweltverträglich, sicher, leise usw.) der Verkehre zunehmend den Umgang mit Mikro-Hubs. Aktuell sind das nahezu ausschließlich Großstädte mit hohem Sendungsaufkommen in den Innenstädten und Stadtteilzentren. Die Mikro-Hubs stellen im Gegensatz zu großen regionalen Verteilzentren ein meist innerstädtisch gelegenes und verhältnismäßig kleines Zwischendepot dar, von dem aus die kundennahe Endzustellung stattfindet. Die Feindistribution auf der „letzten Meile“ hin zum Endkunden findet von dort aus stadtverträglich und ressourcenschonend zu Fuß (mit Unterstützung durch verschiedene Transportvehikel), mit dem (E-)Lastenfahrrad oder E-Kleinstfahrzeugen wie beispielsweise speziellen E-Scootern oder Elektrodreirädern statt. Neben den aktuellen Möglichkeiten der Endzustellung sind künftig auch Bild 1: Transportmenge und Fahrzeugbestand je Segment. © Planersocietät Bild 2: Entwicklung Sendungsaufkommen KEP-Dienste. © Planersocietät 68 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Urbane Logistik: Eine interdisziplinäre Aufgabe Integriert gedachte Logistikansätze für urbane Stadtquartiere Mikro-Hub, Multi-/ Mixed-Use, letzte Meile, Quartierslogistik, Urbanes Gebiet Mario Flammann, Philipp Hölderich, Pascal Wolff Neben der leistungsfähigen und stadtverträglichen Abwicklung des Personenverkehrs muss künftig auch das Wachstum innerstädtischer Waren- und Wirtschaftsverkehre deutlich stärker in der Stadtentwicklung eingeplant werden. Hier sind vor allem Konzepte zu entwickeln, die die Wechselwirkungen zwischen Logistiksektor, Stadt- und Verkehrsplanung in urbanen Stadtquartieren stärker berücksichtigen. Eine Vielzahl innovativer Lösungsansätze für eine effizientere und stadtverträgliche (Waren-)Verkehrsabwicklung wird aktuell erprobt - sie bieten die Chance, Stadt und Logistik neu zu denken. © Manuel Alvarez auf Pixabay Aktuelle Entwicklungen und Handlungserfordernis Das anhaltende Wachstum der Städte und der Trend zur Nachverdichtung, der gesellschaftliche und demografische Wandel, Digitalisierung sowie Umweltbelastungen und Klimaschutz sind grundsätzliche Herausforderungen, mit denen sich die Stadt- und Verkehrsplanung seit Jahren konfrontiert sieht. Dabei steigen die Anforderungen an die Verkehrsinfrastruktur rapide an. Zugleich gewinnen hochwertig nutzbare öffentliche Stadträume nicht erst seit der Covid-19-Pandemie an Bedeutung. Insbesondere in den stark verdichteten Stadtquartieren werden die daraus resultierenden Flächenkonkurrenzen und Nutzungskonflikte zunehmend sichtbar. Zugleich erschweren Verfügbarkeiten und Bodenpreise die Umsetzung geeigneter Logistiklösungen. Neben den Konflikten der klassischen Verkehrsträger im Personenverkehr (Fußverkehr, Radverkehr, öffentlicher Personennahverkehr und motorisierter Individualverkehr) hat seit eh und je der Straßengüterverkehr besondere Ansprüche an Verkehrsinfrastruktur und Flächen (Umschlagplätze) gestellt. In den urbanen Räumen konkurriert ein Teil dieses Güterverkehrs verstärkt um Flächen, die nicht per se gewerblichen Nutzungen vorbehalten sind. Trotz des großen Anteils der Business-to-Business (B2B) dominierten Konsumgüterlogistik im Wirtschaftsverkehr in Deutschland mit einem Transportaufkommen von 360 Mio. Tonnen gegenüber 67 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität it-trans.org NEU TERMINIERT! TERMIN VORMERKEN. PERSÖNLICH TREFFEN. 10. - 12. Mai 2022 Messe Karlsruhe und Wuppertal schon so weit, dass Studien fertiggestellt oder - wie in Stuttgart und München - beauftragt worden sind. Für die politischen Entscheidungsträger stellt das neue Verkehrsmittel nicht nur anspruchsvolle Anforderungen an Planung und Bau, sondern auch an die Kommunikation. Schließlich müssen die Betroffenen in den Städten von dem Konzept überzeugt sein. Es dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein, bis urbane Seilbahnprojekte verstärkt auf den Radarschirmen der Verkehrsplaner auftauchen und als sinnvolle Ergänzung des bestehenden öffentlichen Nahverkehrs betrachtet werden. Schließlich bringt ein Seilbahnsystem viele Möglichkeiten mit sich und öffnet städte- und verkehrsplanerisch neue Türen. Allerdings ist das für jede Stadt individuell zu betrachten, weil die Infrastruktur, das Verkehrsaufkommen oder die Topografie überall unterschiedlich sind. Der Leitfaden von Drees & Sommer und dem Verkehrswissenschaftlichen Institut in Stuttgart für die stadt- und verkehrsplanerische Integration von Seilbahnen wird Entscheidungsträgern als Handlungsanweisung dienen und kann die Akzeptanz dieses Verkehrsmittels in der Bevölkerung erhöhen. Sebastian Beck Associate Partner Drees & Sommer SE Kontakt: info@dreso.com Olivia Franz Projektmanagerin Drees & Sommer SE Kontakt: info@dreso.com AUTOR*INNEN 66 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Sprich, nur wer den Dialog sucht und offensiv kommuniziert, kann auch die Bedenken der Menschen berücksichtigen und ausräumen. Leichter wäre es für die Entscheidungsträger in den Kommunen, wenn es in Deutschland ein „Pilotprojekt“ für eine in den Nahverkehr integrierte Seilbahn gäbe, woran sich Städte und ihre Bewohner orientieren könnten. Die Bedenken der Menschen sind zwar real, aber oft diffus. 16 teils unterschiedliche Landesseilbahngesetze sind dabei der Sache nicht unbedingt förderlich. Vorstellungen über die Machbarkeit klaffen auch weit auseinander. So sind Stützen heutzutage nur noch im weiten Abstand von 200 bis 300 Meter nötig, mit moderner Technologie sogar bis zu einem Kilometer, während vor Jahrzehnten noch ein Abstand von 50 Metern für notwendig erachtet wurde. BMDV nimmt Seilbahnen für Städte ins Visier In Deutschland wurde bislang noch kein einziges Seilschwebebahnprojekt in den ÖPNV integriert, weshalb auch keine unmittelbaren Erfahrungswerte vorliegen. Einen wichtigen Anstoß, diese Zurückhaltung aufzugeben, gab das Bundesverkehrsministerium (BMDV) im Sommer 2020, als sie Drees & Sommer zusammen mit dem Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart (VWI) den Forschungsauftrag erteilte, eine Studie über die „stadt- und verkehrsplanerische Integration urbaner Seilbahnprojekte“ zu erarbeiten und einen Leitfaden für die „Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV) zu erstellen. Ziel ist, so das BMDV, „innovative Konzepte zu schaffen, die das öffentliche Verkehrssystem sinnvoll ergänzen und neue Optionen für nachhaltige Mobilität im urbanen Raum ermöglichen.“ Dabei geht es nach der Vorstellung des BMDV um nichts weniger als um einen „nationalen Standard“ für urbane Seilbahnen in Deutschland. Zwar gibt es mit der „EU-Seilbahnverordnung 2016/ 424“ eine europäische Rechtsgrundlage, die Vorschriften über den Entwurf, den Bau und den Betrieb neuer Seilbahnen enthält. Als Fallbeispiele dienten in der Verordnung die Anlagen in Lissabon und London, die allerdings erbaut wurden, bevor die EU-Verordnung in Kraft trat, und deshalb kaum als praktische Handlungsanweisung herangezogen werden können. Hinzu kommt, dass die Erfahrungen in Bezug auf Planungs- und Genehmigungsverfahren aus anderen Ländern aufgrund unterschiedlicher politischer und gesellschaftlicher Bedingungen nicht oder nur eingeschränkt auf Deutschland übertragbar sind. Neue Verkehrsnetze ermöglichen Unbestritten sind urbane Seilbahnen, wenn die Einsatzbereiche klar für ein „überirdisches“ Konzept sprechen. Seilbahnen eignen sich also vorwiegend beim Überwinden topographischer, baulicher und verkehrlicher Hindernisse und als Zubringer bestehender ÖPNV-Trassen. Aufgrund der Höhenunterschiede sind Seilbahnen natürlich gerade in gebirgigen Lagen besonders gut als Transportmittel geeignet. Aber die Höhenlage ist keineswegs ein Pflichtkriterium. Ein Seilbahnsystem erfordert für den Bau relativ wenig Bodenfläche, was gerade in dichtbesiedelten Städten von großem Vorteil wäre. Ihr Einsatz bringt eine Entlastung der bestehenden Verkehrsinfrastruktur und schließt verkehrliche Lücken. Schließlich kann sie leichter verkehrsmäßig belastete und periphere Standorte verbinden und insgesamt neue Verkehrsnetze ermöglichen. Nach Einschätzung des Bundesverkehrsministeriums spielt die Funktion „Überbrücken“ die entscheidende Rolle. Die bisher in Fallbeispielen untersuchten Systeme überqueren Gewässer (New York, Lissabon, London), verbinden höherliegende mit tieferliegenden Standorten (Medellin, La Paz, Portland, Algier, Ankara) oder binden schwer zu erschließende Gebiete an das bestehende ÖPNV-Netz an. Einsatz nur eine Frage der Zeit Wenngleich in Deutschland nur bescheidene Erfahrungen mit Seilbahnen im urbanen Bereich vorliegen, gibt es trotzdem in zahlreichen Städten Planungen zum Einsatz dieses Systems als Ergänzung zum bestehenden öffentlichen Nahverkehr. In Köln, Bonn, Stuttgart, München, Düsseldorf und Berlin sind die Pläne bereits weit fortgeschritten. In Bonn Bild 3: Seilbahn in der Stadt (Konzeptfoto). © zatran GmbH/ Drees & Sommer 65 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität lichen Durchschnittsgeschwindigkeit von bis zu 30-Stundenkilometern entgegen. Und sind sie nicht mehr gewollt, dann geht ihr Rückbau vergleichsweise schnell und einfach vonstatten. Trotz dieser unstrittigen Vorteile gelten Seilbahnen in Deutschland weitgehend als exotisches Verkehrsmittel. Noch nicht einmal vor einem Jahrzehnt stießen solche Mobilitätskonzepte bei Kommunalpolitikern auf völliges Unverständnis, ihre Städte lägen schließlich nicht auf der Zugspitze, lästerten sie. Aber diese Zeiten sind seit der massiven Verkehrsproblematik, der sie sich zunehmend ausgesetzt sehen, vorbei. Die „schräge Idee“ hat sich inzwischen zur Alternative gewandelt. Mehrheit steht Seilbahnen positiv gegenüber Eine repräsentative Drees & Sommer-Stichprobe vom Mai 2019 unter 180 Probanden zwischen 18 und 80 Jahren brachte ein überraschendes Ergebnis: 83 Prozent der Befragten stehen einem Einsatz von Seilbahnen positiv gegenüber, die überwiegende Mehrheit also. Eine Umfrage des Verkehrsexperten Prof. Klaus Bogenberger von der Münchner Bundeswehr-Universität kam mit 87 Prozent Zustimmung zu einem ähnlichen Ergebnis. Die Befragten gaben auch an, Seilbahnen, wenn vorhanden, nutzen zu wollen. Der Drees & Sommer-Umfrage zufolge sind 42- Prozent der Befragten überzeugt, dass Seilbahnen den öffentlichen Nahverkehr insgesamt verbessern und stark beanspruchte Verkehrsstrecken entlasten. Lediglich was das Sicherheits-Empfinden bei dieser Mobilitäts-Alternative betrifft, blieben die Probanden reserviert: Nur 31 Prozent vertrauen dem System „voll und ganz“. Vor allem treibt die Skeptiker die Frage um, wie Betreiber bei unvorhergesehenen Situationen wie Unfällen oder einem Versagen der Technik reagieren. Nicht in meinem Garten 44 Prozent der Befragten plagt hingegen ein völlig anderes Problem: Sie sehen in der Seilbahn, die an ihren Wohnungen vorbeiführt, eine Beeinträchtigung ihrer Privatsphäre. Das sogenannte „Not- In-My-Backyard-Syndrom“, in der Bevölkerung als Sankt-Florians-Prinzip geläufiger, scheint offensichtlich ein mentales Hindernis für die Akzeptanz von Seilbahnen zu sein. Obwohl viele Menschen von den Vorteilen einer solchen Anlage überzeugt sind, bleibt die Zustimmung verhalten, wenn die Kabinen am Schlafzimmerfenster vorbeischweben. Doch selbst diese Sorge ließe sich dank moderner Technik regelrecht in Luft auflösen: Sogenanntes „Privacy Glass“ verdunkelt die Scheiben während der Fahrt zeitweilig, um die Einsicht auf Privatgrundstücke zu schützen. Laut Umfrage gaben drei von vier der Befragten an, dass eine Trasse durchaus in direkter Nähe zu ihrem persönlichen Wohnumfeld verlaufen kann, sofern diese angemessen hoch installiert ist. Und nach aller Erfahrung steigt die Akzeptanz von Seilbahnen, wenn sie erst einmal Teil des öffentlichen Nahverkehrs sind. So sollte die Seilbahn in Koblenz, die anlässlich der Bundesgartenschau 2011 gebaut wurde, nach der Schau wieder abgebaut werden. Doch eine Bürgerinitiative wehrte sich und setzte sich für ihren Verbleib ein. Gesellschaftliche Akzeptanz wichtiger Erfolgsfaktor Für Drees & Sommer, die in Koblenz den Bauherrn bei Wettbewerb und Auswahlverfahren begleiteten, ist deshalb der Rückhalt in der Bevölkerung das entscheidende Erfolgskriterium. Denn obwohl im Vorfeld häufig und heftig umstritten, wollen die Menschen dort, wo sie umgesetzt ist, ihre Seilbahn nicht mehr missen. Damit die Seilbahn also nicht schon vorab in den Köpfen der betroffenen Bürger scheitert, ist ein transparenter Prozess das A und O. Das kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung in dieser Thematik von Beginn an „mitgenommen“ wird. Bild 2: Seilbahn New York. © ElOjoTorpe - GettyImages/ Drees & Sommer 64 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Eine Fahrt mit der Seilbahn löst in unseren Breiten vorwiegend touristische Impulse aus, dabei muss das Angenehme nicht mit dem Praktischen kollidieren: Seilbahnen überspannen Flüsse und Bergeshöhen, große Verkehrsachsen und Bahntrassen. Sie sind schneller zu realisieren und signifikant kostengünstiger zu errichten als Tunnels zu bohren oder Brücken zu bauen. Vor allem ist die luftige Art der Fortbewegung klimafreundlich und kann mit Ökostrom CO 2 -neutral betrieben werden. Was aber die Verkehrspolitikerinnen und -politiker am meisten interessiert: Seilbahnen können Lücken im ÖPNV schließen und beispielsweise die Vorstädte anbinden. Wenn die Kabinen im Umlauf fahren, braucht es noch nicht einmal einen Fahrplan. Man steigt einfach ein und schwebt seinem Ziel mit einer beschau- Pendeln in luftiger Höhe Einsatz von Seilbahnen im öffentlichen Stadtverkehr als echte Alternative Urbane Mobilität, Verkehrskonzepte, Seilbahnen Sebastian Beck, Olivia Franz Verstopfte Straßen, überfüllte Bahnen: Abhilfe könnte der Einsatz von Seilbahnen als fester Bestandteil des ÖPNV schaffen. Nutzerinnen und Nutzer könnten ihrem Ziel dann entspannt in einer Gondel entgegenschweben, die Aussicht genießen und ganz nebenbei für ein besseres Stadtklima sorgen. Wie sinnvoll die Integration urbaner Seilbahnen tatsächlich ist, prüfen die Infrastrukturexperten von Drees & Sommer gemeinsam mit der Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH derzeit im Auftrag des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV). Ein Leitfaden über die Implementierung soll in diesem Jahr veröffentlicht werden. Bild 1: Urbane Seilbahn Singapur. © seng chye teo - GettyImages/ Drees & Sommer 63 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität soll am Beispiel Hamburg im Rahmen des i-LUM Projektes beantwortet werden. Zudem stellt sowohl der Energiebedarf im Betrieb als auch die Entstehung globaler Produktionsketten für die notwendigen Technologien nicht zu unterschätzende Ressourcenanforderungen an das Gesamtsystem. Ein maßvoller Umgang mit potenziellen Anwendungsszenarien, welcher den generellen Stadtentwicklungszielen nicht entgegenwirkt, ist daher notwendig. Oftmals verharren Fördermaßnahmen und „Top-down“-initiierte Pilotprojekte zu sehr in einem temporären und experimentellen Gedanken, anstatt die langfristigen und umfassenden Ziele für die Stadtentwicklung zu betonen [12]. Um dieses Phänomen näher zu untersuchen, werden nicht nur Bürger*innen, sondern auch Verwaltungen zur Beteiligung im LUV-Projekt eingeladen. Dennoch eröffnet UAM zugleich spannende und vielversprechende Qualitäten für die Stadt von morgen: Beschleunigte Abläufe in der medizinischen Versorgung, die Entlastung des bodengebundenen Verkehrs sowie neue Erreichbarkeiten im urbanen Raum können aktuelle Defizite im Transport mindern. Als neue Mobilitätsform sollte UAM als ein akzeptiertes Element einer pluralen Mobilität gedacht werden, welches neben einer zweckorientierten Nutzung auch breite Bevölkerungsteile anspricht. LITERATUR [1] Vascik, P. D., Hansman, R. J., Dunn, N.: Analysis of urban air mobility operational constraints. Journal of Air Transportation, 26 (4), (2018) S. 133 - 146. [2] Straubinger, A., Rothfeld, R., Shamiyeh, M., Büchter, K.-D., Kaiser, J., Plötner, K. O.: An overview of current research and developments in urban air mobility - Setting the scene for UAM introduction. Journal of Air Transport Management, 87, (2020). [3] European Union Aviation Safety Agency: Study on the societal acceptance of urban Air Mobility in Europe, 2021. [4] Lu, M., Liao, X., Yue, H., Huang, Y., Ye, H., Xu, C., Huang, S.: Optimizing distribution of droneports for emergency monitoring of flood disasters in China. Journal of Flood Risk Management, 13 (1), (2020). [5] Sun, X., Wandelt, S., Husemann, M., Stumpf, E.: Operational Considerations regarding On-Demand Air Mobility: A Literature Review and Research Challenges. Journal of Advanced Transportation, 2021. [6] Ploetner, K. O., Al, Haddad, C., Antoniou, C., Frank, F., Fu, M., Kabel, S., Llorca, C., Moeckel, R., Moreno, A. T., Pukhova, A., Rothfeld, R., Shamiyeh, M., Straubinger, A., Wagner, H., Zhang, Q.: Long-term application potential of urban air mobility complementing public transport: an upper Bavaria example. CEAS Aeronautical Journal, 11, (2020) S. 991 - 1007. Tim Fraske, M.Sc. Geograph Mitarbeiter im Projekt i-LUM HafenCity Universität Hamburg Kontakt: tim.fraske@hcu-hamburg.de Alexandra Weissbach, M.Sc. Stadtplanerin Mitarbeiterin im Projekt Medifly HafenCity Universität Hamburg Kontakt: alexandra.weissbach@hcu-hamburg.de Corinna Endreß, B.A. Soziologin Mitarbeiterin im Projekt Medifly HafenCity Universität Hamburg Kontakt: corinna.endress@hcu-hamburg.de Prof. Dr.-Ing. Jörg Rainer Noennig Architekt Professur für Digital City Science HafenCity Universität Hamburg Kontakt: joerg.noennig@hcu-hamburg.de AUTOR*INNEN [7] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: Memorandum für smarte Städte und Regionen zwischen den deutschen Modellstädten und -regionen für Urban Air Mobility - Stadt Aachen, Freie und Hansestadt Hamburg, Stadt Ingolstadt und Region Nordhessen - sowie dem Bundesministerium für Verkehr und Digitale Infrastruktur (BMVI), 2021. [8] Financial Times: Investors pledge a record $ 4.3bn for air taxi start-ups. Online-Artikel vom 24.08.2021. [9] Tagesschau: DHL stellt Entwicklung ein. Paketdrohnen bleiben ein ferner Traum. Online-Artikel vom 09.08.2021. [10] Schwegmann, R., Ziemer, G., Noennig, J. R.: Digital City Science. Researching New Technologies in Urban Environments. Perspectives in Metropolitan Research 6. Jovis Verlag, 2021. [11] Baeza, J. L., Sievert, J. L., Landwehr, A., Luft, J., Preuner, P., Bruns-Berentelg, J., Noyman, A., Noennig, J. R.: City- Scope Platform for Real-Time Analysis and Decision- Support in Urban Design Competitions. International Journal of E-Planning Research (IJEPR), 10 (4), (2021) S. 121 - 137. [12] Lange, K., Knieling, J.: EU smart city lighthouse projects between top-down strategies and local legitimation: The case of Hamburg. Urban Planning, 5 (1), (2020) S. 107 - 115. 62 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Grundlagenforschung und der Entwicklung geeigneter Methoden zur Analyse dieser neuen Mobilitätsform geleistet. LUV Im Verbundprojekt LUV - einer Forschungskooperation von Akteuren aus den Bereichen Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung unter Leitung der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg - werden Lösungen und Handlungsempfehlungen für die nationale Umsetzung der sogenannten U-Space-Verordnung entwickelt. Als U-Spaces werden dabei geographisch abgegrenzte Gebiete bezeichnet, in denen Betreiber von unbemannten Luftverkehrssystemen durch Inanspruchnahme von U-Space-Services neue Anwendungen in der Luftmobilität anbieten können. Mit der von der EU-Kommission im April 2021 verabschiedeten Durchführungsverordnung DVO (EU) 2021/ 664 existiert nun eine gesetzliche Grundlage und ein Rechtsrahmen, mit dem U-Space-Lufträume geschaffen werden können. Mit Erlass der Regelung sollen Mitgliedstaaten diese Durchführungsverordnung bis Januar 2023 in nationales Recht umsetzen - dabei haben die EU-Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Zuständigkeiten und Beteiligungsformen. Um die Gestaltung der Umsetzung zu unterstützen, werden in dem Anfang 2022 gestarteten Projekt LUV Handlungsempfehlungen entwickelt. Das europäische Recht fordert bei der Entscheidung, wo U-Space-Lufträume liegen, die Einbindung der relevanten Akteure. Ein Teilprojekt von LUV wird die Sachkompetenz der Kommunen im Bereich unbemannte Luftfahrt stärken, die vom U-Space maßgeblich betroffen sind und im Beteiligungsprozess daher eine relevante Position einnehmen werden. Dafür wird ein Modell für einen gemeindlichen Strategieprozess entwickelt, das Kommunen befähigen soll, im vorgesehenen Verfahren eine aktive Rolle zu spielen. Zudem wird ein Vorschlag für einen möglichen Stakeholder-Beteiligungsprozess erarbeitet. Ziel ist es, eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz und Gemeinwohlorientierung bei der Formulierung nationaler U-Spaces- Strategien zu erreichen. Die entworfenen Kommunikations- und Koordinierungsmechanismen sollen im Format von Planwerkstätten prototypisch getestet und evaluiert werden, um die gewonnenen Erkenntnisse schließlich zu Handlungsempfehlungen zur Umsetzung der U-Space-Verordnung und zur Einrichtung von gesellschaftlich-akzeptierten U-Space- Lufträumen zu verdichten. Trotz der unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkte und räumlichen Anwendungsszenarien offenbaren alle Projekte verbindende Themen, welche zwangsläufig die erfolgreiche Umsetzung von UAM beeinflussen. So ist neben der offensichtlichen Nachfrage- und Verkehrsmodellierung eine kreative Einbindung der Zivilgesellschaft, wie durch den Einsatz digitaler Tools [11], zur Sensibilisierung für diese neue Nutzungsform unerlässlich. Nicht nur entsteht durch eine umfangreiche Partizipation ein grundlegendes Verständnis hinsichtlich praktischer Konfliktfelder wie Lärmemissionen, es senkt zugleich das Risiko falscher Erwartungen und eines Unsicherheitsgefühl, beispielsweise mit Hinblick auf die potenzielle „Beobachtung” der Privatsphäre. Wie bei allen Ansätzen einer effizienten Partizipation stellt sich jedoch die Herausforderung, soziale Randgruppen adäquat in diese Prozesse einzubinden. So kann es womöglich gar förderlich sein, diese neue Mobilitätsform zunächst in eher businessorientierten Geschäftsmodellen auszutesten, anstatt sie der breiten Gesellschaft zu schnell aufzudrängen. Erfahrungen aus diesen Anwendungsszenarien sollten als kritische Einblicke zur Analyse dafür genutzt werden, welcher soziale Nutzen von UAM erwartet werden kann, anstatt mit zu hohen Erwartungen in den Planungsprozess einzusteigen. Implikationen für die Stadtentwicklung Welche Erkenntnisse können Stadtplaner*innen aus dieser frühen Entwicklung von UAM ziehen? Trotz der Faszination, welche eine neue Mobilitätsform generell umgibt, gilt es, aus den zumeist punktuellen Experimenten Rückschlüsse auf ihre integrative Funktion zu ziehen. Innovative Luftmobilität dringt in einen Raum hinein, welcher bereits durch bestehende Konfliktfelder gezeichnet ist und mit der Digitalisierung, demographischem Wandel und Nachhaltigkeitstransformation immense Aufgaben zu bewältigen hat. Hier ist eine umfassende Einbindung der Bevölkerung ausschlaggebend, um die Akzeptanz für neue Mobilitätsformen zu fördern. Ein Beteiligungskonzept, wie der Einsatz digitaler Plattformen in Medifly, ist aus diesem Grund in vielen Projekten integriert. Negativerfahrungen, wie der bislang erfolglose Versuch, Drohnen in der City- Logistik zu nutzen, sind ein Fingerzeig für den sensiblen Umgang mit Erwartungen und Nachfrage für UAM. Fehlende soziale Integration und Gerechtigkeitsfragen stellen Luftmobilitätskonzepte vor die Gefahr, bestehende Formen sozialer Segregation, wie durch elitäre Geschäftsmodelle oder die fehlende Anbindung peripherer Räume, zu befördern. Diese Probleme können nur durch eine Verbindung der sozialen und technologischen Dimension von Drohnen und Flugtaxis gelöst werden. Wie eine interdisziplinäre Betrachtung von UAM gelingen kann, 61 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Universität Hamburg fokussiert sich auf die wechselseitige Verbindung und Analyse urbaner und technologischer Systeme [10]. Die Projekte geben exemplarisch einen Einblick in die Komplexität des Themas UAM - und erste Wegweisungen für potenzielle Lösungs- und Entwicklungsansätze. Medifly Das Ziel des Projektes Medifly ist die sichere Integration medizinischer Luftfrachtdienste mittels unbemannter Luftfahrzeuge (Bild 5) in den urbanen Luftraum innerhalb sowie außerhalb der Kontrollzone eines Verkehrsflughafens. Das Verbundprojekt wird geleitet von der Hamburger Behörde für Wirtschaft und Innovation. Darüber hinaus soll erarbeitet werden, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit aus Einzelanwendungen regulärer Verkehr entstehen kann bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Sicherheitsbedürfnisse; und inwieweit der Einsatz von Drohnen, am Beispiel des medizinischen Sektors, sowohl einen gesellschaftlichen als auch wirtschaftlichen Mehrwert bieten kann. Ein wichtiger Aspekt hierbei ist die Einbindung der Bevölkerung. Um Drohnenverkehr zu replizieren und zu skalieren, ist die entsprechende Akzeptanz in der Bevölkerung notwendig, die durch den Ausgleich der Interessen erreicht wird. Dafür werden im Projekt eine Status-Quo-Analyse zu Beginn, eine mehrfache Befragung im Projektzeitraum sowie ein digitales Beteiligungstool eingesetzt. Im Teilvorhaben „Einbindung der Bevölkerung“ sollen zwei Fragen beantwortet werden: Wie ist die Einstellung der Bevölkerung gegenüber Drohnen/ Urban Air-Mobility? Kann die Einstellung der Bevölkerung durch eine umfassende Einbindung, im Kontext eines medizinischen Anwendungsfalls, erhöht werden? Dazu wird seit Ende 2021 eine Online-Befragung durchgeführt und die Bevölkerung zu öffentlichen Beteiligungsworkshops eingeladen, die im Frühjahr 2022 geplant sind. Hier können die Teilnehmenden sich in einer digitalen 3D-Stadtumgebung (im U_CODE der TU- Dresden) die genauen Flugrouten der Medifly- Drohnen anschauen, diese kommentieren und eigene Vorschläge zu möglichen Start- und Landeplätzen machen (Bild 6). i-LUM Das Projekt i-LUM (Innovative luftgestützte urbane Mobilität) stellt sich der Herausforderung, Flugtaxis (Bild 7) im Zusammenspiel ihrer komplexen Einzelelemente als ganzheitliches Phänomen zu begreifen. Das Verbundprojekt zwischen vier Hamburger Hochschulen sowie dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt vereint die technologische Entwicklung mit rechtlichen, nachfrageorientierten und planerischen Fragestellungen. In einer umfassenden Simulation soll die Aufgabe bewältigt werden, unterschiedliche quantitative als auch qualitative Parameter zu vereinen und somit ein denkbares Szenario für UAM in einem konkreten urbanen Umfeld zu entwickeln. Neben den stadtspezifischen Charakteristika in der Modellregion Hamburg kann durch eine flexible Anpassung der Simulationsparameter, beispielsweise der Dichte des Vertiport-Netzwerkes, eine Analyse unterschiedlicher Nachfrage- und Transportszenarien durchgespielt werden. Diese Herangehensweise soll somit Aufschluss darüber geben, welche Rolle UAM im Gesamtverkehr einer Metropolregion einnehmen kann. Aus Sicht der Stadtforschung ist hierbei besonders interessant, ob urbane Luftmobilität kritische Mobilitätsengpässe effektiv abmindern kann oder perspektivisch als eine Nische im Transportaufkommen zu betrachten ist. Zudem wird durch den kollaborativen und interdisziplinären Ansatz ein Beitrag zur theoretischen Bild 7: Visualisierung eines Flugtaxis. © Institut für Flugzeug-Produktionstechnik, Technische Universität Hamburg Bild 6: Beteiligungstool. © U_CODE TU Dresden 60 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Ziel für eine ganzheitliche Betrachtung muss es daher sein, UAM auf europäische Stadtformate anzupassen und das Potenzial für ländliche Räume sowie interregionale Anwendungen zu konzipieren [6]. Für öffentliche Akteure resultiert hieraus die Herausforderung, diesen Wandel nicht nur passiv zu begleiten, sondern proaktiv an der Gestaltung urbaner Luftmobilitätskonzepte in ihrem räumlichen Kontext zu partizipieren. Zunehmend adressieren Förderaufrufe das aufkommende Thema innovativer Luftmobilität, so auch in der „UAM-Initiative for Cities & Communities (UIC2)” der EU-Kommission. In Deutschland beteiligen sich die Modellregionen Aachen, Hamburg, Ingolstadt und Nordhessen in diesem Innovationsnetzwerk [7]. Neben der Luftraumintegration und dem Auf- und Umbau relevanter Infrastrukturen zielen die Maßnahmen auf einen engen Wissensaustausch sowie die Förderung gesellschaftlicher Akzeptanz ab - und somit der praktischen Anreizschaffung für Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Neben der gezielten Förderung von Best-Practice- Beispielen und regionalen Innovationssystemen entwickelt sich der Markt für UAM in beeindruckender Geschwindigkeit - wenngleich bisher nur wenige dieser Anbieter ihre Technologien in der Praxis erproben konnten. Neben Großunternehmen wie Boeing oder Airbus entwickelt sich ein breit aufgestellter Start-up-Markt, welcher allein 2021 bereits über 4,3- Mrd. EUR Risikokapital erschließen konnte [8]. Der deutsche Flugtaxi-Hersteller Volocopter präsentierte in Kooperation mit dem britischen Unternehmen Skyports den ersten funktionsfähigen Vertiport. Bild 4 zeigt die Start- und Landeinfrastruktur für Flugtaxis, auf dem Intelligent Transport Systems Congress in Singapur 2019. Diese Pionierleistungen sollen jedoch schon bald auf struktureller Ebene etabliert werden. So plant Paris, die ersten Flugtaxi-Routen Europas zu den Olympischen Sommerspielen 2024 in Betrieb zu nehmen. Neben der ökonomischen Euphorie für Flugtaxis sind andere Märkte für UAM bereits auf dem Boden der Tatsachen gelandet. So stellte DHL seine Entwicklung für Zustelldrohnen in der städtischen Logistik innerhalb Deutschlands ein, ohne unmittelbare Aussicht auf Folgeprojekte. Behördliche Regularien und zu hohe Kosten würden momentan eine effiziente Nutzung in der City-Logistik nicht ermöglichen [9]. Es bleibt festzuhalten, dass sich UAM trotz der aufkommenden Debatten und praktischen Initialzündungen in einer sehr frühen Phase der soziotechnischen Integration befindet. Aus planerischer Sicht entwickelt sich diese neue Mobilitätsform entlang bestehender Diskurse, wie dem der Smart City, wobei sie den bislang praktisch nicht umkämpften urbanen Luftraum als neuen Planungshorizont erschließt. Trotz des vermeintlich „unbesetzten” Raumes sind die sozialen und rechtlichen Fragestellungen nicht zu unterschätzen. Wie lässt sich die Bevölkerung für unterschiedlichen Nutzungsszenarien sensibilisieren und aktiv einbinden? Wie kann UAM effizient in bestehende Verkehrssysteme eingebettet werden? Und wie kann urbaner Luftraum aus rechtlicher Perspektive als neuer Mobilitätsraum begriffen werden? Exemplarische Herausforderungen in der Praxis Anhand von drei im Hamburger Kontext angesiedelten, aktuell laufenden Innovationsprojekten, in denen die Verfasser*innen des Artikels beteiligt sind, sollen die konkreten Herausforderungen beleuchtet werden, die sich in Forschung und Entwicklung wie auch in der praktischen Umsetzung stellen. Die Arbeitsgruppe Digital City Science der HafenCity Bild 4: GRAFT VoloPort Singapur. © Nikolay Kazakov Bild 5: Medifly-Drohne. © Airial Robotics 59 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Dieser Artikel soll einen Überblick über den aktuellen Stand der Debatte und die Nutzungsfunktionen urbaner Luftmobilität geben und anhand exemplarischer Praxisbeispiele die damit verbundenen Herausforderungen für die Stadtplanung aufzeigen. Grundlegend lassen sich die vielseitigen Anwendungsszenarien von Urban Air Mobility (UAM) in zwei zentrale Funktionen untergliedern: den Transport von Gütern, Kameras oder Messgeräten durch Drohnen sowie den Personentransport durch Flugtaxis. Die Vielfalt an Nutzungskonzepten unterstreicht die Notwendigkeit einer sensiblen und kleinteiligen Betrachtungsweise für die planenden Akteure. So reichen die Ideen von kommerziellen Nutzungen wie Business-Flügen bis hin zur Einbettung in den öffentlichen Personennahverkehr. Neben der Integration in bestehende soziale und technologische Gefüge kreiert UAM zudem einen Raum zur Erprobung neuer Geschäftsmodelle. Alternative Formen des Tourismus, wie Stadtrundflüge oder „Öko”-Tourismus in ländlichen Gebieten sind hierfür nur einige Beispiele - mit offensichtlichen Ambivalenzen hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit und nachhaltigen Nutzung. Dennoch setzen auch zivile und staatliche Einrichtungen auf den zukünftigen Einsatz von Luftmobilität, so für die ambulante Unterstützung in Notfallsituationen (Bild 2) oder im Katastrophenschutz [4]). Bild 3 illustriert die zentralen Anwendungsszenarien von UAM, deren räumliche Reichweite sowie den zu erwartenden Nutzen, basierend auf einer Studie der European Union Aviation Safety Agency [3]. Der akademische Diskurs als auch konzeptionelle Ansätze stützen sich bislang stark auf den nordamerikanischen Raum sowie Metropolregionen- [5]. Mögliche Szenarien fokussieren sich so beispielsweise auf die Anwendung von UAM im Central Business District einer Stadt, um die Anbindung für Geschäftsleute zwischen zentralen Orten innerhalb der Region zu stärken. Über diese Sonderfälle hinaus gilt es, die aus planerischer und städtebaulicher Perspektive relevanten, stadtspezifischen Eigenschaften für andere Nutzungskontexte stärker in den Vordergrund zu stellen - sowohl mit Hinblick auf potenzielle Anwendungsfelder, gesellschaftliche Sensibilisierung, aber auch die praktische Einbettung im urbanen Flächenmanagement. Bild 2: Medizin-Drohne. © Lufthansa Technik/ Sonja Brüggemann Bild 3: Anwendungsszenarien und Personenanteil, die Nutzen erwarten. © Fraske et al., eigene Darstellung nach [3], erweitert. 58 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Neue Mobilitätsform, alte Herausforderungen? Die zunehmende Belastung städtischer Verkehrssysteme durch Urbanisierungsprozesse fördert die Idee neuartiger Mobilitätsformen - wie der urbanen Luftmobilität. Insbesondere die steigende Überlastung etablierter Infrastrukturen führt zu Debatten darüber, wie durch innovative Lösungen eine Entlastung der städtischen Mobilität angestrebt werden kann. Neben dem Verkehrsmanagement, Lärmemissionen und der bodengebundenen Infrastruktur [1] zählt die gesellschaftliche Akzeptanz als eines der Schlüsselelemente einer erfolgreichen Integration dieser neuen Mobilitätsform [2, 3]. Dies stellt die besondere Bedeutung für die kommunalen und planenden Akteure heraus, welche an den Schnittstellen dieser technischen und sozialen Entwicklungen für eine verträgliche Umsetzung sorgen müssen. Urbane Luftmobilität Wie sich die Städte der Zukunft auch in der Luft nachhaltig und sozialverträglich gestalten lassen Flugtaxis, Drohnen, City-Logistik, Personenverkehr, Automatisierung, Smart City Tim Fraske, Alexandra Weissbach, Corinna Endreß, Jörg Rainer Noennig Die Visionen zur Anwendung urbaner Luftmobilität sind vielfältig - als unterstützendes Element im Gesundheitswesen und der städtischen Logistik bis hin zur alltäglichen Nutzung im Personentransport. Neben der Gestaltung der technologischen und rechtlichen Rahmenbedingungen stellen sich hierbei grundlegende Fragen für die Stadtplanung. Wie verläuft das Zusammenspiel mit bestehenden Mobilitätsformen? Und wie können kommunale Akteure integrative und partizipative Ansätze nutzen, um einen kritischen Umgang mit Geschäftsmodellen, Nachhaltigkeit und zivilgesellschaftlicher Akzeptanz zu fördern? Bild 1: GRAFT VoloPort. © bloomimages Berlin GmbH 57 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Ausblick Multimodale Auskunftssysteme stellen einen wichtigen Lösungsansatz dar, um die Verkehrswende auf kommunaler und Quartiersebene weiter voranzutreiben, da sie ein klimafreundlicheres Mobilitätsverhalten der Nutzenden begünstigen. Mit dem MoMo als Informationstool stellt die VMZ den Bewohnenden umfassende Mobilitätsinformationen und Routing-Empfehlungen sowie Funktionalitäten bereit, die die Nutzung von E-Mobilitätsangeboten in Wohngebieten attraktiver gestalten. Dennoch eignet sich der MoMo nicht nur dafür, Anwohnende in dementsprechend ausgestatteten Quartieren mit Informationen über E-Mobilitätsangebote und weiteren Echzeitinformationen zu versorgen. Die Ergebnisse lassen ebenfalls den Schluss zu, dass der MoMo auch eine besondere Relevanz für Quartiere besitzen kann, in denen weniger oder gar keine E- Mobilitätsangebote zur Verfügung stehen, da er die Anwohnenden zuverlässig über alternative Mobilitätsoptionen zum PKW informieren und sie so bei ihrer Verkehrsmittelwahl unterstützen kann. Darüber hinaus kann die Bereitstellung von multimodalen Informationen in Verbindung mit E-Carsharing-Angeboten den Mietenden dabei helfen, sie bei der Wahl alternativer Verkehrsmittel und bei dem Übergang vom Eigentum eines PKWs zur Nutzung eines Sharing-Fahrzeugs zu begleiten. Als ergänzende Dienstleistung eines Wohnungsunternehmens stellt „E-Carsharing as a Housing Service“ somit eine hervorragende Möglichkeit dar, um Elektromobilität zu fördern, insbesondere wenn dies in ein kooperatives Geschäftsmodell eingebunden ist, das das wirtschaftliche Risiko der Anlaufphase über eine Bereitstellungsgebühr für den Standortpartner berücksichtigt und bei steigender Nutzerakzeptanz ein neues Geschäftsfeld eröffnet. LITERATUR [1] Omran, A., Schwarz-Herion, O. (Hrsg.): Sustaining Our Environment for Better Future: Challenges and Opportunities. Springer, 2019. [2] Butzengeiger, S.: The EU Emissions Trading Scheme. Routledge, 2018. [3] Schwedes, O., Canzler, W., Knie, A. (Hrsg.): Handbuch Verkehrspolitik. Springer Fachmedien Wiesbaden, 2016. [4] Schomaker, R. (Hrsg.): Die europäische Energiewende (Vol. 104). Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2017. [5] Knese, D.: Integration der Elektromobilität in die Stadtplanung und Straßenraumgestaltung-Lösungsansätze für Strategien, Konzepte und Maßnahmen (Vol. 29). Kassel University Press GmbH, 2019. Dr. Jasmin Rychlik Projektleitung VMZ Berlin Kontakt: jasmin.rychlik@vmzberlin.com Claudia Baumgartner Head of Research VMZ Berlin Kontakt: claudia.baumgartner@vmzberlin.com Richard Kemmerzehl, M.A. Projektleitung Gewobag AG Kontakt: r.kemmerzehl@gewobag.de Tom Schilling, M.Sc. Projektleitung VMZ Berlin Kontakt: tom.schilling@vmzberlin.com AUTOR*INNEN Bild 3: Der multimodale Mobilitätsmonitor (MoMo). © VMZ Berlin 56 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität wurde ein Mobilitätsmonitor (MoMo) in Mariendorf installiert. Bislang wurde der MoMo vor allem an verkehrsträchtigen Orten wie beispielsweise Bahnhöfen, Messen oder Flughäfen eingesetzt. Je nach Anwendungsfall kann der MoMo aus mehreren Kartenkomponenten zusammengesetzt werden, die beliebig miteinander kombiniert werden können. So können etwa die Anzeige der Verkehrslage im Straßenverkehr, verfügbare Sharing-Angebote, Abfahrtszeiten des ÖPNV oder aktuelle Meldungen über Störungen oder Baustellen miteinander kombiniert werden. Bild 2 liefert einen Überblick über mögliche Standorte und visualisierbare Informationen. Der MoMo verbindet Spreeauto-Informationen mit multimodalen Echtzeit-Informationen bis hin zu Mobilitätsoptionen in der Nähe des Viertels. Als multimodales Auskunftssystem unterstützt er die Mietenden, Mobilitätsentscheidungen auf der Grundlage der aktuellen Verkehrssituation und der Verfügbarkeit von Mobilitätsangeboten zu treffen. Bild 3 zeigt den im Projekt realisierten MoMo, der im Eingangsbereich eines Gebäudes in dem ausgewiesenen Wohngebiet installiert wurde. Nach Installation des MoMos wurde eine doppelseitige Produktevaluation durchgeführt, in der die Anwohnenden als Endnutzer und die Gewobag als Kunde nach ihren Erfahrungen mit der Nutzung der multimodalen Echtzeitinformationen befragt wurden. Von der Gewobag wurde positiv hervorgehoben, dass es sich bei dem MoMo um einen in sich funktionsfähigen Mobilitätsbaustein handelt, was dessen Integration in Wohnquartiere aller Art erleichtert. Der Mobilitätsmonitor ist robust und vandalismussicher und für den Dauerbetrieb ausgelegt. Um Quartiersentwicklungen „mobilitätsstark“ zu gestalten, stellt er neben einem standortbezogenen Mobilitätsangebot einen wichtigen Baustein dar - auch um drohenden Verkehrsproblemen bei Neubauprojekten oder Nachverdichtungen proaktiv entgegen wirken zu könnnen. Auch die Anwohnenden, denen damit eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Verkehrsmittel vor Ort zur Verfügung gestellt wird, gaben an, dass sie das Angebot dabei unterstützt, ihre Wege zu planen. Als wichtigste Erkenntnis wird das Ergebnis eingestuft, dass die multimodalen Echtzeitinformationen auf dem MoMo die Verkehrsmittelwahl der Bewohnenden positiv beeinflussen. So gaben mehr als 80 % der Anwohnenden an, dass sie durch die Nutzung des MoMos vermehrt auf den ÖPNV umsteigen würden oder auch ein erhöhtes Interesse an der Nutzung klimaneutraler Sharing-Angebote entwickelt haben. In Verbindung mit E-Carsharing als Housing Service leistet der MoMo als multimodales Auskunftssystem einen wichtigen Beitrag zur umweltorientierten Entwicklung der Verkehrslage. Aus diesem Grund wird die Entwicklung des MoMos im Rahmen des Forschungsprojekts „BeIntelli“ weiter optimiert. Neben der Entwicklung und Erprobung eines prototypischen interaktiven Displays wird das Informationsportfolio des MoMos auch durch die Anbindung von Daten und Anwendungen an eine KI-Plattform erweitert, sodass die bereitgestellten Informationen optimal an die Bedürfnisse der Nutzenden anpasst werden. Zusammenfassend stellt der MoMo einen wichtigen Mobilitätsbaustein dar, der dazu beitragen kann, die Verkehrswende auf Quartiersebene zu katalysieren. Verkehrsknotenpunkte Stadtquartiere Unternehmen Veranstaltungsorte E-Carsharing Abfahrtszeiten: ÖPNV Abfahrtszeiten: Fernverkehr E-Roller-Sharing Bike-Sharing Car-Sharing Aktuelle Verkehrslage Aktuelle Störungen und Meldungen Wetter Uhrzeit Visualisierung: Gehwege Visualisierung: Radwege Baustellen Parkplätze Taxis Ladepunkte Abfahrtszeiten: Fernbus Bild 2: Potenzielle Standorte und passende multimodale Informationen. © VMZ Berlin 55 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Im Rahmen von Quartiersentwicklungen und Nachverdichtungsprojekten, die den steigenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum adressieren, stellen Sharing-Angebote und die Bereitstellung von multimodalen Informationen immer häufiger einen Ansatz zur Lösung wachsender Verkehrsprobleme dar. Dabei werden bislang allerdings häufig Geschäfts- und Betreibermodelle ausgeklammert, obwohl außer Frage steht, dass ein dauerhafter Betrieb dieser Sharing-Angebote nur gewährleistet werden kann, wenn deren Kosten gedeckt sind. Dies impliziert, dass ausreichend viele Nutzende auf ein eigenes Fahrzeug verzichten und Mobilitätsfixkosten, die mit dem Besitz eines Fahrzeugs verbunden sind (Kauf und Wertverlust, Versicherung, Steuer, Parkgebühren), für die Nutzung von alternativen Verkehrsmitteln bedarfsgerecht einsetzen. Daraus resultiert die Frage, ob bzw. inwiefern Menschen ihr Mobilitätsverhalten in Bezug auf Standort, Aktivitätsplanung und Verkehrsmittelwahl verändern, wenn ihnen am Wohnstandort multimodale Echtzeitinformationen in Verbindung mit Carsharing-Angeboten zur Verfügung gestellt werden. Das Forschungsprojekt MEISTER Im Rahmen des EU-Forschungs- und Innovationsprogramms Horizon 2020 verfolgen die Städte Berlin, Stockholm und Málaga das Ziel, neue Geschäftsmodelle zur Förderung umweltfreundlicher und wirtschaftlich nachhaltiger E-Mobilität zu entwickeln und zu etablieren. Im dazugehörigen Forschungsprojekt „MEISTER“ wurden Geschäftsmodelle zur Förderung von umweltfreundlicher und wirtschaftlich nachhaltiger Elektromobilität in Wohngebieten konzeptioniert. Der Business Case namens „E-Carsharing as a Housing Service“ wurde von der Berliner Wohnungsbaugesellschaft Gewobag umgesetzt, die knapp 72 000 Mieteinheiten in Berlin bewirtschaftet (Bild 1). In einer 12-monatigen Demonstrationsphase wurde erprobt, ob der direkte Kontakt zu den Mietenden in Verbindung mit der frühzeitigen Integration eines Sharing-Angebots in die Quartiersentwicklung dazu beiträgt, die Akzeptanz für die neuen Elektromobilitätsangebote zu erhöhen und somit ein Sharing-Angebot mit elektrischen Fahrzeugen wirtschaftlich tragfähig zu machen. Zudem sollte getestet werden, ob das von der Gewobag eigens geschaffene Mobilitätsangebot „Spreeauto“ für die Mietenden eine attraktive und umweltfreundliche Alternative zum eigenen Auto darstellt. Als wichtige Informationsgrundlage für die Bewohnenden wurde der Mobilitätsmonitor (MoMo) der VMZ vor Ort installiert, der neben Informationen über das angebotene E-Carsharing auch weitere multimodale Echtzeitinformationen anzeigt, um die Mietenden für eine umweltorientierte Mobilitätsentwicklung zu sensibilisieren. E-Carsharing as a Housing Service Da die Demonstrationsstandorte des Projektes MEISTER außerhalb des S-Bahnrings in Berlin liegen und im Rahmen des Projektes ausschließlich E-Fahrzeuge eingesetzt werden sollten, erforderte der zu testende Business Case „E-Carsharing as a housing service“ eine Markterkundungsphase sowie die Entwicklung eines neuen, kooperativen Geschäftsansatzes. Neben infrastrukturellen Voraussetzungen, wie die Herrichtung und Beschilderung von für das Angebot reservierten Stellplätzen mit Ladeinfrastruktur, wurden alle vertraglichen Voraussetzungen für die Inbetriebnahme des Angebots geschaffen. Pünktlich zum Start der Demonstrationsphase im September 2020 konnten in zwei Wohnquartieren der Gewobag jeweils zwei E-Fahrzeuge in Betrieb genommen werden. Nach einem Jahr erfolgreicher Demonstration von E-Carsharing als Housing Service haben sich insgesamt 216 Haushalte registriert; davon gelten 86 von ihnen als regelmäßig aktive Nutzende. Dies entspricht einer im Vergleich zu marktüblichen Angeboten überdurchschnittlichen Konversationsrate von 39,8 %. Insgesamt hatte E-Carsharing 850 Buchungen mit einer durchschnittlichen Dauer von 2,5 Stunden und einer Reichweite von 30 km. Auf den getesteten Carsharing-Fahrzeugen wurden im Demonstrationszeitraum über 25 000 Kilometer zurückgelegt. Das entspricht umgerechnet etwa zwei Tonnen eingespartem CO 2 , da die Fahrzeuge ausschließlich mit grünem und lokal produzierten Strom versorgt werden. Die konstant steigenden Nutzungszahlen zeigen, dass E-Carsharing als ergänzende Wohnungsdienstleistung auf positive Resonanz bei den Bewohnenden der jeweiligen Quartiere gestoßen ist. Nutzerbefragungen zeigen, dass das Angebot überwiegend für planbare Fahrten in der Freizeitgestaltung oder für Einkaufsfahrten genutzt wurde. Da die Nutzungszahlen durch den allgemeinen Rückgang von Fahrten in der Stadt während der Corona-Lockdowns beeinflusst sind, wurde der Testbetrieb um weitere 12 Monate verlängert, so dass eine endgültige Evaluation des Angebots noch aussteht. Multimodale Mobilitätsinformationen Um Mietende und E-Fahrende über Verkehrsangebote im und um das Quartier zu informieren und den Umstieg auf das elektrische Carsharing zu fördern, 54 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität In deutschen Großstädten werden die von der EU festgelegten Grenzwerte für Stickoxide (NO x ) und Feinstaub (PM 10 ) seit mehreren Jahren überschritten-[1]. Unter Androhung eines Vertragsverletzungsverfahrens wurde Deutschland im Jahr 2016 von der EU dazu verpflichtet, die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften sicherzustellen [2]. Obwohl die Luftqualität durch strenge Emissionsvorschriften, Innovationen in der Katalysatorentechnik und umweltorientierte Kraftstoffe positiv beeinflusst wurde, zählt der Verkehrssektor weiterhin zu den größten Emittenten von Stickoxiden und Feinstaub- [3]. Aufgrund des hohen Autobesitzes, der intensiven Autonutzung im städtischen Kontext und der Flächenversiegelungen durch Verkehrsinfrastruktur und den Lärm- und Feinstaubemissionen sind vor allem im Verkehrssektor deutliche Emissionsminderungen notwendig, um die Klimaschutzziele der EU zu erreichen [4]. Die Verknüpfung von Verkehrsmitteln wird in der Literatur als notwendige Voraussetzung dafür angesehen, dass ein multimodales Mobilitätsverhalten wächst und die autoinduzierte Verkehrsbelastung in den Städten abnimmt. Multimodale Auskunftssysteme, die Informationen zu den Abfahrtszeiten des ÖPNV und lokal verfügbaren Sharing-Angeboten bereitstellen, können dabei eine umweltfreundliche und wirtschaftlich nachhaltige Verkehrsmittelwahl von Bewohnenden vereinfachen [5]. Unter besonderer Berücksichtigung ihrer Interkonnektivität sind multimodale Auskunftssysteme von entscheidender Bedeutung, da sie 1. einen direkten Einfluss auf die erforderliche Reisezeit und 2. die Erreichbarkeitsbedingungen von Orten ausüben und zugleich 3. die Verkettung von Fahrten sowie 4. einen Wechsel des Verkehrsträgers ermöglichen, der sich auch auf das Standort- und Planungsverhalten auswirken kann. Eine Voraussetzung dafür ist, dass an den Standorten - neben Angeboten des öffentlichen Nahverkehrs - auch fahrplanunabhängige Verkehrsträger zur Verfügung gestellt werden. Bisherige Sharing- Angebote konzentrieren sich jedoch auf relativ kleine Innenstadtzonen. Standorte in Außenbezirken oder an den Stadträndern werden meist nicht von den Geschäftsgebieten der großen Sharing-Anbieter abgedeckt, sodass Bewohnende häufig keinerlei Zugang zu Mobilitätsangeboten oder -dienstleistungen haben. Nachhaltige Quartiersmobilität Ein standortspezifisches E-Carsharing-Angebot und multimodale Verkehrsinformationen E-Mobilität, Multimodalität, Quartier Jasmin Rychlik, Claudia Baumgartner, Richard Kemmerzehl, Tom Schilling Im Rahmen von Quartiersentwicklungen und Nachverdichtungsprojekten, die den steigenden Bedarf an bezahlbarem Wohnraum adressieren, stellen Sharing-Angebote und die Bereitstellung von multimodalen Informationen immer häufiger einen Ansatz zur Lösung wachsender Verkehrsprobleme dar. Im Business Case „E-Carsharing as a Housing Service“ des Forschungsprojekts „MEISTER“ wurde ein Geschäftsmodell zur Förderung von umweltfreundlicher und wirtschaftlich nachhaltiger Elektromobilität in Wohngebieten konzeptioniert, das einen wesentlichen Beitrag dazu leistet, die Verkehrswende auf Quartiersebene voranzutreiben. Bild 1: E-Carsharing as a Housing Service. © Gewobag 53 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität als Weiterentwicklung bisheriger Ansätze intermodaler Vernetzung (Park+Ride- und Bike+Ride-Plätze sowie Taxistellplätze). Benannt wird zudem die mögliche Integration von Sharing-Angeboten, sowie die Einbeziehung von Elektromobilität (zum Beispiel: öffentlich nutzbare Ladeinfrastruktur vor allem für Pedelecs und Elektrofahrräder). Auch der zwischenzeitlich geschlossene Koalitionsvertrag für die Legislaturperiode 2021 - 2026 im Land Berlin enthält das „Jelbi“-Konzept mit seinen Mobilitätsstationen. Für den Aufbau von Mobilitätsstationen hat sich der Rechtsrahmen während der Projektlaufzeit sowohl auf Berliner Landesals auch auf Bundesebene verbessert: 2018 wurde das Berliner Mobilitätsgesetz (MobG BE) geschaffen [5]. Es adressiert in unterschiedlichen Vorschriften explizit die inter- und multimodale Verknüpfung von öffentlichen Mobilitätsangeboten und verknüpft diese mit Zielsetzungen nachhaltiger und inklusiver Stadtentwicklungsplanung (vgl. §§ 4, 5 MobG BE u.v.m.). Auf Bundesebene hat u.a. die StVO-Novelle 2020 mit den neuen Schildern für Lastenräder, E-Roller und Carsharing (§ 39 Abs. 7 StVO) die zielgenaue Beschilderung verschiedener möglicher Mobilitätsangebote an einer Mobilitätsstation vereinfacht. Fazit Die gewonnenen Forschungsergebnisse für Mobilitätsstationen spiegeln exemplarisch den Verlauf des Projekts Move Urban wider: Nicht umsonst trug der als „Projekt-Slam“ gestaltete Abschlusskongress im Dezember 2021 den Titel „Mobilität in neuen Quartieren - ein Puzzle mit 1000 Teilen“. Neben den verschiedenen Perspektiven innerhalb des Projekts konnten mehrere Praxisworkshops mit Projektvertreter*innen unter anderem aus Köln (Stellwerk 60), München (Domagkpark), Darmstadt (Lincoln-Siedlung), Offenburg (einfach mobil Offenburg) und Osnabrück (Mobile Zukunft) zum Erfahrungsaustausch beitragen und wertvolle Einblicke bieten. Dass integrierte und flächeneffiziente Mobilitätskonzepte insbesondere dann erfolgreich sein können, wenn möglichst frühzeitig und langfristig gedacht und die unterschiedlichen Sichtweisen auf Mobilitätsangebote und -Bedürfnisse einbezogen werden, war unabhängig von der Ausrichtung der einzelnen Projekte (autoarmes Wohnen, städtisches E-Carsharing, Aufbau von Mobilitätsstationen) deutlich sichtbar. Der Gesamt-Forschungsbericht mit tiefergehenden Analysen und Ergebnissen der Evaluierung zum Thema Mobilitätsstationen und weiteren Maßnahmen für neue Wohnquartiere wird im Laufe des 1. Halbjahres 2022 veröffentlicht - in der WATERKANT wächst das Quartier derweil weiter. LITERATUR [1] Ellner, M., Pfeifer, F., Schumacher, O.: Die Mobilitätszentrale aus öffentlich-rechtlicher Perspektive. ZUR (Zeitschrift für Umweltrecht), 3 (2019), S. 137. [2] Steinberg, G., Stocksmeier, D., Scheer, J.: Zukunftsnetz Mobilität NRW. Handbuch Mobilstationen Nordrhein- Westfalen. 2. Aktualisierte Auflage, 2017. Online: https: / / w w w.zukunft-mobilitaet.net/ 161971/ analyse/ namensfindung-mobilitaetsstation-umfrageergebnisse-mobility-hub/ [3] Miramontes, M.: Assessment of Mobility Stations. Diss. Technische Universität München, 2018. [4] Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK): Nahverkehrsplan Berlin 2019 - 2023, abrufbar unter: https: / / www.berlin.de/ sen/ uvk / verkehr/ verkehrsplanung / oeffentlicherpersonennahverkehr/ nahverkehrsplan/ [5] Umweltbundesamt (UBA, Hrsg.): Fact Sheet Hasenheide und Pop-Up-Radwege, Vorhaben FKZ 3719 15 1050, 2021. Redaktion: Cyganski, R. et. al. Online: https: / / w w w.umweltbundesamt.de/ sites/ default/ f il e s / m e di e n / 3 6 6 / do k um e nte / f a c t sh e et _ b e s t _ practice_muv_berlin.pdf.pdf Alle Links zuletzt abgerufen am: 27.01.2022. Tim Becker, M.Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter Professur Infrastrukturwirtschaft und -management Bauhaus Universität Weimar Kontakt: tim.becker@uni-weimar.de Marvin Gehrke Projektleitung Move Urban Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz in Berlin (SenUMVK) Kontakt: Marvin.Gehrke@SenUVK.berlin.de Benjamin Heldt Wissenschaftlicher Mitarbeiter Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) - Institut für Verkehrsforschung Kontakt: Benjamin.Heldt@dlr.de Patrick Isensee Projektmanager Mobilität Gewobag Wohnungsbau-Aktiengesellschaft Berlin Kontakt: P.Isensee@gewobag.de Friederike Pfeifer Bereichsleitung Mobilität IKEM - Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität Kontakt: friederike.pfeifer@ikem.de AUTOR*INNEN 52 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Rahmen der Kooperation zwischen der Wohnungsbaugesellschaft Gewobag und den Berliner Verkehrsbetrieben (BVG) errichtet. Im Rahmen des Projektes Move Urban wurden im Sommer 2021 in einer schriftlichen Bewohner*innenbefragung 361-Haushalte in der WATERKANT Berlin unter anderem nach dem persönlichen Nutzen verschiedener Mobilitätsangebote gefragt, den sie auf einer Skala von 1 (gar kein) bis 5 (sehr hoch) einschätzen sollten. Den Ergebnissen liegen Antworten von 46 Personen (13 %) zugrunde. Diese zeigen, dass zwar ein recht hoher Anteil der befragten Personen gar keinen oder nur einen geringen Nutzen in Mobilitätsstationen sehen (65 %), sie aber dennoch genutzt werden (16 %). Die Angebote wurden von 2 % (elektrifiziertes Carsharing) bis 33 % (Elektrotretroller-Sharing) der Befragten bereits genutzt. Für Mobilitätsanbieter und Verkehrsverbünde ist die hohe Bekanntheit einer Station wichtig, da sie hierdurch neue Kund*innen für Sharing-Angebote gewinnen können [3]. 28 % der befragten Personen in der WATERKANT kannten das Mobilitätskonzept, dessen Teil die Station ist, zum Befragungszeitpunkt gar nicht und nur 37 % kannten es gut. Dies weist darauf hin, dass durch gezielte Informationen ein großes Potenzial besteht, die Nutzung zu erhöhen - insbesondere im benachbarten Bestandsgebiet, in dem bisher gar keine Kampagnen durchgeführt wurden. Darüber hinaus sollte die Station nicht nur Ort der Mobilität, sondern auch Zielort für andere Aktivitäten sein - dies gelingt beispielsweise durch die Installation einer Paketstation. Auch weitere Mobilitätsangebote können die Attraktivität der Station erhöhen. Schließlich kann durch eine bessere Wegweisung und Straßenquerungen die Verknüpfung zwischen dem Quartier und der Mobilitätsstation verbessert werden, um eine höhere Akzeptanz zu erzielen. Organisatorische Umsetzung Aus (institutionen-)ökonomischer Perspektive stellen sich unter anderem folgende zentrale Fragen: Wer sollte für die Errichtung und den Betrieb von Mobilitätsstationen verantwortlich sein und wer übernimmt schlussendlich die Durchführung dieser Aufgaben? Welche Finanzierungsoptionen gibt es für Mobilitätsstationen und wie können diese umgesetzt werden? Als potenziell verantwortliche Akteure für die Bereitstellung von Mobilitätsstationen kommen dabei insbesondere kommunale Verkehrsunternehmen (wie die BVG), Wohnungsbaugesellschaften (wie die Gewobag oder die WBM) sowie Stadtwerke in Betracht, deren Betrauung jeweils die notwendigen Voraussetzungen (insbesondere im Bereich von Kenntnissen bzw. Know-how und Erfahrungen) in unterschiedlichem Maße erfüllt. Auch eine Zusammenarbeit zwischen diesen Akteuren ist denkbar, um entsprechende Kooperationsvorteile (insbesondere die Bündelung von Kenntnissen und Erfahrungen) zu ermöglichen. Bei Errichtung und Betrieb von Mobilitätsstationen stellen sich zwei zentrale Fragen: Sollen die Leistungen vonseiten des verantwortlichen Akteurs integriert oder separat beauftragt werden? Ist eine Eigenerstellung oder der Weg der Fremdvergabe vorteilhafter? Einflussfaktoren auf die Antworten hierzu sind erzielbare Skalen- und Verbundvorteile, der Wert von Flexibilitätsoptionen sowie die anfallenden Kosten bei einer Eigenerstellung bzw. im Rahmen der Nutzung von Ausschreibungsverfahren. Bei der Finanzierung von Mobilitätsstationen erscheint aufgrund deren möglicher Charakterisierung als Hub-Infrastrukturen des Umweltverbunds vor allem eine staatliche Finanzierung durch die öffentliche Hand vorteilhaft. Eine Erhebung von Nutzungsgebühren ist in bestimmten Situationen (zum Beispiel: bei stationsbasierten Sharing-Angeboten, bei hohem Parkdruck oder Flächenknappheit im Allgemeinen) allerdings ebenso denkbar und kann in Betracht gezogen werden. Rechtsrahmen Als Infrastrukturelemente sind Mobilitätsstationen in eine Vielzahl von Regulierungsvorgaben eingebettet. Allgemein gehören dazu Planungsprogramme ohne Rechtsnormcharakter (zum Beispiel: Nahverkehrsplan, verkehrliche oder städtebauliche Entwicklungskonzepte), städtebauliche Randbedingungen (zum Beispiel: BauGB, BauO) sowie grundsätzliche Zulassungs-, Verhaltens- und Sicherheitsregeln von Straßenverkehrsgesetz (StVG) und Straßenverkehrsordnung (StVO). Hinzu kommen die fahrzeugbezogene Regulierung sowie deren Nutzungsbedingungen selbst: Zugang für Fußverkehr, Zufahrt und Abstellmöglichkeiten für Radverkehr inklusive Lastenräder, E-Bikes (StVO), Carsharing- Fahrzeuge (Bevorrechtigungen unter anderem beim Parken, Bundes-Carsharinggesetz - CsgG, 2017) und für E-Fahrzeuge das Elektromobilitätsgesetz (EmoG, 2015) sind hier zu nennen. Im Vergleich zwischen 2017 und heute ist auch den spezifischen Planwerken in Berlin, insbesondere dem neuen Nahverkehrsplan (NVP 2019 - 2023) [4] ein zunehmendes Einbeziehen von Mobilitätsstationen/ Mobilitätshubs als Elementen der Mobilitätsplanung zu entnehmen. Der NVP begreift heutige Hubs hinsichtlich Flächennutzung und Gestaltung 51 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz in Berlin (SenUMVK) vereinte die Professur Infrastrukturwirtschaft und -management (IWM) der Bauhaus- Universität Weimar, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), die Gewobag AG und das Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität e. V. (IKEM). Die Zusammensetzung erlaubte eine integrierte Bearbeitung der Forschungsfragen rund um die Gestaltung flächeneffizienter Mobilitätskonzepte aus Verwaltungssicht, aus Sicht der empirischen Verkehrsforschung, Institutionenökonomik und Rechtswissenschaften, sowie aus der praktischen Perspektive der Wohnungswirtschaft. Politische Entscheidungsträger, die öffentliche Verwaltung, Akteure der Wohnungs- und Mobilitätswirtschaft sowie der Zivilgesellschaft erhalten mit den Projektergebnissen eine systematische Grundlage und Wissen zur inhaltlichen, organisatorischen und rechtlichen Ausgestaltung flächeneffizienter und innovativer Mobilitätskonzepte und ihrer Bewertung. Für das betrachtete Quartier wurden Varianten möglicher integrierter Mobilitätsmaßnahmen für den Privat- und Wirtschaftsverkehr abgeleitet. Übergeordnetes Ziel der ausgewählten Maßnahmen war dabei immer, das Quartier mit passgenauen Mobilitätsoptionen auszustatten, die einerseits eine flächeneffiziente Alternative zum privaten PKW-Besitz darstellen und andererseits den notwendigen Verkehr möglichst stadtverträglich abwickeln können. Die Maßnahmen wurden mithilfe von Bewohnerbefragungen und darauf aufbauenden agentenbasierten Modellen hinsichtlich der Wirkungen auf das Mobilitätsverhalten und den Verkehr analysiert, um ökologische, soziale und ökonomische Effekte abzuleiten. Auf Basis der Analysen erfolgte eine Überprüfung der Übertragbarkeit und Skalierbarkeit auf andere Gebiete und den gesamtstädtischen Maßstab. Parallel erarbeitete das Projekt Optionen zur Umsetzung der betrachteten Konzepte und Maßnahmen. Es wurden Governance-Optionen und Betreibermodelle sowie rechtliche Möglichkeiten und Hemmnisse betrachtet. Die interdisziplinär erarbeiteten Forschungsergebnisse wurden in thematischen Workshops unter Teilnahme von Verwaltungs-, Projekt- und Unternehmensvertreter*innen sowie in einem Begleitkreis gespiegelt. Das Vorgehen wurde auf Maßnahmen in den Bereichen ÖPNV, Radverkehr, Fußverkehr, PKW- Verkehr, Wirtschaftsverkehr sowie auf Optionen zur Information und zur Bündelung von Mobilitätsangeboten angewendet und darauf aufbauend wurden Handlungsoptionen mit verkehrlicher, rechtlicher und organisatorischer Ausrichtung entwickelt. Eine solche ausgewählte Maßnahme der Integration besteht im Aufbau von Mobilitätsstationen, welche in diesem Bericht näher betrachtet werden soll. Der Gesamt-Projektbericht mit der Darstellung aller im Projekt beleuchteten Maßnahmen und der daraus abgeleiteten Handlungsoptionen wird im Laufe des 1. Halbjahres 2022 veröffentlicht. Flächeneffizienz durch Bündelung: Mobilitätsstationen Mobilitätsstationen sind ein mittlerweile etabliertes und weit verbreitetes Instrument der Planung, um zum individuellen PKW alternative Angebote und insbesondere Sharing-Dienstleistungen an einem Ort zu bündeln und sichtbar zu machen. Nutzer*innen sollen hier aber nicht nur Verkehrsmittel vorfinden, sondern auch bequem vom einen zum anderen wechseln können [1, 2]. Anfangs hauptsächlich in Großstädten umgesetzt, gibt es nun auch Beispiele aus kleineren Städten und auch ländlichen Gemeinden. Zudem finden Mobilitätsstationen auch über Deutschland hinaus Anwendung. Sie erfordern einen signifikanten Aufwand bei Planung, Flächen und finanziellen Ressourcen. Darum ist es wichtig festzustellen, ob das Instrument überhaupt die intendierten Wirkungen erzielt. Nutzer*innensicht (Bewohner*innenbefragung) Im Umfeld des neuen Wohngebietes WATERKANT Berlin wurde im Dezember 2020 die Mobilitätsstation „Jelbi Daumstraße/ Rhenaniastraße“ mit einer Bushaltestelle, stationärem und flexiblem Carsharing sowie dem Verleih von E-Tretrollern und einer Informationsstele eröffnet. Die Station wurde im Handlungsoptionen Expertenbefragung, Recherche, Workshops Integriertes Mobilitätskonzept für ein Reallabor Bewohnerbefragungen Modellierung verkehrlicher Wirkungen Rechtliche Analysen und Organisationsmodelle Transfer Bild 2: Aufbau des Forschungsprojekts Move Urban. © Becker et al. 50 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Das Forschungsprojekt Move Urban (Projektende Dezember 2021) hat die Erforschung flächeneffizienter Mobilitätskonzepte mit einem konkreten, sich aktuell in Bau befindlichen neuen Stadtquartier verknüpft. Dabei handelt es sich um die WATERKANT Berlin im Bezirk Spandau. Entwickelt und umgesetzt wird das Quartier von den landeseigenen Wohnungsbauunternehmen Gewobag und WBM. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der FONA-Zukunftsstadt-Initiative geförderte Konsortium unter Projektleitung der Senatsverwaltung für Umwelt, Das Projekt Move Urban Mobilitätsstationen und mehr in Berlin-Spandau Urbane Mobilität, Mobilitätskonzepte, Mobilitätsstationen, Stadtquartiere Tim Becker, Marvin Gehrke, Benjamin Heldt, Patrick Isensee, Friederike Pfeifer Der steigende Bedarf nach Wohnraum und die zunehmende Nachfrage nach Mobilität in Städten erfordern neue Konzepte für Stadtstrukturen und Mobilitätsversorgung. Die Gestaltung flächensparender und innovativer Mobilitätskonzepte als integrierter Bestandteil der Planung neuer Stadtquartiere kann einen bedeutenden Beitrag zur Lösung aktueller Probleme leisten. Der Einsatz dieser Konzepte soll das Erreichen ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele unterstützen, indem insbesondere umweltverträgliche Alternativen zum motorisierten Individualverkehr Berücksichtigung finden, ohne die individuellen Mobilitätsbedürfnisse zu vernachlässigen. Bild 1: Die Jelbi- Mobilitätsstation an der WATER- KANT Berlin. © City-Press GmbH 49 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Fahrbahn, die entsprechend der aktuellen Regelwerke gestaltet sind, haben eine mittlere Effizienz. Radverkehrsinfrastruktur, die in Anlehnung an die Standards für Radschnellverbindungen gestaltet ist, zeigte in der Erhebung eine um 23 % höhere Effizienz als solche, die „nur“ entsprechend der Vorgaben der ERA für Radwege und Radfahrstreifen gestaltet sind. Die Führung des Radverkehrs auf Infrastruktur mit zahlreichen Interaktionen mit Fußgänger*innen wie in der Fußgängerzone sowie enge Infrastruktur führt im Vergleich zu regelwerkskonformen Radwegen und Radfahrstreifen zu einer 17 % niedrigeren Effizienz. Mit den SensorBikes steht eine Erhebungsmethodik zur Verfügung, die es erlaubt, den Leistungsbedarf und die Geschwindigkeit von Radfahrenden vergleichbar zu erheben. Eine durchschnittliche Leistung von 125 W für 20 km/ h bzw. 16 km/ h für 100-W entspricht einer geringen, 105 W bzw. 20-km/ h für 100 W entspricht einer mittleren und 95 W bzw. 21 km/ h für 100 W einer hohen Effizienz der Radverkehrsinfrastruktur. Diese Werte können als Anhaltswerte für die Beurteilung von Radverkehrsinfrastruktur in weiteren Untersuchungen der Planungspraxis dienen. Die Effizienzindikatoren können die Radverkehrsplanung und Radverkehrsförderung sowohl dabei unterstützen, optimale Trassenvarianten für Radrouten wie auch ineffiziente Netzabschnitte zu identifizieren. Auch können die Effizienzindikatoren bei der Ermittlung der Wirkung von Lückenschlüssen und Ausbaumaßnahmen im Radverkehrsnetz hilfreich sein. Mit der dargestellten Erhebungsmethodik können Kennwerte für die Effizienz von Radverkehrsinfrastruktur jedoch nur in Bestandssituationen erhoben werden. Um dies auch bei der Planung zukünftiger Infrastruktur zu berücksichtigen, sind Tools für die Mikrosimulation des Radverkehrs erforderlich, welche die Geschwindigkeit und den Leistungsbedarf der Radfahrenden abhängig von den Eigenschaften der Führungsformen des Radverkehrs auch für noch nicht existierende Radverkehrsinfrastruktur abbilden können. LITERATUR [1] Knoflacher, H.: Fußgeher- und Fahrradverkehr - Planungsprinzipien, Wien 1995. [2] Wilson, D. G. S. T.: Bicycling Science. MIT Press, 2020. [3] Gressmann, M.: Fahrradphysik und Biomechanik: Technik - Formeln - Gesetze. Delius Klasing Verlag, 2017. [4] Beneke, R., Di Prampero, P. E.: Mechanische und methabolische Belastung beim Radfahren: eine Analyse aus physiologischer und biomechanischer Sicht. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 52, 1 (2001) S. 29 - 32. Prof. Dr. Jochen Eckart Institut für Verkehr und Infrastruktur Hochschule Karlsruhe Kontakt: jochen.eckart@h-ka.de Dr. Martin Temmen Wissenschaftlicher Mitarbeiter Stiftungsprofessur Radverkehr Hochschule Karlsruhe Kontakt: Martin.Temmen@h-ka.de Jan Hauenstein Masterstudent und Wissenschaftlicher Mitarbeiter Hochschule Karlsruhe - Verkehrssystemmanagement Kontakt: haja1035@h-ka.de Max Rabes Masterstudent Verkehrssystemmanagement Hochschule Karlsruhe Kontakt: rama1035@h-ka.de Christoph Welz Masterstudent Verkehrssystemmanagement Hochschule Karlsruhe Kontakt: wech1035@h-ka.de AUTOREN [5] Chowdhury, H., Alam, F.: Bicycle aerodynamics: an experimental evaluation methodology. Sports Engineering, 15 2 (2012) S. 73 - 80. [6] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Empfehlungen für Radverkehrsanlagen. ERA 2010. [7] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Hinweise zu Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten H RSV 284/ 1, 2021. [8] Eichner R., Hauenstein J., Lehnen M., Rabes M., Schlotthauer K. und Welz C.: „Sensorbike“ Vertiefungsprojekt: Verkehrsökologie, Hochschule Karlsruhe, 2019. [9] Mekuria, M. C., Furth, P. G., Nixon, H.: Low-Stress Bicycling and Network Connectivity. 2012. http: / / scholarworks.sjsu.edu/ mti_all (Accessed 12 March 2021). [10] Eckart J., Merk J.: Die Vermessung der Radfahrenden Analyse des Radverkehrs mit einem SensorBike mit ubiquitären Sensoren, in Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2020. 48 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Um die Effizienzindikatoren für die unterschiedlichen Führungsformen zu berechnen, wurden die auf den jeweiligen Streckenabschnitten gefahrenen Durchschnittsgeschwindigkeiten und -leistungen in ein Geschwindigkeit-Leistungsdiagramm eingetragen. Mithilfe von Trendlinien wurde bestimmt, welche Leistung auf den unterschiedlichen Streckenabschnitten erbracht werden muss, um eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/ h zu erreichen. Zudem kann ermittelt werden, welche Durchschnittsgeschwindigkeiten bei 100 W Leistung erzielt werden. Die Koeffizienten für die unterschiedlichen Führungsformen sind in Tabelle 1 aufgelistet. Wie das Geschwindigkeits-Leistungsdiagramm illustriert (Bild 2), steigt der Leistungsbedarf exponentiell zur Geschwindigkeit und und entspricht damit den in der Literatur dargestellten biomechanischen Modellen des Radfahrens [2, 3]. Anhand der Effizienz lassen sich drei Gruppen von Führungsformen unterscheiden: Bei Führung des Radverkehrs in der Fußgängerzone wurde eine geringe Durchschnittsgeschwindigkeit von 17 km/ h und einem Maximum von 21 km/ h gemessen. Die Effizienz ist mit 125- W für 20 km/ h bzw. 16,5 km/ h für 100 W gering. In der Fußgängerzone müssen sich die Radfahrenden an die zahlreichen Interaktionen mit Fußgänger*innen mit Brems- und Beschleunigungsvorgängen anpassen. Dies führt zu einem unsteten Geschwindigkeitsprofil mit einer geringen Durchschnittsgeschwindigkeit und einem höheren Leistungsbedarf. Radwege im Seitenraum, Schutzstreifen, Radfahrstreifen und Mischverkehr auf der Fahrbahn sind hinsichtlich Geschwindigkeit und Leistung vergleichbar. Bei dieser Radverkehrsinfrastruktur kommt es zu einer mittleren Anzahl von Interaktionen. Die Durchschnittsgeschwindigkeit liegt zwischen 21 und 22 km/ h, die maximale Geschwindigkeit zwischen 28 und 29 km/ h. Die Effizienz und liegt bei einer Leistung zwischen 104 und 111 W für eine Geschwindigkeit von 20-km/ h bzw. einer Geschwindigkeit von 19,9 bis 20,1 km/ h für eine Leistung von 100 W. Der straßenunabhängige Radweg ist aufgrund der sehr geringen Interaktionen mit anderen Verkehrsteilnehmer*innen und der großzügigen Breite von 3,5 m mit den Anforderungen an Radschnellverbindungen vergleichbar. Dort fuhren die Proband*innen im Durchschnitt 24 km/ h und eine Maximalgeschwindigkeit von 35 km/ h. Sie waren damit deutlich schneller als auf den anderen Führungsformen. Der mit einer Radschnellverbindung vergleichbare Radweg hat eine sehr hohe Effizienz von 94 W für 20 km/ h bzw. 21 km/ h für 100 W. Berücksichtigung der Effizienz von Radverkehrsinfrastruktur in der Radverkehrsförderung Der hier genutzte Effizienzindikator für den Alltagsradverkehr ermöglicht die Ableitung von Hinweisen für die Planung und Bewertung von Radverkehrsinfrastruktur. Eine effiziente Infrastruktur weist eine niedrige Anzahl von Interaktionen von Radfahrenden mit anderen Verkehrsteilnehmer*innen auf. Dann brauchen die Radfahrenden zum Erreichen einer bestimmten Durchschnittsgeschwindigkeit weniger Leistung als auf Abschnitten, auf denen es zu vielen Interaktionen kommt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Bremsvorgänge und Leistungsspitzen bei den darauffolgenden Beschleunigungsvorgängen aufgrund der Verkehrslage entfallen. Weiterhin ist eine Drosselung der Geschwindigkeit aus Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer*innen nicht erforderlich. Auch die Abmessungen der Radverkehrsinfrastruktur haben Einfluss auf ihre Effizienz. Es zeigt sich, dass breitere Radverkehrsanlagen höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten ermöglichen. So erlaubt das Mehr an Raum, leichter auf andere Verkehrsteilnehmende zu reagieren. Radfahrstreifen, Schutzstreifen, Radwege und Mischverkehr auf der Tabelle 1: Effizienz der verschiedenen Führungsformen des Radverkehrs. Führungsform Radverkehr Leistung P für 20km/ h in W Geschwindigkeit bei 100 W in km/ h Fußgängerzone Radfahrer frei 125 16,5 Radweg im Seitenraum 104 19,9 Schutzstreifen oder Radfahrstreifen 111 20,1 Mischverkehr auf Fahrbahn 106 19,9 Straßenunabhängiger Radweg (vergleichbar mit Standards Radschnellverbindung) 94 21 47 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Beide Effizienzindikatoren können mit Hilfe von Trendlinien für das Verhältnis von Geschwindigkeit und Leistung ermittelt werden. Auf der Grundlage einer empirischen Erhebung wurden Effizienzwerte für Streckenabschnitte mit unterschiedlichen Führungsformen in der Stadt Karlsruhe ermittelt. Mit den an der Hochschule Karlsruhe entwickelten „SensorBikes“ wurden Leistung und Fahrgeschwindigkeit von 32 Alltagsradfahrenden auf einem 8 km langen städtischen Rundkurs in Karlsruhe erhoben [8]. Gewählt wurde eine Route, die verschiedene Führungsformen umfasst. Steigungsstrecken sowie nicht asphaltierte Fahrbahnbeläge wurden ausgeschlossen. Bei der Auswahl der Proband*innen wurden gezielt verschiedene Typen von Radfahrenden [9] ausgewählt, um eine möglichst große Bandbreite unterschiedlicher körperlicher Voraussetzungen und fahrerischen Könnens abzubilden. Bei den für die Erhebung genutzten SensorBikes handelt es sich um handelsübliche Trekkingräder, welche mit unterschiedlichen Sensoren bestückt werden können [10]. Für die Ermittlung der Effizienzindikatoren wurden die integrierte Leistungsmesskurbel sowie ein Geschwindigkeitssensor genutzt. Beide Sensoren wurden mit einem GPS-Fahrradcomputer gekoppelt, sodass die jeweils aufgebrachte Leistung und die gefahrene Geschwindigkeit einem Ort oder Streckenabschnitten zugeordnet werden können. In Bild 1 sind Geschwindigkeit und Leistung für eine typische Erhebungsfahrt dargestellt. Die roten Kästchen kennzeichnen die Streckenabschnitte mit unterschiedlichen Führungsformen des Radverkehrs: 1: - gemeinsamer Geh- und Radweg, 2.1, 2.2 und 2.3: - Radwege, 3: - Mischverkehr, 4: - Schutzstreifen, 5: - Mischverkehr gegen Einbahnstraße, 6a: - Schutzstreifen, 6b: - Radfahrstreifen 6c: - Mischverkehr Anliegerstraße, 7: - Mischverkehr, 8: - Fußgängerzone, 9: - Radfahrstreifen und 10: - straßenunabhängiger Radweg. Die gelbe Linie gibt Leistung wieder und die grüne Linie zeigt die Geschwindigkeit an. Aus den gemessenen Geschwindigkeiten und Leistungswerten wurden im Anschluss die Effizienzindikatoren für die einzelnen Streckenabschnitte ermittelt. Dies geschah mit Hilfe von Trendlinien welche die für eine bestimmte Durchschnittsgeschwindigkeit durchschnittlich aufzubringende Leistung bzw. umgekehrt wiedergeben (Bild 2). Zusammenhang zwischen Effizienz und Führungsformen des Radverkehrs Die Auswertung der Daten aller Fahrten ergibt folgende Ergebnisse: Auf dem gesamten Rundkurs waren die Radfahrenden mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit (ohne Halte) von 21 km/ h und einer durchschnittlichen Leistung von 139 W unterwegs. Die Durchschnittsgeschwindigkeiten der mittleren 50 % der Radfahrenden liegen zwischen 19 und 23- km/ h. Hierfür wurden Leistungen zwischen 90 und 170 W erbracht. Somit liegt die Geschwindigkeit leicht über den, laut ERA 2010 angestrebten 15 bis 20 km/ h. Die Leistung liegt in dem in der Literatur für Alltagsradler angegebenen Bereich. Laut Wilson [2] kann ein typischer Radfahrender über die Dauer einer Stunde eine Leistung von rund 150 W aufbringen, Knoflacher [1] gibt eine Spannbreite von 65 bis 160 W an. Bild 2: Geschwindigkeits- und Leistungsdiagramm für verschiedene Führungsformen Radverkehr. © Eckart et al. 46 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Berücksichtigung von Geschwindigkeit und Leistungsbedarf in Regelwerken Um ein Fahrrad fortzubewegen, muss die radfahrende Person eine körperliche Leistung erbringen. Die Leistung, die benötigt wird, um das Fahrrad auf einer konstanten Geschwindigkeit zu halten bzw. zu beschleunigen, ergibt sich aus den verschiedenen Widerständen, die das Fahrrad abbremsen. Hier summieren sich Beschleunigungswiderstand (auch Trägheitswiderstand), Luftwiderstand, Steigungswiderstand, Fahrwiderstand und Rollwiderstand-[2 - 5]. In den Regelwerken der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen ( FGSV) finden sowohl Vorgaben für die angestrebte Fahrgeschwindigkeit von Radfahrenden wie auch Faktoren, die den Energiebedarf beeinflussen, Berücksichtigung. In den Empfehlungen für Radverkehrsanlagen ERA [6]wird eine angestrebte Fahrgeschwindigkeit (Durchschnittsgeschwindigkeit einschließlich Zeitverlusten an Knotenpunkten) von 15 bis 25 km/ h für innerörtliche Radschnellverbindungen und 15 bis 20 km/ h für innergemeindliche Radverkehrsverbindungen angegeben. Als grundlegender Standard für Radschnellverbindungen wird in den Hinweisen zu Radschnellverbindungen und Radvorrangrouten H- RSV eine durchschnittliche Fahrgeschwindigkeit von 20 bis 25 km/ h genannt [7]. Zur Minimierung des Kraftaufwandes beim Radfahren wird in der ERA empfohlen, Oberflächen mit geringem Rollwiderstand zu nutzen, Umwegen zu minimieren, Steigungen zu vermeiden sowie unnötige Halte zu reduzieren [6]. Für Radschnellverbindungen wird darüber hinaus empfohlen, Beeinträchtigungen durch andere Verkehrsteilnehmende zu minimeren. Weiterhin sollten möglichst wenig Zeitverluste durch Warten und Halten entstehen [7]. Bild 1: Leistungs- und Geschwindigkeitsprofil einer Erhebungsfahrt . © Eichner et al., 2019 Erhebung der Effizienz im Alltagsradverkehr Für die Beurteilung des Komforts von Radverkehrsanlagen bietet sich an, die Leistung und Fahrgeschwindigkeit der Radfahrenden nicht einzeln zu betrachten, sondern diese ins Verhältnis zu setzen. Dafür können Effizienzindikatoren genutzt werden die abbilden, welcher Aufwand für das Erreichen eines Ziels erforderlich ist. In der vorliegenden Erhebung wurde beobachtet, dass es Radfahrende gibt, die eine bestimmte Fahrgeschwindigkeit (erforderliche Reisezeit etc.) anstreben, während andere Radfahrende eine bestimmte Leistung (nicht verschwitzt ankommen etc.) zum Ziel haben. Eine Aussage, ob Geschwindigkeit oder Leistung die prägenden Größen sind, ist nicht möglich. Daher ergeben sich zwei Effizienzindikatoren. Manche Radfahrende streben eine bestimmte Geschwindigkeit an und erbringen die hierfür notwendige Leistung. Als Bezugsgeschwindigkeit für den Effizienzindikator werden in Anlehnung an die ERA 2010 und die H RSV 20 km/ h gewählt. Dieser Effizienzindikator gibt damit an, welche Leistung der Radfahrende in einem Abschnitt aufbringen muss, um eine Fahrgeschwindigkeit von 20 km/ h zu erreichen. Andere Radfahrende orientieren sich an einer bestimmen Leistung, die sie nicht überschreiten wollen, um beispielsweise nicht verschwitzt im Büro anzukommen. Hier bildet die Geschwindigkeit das Resultat dieser Leistung. In Anlehnung an die von Knoflacher [1] genannte Spannbreite der erbrachten Leistung von Alltagsradfahrenden von 65 bis 160 W wird eine mittlere Leistung von 100 W berücksichtigt. Der Effizienzindikator gibt damit an, welche Durchschnittsgeschwindigkeit in einem Abschnitt mit 100 W erbrachter Leistung des Radfahrenden möglich ist. - 420 - 390 - 360 - 330 - 300 - 270 - 240 - 210 - 180 - 150 - 120 - 90 - 60 - 30 - 0 0,00 km 0,40 km 0,80 km 1,20 km 1,60 km 2,00 km 2,40 km 2,80 km 3,20 km 3,60 km 4,00 km 4,40 km 4,80 km 5,20 km 5,60 km 6,90 km 6,40 km 6,80 km 7,20 km 7,60 km 8,00 km Leistung [Watt] Geschwindigkeit [km/ h] 1 2.1 2.2 2.3 3 4 5 6 a 6b 6c.1 6c.2 7 8 9 10 30 20 10 0 45 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Kräftig reintreten Die Effizienz verschiedener Führungsformen des Radverkehrs Urbane Mobilität, Radverkehr, Radverkehrsanlagen, Verkehrswegeplanung, Regelwerk Jochen Eckart, Martin Temmen, Jan Hauenstein, Max Rabes, Christoph Welz Radverkehr ist einer der Verkehrsträger der Zukunft. Radfahren vereint persönliche Vorteile wie aktive Mobilität und körperliche Fitness mit gesellschaftlichen Vorteilen wie Emissionsfreiheit und Stadtverträglichkeit. Dies ermöglicht eine zukunftsfähige und nachhaltige Mobilität in Stadt und Land. Um den Anteil der Radfahrenden weiter zu erhöhen, ist neben der Verbesserung der objektiven und subjektiven Verkehrssicherheit auch die Steigerung des Komforts beim Radfahren wichtig. Effizienz des Radfahrenden als Komfortparameter Im Gegensatz zu motorisierten Verkehrsmitteln wird das (konventionelle) Fahrrad durch Muskelkraft betrieben. Die benötigte Energie muss durch die radfahrende Person aufgebracht werden. Der körperliche Leistungsbedarf ist daher eine wesentliche Komfortgröße für das Radfahren. Je geringer die benötigte Leistung zum Erreichen der gewünschten Fahrgeschwindigkeit ausfällt, desto komfortabler wird das Radfahren tendenziell wahrgenommen- [1,- 2]. Auf der Grundlage empirischer Erhebungen geht die vorliegende Arbeit der Frage nach, wie sich unterschiedliche Führungsformen des Radverkehrs auf Leistungsbedarf und Geschwindigkeit und damit die Effizienz des Radfahrens auswirken. Um eine Vergleichbarkeit zwischen den unterschiedlichen Führungsformen herzustellen, werden zwei mögliche Effizienzindikatoren eingeführt. Diese sagen aus, welche Leistung durchschnittlich benötigt wird um eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 20 km/ h auf einem Streckenabschnitt zu erreichen bzw. welche Durchschnittsgeschwindigkeit mit einem Leistungsbedarf von 100 W möglich ist. © Vedant SHAH auf Pixabay 44 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Wasserstoff als Energieträger der Zukunft. Spätestens seit der Mitte 2020 veröffentlichten „Nationalen Wasserstoffstrategie“ der Bundesregierung verspricht dieser innovative Energieträger spannende Entwicklungen auch im Mobilitätssektor. Im Kontext urbaner Mobilität sollte Wasserstoff daher neben der Batterietechnologie als weiterer Baustein in die Systembetrachtung miteinbezogen werden. Sicherlich ist der Hebel zur CO 2 -Reduzierung des wertvollen grünen Wasserstoffs in der Schwer- und verarbeitenden Industrie noch größer. Doch auch in der Mobilität wird Wasserstoff Lücken im System schließen können - nämlich dort, wo die Batteriespeicher an ihre Grenzen stoßen. Der mittels Elektrolyse aus Wasser erzeugte gasförmige oder flüssige Energieträger hat den großen Vorteil, dass während des Herstellprozesses keine CO 2 -Emissionen anfallen. Zudem kann die Energie aus regenerativen Quellen wie Sonne, Wind und Biomasse durch die Erzeugung von Wasserstoff gespeichert und zum Verbraucher transportiert werden. Das sind beispielsweise Tankstellen, wo vor allem LKW, also der Schwertransport, damit betankt werden sollen. Erste deutsche Städte wie zum Beispiel Frankfurt am Main arbeiten bereits an Konzepten einer regionalen Wasserstoff-Wertschöpfungskette. Auch führende Technologieunternehmen sind ganz vorne dabei: So baut zum Beispiel Siemens an seinem Standort in Görlitz ein Wasserstoff-Forschungszentrum, in dem die Erzeugung, Speicherung und Nutzung des innovativen Energieträgers untersucht werden. Die Chance liegt damit in der Schaffung eines geschlossenen und lokalen Energie-Ökosystems, das Energie flexibel zur Verfügung stellt - und zwar dort, wo sie gerade benötigt wird. Bei der echten Mobilitätswende kommt es auf den richtigen Mix an. Denn der Fokus auf einen Energieträger führt genauso zum Kurzschluss wie die Bevorzugung eines Mobilitätsträgers mehr Stillstand als Fortschritt erwirkt. Sinnvoll ist deswegen: Das Auto für die kurze Strecke fährt elektrisch, der Bus für den täglichen Weg zur Arbeit nutzt Wasserstoff und die Straßenbahn wird aus 100 Prozent regenerativem Strom angetrieben. Wer doch noch seinen geschätzten „Verbrenner“ im Stadtverkehr zirkulieren lassen möchte, greift auf synthetische Kraftstoffe, sogenannte eFuels, zurück. Vernetzt und nachhaltig mobil in der Smart City Was die Zukunft der urbanen Mobilität auszeichnen muss: Sie ist vielfältig, multimodal, bedarfsgerecht und nutzerfreundlich. Morgens aus dem Haus über den Kindergarten zur Arbeit, danach zum Supermarkt, ins Fitnessstudio oder Kino und wieder nach Hause - in einer clever geplanten Smart City stehen Menschen verschiedenste nachhaltige Mobilitätslösungen zur Verfügung. Die meisten Strecken bestreiten sie in der Stadt der kurzen Wege zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Das Quartier, in dem sie wohnen, erzeugt selbst Energie, die von Wohnungen genauso wie von Elektroautos genutzt wird. Eine Seilbahn bringt Pendler schnell und emissionsfrei von A nach- B. Und smarte Technologien und Apps erlauben es, alle Verkehrsmittel effizient miteinander zu kombinieren und den Energieverbrauch optimal zu steuern. All das mag nach einem Idealbild klingen, doch es gibt schon Städte wie Kopenhagen und Singapur, die diese Ideen verwirklichen. Hierzulande sind es vor allem Quartiersentwicklungen wie das Quartier Heidestraße in Berlin, die solche innovativen Lösungen umsetzen. Fabian Gierl Senior Consultant und Mobilitätsexperte Drees & Sommer Kontakt: info@dreso.com Jan Vorkötter Senior Consultant und Infrastrukturberater Drees & Sommer Kontakt: info@dreso.com AUTOREN Energieeffizient, emissionsarm und leise: Seilbahnen gelten seit jeher als eine nachhaltige Mobilitätsform. Dennoch gibt es gerade in Deutschland wenig Erfahrungen mit Seilbahnsystemen im urbanen Bereich. Um das zu ändern, hat das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) das Planungs- und Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE gemeinsam mit der Verkehrswissenschaftlichen Institut Stuttgart GmbH (VWI) mit einer Studie beauftragt. Ihre Aufgabe ist es, die „stadt- und verkehrsplanerische Integration urbaner Seilbahnprojekte“ zu untersuchen und einen Leitfaden für die „Realisierung von Seilbahnen als Bestandteil des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV)“ zu erstellen. SEILBAHNEN FÜR STÄDTE IM VISIER 43 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Straßenbahn und Stadtbus statt SUV So gilt es im zweiten Schritt den Verkehr auf alternative Verkehrsträger zu verlagern. Im besten Fall steigt also, wer heute den SUV nutzt, morgen auf die Straßenbahn um. Weithin bekannt ist aber auch, dass dieser Schritt für viele kein leichter ist. Es braucht umso attraktivere Alternativen. Für diejenigen, die auf ein Auto nicht verzichten können oder wollen, bietet sich Carsharing als umweltschonendere Alternative an. Der Flächenverbrauch eines PKW beträgt das Fünfbis Zehnfache gegenüber öffentlichen Verkehrsmitteln. Das sind Flächen, die sich bei einer guten Planung für viel sinnvollere Zwecke nutzen und die Innenstädte für Besucher und Bewohner attraktiver gestalten lassen. Doch es gibt noch weiter Luft nach oben: Um die Energie- und Verkehrswende wirklich voranzubringen, gilt es klimafreundliche Technologien einzusetzen. Und so sollten in Zukunft alle Verkehrsmittel mit regenerativen Energien angetrieben werden. Wasserstoffbetriebene Busse und Elektroautos sind dafür schon heute gute Beispiele. Vor allem bei Letzteren zeichnet sich eine positive Entwicklung ab: In den vergangenen Jahren ist die Elektrifizierung der Fahrzeugantriebe zum großen Trend geworden, der den Markt erobert. Auch die Ladeinfrastruktur wächst und wird zum Teil beim Bau von neuen Gebäuden und Quartieren schon mitgedacht. Derzeit nehmen elektrisch aufladbare Fahrzeuge, Hybridfahrzeuge und reine Elektroautos in Deutschland noch einen Anteil von 15 Prozent bei Neuzulassungen ein. Die Tendenz ist aber steigend. Förderprogramme des Bundes und EU-Richtlinien zur Erreichung der Klimaschutzziele wirken beschleunigend auf diesen Trend ein: Bis Ende des Jahrzehnts wird mit über zehn Mio. E-Fahrzeugen auf deutschen Straßen gerechnet. Aktuell sind über eine Mio. E-Fahrzeuge zugelassen. Das Elektroauto ist aber nur dann ein Schritt in die richtige Richtung, wenn auch der Strom aus der Ladesäule und die Energie für die Produktionsstätte klimafreundlich erzeugt werden. Leider bleibt derzeit der Anteil an erneuerbaren Energien im Energienetz mangels Speicherkapazitäten begrenzt. Energie aus regenerativen Quellen muss oftmals bei Spannungsspitzen vom Netz genommen werden - fossile Energien bleiben hingegen angebunden. Dabei wäre bilanziell gesehen bereits heute ein deutlich grünerer Energiemix möglich. Die parkenden Vehikel müssen zukünftig als dezentrale Energiespeicher einen Beitrag leisten und könnten durch die intelligente Netzanbindung über Smart Grids sogar zur Netzstabilität beitragen. Wasserstoff schließt Lücken im System Um die doppelte Transformation zu schaffen, braucht es also die Kopplung beider Sektoren. Für einen reibungslosen und damit energieeffizienten Übergang müssen verschiedene Technologiepfade eingeschlagen werden. So gilt neben batterieelektrischen Antrieben der klimafreundlich hergestellte Innovativ, energieautark, nachhaltig - das sind einige der vielen Eigenschaften der neuen Tank- und Rastanlage im bayerischen Fürholzen. Denn erstmals verfügt sie über alle modernen Tanksysteme der Zukunft. Neben den üblichen flüssigen und gasförmigen Tankmedien gehören dazu die Medien für die alternativen Antriebe wie Erdgas, Wasserstoff und eine moderne Schnellladeinfrastruktur für Elektroautos. Zusätzlich wurde die Tank- und Rastanlage im Energie-Plus-Standard errichtet. Das Projekt an der A9 zwischen der Anschlussstelle Allershausen und dem Autobahnkreuz Neufahrn hat die Autobahndirektion Südbayern umgesetzt. Für die Projektsteuerung und das innovative Energiekonzept zeichneten die Infrastruktur- und Engineering-Experten von Drees & Sommer verantwortlich. RASTANLAGE FÜRHOLZEN Rastanlage Fürholzen. © Jakob Härter 42 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Zumindest in der Theorie sind Lösungen bekannt, um das Verkehrssystem energieärmer und klimafreundlicher zu gestalten: Experten sprechen von einem sogenannten Avoid-Shift-Improve-Modell. Es umfasst drei Handlungsschritte, um den ökologischen Fußbzw. Reifenabdruck des Verkehrssektors zu reduzieren: den Verkehr zu vermeiden durch eine Reduzierung der Mobilitätsbedürfnisse, den Verkehr zu verlagern auf umweltschonende Verkehrsträger und schließlich den Verkehr zu verbessern durch Einsatz effizienter Antriebstechnologien. Die gemeinhin einfachste und wirtschaftlichste Maßnahme ist, Verkehr bzw. Mobilität zu reduzieren. Wer sich weniger automobil bewegt, benötigt auch weniger fossile Energie. So gilt es, Mobilität von ihren Anlässen her zu denken und Verkehr gar nicht erst entstehen zu lassen. Das ist zum einen mit Städten der kurzen Wege möglich. Dafür braucht es gemischt genutzte Quartiere, die ihren Einwohnern Wohn-, Arbeits- und Freizeitmöglichkeiten bieten. Zum anderen müssen Arbeitgeber auch nach der Corona-Pandemie die Vorteile des mobilen Arbeitens nutzen und die digitalen Kommunikations- und Kollaborationssysteme dort einsetzen, wo sie unnötige Dienstreisen vermeiden. Allerdings ist dieser Hebel endlich: Denn völliger Stillstand ist selbst in der Stadt der kurzen Wege weder eine realistische noch eine lebenswerte Option. Und persönliche Kontakte in Büros und auf Messen können auf Dauer nicht gleichwertig im virtuellen Raum stattfinden. Energie, die Menschen bewegt Urbane Mobilität, Verkehrwende, ÖPNV, Elektrofahrzeuge, alternative Kraftstoffe Fabian Gierl, Jan Vorkötter Das planerische Leitbild einer autogerechten Stadt aus den 1960er und 1970er-Jahren spiegelt sich bis heute in unseren Metropolen wider. Mehrspurige Hauptverkehrsstraßen, fehlende Fahrradspuren, mangelnde Parkplätze und viel zu schmale Fußwege führen in großen Städten fast täglich zum Verkehrschaos. Das Ergebnis: lange Staus, Luftverschmutzung sowie unzufriedene Pendler und Einwohner. Trotz der Versuche verschiedener Städte, wie zum Beispiel Berlin mit seiner Radverkehrsstrategie oder Stuttgart mit dem strategischen Fußgängerkonzept, lassen sich diese gewachsenen urbanen Strukturen nur langsam verändern. Ist also eine echte Energie- und Mobilitätswende nur auf Halbgas möglich? © pheat rukkatarakul auf Pixabay 41 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Anpassung der Verwaltungsstrukturen Wenn man Straßenraum als einen multifunktionalen öffentlichen Raum begreift, gilt es verschiedene Ressorts innerhalb einer Stadtverwaltung frühzeitig einzubinden. Wir haben hierfür ein ressortübergreifendes Team initiiert, was regelmäßig an einem Tisch über den Projektstand diskutierte. Hierdurch ist es aus unserer Sicht gelungen, mögliche Bedenken frühzeitig zu erkennen und gleichzeitig Abstimmungsprozesse innerhalb der Verwaltung deutlich zu beschleunigen. Deutlich wurde jedoch auch, dass die angespannte Personallage eine erhebliche Herausforderung darstellt, denn mit dem Innovationsgrad steigt auch der Betreuungsaufwand, den viele Kommunen, gerade im Ruhrgebiet, kaum leisten können. Es braucht politischen Mut In beiden Städten bestand innerhalb der Bewohnerschaft eine große Bereitschaft Straßenraum neu zu denken. Es gilt diesen Veränderungswillen auf allen politischen Ebenen zu unterstützen. Auf kommunaler Ebene bedeutet dies, anfänglicher Kritik einer Minderheit zu widerstehen. Landes-/ Bundespolitik sollte entsprechende politische Rahmenbedingungen schaffen, um Kommunen zu befähigen, innovative Projekte leichter auf lokaler Ebene umsetzen zu können. Insgesamt zeigt das Projekt, dass es stadtplanerisch möglich ist, Straßenraum im Sinne der SDGs, der Verkehrwende oder der Leipzig Charta umzu- Lothringer Straße, Gelsenkirchen Neuer Graben, Dortmund Mehr Raum für Grün, Begegnung, Fuß- und Fahrradverkehr durch Umwandlung in Einbahnstraße und Reduzierung der Stellplätze von 40 auf 14 (inkl. Lade-, Hol-/ Bringzonen) Mehr Raum für Grün, Begegnung, Fuß- und Fahrradverkehr durch Umwandlung in Einbahnstraße und Reduzierung der legalen PKW-Stellplätze von heute rund 140 auf nur noch rund 70 Stellplätze (inkl. Behindertenparkplatz, Ladezonen, CarSharing) Verbesserung der Verkehrssicherheit durch eine stärker auf den Fuß -und Radverkehr fokussierte Verkehrsführung Bauliche Maßnahmen zur Vermeidung des Falschparkens (Poller, Beete) Bessere Einsehbarkeit des gesamten Straßenraums und des angrenzenden Parks Reduzierung von Nutzungskonflikten zwischen Fuß-/ Radverkehr, MIV und Außengastronomie durch faire Flächenverteilung Gestalterische Verknüpfung des Parks und der Straße Erhöhung der Barrierefreiheit durch einen barrierefreien Übergang von Bürgersteig und Fahrbahn Gestaltung des Parks als attraktiver Naherholungsraum für den Stadtteil: Die Aktivitätsflächen für alle Altersgruppen konzentrieren sich im Park Erweiterung des Angebots an Radverkehrsinfrastruktur durch 300 Extra-Fahrradabstellanlagen. Mehr Raum für Fußgänger durch einen breiteren Bürgersteig Verbesserung des Mikroklimas durch eine Maximierung des Grünvolumens, unterschiedliche klimaresiliente Gehölze, Beete und sonstige Grünelemente strukturieren den öffentlichen Raum und sorgen für angenehmere Temperaturen an heißen Sommertagen Baumscheiben der Bestandsbäume werden gesichert und vergrößert. Insgesamt werden 16 neue Bäume gepflanzt. Zudem werden zahlreiche Flach- und Hochbeete angelegt. Grünelemente werden so angelegt, dass sie das anfallende Regenwasser aufnehmen und versickern (Schwammstadt). Daneben wird das Thema Wasser auch gestalterisch durch Wasserspiele oder kühlende Zerstäubersysteme eingebunden. Die verbleibenden Parkplätze werden baulich so gestaltet, dass eine spätere Nutzungsumwidmung mit geringem Aufwand und geringen Kosten verbunden ist. Erstmalige Herstellung der Brandschnutzauflagen für das Anleitern der Feuerwehr im Einsatzfall (BauO NRW) Dr. Steven März Wissenschaftlicher Mitarbeiter Forschungsbereich: Stadtwandel Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie gGmbH, Kontakt: steven.maerz@wupperinst.org Robert Broesi Geschäftsführer, Stadtplaner MUST Städtebau GmbH Kontakt: broesi@must.eu AUTOREN bauen. Ebenso wurde die hohe Unzufriedenheit mit der heutigen Dominanz des Individualverkehrs und die damit einhergehende Bereitschaft der Bewohnerschaft wie auch der Stadtverwaltung deutlich, Straßenraum neu zu denken. Vor dem Hintergrund sozialer, ökologischer und ökonomischer Herausforderungen macht dies Mut, dass solche Pilotprojekte tatsächlich umgesetzt und, mehr noch, zum Standard werden, damit es zukünftig mehr lebenswerte Straßen für ALLE geben kann. LITERATUR [1] Wuppertal Institut (Hrsg.): März, S. et al.: „Lebenswerte“ Straße in resilienten urbanen Quartieren, 17_Wuppertal Report, (2020) S. 8. Tabelle 2: Zentrale Merkmale der Entwurfsplanung. 40 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Lösung für den ruhenden Verkehr. Bei rund 140 legalen Parkplätzen werden in den Abendstunden zwischen 200 und 220 PKWs abgestellt. Beteiligungsprozess Der Weg hin zur Entwurfsplanung erfolgte über drei Beteiligungsphasen. In einer ersten Phase wurden konkrete Bedarfe und Wünsche für einen Umbau abgefragt (Befragungen, Interviews, Spaziergänge mit Kindern). Diese abstrakten Bedarfe wurden in Zukunftsbilder übersetzt. Sie stellen Denkrichtungen dar, die ambitionierte Visionen für den jeweiligen Straßenumbau in einfach zu verstehende 3D-Renderings übersetzen. Diese wurden in einem zweiten Schritt wieder mit der Öffentlichkeit diskutiert. In einer dritten Phase sind die Zukunftsbilder im Rahmen von temporären Interventionen im Straßenraum umgesetzt worden, sodass der Mehrwert vor Ort erlebbar wurde. Alle drei Phasen waren stets so aufgebaut, dass zunächst die Stadtverwaltung, dann die Kommunalpolitik und schließlich die Zivilgesellschaft beteiligt wurde. Die Ergebnisse jeder Phase flossen als Input in den nächsten Planungsschritt (Tabelle 1). Die Planungsentwürfe Entstanden sind so zwei Entwurfsplanungen, die zum einen die oben genannten Zieldimensionen adressieren und andererseits die lokalen Bedenken und Restriktionen aufnehmen, um so gesellschaftlich tragfähig zu sein. Die wesentlichen Merkmale der beiden Entwürfe sind in Tabelle 2 dargestellt. Ein entsprechende Visualisierung der Entwurfsplanung zeigt Bild 1. Auf dem Weg zur lebenswerten Straße - ein Zwischenfazit Als Forschungsprojekt gestartet, können wir aktuell nicht sagen, ob die Planungen wirklich umgesetzt werden. Trotz der positiven Resonanz aus der Zivilgesellschaft wie auch aus der Stadtverwaltung, ist es die Kommunalpolitik, die im ersten Quartal 2022 über den Fortgang des Projektes entscheiden muss. Dennoch lässt sich nach rund anderthalb Jahren ein erstes Zwischenfazit ziehen. Breite und transparente Beteiligung wichtig für eine breite gesellschaftliche Akzeptanz Infrastrukturprojekte scheitern immer häufiger an der Akzeptanz der Bevölkerung. Daher war es uns wichtig, sehr frühzeitig möglichst viele unterschiedliche Zielgruppen über unterschiedliche Formate einzubinden. Gerade in Dortmund ging dies zunächst nur über Online-Befragungen. Dadurch konnten zwar viele Personen erreicht werden, bestimmte Zielgruppen wurden jedoch nicht aktiviert, was letztlich zu der zwischenzeitlichen Irritation beigetragen hat. Gerade dort wo innovative Planungen umgesetzt werden und Planungsparadigmen und damit Alltagsroutinen durchbrochen werden, sollte daher möglichst früh über unterschiedliche analoge wie digitale Formate beteiligt werden. Dies steigert nicht nur die Akzeptanz und Identifikation für entsprechende Projekte und öffnet so auch neue Finanzierungsmöglichkeiten. Das Einbinden lokalen Wissens verbessert zudem die Qualität der Planung. Ein Paradigmenwechsel braucht Kommunikation und Erlebbarmachung Wir haben in den letzten Jahren wie selbstverständlich hingenommen, dass Straßen im Wesentlichen Verkehrsflächen sind. Dass Fußgänger oder Radfahrer an den Rand gedrängt werden und kaum Platz erhalten, hinterfragen wir vielfach kaum mehr. Eine Veränderung dieses Paradigmas braucht entsprechende Kommunikation die möglichst transparent sein sollte und über unterschiedliche Kanäle möglichst viele Menschen erreicht. Wichtig ist zudem, den Mehrwert veränderter Planungsparadigmen erlebbar zu machen. Die von uns durchgeführten temporären Interventionen haben nicht nur geholfen, mit der Bewohnerschaft in Diskurs zu treten, um so die Planungen zu erläutern, sondern auch mögliche Fehlplanungen frühzeitig zu erkennen. Als Reaktion auf die Rückmeldungen der Anwohner*innenschaft haben wir zum Beispiel in beiden Straßen weniger Sitzmöglichkeiten als ursprünglich gedacht geplant, da die Interventionen Hinweise für eine hohe Lärmbelästigung geliefert haben. Lothringer Straße, Gelsenkirchen Neuer Graben, Dortmund Verkehrsberuhigte Einbahnstraße Erhalt und Qualifizierung des bestehenden Grünbestandes Erhöhung des Grünvolumens Priorität auf zusätzliches Stadtgrün anstelle von Sitzmöglichkeiten, Spielgeräte (Sorge vor Lärmbelästigung) Schaffung von Begegnungsräumen für alle Altersgruppen Mehr Raum für Fußgänger/ Radfahrer*innen Verbesserung der Barrierefreiheit Angebote für Mobilitäts- alternativen schaffen Weniger (Fremd-)Parken Planerische Eingriffe, um Falschparken im Kreuzungsbereich zu vermeiden Integration des Spielplatzes in das Straßenensemble Keine Ausweitung der Außengastronomie Maßnahmen zur Erhöhung der Sauberkeit (Teil-)Entsiegelung von Flächen Verbesserung des Sicherheitsempfindens (nachts) Flexible Planungselemente Tabelle 1: Zentrale Rückmeldungen aus der Bürgerbeteiligung. 39 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität in einem partizipativen Prozess Entwurfsplanungen für konkrete Straßenumbauten, damit Straßenraum wieder als öffentlicher Raum für alle Menschen nutzbar ist. Straßenräume - kaum genutztes Potenzial in der Stadtentwicklung Straßen werden häufig als Lebensadern bezeichnet, weil sie Produkte und Menschen von A nach B transportieren und so unsere Gesellschaft in Bewegung halten. Da die Bewegung zumeist mit dem PKW oder LKW erfolgt, wurden unsere Städte in den letzten Jahrzehnten autogerecht umgebaut. Der Preis, den unsere Gesellschaft dafür gezahlt hat, ist jedoch enorm. Straßen haben vielfach ihre Funktion als Orte der Begegnung bzw. der Kommunikation verloren und entwickelten sich vielmehr zu Verbindungslinien zweier Orte. So halten unsere Straßen heute zwar häufig das gesellschaftliche Leben am laufen, sind jedoch selbst kaum lebenswert, teilweise sogar lebensfeindlich. In München nimmt beispielsweise der ruhende Verkehr im öffentlichen Raum mehr Platz ein als alle Grünflächen der Stadt zusammen. Hinzu kommen negative Begleiterscheinung wie Verkehrslärm, Luftverschmutzung, Verkehrsunfälle oder hohe Infrastrukturfolgekosten. Bislang wird der Straßenraum nur unzureichend in die notwendig Transformation unserer Städte eingebunden. Das ist überraschend, macht er doch häufig zwischen 20 - 40 % der gesamten Stadtfläche aus. Zudem ist es öffentlicher Raum, über dessen Entwicklung die Kommune weitgehend selbstständig entscheiden kann. Spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie zeichnet sich hier ein Paradigmenwechsel ab. Die Bedeutung des direkten Wohnumfelds ist gestiegen, da Arbeit und Wohnen durch das Home Office räumlich vielfach näher zusammengerückt und Urlaubsreisen komplizierter geworden sind. Doch wie sehen Straßenräume aus, die nicht mehr primär dem motorisierten Individualverkehr dienen sollen, sondern für alle Menschen lebenswerte Orte sind? Was sind lebenswerte Straßen? Eine lebenswerte Straße ist für uns „ein öffentlicher Raum, der die Zieldimensionen Dekarbonisierung (Klimaschutz, Verkehrswende), Klimaresilienz und grüne Infrastrukturen sowie soziale Integration/ Begegnung integrativ betrachtet. Die „lebenswerte“ Straße ist damit mehr als ein Verkehrsweg, da bei ihrer Planung und Nutzung die Bedürfnisse ihrer Bewohner*innen und Nutzer*innen in den Blick genommen werden und eine gemeinwohlorientierte Interessenabwägung stattfindet“ [1] (Bild 2). Die Pilotstraßen Bestandssituation Im Rahmen des Forschungsprojektes haben wir im Herbst 2020 zwei Straßenzüge in Dortmund und Gelsenkirchen identifiziert, die ohnehin in den nächsten Jahren saniert werden. Bei der Lothringer Straße handelt es sich um eine etwa 420 m lange Quartiersstraße im Städtebaufördergebiet Rotthausen, Gelsenkirchen. Die Straße weist einen enormen Sanierungsstau auf. Zudem ist der Straßenquerschnitt mit rund 12,5 m für eine Quartiersstraße ohne höherwertige verkehrliche Funktion deutlich überdimensioniert. Eine Wohnnutzung mit Geschosswohnungsbau dominiert. Das betrachtete 220 m-Teilstück wird im südlichen Bereich von einer KITA sowie einem Spielplatz und einem Sportplatz begrenzt. Die Bewohnerschaft ist migrantisch geprägt. Die Herausforderung besteht hier vor allem darin, den Straßenquerschnitt zeitgemäß anzupassen, den ruhenden Verkehr zu reduzieren und mehr Raum für Begegnung und Bewegung im Grünen zu schaffen. Daneben soll die Straße stärker mit der angrenzenden Grünfläche und der örtlichen KITA vernetzt werden, da gerade die Grünfläche aktuell in den Abendstunden eher als Angstraum wahrgenommen wird. Der Neue Graben befindet sich im Dortmunder Kreuzviertel. Das betrachtete 560 m lange Teilstück unterscheidet sich grundlegend von der Lothringer Straße. Es gibt bereits heute einen alten Baumbestand. Die Straße ist insgesamt aufgrund zahlreicher Cafés, Restaurants und Einzelhandelsgeschäften belebt. Die Bewohnerstruktur ist von einem akademisch-ökologischen Milieu geprägt. Die Herausforderung besteht hier vor allem in einer Klimaanpassung Verkehrswende Aufenthaltsqualität Lebenswerte Straße Straße als öffentlicher Raum Straße als Ökosystem Straße als Energieproduzent Straßen-(planung) für Menschen Bild 2: Zieldimensionen und Planungsprämissen einer lebenswerten Straße. © Wuppertal Institut Klimaanpassung e CO 2 38 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Hintergrund Unsere Städte müssen sich wandeln, um den ökologischen, sozialen wie wirtschaftlichen Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte gerecht zu werden. Gerade in ökologischer Hinsicht haben die Hitzesommer 2018 bis 2020 oder die Flutkatastrophe 2021 gezeigt, dass der Klimawandel mit all seinen negativen Konsequenzen auch in Deutschland angekommen ist. Auch deshalb haben bereits mehr als 70 deutsche Städte und Gemeinden den Klimanotstand ausgerufen und aktualisieren ihre Klimaschutzkonzepte, um deutlich vor 2050 klimaneutral zu werden. Eine integrierte Stadtentwicklungspolitik, wie sie bereits 2007 in der „Leipzig Charta zur nachhaltigen europäische Stadt“ gefordert wurde, wird jedoch selten damit ausgelöst. Dies wirft die Frage auf, ob so das Ziel der Sustainable Development Goals (SDE 21) „Making cities and human settlements inclusive, safe, resilient, and sustainable” erreicht werden kann oder ob das Querschnittsfeld Klimaschutz viel stärker mit anderen Handlungsfeldern integriert betrachtet werden muss? Dieser Frage haben wir, ein Konsortium aus Wuppertal Institut, MUST Städtebau und Emschergenossenschaft/ Lippeverband, uns im Forschungsprojekt „Lebenswerte Straßen, Orte und Nachbarschaft“ gewidmet (www.lebenswerte-strasse.de). Das Projekt, finanziert vom NRW-Umweltministerium, entwickelt LesSON - Auf dem Weg zu lebenswerten Straßenräumen Straßenraum, Verkehrswende, grüne Infrastruktur, Bürgerbeteiligung Steven März, Robert Broesi Wie sehen lebenswerte Quartiersstraßen aus und wie werden sie Realität? Dieser Frage geht ein Forscherteam im Projekt „Lebenswerte Straßen, Orte und Nachbarschaften“ seit anderthalb Jahren nach. Das Team blickt auf das bisherige Projekt zurück, stellt die entstandenen Planungen vor und zieht ein erstes Zwischenfazit. Bild 1: Visualisierung der Entwurfsplanung Neuer Graben (oben), Lothringer Straße (unten). © MUST Städtebau GmbH 37 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Broadway und Engelhardt haben sich in ihrer Untersuchung mit Kaffeehäusern als Third Places befasst [7]. Ihrer Beobachtung nach sind diese in den letzten Jahren immer beliebter geworden. Abgesehen davon, dass Oldenburg eher ein Verschwinden der Kaffeehäuser vermutet hatte, was er auf die Motorisierung zurückführte, würde man im Zeitalter der sozialen Medien, in dem die Menschen lieber texten als reden, die hohen Besucherzahlen nicht unbedingt erwarten. Doch offensichtlich reicht eine Online-Kommunikation nicht aus, um die sozialen Bedürfnisse zu befriedigen. Zusammensein mit anderen Menschen ist ein Grundbedürfnis. Wie die Forscher feststellten, hängt die Lebendigkeit der Kommunikation jedoch von der Atmosphäre des Ortes ab. Ein Kaffeehaus mit heimeligem Ambiente fördert den sozialen Austausch. Ähnelt dessen Ambiente dagegen eher einem nüchternen Büroraum, wird weniger kommuniziert. Vom Design der dritten Orte hängt es ab, wie ausgiebig sozial interagiert wird. Schlussbemerkungen Empirische Forschungsergebnisse bestätigen, dass die Beschreibung von dritten Orten anhand objektiver Merkmale mit deren Erleben als sozialen Orten korrespondiert. Die in Tabelle 1 aufgelisteten Merkmale sind damit eine Ausgangsbasis für die Gestaltung dritter Orte in öffentlichen Räumen. Es ist ein lohnendes Unterfangen, mit dem zweierlei erreicht wird: Es werden Orte geschaffen, wo Menschen ihre sozialen Bedürfnisse befriedigen können. Zugleich wird die „Visitabilität“ der Stadt gesteigert. Sie wird für Touristen attraktiv. Wenn in großer Zahl Wohnungen gebaut werden, geht es vor allem um eine Vergrößerung des Angebots an First Places. Second Places wie Schulen und Büros, die gut erreichbar sein sollen und zu denen man auch ohne Auto gelangen kann, sind eine Aufgabe der Stadt- und Infrastrukturplanung. Doch auch Third Places sind, was die Lebensqualität betrifft, ein wichtiger Bestandteil des Lebensraums. Anzunehmen ist, dass sie in einer digitalisierten Welt, in der zunehmend online kommuniziert wird, immer wichtiger werden, denn sie sind die verbleibenden Orte, die unkomplizierte Face-to-Face Begegnungen ermöglichen [8]. Abschließend sei noch auf ein derzeit höchst aktuelles Thema, nämlich das Home Office, hingewiesen. Im Home Office ist die räumliche Trennung zwischen First und Second Place aufgehoben. Durch Verlagerung des Arbeitsplatzes in die Wohnung sollen direkte Kontakte so weit wie möglich minimiert werden, um die sich ausbreitende Pandemie zu stoppen. Die Vorgabe, soziale Kontakte zu vermeiden, hat direkte Auswirkungen auf die dritten Orte. Denn Third Places sind Orte, an denen sich Menschen begegnen und miteinander Kontakt aufnehmen. Sie veröden, wenn Kontakte unterbleiben sollen. Ein auf das Home Office zusammengeschrumpfter Lebensraum verliert an Lebensqualität. Dabei wären soziale Orte gerade in Krisenzeiten besonders wichtig. LITERATUR [1] Abdulkarim, D., Nasar, J. L.: Do seats, food vendors, and sculptures improve plaza visitability? Environment and Behavior, 46 (2014), S. 805 - 825. [2] Oldenburg, R., Brissett, D.: The third space. Qualitative Sociology, 5, (1982) S. 265-284. [3] Oldenburg, R.: Celebrating the third place. Inspiring stories about the „Great Good Places” at the heart of our communities. New York: Marlowe, (2001) S. 2. [4] Kruse, L.: Raum und Bewegung. In: Kruse, L., Graumann, C. F., Lantermann, E. D. (Hrsg.): Ökologische Psychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen (1996) S. 313 - 324). Weinheim: Psychologie Verlags Union. [5] Russell, J. A., Snodgrass, J.: Emotion and the environment. In: Stokols, D., Altman, I. (Hrsg.): Handbook of environmental psychology. Bd. 1, (1987) S. 245 - 280). New York: Wiley. [6] Oldenburg, R.: The great good place: Cafes, coffee shops, bookstores, bars, hair salons, and other hangouts at the heart of a community. Cambridge, (1999) MA: Da Capo Press, S. 3; S. 203. [7] Broadway, M. J., Engelhardt, O.: Designing places to be alone or together: A look at independently owned Minneapolis coffeehouses. Space and Culture, 24 (2) (2021), S. 310 - 327. [8] Flade, A.: Third places - Reale Inseln in der virtuellen Welt. Wiesbaden: Springer. 2016. [9] Metha, V., Bosson, J. K.: Third places and the social life of streets. Environment and Behavior, 42 (2010) S. 779 - 805. [10] Littman, D. M.: Third place theory and social work: Considering collapsed places. Journal of Social Work, 21 (5), (2021) S. 1225. Dr. Antje Flade Diplom-Psychologin Angewandte Wohn- und Mobilitätsforschung (AWMF), Hamburg Kontakt: awmf-hh@web.de AUTORIN 36 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität species whose nature is to share space just as we share experiences ... A habitat that discourages association, one in which people withdraw to privacy as turtles into their shells, denies community“ [6]. Oldenburg hatte die Situation in den Städten Nordamerikas der 1990er Jahre vor Augen gehabt. Er sah die Third Places verschwinden. Diesen Verlust führte er auf eine verfehlte Stadtplanung zurück, die monofunktionale statt anregende multifunktionale Orte hervorbringt, sowie auf eine Verkehrs- und Raumplanung, die den Autoverkehr zu sehr priorisiert, was eine Sub- und Exurbanisierung zur Folge hatte. Doch es ist nicht eingetreten, was Oldenburg befürchtet hatte, dass nämlich der städtische öffentliche Raum total verödete, und die Third Places überflüssig geworden sind. Dass die Beliebtheit der dritten Orte eher noch zugenommen hat, haben Broadway und Engelhardt in ihrer Untersuchung von Kaffeehäusern in Minneapolis nachgewiesen. Es sind, zumindest in den Städten, in denen sie ihre Beobachtungen durchgeführt haben, stark frequentierte Orte. Littman hat auf einen Aspekt aufmerksam gemacht, der oft übersehen wird. Die Konzeption von Lebensräumen, in denen es räumlich voneinander getrennte erste und zweite sowie dritte Orte gibt, zwischen denen sich die Menschen frei bewegen können, passt nicht für alle, insbesondere nicht für das Klientel, mit dem die sozialen Dienste zu tun haben. Dazu sind ältere Menschen, deren Beweglichkeit stark eingeschränkt ist, sowie des Weiteren Obdachlose und Inhaftierte zu rechnen. „Individuals whose lives are constrained for any number of reasons do not have this same freedom. Their places are thus „collapsed“ - perhaps geographically so, or perhaps their mobility limitations constrain free movement“ [10]. Littman hat das Collapsed Place- Modell vorgestellt, in dem die ersten, zweiten und dritten Orte zusammenfallen. Ihr Modell liefert eine theoretische Ausgangsbasis für die Konzeption einer ortsorientierten Sozialarbeit. Empirische Befunde Werden die anhand einer Reihe von Merkmalen beschriebenen Third Places überhaupt als soziale Orte erlebt? Die Ergebnisse empirischer Untersuchungen sprechen dafür. Metha und Bosson haben insgesamt 19 Straßenblöcke in drei Geschäftsstraßen (Main Streets) in Städten in Massachusetts ausgewählt und dort insgesamt 51 Personen danach befragt, welche Orte in den betreffenden Blöcken sie kennen und welche Bedeutung diese für sie haben [9]. Von den insgesamt 120 genannten Orten, darunter Apotheken, Schuhgeschäfte usw., wurden 17 Orte aufgrund der Aussagen: der Aufenthalt ist angenehm und anregend, so dass man gern dort verweilt, man trifft Bekannte und lernt neue Leute kennen, man kann etwas trinken und essen, ohne dass es viel kostet, der Ort ist gut zu erreichen, als Third Places klassifiziert. Der gefühlsmäßige Eindruck, dass der Aufenthalt an diesen Orten angenehm und anregend ist, und dass es ein Treffpunkt ist, stimmt mit den Beschreibungen des Konzepts überein. Dass man dort auch preiswert essen und etwas trinken kann, trägt zum lustvollen Erleben bei. Abdulkarim und Nasar untersuchten keine realen Orte, sondern führten ein klassisches Experiment durch, in dem 60 Versuchspersonen Fotos von Plätzen dargeboten bekamen [1]. Auf den Fotos wurden bestimmte Merkmale wie beispielsweise Sitzgelegenheiten durch Hinzufügen oder Weglassen systematisch variiert. Zu jedem Bild sollten die Versuchspersonen Stellung zu vier Aussagen nehmen: Ich würde einen Umweg machen, um diesen Ort zu besuchen und dort Zeit zu verbringen. Ich würde an diesem Ort anhalten, wenn ich zufällig vorbeikomme. Das ist ein Ort, um sich mit einem Freund oder einer Freundin zu treffen. Ich würde diesen Ort oft aufsuchen. Jede Aussage sollte auf einer Skala von 0 (stimmt gar nicht) bis 10 (stimmt vollkommen) beurteilt werden. Zu jedem Bild wurde dann ein Gesamtwert, der Perceived Visitability Score, ermittelt. Deutlich erkennbar war, dass vor allem Sitzgelegenheiten einen Ort besuchenswert machen. Das Ergebnis leuchtet ein, denn wenn man an einem Ort verweilen möchte, sind Sitzgelegenheiten natürlich willkommen. Bild 2: Third Place im Außenraum mit Überdachung. © A. Flade 35 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität und Second Places, die Lern- und Arbeitsorte. Die dritten Orte sind frei von Pflichten, sie werden in der Freizeit aufgesucht. Sie sind für das Wohlbefinden und die Lebensqualität von enormer Bedeutung, denn die Funktion der dritten Orte ist, einen Ausgleich zu den familiären und beruflichen Tätigkeiten und alltäglichen Belastungen zu schaffen und zugleich ein soziales Leben jenseits der ersten und zweiten Orte zu ermöglichen [2]. Gemeint sind hier keine fernen Urlaubsziele, sondern ohne größeren Zeitaufwand leicht zu erreichende Orte in nahegelegenen öffentlichen Räumen. Es sind Orte, „where people may gather freely and frequently and with relative ease“ [3]. Third Places sind keine exklusiven Orte. Sie schließen niemanden aus. Es sind Orte, deren Atmosphäre als angenehm, anregend und in keiner Weise als dominant und einschüchternd erlebt wird. Es ist ein Gesamteindruck, ein Angemutetwerden. Orte wirken zum Beispiel nüchtern und sachlich oder behaglich und anheimelnd oder auch kalt und abweisend, bedrohlich und bedrückend [4]. Die gefühlsmäßige Reaktion auf einen Ort ist entscheidend, denn ein positiver „emotional response“ bewirkt, dass man gern an dem Ort verweilt und immer wieder gern dort hin geht. Löst ein Ort dagegen negative Gefühle aus, wird man diesen künftig meiden oder versuchen zu vermeiden [5]. Third Places sind Orte, an denen man den Alltag mit seinen alltäglichen Routinen und beruflichen Anforderungen für kurze Zeit hinter sich lässt. Typische Third Places sind Gartenlokale, kleine Läden, Pubs, Bistros, Tavernen und Cafes bzw. Kaffeehäuser [6]. Man trifft dort sowohl Bekannte als auch bislang noch Unbekannte und kann dort die sozialen Bedürfnisse nach Kontakt und Kommunikation auf unkomplizierte Weise befriedigen. Das Gefühl, dazuzugehören und teilzuhaben, fördert das Wohlbefinden [7]. Man kommuniziert Face-to-Face, was in einer digitalisierten Gesellschaft schon fast die Ausnahme ist [8]. Und schließlich sind Third Places Zielorte, die zum Zufußgehen motivieren. Die typischen Merkmale dritter Orte sind in Tabelle- 1 aufgelistet. Der dritte Ort ist ein „gathering place“. Man trifft auf andere Menschen, man kann miteinander reden oder auch einfach nur dort sein, wo auch andere Menschen sind und man nicht allein auf weiter Flur ist. Es müssen nicht sämtliche Merkmale vorhanden sein, um einen Ort in einen Third Place zu verwandeln, aber nur ein Merkmal allein reicht ebenfalls nicht aus. So sind Sitzgelegenheiten zwar sehr wichtig, doch allein machen sie einen Ort noch nicht automatisch zu einem Third Place. Sie gehören jedoch dazu. Sie laden zum Verweilen ein (Bild 1). Die Unverwechselbarkeit dritter Orte war für Oldenburg ein wichtiges Kriterium gewesen, das Orte ausschließt, die man auf den ersten Blick für Third Places halten könnte. „Officials of a popular coffeehouse chain often claim that their establishments are third places, but they aren’t“ [6]. Hier gehen die Ansichten jedoch auseinander. So gab es für Broadway und Engelhardt keinen Zweifel daran, dass es sich bei den in ihrer Fallstudie untersuchten Starbucks-Kaffeehäusern um Third Places gehandelt hat. Und es sind auch nicht alle Third Places schlicht gehalten. So sind manche Kaffeehäuser elegant und mit üppigem Dekor versehen und alles andere als schlicht und bescheiden. Die Unterschiedlichkeit der dritten Orte bewirkt, dass sich auch das Verhalten unterscheidet. So zeigen die Beobachtungen von Broadway und Engelhardt, dass die Anwesenden weniger miteinander reden, wenn ein Cafe wie eine nüchterne Cafeteria in einem Bürogebäude aussieht, während eine wohnlichere Atmosphäre die Kommunikation fördert [7]. Und ob ein Wechsel zwischen drinnen und draußen möglich ist, hängt von den baulichen Merkmalen und vorhandenen Räumlichkeiten ab. Ausblicke nach draußen sind ein angedeuteter Wechsel. Wenn der Third Place ein reiner Außenraum ist, entfällt das Merkmal „Durchlässigkeit“, ohne dass in Zweifel steht, ob es sich um einen dritten Ort handelt (Bild-2). Neben ihrer psychologischen Bedeutung maß Oldenburg den Third Places auch eine gesellschaftliche Bedeutung zu. Er sah in ihnen „focal points of community life“. Er ging so weit, von Schneckenhäusern zu reden, in die sich die Menschen zurückziehen würden, wenn es solche Orte nicht gäbe: „We are, after all, social animals. We are an associating Typische Merkmale von Third Places [9] Es sind „gathering places“. Sie sind für alle zugänglich und schließen niemanden aus. Es gibt ringsum keinen oder kaum Autoverkehr. Sie sind unverwechselbar. Es gibt Sitzgelegenheiten. Im Außenbereich gibt es Überdachungen, die vor zuviel Sonne oder Regen schützen. Ein unkomplizierter Wechsel zwischen drinnen und draußen ist möglich. Sie sind nicht weit weg, man erreicht sie zu Fuß. Es sind kleinräumige Orte. Sie sind eher schlicht gehalten als gestylt. Tabelle 1: Dritte Orte und ihre typischen Merkmale. 34 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Urbane Mobilität Worum geht es, wenn von „Third Places“ bzw. „dritten Orten“ die Rede ist? Und warum sind diese Orte nicht nur erwähnenswert, sondern sogar sehr wichtig? Dritte Orte tragen zur Lebensqualität bei. Dennoch graten sie leicht aus dem Blick, wenn wegen der immer wieder beklagten Wohnungsknappheit alle Anstrengungen darauf gerichtet sind, erst einmal möglichst rasch viele Wohnungen zu produzieren. Doch zum Lebensraum gehören auch Wohnumgebungen und öffentliche Räume, in denen die Menschen unterwegs sind, um verschiedene Zielorte zu erreichen, und in denen sie mit anderen Menschen zusammen treffen. Es sind gerade die öffentlichen Plätze, die einer Stadt Ausstrahlung und urbane Identität verleihen. Hinzu kommt: Die „Visitabilität“ (visitability) [1] wird durch sie erhöht. Eine solche Stadt zieht Touristen an. Das Konzept Third Places sind Orte im öffentlichen Raum. Der Begriff wurde vor vier Jahrzehnten von Ray Oldenburg und Dennis Brissett geprägt. Mit der Nummerierung „third“ wird eine Reihenfolge zum Ausdruck gebracht. Es gibt First Places, die dem Wohnen dienen, Third Places Orte im öffentlichen Raum Third Places, dritte Orte, soziale Bedürfnisse, gesellschaftliche Teilhabe, Treffpunkte Antje Flade Der Frage wird nachgegangen, welche psychologische Bedeutung der reale öffentliche Raum in der westlichen Gesellschaft gegenwärtig hat. Er bietet Erfahrungen mit allen Sinnen und ermöglicht direkte soziale Begegnungen. Vor allem die im öffentlichen Raum gelegenen „Third Places“ tragen dazu bei, dass Menschen ihre sozialen Bedürfnisse nach Kontakt, Kommunikation und Zugehörigkeit befriedigen können. Aus diesem Grunde sind die dritten Orte ein unverzichtbarer Teil des Lebensraums der Menschen. Bild 1: Sitzgelegenheiten. © A. Flade 33 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität „Die Vergangenheit hat uns gelehrt, dass der Einsatz von industriell ausgerichteten Steckverbindern unumgänglich ist“, erläutert Keller weiter. VDS hat in diesem Fall bereits den Einsatz von militärischen Rundsteckverbindern in Betracht gezogen, jedoch spielen die Kosten selbst in diesen wertigen Geräten eine große Rolle. Es wurde auch mit stabileren RJ45-Standardlösungen experimentiert, aber erfolglos. „Zum einen kam es schon im Labor zu Datenabrissen, zum anderen haben Langzeittests ergeben, dass die Stecker nach zwei Jahren buchstäblich auseinanderfallen“. Flexibel vor Ort und einfach zu konfektionieren Eine Lösung bieten die kupferbasierten Datensteckverbinder von Phoenix Contact. „Das herstellereigene Prüfprogramm war einfach überzeugend“ so Keller. Vibrationsprüfung bis 2000 Hz, Schockprüfungen bis 50 G und die Biegeprüfung (Flexion Test) mit einer Rückhaltekraft von 30-Newton ließen keinen Zweifel offen. Jetzt steht einer zukunftssicheren High-Speed-Verkabelung mit bis zu 10 GBit/ s nichts mehr im Weg. Da es sich um aufeinander abgestimmte Komponenten handelt, wird höchste Übertragungssicherheit auch bei widrigsten Bedingungen garantiert. Abgesehen von den technischen Grundeigenschaften bieten die eingesetzten feldkonfektionierbaren R J45 -Industrial-Steck verbinder zusätzlich eine hohe Flexibilität bei der Verkabelung vor Ort. Je nach Projektierung und dem zur Verfügung stehenden Bauraum gibt es die Möglichkeit, einen geraden oder in zwei verschiedene Richtungen abgewinkelten Kabelabgang anzuschlagen. Durch das einteilige Design und die Konfektionierung, die ohne Spezialwerkzeug auskommt, wird dem Monteur im Werk und auf der Baustelle eine einfache Handhabung geboten (Bild 4). Nachdem eine technische Lösung gefunden wurde, zeigt sich noch ein weiterer Vorteil. Weil die Spezifikation im Geräteinneren nur IP20 abverlangt und man nicht auf Militärbzw. schwere Industriesteckverbinder zurückgreifen muss, ergibt sich eine Platzersparnis von rund 30 % und eine Kostenersparnis von über 70 % im Vergleich zu den mit in Betracht gezogenen Rundsteckervarianten. Fazit Steigende Anforderungen an die Technik erfordern immer leistungsstärkere Steckverbinder. Hierbei gilt es zu beachten, dass Michael Hahn Vertriebsingenieur Device Connectors Phoenix Contact Deutschland GmbH Kontakt: info@phoenixcontact.de AUTOR geltende Standards berücksichtigt werden und jederzeit eine Abwärtskompatibilität gewährleistet ist. Mit Phoenix Contact ist es gelungen, die genannten Rahmenbedingungen zu vereinen und ein preisoptimiertes und zukunftsorientiertes Gerätekonzept zu erstellen, das robust und einfach handzuhaben ist. w w w.phoenixcontac t.com/ web code/ #2675 www.vds-verkehrstechnik.de Bild 4: Standardisiert und für jedermann handzuhaben. Auch im Feld ist es wichtig, dass die Ausführung so einfach wie möglich gestaltet ist, um Handlingsfehler zu vermeiden. © Phoenix Contact Bild 5: Durch sein robustes Design erzielt der RJ45-Industrial-Steckverbinder von Phoenix Contact höchste Übertragungssicherheit. © Phoenix Contact 32 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Phoenix Contact stellt ein breit gefächertes Produktprogramm rund um Datensteckverbinder zur Verfügung. Dieses beschränkt sich nicht nur auf die klassischen Steckgesichter, sondern bietet ein weitreichendes flexibles und leistungsfähiges Spektrum: angefangen beim Board-to- Board-Steckverbinder bis hin zu IP67-geschützten LWL- und Kupferlösungen. Der in dieser Applikation beschriebene RJ45-Steckverbinder zeichnet sich unter anderem durch sein hohes Leistungspotenzial und den reduzierten Montageaufwand aus (Bild 5). Die Vorteile auf einen Blick: Hohe Flexibilität in der Anwendung dank eines breiten Produktspektrums Abwärtskompatibel zu FCC68-Office-Steckern Einfacher und schneller Design-in-Prozess dank hinterlegter 3D-Daten Effiziente und komfortable Handhabung der Geräte von der Bestückung bis zur Montage Hohe Kompaktheit durch geringe Größe Hohe Sicherheit aufgrund aufeinander abgestimmter Komponenten UMFASSENDES DATENSTECKVERBINDER-PROGRAMM Modularität auch stationär Um seinen Kunden eine kosten- und zukunftsorientierte Lösung zu bieten, setzt VDS bei den Messgeräten auf ein anpassbares modulares Baukastenprinzip. So kann das Gerät nach den jeweiligen Anforderungen und Bedürfnissen des Kunden auch nachträglich konfiguriert und kombiniert werden. Selbst Messanlagen in ländlichen Regionen ohne vorhandene Energieinfrastruktur können durch ein optional verfügbares Brennstoffzellenmodul völlig autark betrieben werden. Um Betriebs- und Personalkosten etwa durch Routineüberwachungen zu reduzieren, gibt es die Möglichkeit, ein GSM-basiertes Statusmeldemodul einzusetzen. Dieses Gerät überwacht ständig, ob eine Störung vorliegt, die Speicherkarte voll oder ein Angriff auf die Anlage erfolgt ist, und informiert im Bedarfsfall den Betreiber sofort. Die Kommunikation im Gerät findet grundsätzlich über Datenleitungen statt, der weitere Datentransfer nach außen wird in der Regel über Funk realisiert. Umweltbedingungen, die alles zermürben „Es ist nur schwer vorstellbar, welche Umwelteinflüsse zum Beispiel auf ein stationäres Gerät dauerhaft einwirken. Es sind nicht nur die extremen Temperaturschwankungen, die die verbaute Elektronik und die Komponenten belasten, sondern auch Schock und Vibration“, erklärt der zuständige Entwickler Roberto Keller (Bild 3). „Stellen Sie sich einen Ort zwei Meter neben einer stark befahrenen Bundesstraße vor, die im 10-Sekunden-Takt von 40 Tonnen schweren LKWs befahren wird. Das sind Bedingungen, wie man sie selbst unter widrigsten industriellen Bedingungen nur schwer findet.“ Bild 3: Roberto Keller, Entwicklungsingenieur bei VDS Verkehrstechnik GmbH, hat sich für eine solide und dennoch einfach zu handhabende Steckverbinderlösung von Phoenix Contact entschieden. © Phoenix Contact Bild 2: Geräte für die Verkehrsüberwachung stellen besondere Anforderungen an die verbauten Komponenten, eine zuverlässige Datenverbindung ist dabei essenziell für einen fehlerfreien Betrieb. © Phoenix Contact 31 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Seit mehr als 21 Jahren entwickelt und fertigt die Firma VDS Verkehrstechnik GmbH im sächsischen Löbau hochpräzise Apparaturen für die Verkehrsüberwachung. Die VDS Verkehrstechnik GmbH ist eine Tochtergesellschaft der International Road Dynamics Inc. (IRD), einem Unternehmen für Produkte und Lösungen intelligenter Verkehrssysteme (ITS), das weltweit agiert. Mit seinen 25 Mitarbeitern ist VDS eine etablierte Größe am Markt und trägt mit seinen Geräten dazu bei, Geschwindigkeitsdelikte einzudämmen und somit die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Der Fokus ist stets darauf gerichtet, langlebige und zuverlässige Lösungen anzubieten, welche dem Stand der Technik sowie den nationalen und internationalen Standards entsprechen. Das Herzstück eines jeden Geräts - egal ob Geschwindigkeits- oder Rotlichtblitzer - ist der Kamerasensor. Dieser hochsensible Fotosensor muss in der Lage sein, nicht nur bei blauem Himmel und Sonnenschein, sondern auch bei Regen, Schnee und Dunkelheit ein schnell bewegliches Objekt im Bruchteil einer Sekunde gerichtsverwertbar abzulichten. Um sofort wieder einsatzbereit zu sein, ist es zwingend erforderlich, dass die gesammelten Daten schnellstmöglich vom jeweiligen Messsensor bzw. Messgerät zum Kamerakopf und an die elektronische Auswerteeinheit (den Rechner) übertragen und anschließend an den Medienkonverter weitergeleitet werden. Von dort aus werden die gesammelten Informationen via LTE direkt an die jeweilig zuständige Behörde übermittelt. (Bild 2) Schau mal, wer da blitzt VDS Verkehrstechnik setzt bei rauen Bedingungen auf Phoenix Contact- Datensteckverbinder Straßenverkehr, Verkehrstechnik, Gechwindigkeitsmessung, Datentransfer Michael Hahn Wer kennt sie nicht im Straßenverkehr? Für denjenigen, der zu schnell unterwegs ist, ein Ärgernis, aber für die Gesamtsicherheit auf den Straßen unerlässlich. Es geht um „Blitzer“. Damit diese Geschwindigkeitsmessgeräte auch unter widrigsten Umweltbedingungen ordnungsgemäß und einwandfrei arbeiten, setzt die Firma VDS Verkehrstechnik auf kupferbasierte Datensteckverbinder von Phoenix Contact. PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Bild 1: Industrielle Datensteckverbinder in der Verkehrstechnik: Robustes Design für dauerhafte und sichere Kommunikation in Geschwindigkeitsmessanlagen. © Phoenix Contact 30 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Ladeleistungen bis 22 kW (bei einem 3-phasigen Anschluss und 32 A Stromstärke) sowie eine Vergleichsladezeit von nur noch 3,5- Stunden (je nach Batteriegröße und Ladezustand - SOC) erreichen. Für öffentliche Bereiche und Parkplätze können auch zwei AC-Ladepunkte mit jeweils 22 kW parallel in einer attraktiv designten Ladesäule untergebracht werden. Für das echte Schnellladen sind allerdings DC-Lösungen unverzichtbar, gerade auch im Hinblick auf weiter steigende Batterieleistungen. Gleichzeitig muss es darum gehen, die verfügbaren Leistungen beim Schnellladen tatsächlich optimal auszunutzen. Möglich wird dies durch eine dynamische Leistungszuweisung (Dynamic Power Allocation), wie sie Siemens mit einer Neuentwicklung erstmals für Ladesäulen umsetzt. Dabei wird der Leistungsbedarf eines jeden angeschlossenen Fahrzeugs berücksichtigt und der Ladevorgang automatisch an die Ladeleistungsfähigkeit und den Ladezustand des Fahrzeugs angepasst. Weil dadurch gewährleistet ist, dass jede Batterie genau die Leistung erhält, die sie im Moment benötigt, ist eine maximale Ausnutzung der vorhandenen Ladekapazitäten möglich. Und noch ein Aspekt wird angesichts hoher Ladeleistungen im DC-Bereich relevant: Aus Sicht der elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) treffen Spannungen und Stromstärken, wie sie bisher nur im industriellen Umfeld üblich waren, heute in Innenstadtbereichen zunehmend auf potenziell störanfällige Verbrauchergeräte wie Mobiltelefone und Computer. Vor diesem Hintergrund wird klar, dass insbesondere Ladesäulen künftig viel strengere Limits erfüllen müssen als nur die bisher vorgeschriebenen Industriestandards. Siemens Ladesäulen kommen den Anforderungen der relevanten Geräteklasse B gemäß IEC- 61851 erstmals serienmäßig sogar für sehr hohe Ladeleistungen bis 300 kW nach und gewährleisten gleichzeitig auch die höhere EMV- Störfestigkeit der Klasse A. Umfassende Betrachtung von der Planung bis zum Betrieb Bei der Entwicklung entsprechender Elektromobilitätskonzepte bilden die Hard- und die Software wichtige Bausteine, aber nur zwei von vielen. Siemens verfolgt deshalb einen umfassenden Ansatz und deckt den gesamten Prozess von der ersten Planung bis zum späteren Betrieb mit entsprechenden Services und Lösungen ab. Diese ganzheitliche Herangehensweise nimmt auch den Brandschutz ernst. Die Antwort auf die komplexen Anforderungen der Elektromobilität bieten also Lösungen, die sowohl die Gebäude- und Ladeinfrastruktur schützen, als auch die Energieverteilung sowie den Ladeprozess managen. Nur so ist gewährleistet, dass sich Elektromobilität in Zukunft weiter durchsetzt und so zum Gelingen der Energiewende beitragen kann. LITERATUR [1] ht tp s : / / d e. s t a ti s t a .com / th e men/ 608/ elektromobilitaet/ [2] https: / / www.handelsblatt.com/ unternehmen/ flottenmanagement/ studie-bis-2030 -fehlenmindes tens- 4 0 0 - 0 0 0 e -auto ladepunkte/ 26639832.html Stephan Saal Portfolio Manager E-Mobilität Siemens Smart Infrastructure, Deutschland About.si.de@siemens.com AUTOR DAS TECHNISCH-WISSENSCHAFTLICHE FACHMAGAZIN WISSEN WAS MORGEN BEWEGT www.internationales-verkehrswesen.de 29 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität sind es dementsprechend schon 440 kWp. Die Leistungswerte eines durchschnittlichen Gebäudelastprofils würden dabei teils um das Doppelte überschritten. Die normale Netzanschlusskapazität reicht dafür also längst nicht aus bzw. die Lastüberschreitungen würden die Nutzer überproportional viel kosten. Integration in das Gebäudemanagement Theoretisch könnte in einem solchen Fall eine Netzerweiterung Abhilfe schaffen. Diese wäre allerdings, soweit von Seiten des Netzbetreibers überhaupt umsetzbar, sehr teuer und langwierig. Eine kostengünstigere Lösung bietet ein Spitzenlastmanagement mit dem Ziel, den Stromverbrauch aktiv zu steuern, dadurch Strombezugsspitzen zu vermeiden und damit die Leistungspreise des Stromanbieters zu reduzieren. Der Nachteil: Über ein solches Modell lassen sich nur kleinere Zusatzkapazitäten sinnvoll realisieren. Bleibt als dritte und vielversprechendste Möglichkeit ein dynamisches Lastenmanagement, das intelligent regelt, wohin die verfügbare Energie jeweils fließen soll. So können dann zum Beispiel in der Tiefgarage eines Bürogebäudes nachts die E-Autos des Fahrzeugpools geladen werden. Ungenutzte Energie kann zudem in Batteriespeichern zwischengespeichert werden. Ein solches dynamisches Lastenmanagement lässt sich über ein leistungsfähiges zentrales Gebäudemanagementsystem abbilden. Eine integrierte, skalierbare und offene Gebäudemanagement-Plattform ermöglicht die Integration unterschiedlicher Technologien. So können etwa auch Photovoltaikanlagen und Batteriespeicher gezielt und situationsabhängig zur Deckung des Ladebedarfs genutzt werden. Als positiver Nebeneffekt verbessert der erhöhte Eigenverbrauch an grünem Strom die Wirtschaftlichkeit. Wenn es darum geht, unterschiedliche Nutzergruppen und Tarifmodelle zu managen sowie Ladekosten transparent weiterzuberechnen, kommt hingegen eine weitere Software ins Spiel, das sogenannte eMobility-Backend. Gebäude- und Abrechnungsmanagement können zwar miteinander verbunden werden, um Zusatzfunktionen wie ein VIP- Charging umzusetzen, sie haben aber grundsätzlich unterschiedliche Funktionen. Ladelösungen für unterschiedlichste Szenarien Doch auch hardwareseitig sind an der Schnittstelle zwischen Ladeinfrastruktur und Gebäude die richtigen Entscheidungen zu treffen. Die jeweils optimale Lösung orientiert sich dabei immer am konkreten Anwendungsfall bzw. an der Zielsetzung. Soll das Fahrzeug also zum Beispiel besonders schnell geladen werden? Wo wird die Ladesäule eingesetzt? Welche Netzkapazitäten stehen dort zur Verfügung? Oder sind besondere gestalterische Ansprüche zu erfüllen? Der Markt bietet heute ein breites Spektrum an Möglichkeiten, solche Anforderungen passgenau zu erfüllen. Die Ladegeschwindigkeit wird dabei immer vom Ladegerät (Onboard Charger) des Fahrzeugs einerseits und von der Leistung der Ladesäule andererseits bestimmt. Netzseitig herrscht dabei immer Wechselspannung (AC: Alternate Current), batterieseitig Gleichspannung (DC: Direct Current). Die Umwandlung kann entweder beim sogenannten AC- Laden im Fahrzeug oder beim DC-Laden in der Säule erfolgen, wodurch höhere Ladeleistungen möglich sind. Die Ladezeit für eine zum Beispiel 75-kW-Batterie kann damit je nach Ladetechnologie zwischen 20 Stunden und 35 Minuten variieren. Der einfachste Fall - mit der längsten Ladezeit - ist das Laden an einer normalen Haushaltsteckdose, was technisch einem 1-phasigen 16-A-Anschluss mit maximal 3,7 kW Leistung entspricht. Dies wird über längere Ladezeiträume besonders aus Brandschutzgründen allerdings nicht empfohlen. Doch schon mit einer kompakten AC-Wallbox lassen sich in der eigenen Garage oder an einzelnen Parkplätzen Bild 2: Für das echte Schnellladen sind DC-Lösungen (hier die SICHARGE D von Siemens) unverzichtbar, gerade auch im Hinblick auf weiter steigende Batterieleistungen. © Siemens AG 28 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Einen wesentlichen Beitrag zur Energiewende soll die Umstellung auf Elektromobilität darstellen. Und die Zahlen der Elektrofahrzeuge steigen stetig: Im Jahr 2030 sollen allein in Deutschland rund 11,5 Mio. Elektrofahrzeuge zugelassen sein - eine Steigerung des Anteils am Gesamt-PKW-Bestand von 1,2 % im Jahr 2020 auf dann 24,4 % [1]. Diese Fahreuge brauchen für ihren Betrieb zum einen eine dezentrale Energieversorgung, die unter anderem in Form von in den Fahrzeugen verbauten Batterien (bi-direktionales Laden) bereitgestellt werden kann, und zum anderen eine leistungsfähige Ladeinfrastruktur: Wiederum bis 2030 werden wohl bis zu 843 000 öffentlich zugängliche Ladepunkte für Elektrofahrzeuge benötigt [2]. Ein großer Anteil dieser Ladepunkte wird auf das so genannte Destinations- oder Workplace- Laden entfallen und damit in Gebäuden und in deren unmittelbarem Umfeld installiert sein, zum Beispiel in Shoppingcentern, in Parkhäusern oder auf Firmengeländen. Auch dort steigen mit jedem Ladevorgang Spitzenlast und Energieverbrauch an. Herkömmliche Gebäudenetze sind jedoch nicht auf diese besonderen Anforderungen ausgelegt, zumal es sich in den häufigsten Fällen um Bestandsbauten handelt. Was das in der Praxis bedeutet, zeigt ein Beispielszenario: Werden zwanzig E-Autos (à 11- kW) gleichzeitig geladen, ergeben sich Lastspitzen von 220 Kilowatt- Peak (kWp), bei 40 Fahrzeugen Warum Elektromobilität und Smart Buildings im urbanen Raum zusammengehören Elektromobilität, Ladeinfrastruktur, Smart Buildings, Netzstabilität Stephan Saal Mit dem ungebrochenen Trend zu mehr Elektromobilität steigt naturgemäß auch der Bedarf an entsprechender Ladeinfrastruktur. Eine zentrale Rolle übernehmen dabei so genannte Smart Buildings. Denn die Integration von intelligenten Technologien zum Laden von Elektrofahrzeugen in das Gebäudemanagement birgt enorme Potenziale, gerade auch für die lokale und regionale Netzstabilität. Bild 1: Mit dem Siegeszug der Elektromobilität wird ein großer Anteil der Ladepunkte in Gebäuden und in deren unmittelbarem Umfeld installiert sein. © Siemens AG 27 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Anreize boten, auf umweltfreundlichere Verkehrsmittel umzusteigen“, sagt Richard Kaum aus dem Bereich Nachhaltige Mobilität der KEA-BW. Freiburg nutzt Spielraum 30 Euro Gebühr pro Monat für das Bewohnerparken sind beispielsweise in Freiburg aus Sicht der Grünen gemeinsam mit den Fraktionen von „Jupi“, „Eine Stadt für alle“ und „Freiburg Lebenswert“ denkbar. Im April 2021 votierte der Gemeinderat mit knapper Mehrheit dafür, die Anpassung der Gebühren zu prüfen. Dabei geht es je Fahrzeug auch um rund zehn bis zwölf Quadratmeter öffentlicher Fläche, oft genug in bester und teuerster Innenstadtlage. In Freiburg soll jedoch nicht nur die Größe des Fahrzeugs die Gebührenhöhe bestimmen, auch soziale Kriterien zählen. Gregor Mohlberg von „Eine Stadt für Alle“ erklärt, dass einige Gruppen bevorteilt werden und weniger zahlen sollen, etwa solche mit niedrigem Einkommen sowie Menschen mit Behinderung oder einem Pflegegrad. Die Stadt Freiburg ist eine von 15 Modellkommunen im Kompetenznetz Klima Mobil, das die landeseigenen NVBW - Nahverkehrsgesellschaft Baden-Württemberg mbH und die KEA-BW ins Leben riefen. Das Kompetenznetz Klima Mobil berät und vernetzt Kommunen, die Klimaschutz im Verkehr effektiv umsetzen wollen. Das Land hat die Laufzeit der „Förderung qualifizierter Fachkonzepte im Kontext der Förderung nachhaltiger Mobilität in Baden-Württemberg“ bis Ende 2022 verlängert. Über die Voraussetzungen und Fördergrundsätze informiert unabhängig das Team „Nachhaltige Mobilität“ der KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden- Württemberg. Das Positionspapier der KEA-BW „Kommunale Handlungsmöglichkeiten für nachhaltigere Mobilität“ gibt einen Gesamtüberblick über die Optionen und deren Auswirkungen auf Stadtentwicklung, Mobilität und Klimaschutz. FÖRDERUNG NACHHALTIGER MOBILITÄT polis-mobility.com Begegnungen verändern alles. Wir bringen auf der neuen Messe für urbane Mobilität erstmalig Wirtschaft, öffentliche Hand und Zivilgesellschaft zusammen. Und gestalten gemeinsam die Städte der Zukunft. Köln, 18.-21.05.2022 polisMobility_2022_Anzeige_Transforming_Cities_210x148mm_DE.indd 1 11.02.22 13: 16 26 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Baden-Württemberg verlängert bis Ende 2022 die Bezuschussung von Fachkonzepten zu nachhaltiger Mobilität: Finanzielle Unterstützung gibt es jetzt unter anderem für Parkraumkonzepte. Kommunen und Kommunalverbände, die ein Konzept erstellen wollen, reichen ihren Antrag bei den zuständigen Regierungspräsidien ein. Nach Bewilligung bleiben ihnen drei Jahre Zeit für die Konzeptentwicklung. Wie sich ein Fachkonzept praktisch umsetzen lässt, zeigt Radolfzell am Bodensee: Der Kurort wächst und zählt zu den beliebtesten Touristenzielen in der Region - zunehmend hatten Bewohner*innen, Pendler*innen und Tagesgäste um die innerstädtischen Parkplätze konkurriert. Auf Beschluss des Gemeinderates setzte die Stadtverwaltung deshalb am 1. August 2017 ein Mobilitätskonzept mit einer intelligenten Parkraumbewirtschaftung in Kraft. Radolfzell schafft attraktive Anreize Um den Verkehr aus der Stadt herauszuhalten, verfolgt Radolfzell die Devise „Gleiche Kosten für Parken und Busfahren“: Die Gemeinde erhöhte die Parkgebühren für eine Stunde von 0,50-Euro auf 1- Euro und senkte den Preis einer Bus-Einzelfahrkarte von 2,30 Euro auf 1 Euro. Pendler zahlen je nach Parkzone für Monatstickets zwischen 30 und 60 Euro, für Bewohner*innen kostet der Stellplatz nahe der Haustür lediglich 30 Euro im Jahr. Wie lange noch, wird sich zeigen. Denn mit der neuen Parkgebühren-Verordnung, mit der das Land die Zuständigkeiten an die örtlichen und Unteren Straßenverkehrsbehörden delegiert hat, erweitert sich der Handlungsspielraum der Kommunen. Radolfzells Oberbürgermeister Martin Staab bestätigt: „Ein gängiger Leitgedanke ist, dem Parken im öffentlichen Verkehrsraum einen angemessenen finanziellen Wert beizumessen und den Öffentlichen Personennahverkehr zu vergünstigen. Unser Mobilitätskonzept ist äußerst wirkungsvoll und damit ein großer Erfolg. Das bedeutet einen Zuwachs an Lebensqualität für unsere Bürger und Gäste.“ Nachhaltig mobil von A nach B unterwegs Ladestationen für Elektromobilität, Carsharing, abgasarme Stadtbusse und der Ausbau des Radwegenetzes sind weitere Bestandteile des Mobilitätkonzeptes, das für mehr Klimaschutz im Verkehr in Radolfzell sorgen soll. Auf Wunsch der Bürgerinnen und Bürger hat die Kommune die kluge Parkraumbewirtschaftung auch in ihren Stadtentwicklungsplan 2030 integriert. Sie soll Autofahrer dazu bewegen, noch mehr auf umweltfreundliche Verkehrsmittel wie Bus, Bahn, E-Fahrzeuge oder das Fahrrad umzusteigen. Delegationsverordnung gibt mehr Handlungsfreiheit Städte und Gemeinden können zudem Elektro- und Carsharing- Fahrzeuge beim Kurzzeitparken bevorrechtigen oder von Gebühren befreien und die Bewohnerparkausweise mit höheren Gebühren belegen. Das bedeutet wesentlich mehr Handlungsfreiheit für Kommunen. Nach der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) durfte eine Stadt bislang pro Bewohner nur zwischen 10,20 Euro und 30,70- Euro pro Jahr für solche Parkausweise erheben. „Das waren Preise, welche die tatsächlichen Kosten in städtischen Quartieren nicht widerspiegelten und die keine Baden-Württemberg fördert kluge Parkkonzepte Städte und Kommunen dürfen Bewohnerparken mit höheren Gebühren belegen Der Bund hat im Jahr 2020 die Länder ermächtigt, den bisherigen Gebührensatz für Bewohnerparken anzuheben. Diese Zuständigkeit hat das Land Baden-Württemberg per Verordnung an die Kommunen delegiert. Sie können den neu geschaffenen Handlungsspielraum im Sinne des Klimaschutzes vollumfänglich ausschöpfen. Konkrete Hilfestellung und viele nützliche Hinweise erhalten Kommunen im Begleitschreiben zur Delegationsverordnung, an dem das Kompetenznetz Klima Mobil mitwirkte. Auch die KEA Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA-BW) ist Teil des Kompetenznetzes. Sie berät Kommunen zu nachhaltigen Verkehrslösungen. Baden-Württemberg fördert bis Ende 2022 Fachkonzepte zu nachhaltiger Mobilität - darunter erstmalig Parkraumkonzepte. © Stadtverwaltung Radolfzell am Bodensee 25 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität als 70 % senken und zudem seine Flotte deutlich verschlanken - weil die Fahrzeuge nun viel schneller wieder verfügbar sind. Incentivierungen und dynamische, nachfragebasierte Preismodelle sind eine gängige Praxis, um die Auslastung nachhaltiger Mobilität zu erhöhen. Weniger Verkehrsbelastung durch präzise Prognosen Der Parksuchverkehr ist in vielen städtischen Hotspots ein großes Problem. Hierdurch wird das ohnehin bereits hohe Verkehrsaufkommen noch potenziert. Autos, die in zweiter (oder sogar dritter) Reihe parken, ausweichende Lieferwagen und Busse - dies alles geht für sämtliche Verkehrsteilnehmer mit einem erhöhten Stresslevel und Unfallrisiko einher. Zugeparkte Feuerwehrzufahrten können im schlimmsten Fall Rettungseinsätze erschweren oder verzögern - die Gründe sind daher zahlreich, um im Hinblick auf die Mobilitätswende auch den stehenden Verkehr genauer unter die Lupe zu nehmen. So stattet die Deutsche Telekom seit einem Jahr Parkplätze deutscher Städte und Gemeinden mit smarten Sensoren aus, um Einsichten in die Nutzung des Parkraums erhalten. Die Geodatenexperten von Ubilabs bereiten die gewonnenen Daten zu kartenbasierten Dashboards auf, mit deren Hilfe sich die Auslastung bestimmter Parkplätze über den Tag verfolgen lässt. Sie liefern auch ein wichtiges Werkzeug für Parkraummanager, deren Einsätze nun zielgerichteter gesteuert werden können. Im nächsten Schritt sollen Analysen historischer Daten, Vorhersagen oder auch Tourenplanungen für das Parkraummanagement ergänzt werden. Letztendlich geht es darum, den Parksuchverkehr zu reduzieren, Falschparken zu verhindern und die Verteilung des städtischen Raums für alle Anwohner zu verbessern. Optimierte Routenplanung nicht nur für die E-Mobilität Die E-Mobilität leistet einen wichtigen Beitrag zur Reduzierung der Feinstaub- und Stickoxid-Belastung. Ihre Akzeptanz und Durchsetzung wird neben nachhaltigen und finanziellen auch von rein praktischen Aspekten abhängen, wie die erzielbare Reichweite und die verfügbare Ladesäuleninfrastruktur. Auch hier kann die Erhebung und Visualisierung von Standortinformationen und Bewegungsdaten einen wichtigen Beitrag leisten. So stellen sie unter anderem die Grundlage dar für eine verbrauchsorientierte Routenoptimierung oder die verlässliche Anzeige erreichbarer Ladesäulen via App. Eine optimierte Routenplanung spielt selbstverständlich nicht nur bei der E-Mobilität eine Rolle. Sie ist auch für viele Einrichtungen entscheidend, die Straßen sicherer machen. Die Auswertung von Bewegungsdaten, Echtzeit-Verkehrsinformationen und deren simultane Abgleichung mit Höhenprofilen, Wetterdaten, Veranstaltungsinformationen, etc. bietet ein valides Fundament für die optimale Auslastung von Flotten und Verkehrsverbindungen. Das erstreckt sich bis hin zur möglichst effizienten Einsatzplanung von Räumfahrzeugen oder Lieferdiensten. So können Dispatcher und Fahrer von Räumfahrzeugen durch die Visualisierung von Wetter- und Sensordaten ein sehr genaues Lagebild gewinnen und ihre Einsätze entsprechend besser planen. Als ähnlich hilfreich wird sich die konzertierte Auswertung verschiedenster Daten für Notfalleinsätze der Feuerwehr oder Polizei erweisen. Den Menschen wieder in den Vordergrund stellen Neue Mobilitätskonzepte verbessern nicht nur das Leben in der Stadt. Sie bieten den Menschen auch immer fortschrittlichere und nachhaltigere Möglichkeiten sich fortzubewegen. An der Spitze der Mobilitätswende stehen Unternehmen und Verkehrsplaner, die ihre Angebote am Puls der Zeit ausrichten und laufend optimieren. Moderne Dienstleister, die ihre Services personalisieren, weil sie ihre Kunden gut kennen und verstehen. Und sich auf Basis von ortsbezogenen Daten echte Wettbewerbsvorteile verschaffen. Gut aufbereitete Daten sind daher wertvoll - vor allem, wenn sie visuell erfahrbar und interaktiv nutzbar sind. Zum einen, weil sie verlässliche Analysen und Prognosen ermöglichen. Zum anderen, weil sie die ideale Grundlage sind, um Service und Bedarf in Einklang zu bringen und Kunden zufriedener zu machen. Daten-Insights helfen Verkehrsplanern und Unternehmen aber auch, innovativer zu werden und kosteneffizienter zu arbeiten. Ob durch Visualisierungen, interaktive Karten oder digitale Dashboards - Location Intelligence kann viel für den Erfolg der Mobilitätswende tun. Letztendlich sollte es bei allen zukunftsweisenden Konzepten darum gehen, den Menschen selbst wieder in den Vordergrund der Verkehrs- und Raumplanung zu stellen. Jens Wille Geschäftsführender Gesellschafter Ubilabs GmbH, Hamburg Kontakt: wille@ubilabs.com AUTOR 24 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Die Data und Location Technology Experten von Ubilabs entwickeln daher derzeit eine Lösung, die auf der (datenschutzkonformen! ) Analyse von Bewegungsdaten aus Mobiltelefonen basiert. Die Qualität der so gewonnenen Daten, welche durch die Beschleunigungssensoren der Smartphones zusätzlich um eine Kategorisierung der verwendeten Verkehrsmittel ergänzt wird, geht deutlich über andere Datenquellen hinaus. Zusätzlich zur Aufbereitung von Bewegungsdaten ist zudem die Einbeziehung weiterer Datenquellen möglich - so ließe sich zum Beispiel der Einfluss des Wetters oder die Auswirkungen neuer ÖPNV-Tarife auf die Inanspruchnahme verschiedener Verkehrsträger visualisieren. Von Verkehrsmodellierung bis zu betrieblichem Mobilitätsmanagement Die Vorteile einer zuverlässigen und langfristigen Analyse des Modal Split gehen jedoch weit über die Verkehrsplanung und Erfolgskontrolle hinaus: So geben genaue Analysen Anbietern des Öffentlichen Personennahverkehrs valide Grundlagen an die Hand, ihre Angebote besser auf den tatsächlichen Bedarf abzustimmen. Und nicht zuletzt sind Berechnungen des Modal Split auch für Großunternehmen relevant: Da sie auf verschiedenen Ebenen eine verkehrserzeugende Wirkung besitzen (Pendler-, Kunden- und Logistikverkehr), verfügen sie über eine zentrale Rolle in der Bewältigung der Verkehrswende. So haben sich in den letzten Jahren dedizierte Ansätze für ein betriebliches Mobilitätsmanagement entwickelt, um die Beschäftigten durch Incentivierung für umweltfreundlichere Verkehrsoptionen zu gewinnen. Dies ist auch für die Nachhaltigkeitsbilanz von Konzernen relevant und zahlt auf das Erreichen der Klimaziele ein. Die Berechnung des Modal Split spielt bei der Planung und Realisierung von Maßnahmen hin zu einer neuen urbanen Mobilität eine wesentliche Rolle. Das Potenzial von Data Analytics und Location Intelligence im Bereich der Mobilitätswende ist damit jedoch noch lange nicht ausgeschöpft. Interaktive Karten und digitale Dashboards helfen dabei, mit Echtzeitanalysen einen genaueren Überblick der aktuellen Verkehrs-, Emissions- oder Parkraumsituation zu gewinnen. Bezogen auf die unmittelbare Praxis von Mobilitätsanbietern und Verkehrsplanern lassen sich Dienstleistungen und Verkehrsströme mithilfe von Geodaten außerdem kosteneffizienter gestalten und nachhaltig optimieren. Einige Beispiele: Shared Mobility nach Bedarf Car-, Bike- und Scooter-Sharing- Dienste auf Abruf, genau dort, wo sie gebraucht werden: So das Ideal. In der Realität stimmen Angebot und Nachfrage jedoch oftmals nicht überein. Auch hier lässt sich mithilfe von Location Intelligence noch einiges Potenzial ausschöpfen - sowohl was die Gewinnung neuer Nutzer*innen als auch was die Steigerung der Nachhaltigkeit und Rentabilität betrifft: Hoch entwickelte Technologien leiten aus einer Vielzahl ortsbezogener Daten verlässliche Analysen und Prognosen ab und geben unter anderem Aufschluss darüber, an welchen Orten Mobilitätsangebote verfügbar sein sollten, wofür sie benötigt werden und wie sie beschaffen sein müssen. Anhand interaktiver Karten können Sharing-Anbieter detaillierte Auswertungen zur Flotten- Auslastung treffen, Hotspots und typische Verkehrsrouten erkennen und miteinander vergleichen. Sortiert nach Uhrzeit, Wochentag oder Jahreszeit: Wo wurden Mobilitätsdienste letzte Woche genutzt? An welchen Stellen bleiben Fahrzeuge zu lange stehen? Wo wird die Nachfrage nächste Woche am höchsten sein? Auf Basis dieser Informationen lassen sich nicht nur kundenfreundlichere und umweltbewusstere Lösungen entwickeln, sondern auch kosteneffizientere Prozesse einrichten. So konnte ein Floating-Anbieter dank der Analysetools von Ubilabs durch besseres Routing seine Downtimes wegen Service um mehr Bild 2: München Visualisierung Auslastung Shared Mobility. © Ubilabs GmbH 23 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Mobilität Immer mehr, immer weiter, immer schneller - lange schien das die Devise moderner Großstädte beim Thema Mobilität zu sein. Mittlerweile ist dieses Credo jedoch in vielfacher Hinsicht an seine Grenzen gelangt: Der stetig zunehmende Verkehr sorgt längst nicht mehr für schnellere Erreichbarkeit, sondern hat Einbußen an Lebensqualität und gravierende Umweltbelastungen zur Folge. Ein Umdenken ist gefragt - es kann nicht länger um ein „Mehr“ an Verkehr gehen, sondern um ein geändertes „Wie“. Wie wir uns zukünftig fortbewegen, wird einen entscheidenden Einfluss auf unsere Lebensqualität haben, insbesondere in Städten. Seit einigen Jahren hat sich daher eine neue Kenngröße etabliert, um im Personenverkehr die Transportmittelwahl bzw. im Lastenverkehr die Verteilung des Transportaufkommens auf verschiedene Verkehrsträger zu messen - der sogenannte Modal Split. Er stellt die prozentuale Verteilung des Verkehrsaufkommens differenziert nach Verkehrsmitteln dar und gibt somit die Anteile verschiedener Verkehrsträger an den insgesamt zurückgelegten Kilometern wieder. So gehört der Modal Split auch zu den wichtigsten Erfolgs-Metriken in der Mobilitätswende, um die Veränderungen in der Verkehrsmittelnutzung abzubilden. Über die Analyse des Modal Split lässt sich zudem schnell erkennen, welchen Effekt bestimmte Maßnahmen zur Lenkung des Verkehrs haben - wie zum Beispiel die Installation von Popup-Radwegen, veränderte Streckenführungen oder auch die Reduzierung von Parkplätzen. Der Modal Split als Erfolgsmesser der Mobilitätswende Da sich der Modal Split zunehmend als Gradmesser für die Lebensqualität in Städten etabliert, wird seiner Erfassung zukünftig mehr und mehr Bedeutung zukommen. Doch die Erhebung der Metrik hat noch einige Schwächen: Bislang wird sie vor allem basierend auf Verkehrszählungen oder aufwändigen individuellen Wege-Tagebüchern erstellt. Leicht unterschiedliche Methodiken machen die verschiedenen lokalen Ergebnisse schwer vergleichbar - sowohl national als auch international. Standardisierte Ansätze mit Hilfe von speziellen Smartphone-Tracking- Apps stoßen auf Akzeptanzprobleme und bringen einen höheren Aktivierungsaufwand bei Testpersonen. Hier sind neue Konzepte gefragt, um die Erhebung der relevanten Daten schneller, effizienter und vergleichbarer zu machen - sowohl national als auch international. Geodaten als Basis zukunftsweisender Verkehrskonzepte Wie sich urbane Mobilität effizienter und nachhaltiger realisieren lässt Geodaten, Mobilität, Modal Split, Sharing-Angebote, Parkraum, Verkehrswende Jens Wille Zunehmende Feinstaubbelastung, endlose Staus, zugeparkte Straßen und ein überfordertes öffentliches Verkehrsnetz - die Mobilität in unseren Städten kommt zunehmend an ihre Grenzen. Neue Konzepte sind nötig, um urbane Mobilität wirklich zukunftsfähig zu gestalten und wirtschaftliche Aspekte mit dem Klimaschutz in Einklang zu bringen. Data & Location Technology unterstützt Stadtverwaltungen und Unternehmen dabei, neue Verkehrskonzepte am tatsächlichen Bedarf auszurichten und umweltschonende Ansätze zu realisieren - kurz: Mobilität effizienter und nachhaltiger zu gestalten. Bild 1: Telekom- Mitarbeiter kalibriert Parksensoren. © Ubilabs GmbH 22 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur die D-Raintank 3000 ® -Elemente schnell und einfach einbauen. Anschließend werden sie mit einem speziellen Filtervlies sanddicht ummantelt. Erst gereinigt, dann versickert Neben der Rigole, über die das Niederschlagswasser an der LKW-Entladestelle versickert, wurden in Fürth noch zwei weitere D-Raintank 3000 ® -Rigolen mit den Abmessungen 14,4 m x 4,2 m x 0,6 m bzw. 12 m x 4,8 m x 0,6 m eingesetzt, die beide ebenfalls einlagig eingebaut wurden. Sie wurden für die Versickerung des Regenwassers von den Dachflächen des Gebäudes und von den PKW-Stellplätzen angelegt. Auch hier muss das Niederschlagswasser vor der Einleitung gereinigt werden. Zu diesem Zweck wurden vor diese beiden Rigolen HS ® -Reinigungsschächte DN/ OD- 800 mit VA-Sieb eingesetzt. Das spezielle Edelstahl-Sieb hält im Niederschlagswasser enthaltene Feststoffe wie Laub oder Sand effektiv zurück, während sich die Feinanteile in dem Absetzraum vor dem Sieb sammeln. Der HS ® -Reinigungsschacht ist so konstruiert, dass Niederschlagswasser von Flächen mit einer Größe bis zu 2000 m² gereinigt werden kann. Auch diese beiden Rigolen wurden mit Spülrohren ausgestattet. Verbleibende Feststoffe, die sich an der Rohrsohle sammeln, können mittels regelmäßig durchgeführter Spülungen beseitigt werden. Lange Standzeit des Substrats Zudem wurden auf dem Gelände insgesamt 25 m D-Rainclean ® - Sickermulde verbaut. Hierbei handelt es sich um die Kombination aus einer Kunststoffmulde und dem D-Rainclean ® -Substrat. Die D-Rainclean ® -Sickermulde nimmt das teilweise mit hohen Schadstoffkonzentrationen belastete Niederschlagswasser von den Parkplätzen und Verkehrsflächen auf und gibt es in unbedenklichem Zustand wieder ab. Je nach Belastungsgrad erreicht das D-Rainclean ® -Substrat dabei nachgewiesene und in der DIBt- Zulassung Z-84.2-1 verankerte Standzeiten von bis zu 40 Jahren. „Wir haben die D-Rainclean ® - Sickermulden an den Längsseiten der beiden kleineren D-Raintank ® -Rigolen eingebaut. Sie sitzen also direkt über den Rigolen, auf einer durchlässigen Split-Bettung und sind dank Gussabdeckungen der Klasse D- 400 befahrbar“, beschreibt Polier Joachim Schmidt von KOLB Garten- und Landschaftsbau die Anlage. Das Büro KLH-Tec mit Falko Sittig ist mit der Umsetzung des Konzeptes zufrieden. „Für uns war es wichtig, für das Gelände ein zuverlässiges Regenwassermanagement zu erarbeiten, das für die Hanglage ausgelegt ist und auch Starkregenereignisse bewältigen kann. Außerdem musste für die Reinigung des Niederschlagswassers vor der Versickerung gesorgt sein. Mit den eingesetzten Produkten sind wir auf der sicheren Seite.“ All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. AboPlus: Print + ePaper + Archiv www.transforming-cities.de/ magazin-abonnieren w Funke Kunststoffe GmbH Siegenbeckstr. 15 Industriegebiet Uentrop Ost 59071 Hamm-Uentrop www.funkegruppe.de info@funkegruppe.de KONTAKT Bild 4: Fachgerechte Montage der D-Rainclean ® - Sickermulde. © Funke Kunststoffe 21 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur diesem Hintergrund erstellte die KLH-TEC Planungsgesellschaft für Industrie und Gebäudetechnik mbH ein Konzept für den Umgang mit Niederschlagswasser. „Ein geologisches Gutachten hat bescheinigt, dass der Boden versickerungsfähig ist. Somit waren der Einsatz einer Rigole und eine ortsnahe Versickerung am Standort möglich“, beschreibt Projektplaner Falko Sittig die Ausgangsvoraussetzung. Leistungsstarke Produkte Schnell hatten die Beteiligten mit D-Raintank 3000 ® , der D-Rainclean ® -Sickermulde, dem Funke-Filterschacht und dem HS ® -Reinigungsschacht die geeigneten Produkte gefunden. „Damit hat sich der Kunde für ein sehr leistungsstarkes, modernes Entwässerungssystem entschieden, das auch die Vorgabe des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) erfüllt, nach der belastetes Regenwasser vor der Versickerung gereinigt werden muss“, erklärt Ralf Weber, Fachberater Außendienst der Funke Kunststoffe GmbH. Konkret sieht das Konzept so aus: Angesichts des abschüssigen Geländes wird das Regenwasser am Tiefpunkt des Grundstücks gesammelt, wo sich auch die Entladestelle der LKW befindet. Von hier aus gelangt es in den Funke Filterschacht - er verfügt über die DIBt-Zulassung Z-84.2- 19 -, wird vorbehandelt und von gelösten und ungelösten Schadstoffen befreit und dann in eine 30 m lange und 20-m breite Rigole aus D-Raintank 3000 ® -Elementen (DIBt Zulassung Z.-42.1.572) geführt. Beim Vorbereiten der Baugrube für die dreidimensional durchflutbare Rigole galt es für das ausführende Unternehmen, Kolb GmbH & Co. KG, Garten- und Landschaftsbau, genügend Abstand zum neuen Gebäude einzuhalten. Bauleiter Andreas Nutz: „Die Baugrube liegt 1 m tiefer als die Fundamentplatte. Der Abstand ist wichtig, um ein späteres Unterspülen des Fundaments auszuschließen.“ Statisch optimierte Rigolenkonstruktion Um noch genügend Überdeckung zu haben, wurde die Rigole in Fürth einlagig eingebaut. Sie befindet sich direkt unter der Fläche, die von LKW befahren wird. „Hier können die D-Raintank 3000 ® -Elemente ihre bautechnischen Vorteile voll ausspielen. Die minimal zulässige Überdeckung beträgt bei SLW 60 nämlich nur 0,8 m“, so Funke-Fachberater Weber. Dass die Elemente über eine derart hohe Tragfähigkeit verfügen, liegt an dem widerstandsfähigen Kunststoff PVC-U und an der statisch optimierten Konstruktion mit jeweils vier lastabtragenden Säulen. Im Inneren kommt die stabile Rigole ohne Seitenplatten aus, was eine durchgehende Kamera-Befahrung und Inspektion in alle Richtungen ermöglicht. Als Zugang in das Rigoleninnere wurde in Fürth ein Inspektionsblock eingerichtet. Außerdem wurden im Bereich der Zuläufe Spülrohre vorgesehen. Sie sind so konzipiert, dass das Wasser, aus den in einem Winkel von 180° oben an den Rohren angebrachten Schlitzen, abfließen kann. Aufgrund des geringen Gewichtes und den gut zu handhabenden Abmessungen von L x B x H = 600 x 600 x- 60- mm lassen sich Bild 2: Nachdem alle erforderlichen Anschlüsse montiert sind, wird die gesamte Rigole mit Vlies ummantelt und zusätzlich mit einer Geogitterlage abgedeckt. © Funke Kunststoffe Bild 3. Beim Durchfließen des Filterschachtes werden mehr als 90% der enthaltenen Sedimente sowie gelöste und ungelöste Schadstoffe zurückgehalten. © Funke Kunststoffe 20 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) ist einer der sechs großen Wohlfahrtsverbände in Deutschland. In Fürth betreibt sie neben Seniorenheimen, Essen auf Rädern, einem häuslichen Pflegedienst, Beratungsstellen sowie Kindertagesstätten auch Einrichtungen für psychisch Kranke. So bietet das Programm FINTEG (Fürther Integration) Menschen mit seelischer Erkrankung arbeitstherapeutische Beschäftigungen und Plätze im Zuverdienst. Dabei sollen die Grundarbeitsfähigkeit der Beschäftigten trainiert, ihre Belastbarkeit erprobt sowie Teilhabe und soziale Kontakte ermöglicht werden. Vorwiegend werden bei FINTEG Montagetätigkeiten verrichtet, unter anderem Bauteile für Spielzeugautos. Um hierfür ausreichend Platz zu haben, lässt der AWO Kreisverband Fürth-Stadt e. V. derzeit auf unbebautem Gebiet eine Werkstatt mit Lagerfläche, Büros sowie LKW-Entladestellen errichten. Entwässerungskonzept Mit Blick auf die Entwässerung der neu versiegelten Flächen gab es dabei einige Dinge zu beachten: Da der bestehende Regenwassersammler im Ortsteil Burgfarnbach, wo die Produktionshalle gebaut wird, relativ klein dimensioniert ist, schied eine Einleitung aus hydraulischen Gründen aus. Aber auch bei ausreichender Dimensionierung wäre dies problematisch gewesen: Das Grundstück befindet sich nämlich in einer Hanglage. Der Sammler liegt wesentlich höher als die neue Bebauung. Für eine Einleitung wären Pumpen erforderlich gewesen - angesichts der heute teilweise anfallenden extremen Regenwassermassen ein schwieriges Unterfangen. Vor Sauber versickern Modernes Regenwassermanagement bei der AWO in Fürth Angesichts zunehmender Starkregenereignisse gewinnt ein durchdachtes Regenwassermanagement immer mehr an Bedeutung. Auch im mittelfränkischen Fürth, wo der AWO Kreisverband Fürth-Stadt-e. V. eine Produktionshalle errichten lässt, stand der vorausschauende Umgang mit Niederschlägen im Fokus. Auf Basis eines von den Baupartnern entwickelten Entwässerungskonzeptes kann das von den versiegelten Park- und Verkehrsflächen abfließende Wasser in Zukunft sukzessive und in unbedenklichem Zustand versickern. Bei der Umsetzung wurden unter anderem der D-Raintank 3000 ® , die D-Rainclean ® - Sickermulde, ein Filterschacht sowie ein HS ® -Reinigungsschacht der Funke Kunststoffe GmbH eingesetzt. Bild 1: Im Fürther Ortsteil Burgfarnbach lässt der AWO Kreisverband Fürth- Stadt-e. V. eine neue Werkstatt mit Lagerfläche, Büros sowie LKW- Entladestellen mit durchdachtem Regenwassermanagement errichten. © Funke Kunststoffe 19 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Vorteile durch Fertigteile Die Ausführung aller Maßnahmen des Abschnitts Lindau wurden nach europaweiter öffentlicher Ausschreibung an die Mayerhofer Hoch-, Tief- und Ingenieurbau GmbH aus Simbach am Inn vergeben. Deren Oberbauleiter Dipl.- Ing. (FH) Peter Schober ist stolz auf eine Technik, die seine Firma hier angeboten hat: Die neue Bauweise der Hochwasserschutzwand, mit der das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf den Bauablauf optimieren kann. Statt Ortbeton für die fast einen Kilometer lange Wand zu verwenden, greift das Unternehmen auf Fertigteile zu, die vom Subunternehmer Glatthaar Starwalls hergestellt und bei Anforderung der Bauleitung kurzfristig geliefert und montiert werden. Damit konnte die Vollsperrung der Bundesstraße 388 auf das unbedingt notwendige reduziert werden. Ein weiterer Vorteil ist laut Schober die Qualität der Wand. Nach seiner Erfahrung ist die bei Fertigteilen ausgezeichnet, denn sie haben eine Typenstatik, sind maßhaltig und extrem dicht. Letzteres hängt mit der Produktionsweise von Betonfertigteilen zusammen, bei der im Falle Lindau zur wasserseitigen Oberflächengestaltung auch eine Strukturmatrize verwendet wurde. Um schnell die Schalungsform lösen und damit rationell produzieren zu können, muss das Bauteil einen hohen Grad an Bewehrung und Prüffestigkeit haben. Zugleich ist diese Produktionsart nachhaltig umweltfreundlich, denn das Schalungsmaterial kann bis zu einhundertmal verwendet werden. „Ein Ingenieurbauwerk ist wie ein maßgeschneiderter Anzug: Dafür wird exakt Maß genommen, sorgfältig überlegt, edles Material verwendet und das Ganze mit handwerklichem Können zusammengesetzt“, sagt Mark Biesalski, Geschäftsführer des Herstellers Glatthaar Starwalls in Schramberg/ Schwarzwald. Er bezeichnet seinen Betrieb gerne als eine „Manufaktur“, die die Flexibilität des Handwerks mit der Automation einer industriellen Fertigung verbinden kann. Gute Referenzen hat sich sein Betrieb in den letzten Jahren vor allem im Straßenbau erworben, mit Hangstützwänden aus Fertigteilen, inklusive Vorsatz aus Naturstein der jeweiligen Region. Die Vorteile der Fertigteilbauweise sind im Straßenbau wie beim Hochwasserschutz dieselben: Die höhere Qualität der Bauteile bei gleichen oder geringeren Investitionskosten, die deutlich kürzere Bauzeit und in der Folge die Entlastung bei Verkehrsteilnehmern und Anwohnern - wenn Baulärm, Baustellenverkehr, Streckensperrung und Umleitung früher, das heißt mit einer Zeitersparnis von 30 bis 50 %, beendet sind. Siegfried Ratzinger, Bereichsleiter Hochwasserschutz im WWA Deggendorf, hat in Kenntnis dieser Aspekte von Anfang an die Fertigteilbauweise bei diesem Projekt befürwortet. Zusammenfassung Mit einer neuen Fertigteil-Bauweise der Hochwasserschutzwand auf etwa 950 m Länge in Passau-Lindau konnte das Wasserwirtschaftsamt Deggendorf für den Freistaat Bayern und die Stadt Passau den Bauablauf optimieren. Weitere Vorteile: Die um 30 bis 50 % kürzere Bauzeit führt zu einer deutlichen Entlastung bei Verkehrsteilnehmern und Anwohnern. Die höhere Materialqualität der Bauteile ermöglicht bei etwa gleichen Investitionskosten eine längere Nutzungsdauer des Objekts. LITERATUR • LfU Bayern: Hochwassergefahrenkarten und Hochwasserrisikokarten • https: / / www.wwa-deg.bayern. de / hochwas s er/ hochwas s erschut zprojek te/ pas s au/ hw s _ lindau_zf/ index.htm • ht tps: / / w w w.hnd.bayern.de / pegel/ donau_bis _ passau/ passau-10091008? addhr=hr_gefahr • https: / / regiowiki.pnp.de/ wiki/ Hochwasser_2013_(Passau) Dipl.-Ing. Klaus W. König Fachjournalist und Buchautor Schwerpunkt: Veröffentlichungen über kostensparende und umweltschonende Bautechnik kwkoenig@koenig-regenwasser.de AUTOR HQ häufig: Häufiges Hochwasserereignis. Unter einem HQ häufig wird ein Abfluss verstanden, der statistisch gesehen im Mittel alle 5 bis 20 Jahre auftritt. Ein 5 bis 20-jährliches Hochwasser wird auch als „häufiges Hochwasser“ bezeichnet, da es im Vergleich zum HQ 100 relativ häufig auftritt. Die Hochwassergefahrenflächen werden in der Regel für ein HQ 10 ermittelt und in Karten dargestellt. Beim HQ häufig handelt es sich um eine Zusatzinformation, die nur an neu berechneten Gewässerabschnitten bereitgestellt wird und daher nicht in allen Karten dargestellt wird. HQ 100: 100-jährliches Hochwasserereignis. Abfluss eines Gewässers, der an einem Standort im Mittel alle hundert Jahre nur einmal erreicht oder überschritten wird. Da es sich um einen statistischen Mittelwert handelt, kann dieser Abfluss innerhalb von hundert Jahren auch mehrfach oder auch gar nicht auftreten. Wenn Messzeiträume an Flüssen weniger als 100 Jahre umfassen, wird dieser Abfluss statistisch berechnet. HQ extrem: Extremhochwasser. Ein HQ extrem entspricht in etwa einem HQ 1000. Der HQ-Wert wird nach einheitlichen Standards entsprechend der an den bayerischen Gewässern vorhandenen Datengrundlage bestimmt oder abgeschätzt. Quelle: Hochwassergefahrenkarten und Hochwasserrisikokarten - LfU Bayern HOCHWASSERSZENARIEN, SCHEITELABFLUSS HQ 18 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur und sind nach BMW der zweitgrößte Industriebetrieb in Niederbayern. Der Anspruch, den Bereich Lindau im Ortsteil Grubweg nach den erhöhten Anforderungen vor einem 500-jährlichen Hochwasserereignis der Donau zu schützen, wird durch die Bedeutung des Standortes und die Betroffenheit beim Hochwasser 2013 plausibel. Konkret bedeutet das bei diesem Objekt eine Erhöhung der Wand um 15 bis 20- cm gegenüber dem Schutz vor einem 100-jährlichen Ereignis, einschließlich 15 % Klimazuschlag. Naturgewalt trifft auf technische Raffinesse „Das später oberirdisch Sichtbare ist nur der kleinere Teil“, erklärt Baurat Stephan Hauke. Er ist der Projektleiter des WWA Deggendorf und ergänzt: „Hochwasserschutz findet vor allem unterirdisch statt“. Tatsächlich schotten entlang der Hochwasserschutzlinie im Abschnitt Lindau unter der fast einen Kilometer langen Mauer Spundwände den Untergrund ab. Doch bei zwei Teilstrecken musste auf überschnittene Bohrpfähle gewechselt werden, um Erschütterungen beim Einrammen zu vermeiden: Für 50 m entlang eines Gebäudes und für 200 m entlang einer vorhandenen Trinkwasserleitung DN 300 mit 13 bar Druck. Die Bohrpfähle haben im eingebauten Zustand eine Länge zwischen 7,15 und 7,30 m, die Spundwände zwischen 5,65 und 9,00 m. Die Übergänge von Spundwand zu überschnittener Bohrpfahlwand sind mit stichfestem Flüssigboden abgedichtet worden. Der hat einen kf-Wert von 10 -8 bis 10 -9 . Die Voraussetzungen, um darauf die über dem Gelände sichtbaren ein bis dreieinhalb Meter hohen Betonfertigteile zu platzieren und zu einer durchgehenden Hochwasserschutzwand zu verbinden. Unterbrochen ist diese Wand dort, wo Straßen, Werkszufahrten und die Eisenbahnlinie queren. An solchen Stellen wird die Lücke in der Wand im Ernstfall mit mobilen Verschlüssen in Form von Aludammbalken redundant (mit zwei Verschlussebenen) geschlossen. Die Rahmen dafür sind vorhanden, alle mobilen Bauteile werden ortsnah gelagert. Noch komplexer ist die Binnen-Entwässerung mit der Ableitung des Erdbrüstbaches und von gesammeltem Niederschlagswasser aus der höher liegenden Siedlung Grubweg unter Druck im Freispiegelgefälle, sowie aus den tief liegenden Flächen in Lindau über Pumpwerke. Sie muss permanent gewährleistet sein. Die Ingenieurleistungen laufen bei SKI, Beratende Ingenieure aus München, zusammen. M. Sc. Alexander Merle pendelt als Projektbearbeiter regelmäßig zwischen der Baustelle und der Außenstelle Landshut von SKI, die mit Planung, Bauoberleitung und örtlicher Bauüberwachung des Abschnitts Lindau beauftragt sind. Merle ist stolz auf die Energie und Kosten sparende Lösung, die sein Team in der zweijährigen Planungsphase vor Baubeginn für die Binnenentwässerung gefunden hat. Wenn bei Hochwasser die neu konzipierten Verschlussbauwerke den Rückstau der Donau in die tiefer liegenden Entwässerungsleitungen abschotten, fördern vier Pumpwerke mit einer Förderleistung von knapp 1,6 m³ pro Sekunde durch Leitungen mit DN 600 das hinter der Hochwasserschutzlinie anfallende Regen-, Drainage- und Grundwasser, sowie im Entlastungsfall auch Misch- und Schmutzwasser, direkt in die Donau. Die Oberflächenentwässerung der Siedlung Grubweg und des Erdbrüstbaches gelingt durch eine neu gebaute Druckleitung mit Durchmesser bis zu 2,20 m, die am Hang der Siedlung Grubweg in geodätisch passender Höhe zur Donau beginnt. Von dort kann das Binnenwasser ohne Pumpen, durch den vorhandenen hydrostatischen Druck im Freispiegelgefälle, unter der Hochwasserschutzwand und der B 388 hindurch, in die Donau entwässert werden - unabhängig von der jeweiligen Wasserspiegelhöhe. Das spart Investitions- und Betriebskosten, benötigt keine Elektro- und Maschinentechnik, keine Energie im Betrieb und läuft zuverlässig, weil störungsfrei. Nur bei sehr hohen Wasserspiegeln der Donau fördert ein fünftes Pumpwerk mit bis zu 700- l/ s in diese Druckleitung um die Binnenentwässerung auch von zu tief liegenden Leitungen in diesem Bereich zu gewährleisten. Bild 6: Die vorgefertigten Mauerelemente wurden beim Anhängen an den Autokran zentimetergenau so justiert und in die Horizontale gebracht, dass sie beim Absetzen exakt und schnell auf dem vorbereiteten Fundament fixiert werden konnten. © König Bild 5: Lieferung der Betonteile per LKW auf Innenlader-Paletten. © König 17 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur von Gefängnismauern. Das aber wollten selbst die betroffenen Einheimischen nicht. Schließlich verständigte man sich darauf, Schutzmaßnahmen vor allem auf einzelne Gebäude zu beschränken. Später folgte eine Machbarkeitsstudie für mehrere Uferabschnitte, in der die Umsetzbarkeit von Hochwasserschutzmaßnahmen geprüft wurde. Einer der positiv bewerteten Abschnitte war der Bereich Lindau im Stadtteil Grubweg. Maßnahme Lindau, HQ 500 und die Kosten Ganz konsequent vorgegangen ist die Firmenleitung der „ZF Passau Werk 1 Grubweg“ mit dem Schutz ihrer Produktionsstätte. Sie führte ein Gespräch mit dem bayerischen Umweltministerium im Herbst 2014 und vereinbarte, dass ZF den ersten Bauabschnitt einer „Leitplanke“ für das Hochwasser auf 800 m Länge bis zur Kräutlsteinbrücke in Eigeninitiative umsetzt und auch bezahlt. Der Betrieb investierte fünf Mio. EUR und war im Sommer 2017 schon fertig. Planungs- und Bauzeit betrugen jeweils nur ein Jahr. Zugesichert wurde im Gegenzug von der öffentlichen Hand der Hochwasserschutz für das Gelände „Lindau“, in dem neben Wohn- und weiteren Gewerbebauten ebenfalls Betriebsstätten der ZF liegen, als zweiten Bauabschnitt. Dieser ist seit Februar 2020 im Bau und wird voraussichtlich 2023 fertig. Ende 2021 war ungefähr die Hälfte der Ausführung realisiert. Lindau ist einer von sechs Abschnitten im Stadtgebiet von Passau, die als Ergebnis der Machbarkeitsstudie aus dem Jahr 2014 bereits fertiggestellt, noch im Bau oder erst in Planung sind. Die gesamte Hochwasserschutzlinie des „Hochwasserschutzes Passau Lindau“ verläuft nach Fertigstellung überwiegend entlang der Bundesstraße B 388 auf mehr als 2 km Länge. Maßnahmen zum Schutz vor HQ 100, einem statistisch in 100 Jahren mindestens einmal vorkommenden Hochwasserscheitelabfluss, werden in Bayern durch den Freistaat geplant und umgesetzt. Die geschützten Kommunen beteiligen sich regelmäßig mit 50 % bzw. in Räumen mit besonderem Handlungsbedarf (RmbH) mit 35 % an den anfallenden Kosten. Beim Abschnitt Lindau ist das Ziel jedoch der Schutz vor HQ 500, um ZF am Standort Passau zu halten. Die Stadt Passau übernimmt daher neben den 35 % auch den Mehraufwand für den HQ 500-Schutz. Die Gesamtkosten betragen mit Stand Dezember 2021 etwa 28,8 Mio. EUR für den Abschnitt Lindau. Er ist Teil des Maßnahmenpakets „Ausbau der klimabedingten Risikoprävention zum Schutz von Siedlungsgebieten und Infrastruktur“ und erhält eine Kofinanzierung aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung. Bauherr ist das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, vertreten durch das Wasserwirtschaftsamt (WWA) Deggendorf. Baudirektor Siegfried Ratzinger, stellvertretender Behördenleiter des WWA Deggendorf, leitet den Hochwasserschutz und vertritt damit vor Ort die Bauherrschaft. Aus seiner Sicht ist die Besiedelung der tief gelegenen Uferzonen an Flüssen eine historische Entwicklung. Zunächst lagen die Siedlungen an Flüssen meist auf Hochpunkten. Die Ausbreitung der Siedlungen in die Tieflagen ist eine Fehlentwicklung, die teilweise durch fehlende hochliegende Flächen erfolgte, aber vielfach aus der Not geschehen ist, zum Beispiel nach dem zweiten Weltkrieg, wo die fruchtbaren Flächen zur Nahrungsmittelproduktion benötigt wurden. Auch die Ansiedlung der 2013 überfluteten Maschinenfabrik im Jahr 1943 in der Donauschleife hat mit dem Krieg zu tun: Hier war der damalige Rüstungsbetrieb mit dem Namen „Waldwerke GmbH Passau“ vor Luftangriffen gut geschützt. Die Gefahr von Hochwasser wurde dabei vernachlässigt oder unterschätzt. Mittlerweile gehört diese Produktionsstätte, die heute „ZF Passau Werk 1 Grubweg“ heißt, mit weiteren Werken in der Umgebung zur ZF Friedrichshafen AG. Diese Werke im Raum Passau haben internationale Bedeutung, denn sie bilden den so genannten Führungsstandort der Division Industrietechnik, beschäftigen rund 4000 Mitarbeiter Bild 3: Extremes Hochwasser am 3. Juni 2013 in der Altstadt von Passau. Blick vom Römermuseum in die Lederergasse auf das sich ausbreitende Wasser des Inn. © Stefan Daller Bild 4: Rathausfassade in der Altstadt von Passau mit Markierung der zehn höchsten Wasserstände innerhalb der letzten 520 Jahre. © König 16 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur der Donau mit 13,20 m fast dreimal höher als der normale Wert im Sommer mit etwa 4,50 m. Den Überlieferungen zufolge soll es 10 Tage zuvor im Einzugsgebiet des Inn und im Alpenvorland südlich der Donau großflächig und ununterbrochen geregnet haben. Passau einmauern? Etwas mehr als 500 Jahre später, am 3. Juni 2013, war es ähnlich: Erreicht wurde ein Donaupegel von 12,89 m. Teile der Stadt waren schon am Vorabend durch die Stadtwerke Passau von der Stromversorgung abgetrennt worden. Das geschieht bei einzelnen Straßenzügen vorsorglich, aus Gründen der Sicherheit, ab einem Pegel von 10,50 m. Davon war in der Folge auch die Wasserversorgung betroffen. Zunächst hatten die Stadtwerke allen großen Betrieben mit einem Verbrauch von mehr als 5000 Kubikmetern pro Jahr - darunter ZF Passau und Universität - kein Wasser mehr geliefert und alle Bürger zur Sparsamkeit aufgerufen. Dennoch entleerten sich die Hochbehälter rasant, so dass die gesamte Trinkwasserversorgung am Nachmittag des 3. Juni eingestellt werden musste - das war in Passau noch nie passiert. Daraufhin wurde der Ruf nach H o c hw a s s er s c hu t z- Sy s teme n laut. Andere Städte entlang der Flüsse hätten längst mobile und feste Schutzeinrichtungen, hieß es in den Medien. Doch liegt in der Altstadt von Passau das Ufer, die Donaulände, etwa 4,5 m über dem normalen Wasserstand bei einem Pegel von 9 m. Erreicht dieser bei einem extremen Hochwasser wie 2013 knapp 13 m, müssten die Wände 4 m hoch sein und hätten die Dimension Passau ist aufgrund der Lage an den drei Flüssen eine der schönsten Städte Deutschlands. Und sie zahlt einen hohen Preis dafür, schon immer. Der Zusammenfluss von Donau, Inn und Ilz schafft eine einzigartige Szenerie, die mit Blick auf das Wasser ständig in Bewegung ist, aber in unregelmäßigen Abständen durch Hochwasser außer Kontrolle gerät. Die Einheimischen haben sich seit Jahrhunderten darauf eingerichtet. Gefährdete Stadtteile werden schnell evakuiert, vom Hochwasser bedrohte Geschosse kurzfristig von den Hausbesitzern geräumt, das Hab und Gut in die oberen Stockwerke geschafft. Dass eine Jahrtausendflut auch den ersten Stock erreichen kann, ist seit dem 15.- August 1501, mit dem bisher höchsten dokumentierten Stand, bekannt. Damals war der Pegel Leitplanke für das Hochwasser Kosten und Zeit sparende Fertigteilwände für den Hochwasserschutz in Passau Hochwasserschutz, Ingenieurbau, Fertigteile Klaus W. König Der Schutz vor Hochwasser ist komplex. Und an besonderen Stellen wie Passau auch begrenzt, das wissen die Bewohner. Die besondere Lage ihrer Stadt an drei Flüssen ist Segen und Fluch zugleich. Zuletzt wurden im Jahr 2013 weite Flächen mehrere Meter hoch überflutet, darunter auch ein Industriebetrieb. Für den Bereich dieses Wohn- und Industriegebiets wird nun eine außergewöhnliche Mauer errichtet. Bild 1 (links): Leichtes/ häufiges Hochwasser am 11. Juni 2010. Zusammenfluss von Inn (links), Donau und Ilz (rechts), mittig die Altstadt von Passau. © Hajo Dietz Bild 2 (rechts): Extremes Hochwasser am 3. Juni 2013. Zusammenfluss von Inn (links), Donau und Ilz (rechts), mittig die Altstadt von Passau. © Hajo Dietz 15 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Qualität zahlt sich aus In Zukunft wird sich diese Situation wohl weiter zuspitzen. Es entstehen Engpässe, die dringend notwendige infrastrukturelle Baumaßnahmen verzögern. In dieser angespannten Situation sind Unternehmen und Behörden zunehmend gezwungen, Berufseinsteiger bzw. Quereinsteiger auf die Anforderungen des Berufsalltags selbst vorzubereiten. Gleichzeitig stehen Kommunen in der Verantwortung, den Zustand ihrer unterirdischen Infrastruktur im Auge zu behalten. Gerade in Zeiten knapper Haushaltskassen ist dabei die Auswahl von geeigneten Baupartnern, die bei der Ausführung die Qualitätsstandards des Regelwerks umsetzen, wichtiger denn je: Denn Qualität zahlt sich am Ende aus. Hier gibt das Gütezeichen RAL-GZ 961 Auftraggebern eine Orientierung, denn es dokumentiert Fachkunde, technische Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit des Gütezeicheninhabers. Die Aufgaben der Gütegemeinschaft Kanalbau gehen über Prüfung und Gütezeichenverleihung hinaus: Das Vereinsziel besteht übergeordnet im Schutz der Öffentlichkeit vor einer Gefährdung durch unsachgemäße Arbeiten. Demzufolge besteht ein wichtiger Bestandteil der Arbeit darin „Aus- und Fortbildung, Seminare und Veranstaltungen mit der Zielsetzung der Verbesserung der Herstellung und der Instandhaltung von Abwasserleitungen und -kanälen zu fördern bzw. gegebenenfalls selber durchzuführen.“ Angebote AKADEMIE Die Angebote der Gütegemeinschaft Kanalbau zur fachlichen Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Auftraggebern, Ingenieurbüros und Gütezeicheninhabern werden stetig erweitert und stehen den Mitgliedern auf der Homepage www.kanalbau.com unter der Rubrik AKADEMIE zur Verfügung. Diese umfassen neben dem sehr umfangreichen Angebot an Veranstaltungen diverse fachbezogene Arbeitshilfen, Übersichten und Volltextversionen zum Technischen Regelwerk sowie E-Learning-Kurse. Die Veranstaltungen für Auftraggeber, Ing.-Büros und Auftragnehmer werden vor dem Hintergrund der Schutzmaßnahmen im Rahmen der Coronakrise derzeit überwiegend online durchgeführt. Zunehmend online Auf diese Weise unterstützt die Gütegemeinschaft ihre Mitglieder auch in Zeiten der Corona- Krise mit einem umfangreichen Online-Service dabei, die Qualifikation des Fachpersonals weiterhin regelmäßig zu aktualisieren und aufzufrischen. Künftig dann auch in einer neu konzipierten Kombination aus E-Learning und Präsenzveranstaltung, mit deren erfolgreicher Absolvierung der Teilnehmer seine Fachkunde auffrischen und nachweisen kann und damit die Qualifikation als „Technisch Verantwortlicher im Kanalbau-Unternehmen“ belegen kann. Stimmung im Kanal Zudem unterstützt die Gütegemeinschaft Kanalbau ihre Mitglieder beim Recruiting von Fach- und Nachwuchskräften - ebenso wie andere Verbände und Organisationen. In einer gemeinsamen Aktion von Güteschutz Kanalbau, RSV, ZDB, HDB und DWA entstand ein Musikvideo in der Kanalisation der Hansestadt Hamburg. Mit der ungewöhnlichen Marketingidee soll der Blick auf die unterirdische Infrastruktur gerichtet und mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung für das, was im Untergrund läuft, und auch für eine spannende, weitgehend verborgene Berufswelt geschaffen werden. Als flankierende Maßnahme ging mit www. untergrund4.life eine Internetplattform ans Netz, auf der das Musikvideo abrufbar ist und die Berufsbilder der Branche vorgestellt werden. Unterirdische Perspektiven aufzeigen Gemeinsam soll so versucht werden, die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes „auf ihren Kanälen“ abzuholen und wichtige Botschaften zu platzieren. Unter anderem die, dass qualitätsvolle Arbeit in und an der unterirdischen Infrastruktur nur mit entsprechend ausgebildeten und qualifizierten Fachkräften zu meistern ist und ein Beruf in der Kanalisation interessant und lukrativ sein kann. Den Link zum Video können die Mitglieder zur Unterstützung ihrer Recruiting-Maßnahmen nutzen und auf ihren Webseiten oder über Social-Media-Kanäle veröffentlichen. Güteschutz Kanalbau Postfach 1369 53583 Bad Honnef www.kanalbau.com/ info@kanalbau.com KONTAKT Bild 3: Link und QR-Code zum Musikvideo. © www.untergrund4life.de 14 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Infrastruktur Aufgrund personeller Engpässe verzögern sich notwendige infrastrukturelle Baumaßnahmen immer häufiger. Im Kanalbau stehen qualifizierte Fachkräfte oder Ingenieure mit entsprechender Berufserfahrung nicht mehr in ausreichender Anzahl zur Verfügung. Der demographische Wandel wird diese Situation in Zukunft weiter verschärfen. Hemmschuh Fachkräftemangel Eine Umfrage des ifo Instituts ergab, dass die Auftragsbestände im Tiefbau derzeit eine Reichweite von 3,8 Monaten haben. Gleichzeitig meldeten aktuell 36,8 % der an der Umfrage teilnehmenden Unternehmen einen Mangel an Fachkräften. Damit bekommt der Fachkräftemangel einen hohen Stellenwert - er wird Dreh- und Angelpunkt für die Aufrechterhaltung der Leistungsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Das belegt auch eine Studie des Deutschen Industrie- und Handelskammertag e. V. (DIHK). Im DIHK-Report Fachkräfte 2020 „Fachkräftesuche bleibt Herausforderung“ geben rund 84 % der 23 000 branchenunabhängig befragten Unternehmen an, dass sie mit sehr ernsten Folgen eines langwierigen Fachkräftemangels rechnen. Und gerade die Bauwirtschaft, die vielfach bereits jetzt am Limit ihrer personellen Kapazitäten agiert, sieht sich mit 92 % von den Folgen des Fachkräftemangels besonders bedroht. Gemeinsam die Zukunft sichern Organisationen und Verbände unterstützen Unternehmen beim Recruiting Eine intakte, generationsübergreifend funktionierende Infrastruktur ist die Grundlage für unser modernes Leben. Ihre Herstellung trägt zur Gesundheit und Lebensqualität aller bei. Arbeiten an unserer unterirdischen Infrastruktur erhalten dadurch eine existenzielle Bedeutung. Doch die hierfür benötigten Fachkräfte werden zunehmend rar: Seit Jahren herrscht in der Branche Fachkräftemangel. Mangel an Fachkräften in der Baubranche Anteil in % 50 40 30 20 10 0 Hochbau Tiefbau 2018 2019 2020 2021 Quelle: ifo Konjunkturumfragen, Oktober 2021. © ifo Institut Bild 1: Das in der Kanalisation der Hansestadt Hamburg entstandene Musikvideo soll den Blick auf die unterirdische Infrastruktur richten und mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung für einen Beruf im Kanal- und Rohrleitungsbau schaffen. © mama burns Bild 2: Bei einer Umfrage des ifo Instituts meldeten 36,8 % der Tiefbauunternehmen einen Mangel an Fachkräften. © ifo Konjunkturumfragen, Oktober 2021 13 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Die Niederschlagswassergebühr für das Jahr 2021 liegt im Durchschnitt bei 0,87 EUR / m² (149 Städte) . Die durchschnittliche maximale Gebührenreduktion beträgt 59 % bzw. 0,51 EUR / m² (149 Städte). Je nach Stadt variiert die Höhe der Niederschlagswassergebühr pro Jahr und die Höhe der maximalen Gebührenreduktion für eine Dachbegrünung stark. Hemmnisse und Hürden Der Bundesverband Gebäude- Grün hat in einer umfassenden Umfrage bei verschiedenen Zielgruppen unter anderem abgefragt, warum noch nicht mehr Dach- und Fassadenbegrünungen umgesetzt wurden. Dabei stellte sich heraus, dass die Sorgen um Herstell- und Instandhaltungskosten, um Schäden am Gebäude und fehlendes (Fach-) Wissen Hemmnisse und Hürden darstellen. Eine seiner wichtigsten Aufgaben sieht der Bundesverband darin, Städte, Bauende und Planende zu den Grundlagen der Gebäudebegrünungen und deren Eigenschaften und Wirkungen aufzuklären. So bietet der BuGG verschiedene Veranstaltungsformate und ein umfassendes Fort- und Weiterbildungsangebot (BuGG-zertifizierte(r) Fachberater(in) Dachbzw. Fassadenbegrünung) an und versucht in Kooperation mit anderen Verbänden, Organisationen und Städten im Herbst 2020 eine „Aktionswoche Gebäudegrün“ auf die Beine zu stellen. In einer Woche sollen bundesweit Informationen zur Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung in Form von Seminaren, Vorträgen, Besichtigungen, Show-Begrünungen, Foto-Wettbewerben usw. vermittelt werden. Ausblick Der eigene Dachgarten - nie war er so wertvoll wie heute! Zusätzliche Nutz- und Freizeitfläche für Menschen bietet der hauseigene Dachgarten als krisensichere Freizeit-, Erholungs- und Bewirtschaftungsfläche. Betrachtet man die Zahlen von 2008 bis 2020 dann geht die Entwicklung eindeutig in Richtung „Intensivbegrünung“ (Dachgarten). Wurden in 2008 nur 11,4 % der Dachbegrünung als Intensivbegrünung ausgeführt, sind es in 2020 schon 17,9 % gewesen. Begrünungen im Bestand Viele Städte fördern vor allem nachträglich an- und aufgebrachte Dach- und Fassadenbegrünungen im Bestand, um sogenannte „Hot Spots“ zu entschärfen und die Begrünungen mit ihren Kühlleistungen gezielt einzusetzen. Das lässt sich oftmals wegen der zu geringen statischen belastbarkeit der bestehenden Gebäude nicht oder nur bedingt umsetzen. Hier sind innovative Lösungen (zum Beispiel: Leichtbauweise mit/ ohne Bewässerung) gefragt. Zielkonflikt Photovoltaik und Begrünung Durch die aufkommende Solar- Pflicht in vielen Bundesländern scheint es einen Zielkonflikt „Solar“ versus „Dachbegrünung“ zu geben. Hier gilt es, das Wissen und die Möglichkeiten der „Solar-Gründächer“ breiter zu kommunizieren. Solar-Gründächer verbinden Klimaschutz und Klimawandelanpassung und dienen unter anderem der Überflutungsvorsorge! Trends Aus verschiedenen Gründen haben sich die Trends der letzten Jahre verfestigt - Retentionsgründächer, Biodiversitätsgründächer und Urban-Farming-Dächer sind bei Städten und auch bei Planenden recht gut bekannt und werden immer öfters gefordert, gefördert und umgesetzt. Neu hinzukommen Aspekte der Gesundheitsvorsorge (Planetary Health), die durch die vielen Wohlfahrtswirkungen von Dach- und Fassadenbegrünungen erreicht werden können. Forschung und Lehre Die Grundlagen der Gebäudebegrünung sind erforscht, doch nun muss es ins Detail und an spezielle Fragestellungen gehen. Es fehlen beispielsweise vielfach noch genauere Kenndaten zu Pflanzen und Systemen, um auf deren Grundlagen, Berechnungen und Simulationen zu den Auswirkungen der Begrünungen erstellen zu können. Die BuGG-Umfrage hat weiteren Forschungsbedarf ermittelt. Wichtig ist, dass die Lehre an den Hochschulen von Architektur und Stadtplanung das Thema Gebäudebegrünung fest in ihre Lehrpläne verankert. Publikation Der BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2021 umfasst 116 Seiten und ist mit vielen Grafiken, Fotos und Tabellen anschaulich gestaltet. Er steht kostenlos als Download zur Verfügung bzw. kann auch als DIN A 4-Broschüre gegen eine Schutzgebühr von 19 Euro zuzüglich Versandkosten bestellt werden. www.gebaeudegruen.info/ kontakt/ prospektanforderung Dr. Gunter Mann Präsident Bundesverband Gebäude- Grün e. V. (BuGG) Kontakt: gunter.mann@bugg.de AUTOR 12 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Verbindlichkeit und ihrem finanziellen Aufwand für die Stadt unterscheiden. Folgende direkt und indirekt fördernde Instrumente stehen der Kommunalpolitik zur Verfügung: Festsetzungen in Bebauungsplänen Gestaltungssatzungen Förderprogramme mit finanziellen Zuschüssen Ökopunkte im Rahmen der Eingriffsregelung Gebührenreduktion bei der gesplitteten Abwassergebühr Mit Städte-Umfragen und zusätzlichen eigenen Recherchen hat der BuGG aktuelle Zahlen zu den kommunalen Förderinstrumenten zusammengetragen, die auszugsweise nachfolgend vorgestellt werde. Festsetzung in Bebauungsplänen Um bestimmte Ziele in der Bauleitplanung zu erreichen, können aus städtebaulichen Gründen rechtsverbindliche Festsetzungen getroffen werden. Die Gründe einer Festsetzung sind in § 9 Abs. 1 BauGB aufgelistet. Als rechtliche Grundlage zur Festsetzung einer Dach- oder Fassadenbegrünung können je nach Zielsetzung § 9 Abs. 1 Nr. 20 sowie Nr. 25 a, b BauGB dienen. Auch länderspezifische Bauordnungen und Landeswassergesetze in Verbindung mit § 9 Abs. 4 BauGB können für Gebäudegrün hinzugezogen werden. Als Ergebnis der BuGG-Städteumfrage 2021 lässt sich für alle deutschen Städte mit mehr als 50 000 Einwohner*innen festhalten, dass rund 83 % der Städte Dachbegrünung und 55 % der Städte Fassadenbegrünung bereits in B-Plänen festgesetzt haben. Zuschüsse für Dach- und Fassadenbegrünung Bei kommunalen Förderprogrammen sind die Städte selbst die Fördermittelgeber. Die Mittel stammen in der Regel aus dem eigenen kommunalen Haushalt und können mit Landes- und Bundesmitteln verbunden werden. Als Ergebnis der BuGG- Städteumfrage 2021 lässt sich für alle Städte mit mehr als 50 000 Einwohner*innen festhalten, dass bereits 82 Städte (42 %) finanzielle Zuschüsse für Dachbegrünungen bereitstellen. Für Fassadenbegrünungen bieten 65- Städte (34 %) finanzielle Zuschüsse an. Darüber hinaus haben auch Städte mit weniger als 50 000 Einwohner*innen in der Städteumfrage angegeben, Gebäudegrün zu fördern. Im Vergleich zum Marktreport 2020 konnten in diesem Jahr viel mehr Förderprogramme aufgelistet werden. Grund hierfür ist unter anderem das Sonderprogramm „Klimaresilienz in Kommunen“, mit dem das Land NRW Kommunen finanziell bei der Förderung von Dach- und Fassadenbegrünung unterstützt. Die Förderhöhen variieren jedoch stark von Stadt zu Stadt. Gesplittete Abwassergebühr Gemeinden regeln individuell durch Satzung die Abwasserbeseitigung für ihr Gemeindegebiet und stellen die notwendige Infrastruktur sicher. Mit der gesplitteten Abwassergebühr wird die Beseitigung des Schmutzwassers nach dem Frischwassermaßstab berechnet. Zur Ermittlung der Niederschlagswassergebühr dient hingegen die befestigte und abflusswirksame Fläche mit Kanalanschluss des jeweiligen Grundstücks. Für Maßnahmen, die zum lokalen Regenwasserrückhalt beitragen, kann innerhalb der Satzung eine Gebührenreduktion für die Nieder s chlag s was s erbe s eitigung erlassen werden. Zu diesen Maßnahmen zählt unter anderem die Dachbegrünung, sodass diese indirekt gefördert wird. Ergebnis der BuGG-Städteumfrage 2021 mit Recherche der Abwassersatzungen für alle deutschen Städte mit mehr als 50 000 Einwohner*innen (193 Städte): Alle Städte haben die gesplittete Abwassergebühr eingeführt. Bei 149 Städten (77 %) besteht eine Gebührenreduktion für Gründächer. Bild 3: Im Jahr 2020 sind rund 10 000 m² wandgebundene Fassadenbegrünungen umgesetzt worden. © BuGG 11 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum geht zu Intensivbegrünungen (Dachgärten) und damit (überwiegend) begeh- und nutzbaren Dachbegrünungen. Lag der Anteil an Intensivbegrünungen in 2008 noch bei 11,4 % (extensiv: 88,6 %), so hat er in 2020 mit 17,9 % (extensiv: 82,1 %) eine deutlich höhere Größenordnung. Über die letzten 13 Jahre hinweg haben die Extensivbegrünungen im jährlichen Durchschnitt um 6,7 %, die Intensivbegrünungen dagegen durchschnittlich um 10,6 % zugenommen. Noch deutlicher ist der Trend zu Extensivbegrünungen in mehrschichtiger Bauweise: Lag das Verhältnis einzu mehrschichtig in 2008 bei 47 : 53, so wurden für 2020 27 : 73 ermittelt. Bei Intensivbegrünungen spielen einschichtige Bauweisen eine untergeordnete Rolle. Fassadenbegrünungsmarkt Zahlen für 2020 Eine Ermittlung der Größe der in 2020 begrünten Fassadenflächen ist schwerer durchzuführen als bei den begrünten Dachflächen. Die bei der Dachbegrünung angewandte Methode der Abfrage der Substratmengen und Umrechnung in Begrünungsfläche ist bei Fassadenbegrünungen systembedingt nicht möglich. Lassen sich die Werte von „wandgebundenen” Fassadenbegrünungen noch recht einfach ermitteln, da die Systemlösungen nur zum Zwecke der Begrünung und in Quadratmetern vertrieben und eingebaut werden, verhält sich das bei „bodengebundenen” Fassadenbegrünungen anders. Hier können Systemanbieter von Kletterhilfen (zum Beispiel: Seile und Netze) oft nicht eindeutig zuordnen, ob die verkauften Produkte für Begrünungszwecke eingesetzt bzw. welche Flächen tatsächlich begrünt wurden. Je nachdem, mit welchem Abstand lineare Rankhilfen nebeneinander eingebaut werden, ergeben sich unterschiedlich große Begrünungsflächen. Ein laufender Meter linearer Rankhilfe entspricht nicht zwingend einem Quadratmeter Fassadenbegrünung. Eine genaue Ermittlung der neu hinzugekommenen Flächen von bodengebundenen Fassadenbegrünungen mit selbstklimmenden Pflanzen (Direktbegrüner ohne Kletterhilfen) ist aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Unter anderem sind die Vertriebswege der eingesetzten Pflanzen vielfältig, sowohl Fachleute als auch Privatpersonen führen die Begrünung durch. Der BuGG hat die Mitglieder, die Produkt- und Systemlösungen zur Fassadenbegrünung anbieten, nach begrünten Flächen in 2020 befragt. Dabei wurden die Flächensummen sowohl boden- (allerdings nur die Flächen mit Kletterhilfen) als auch wandgebundener Fassadenbegrünungen abgefragt, mit den folgenden Ergebnissen: In Deutschland wurden demnach im Jahr 2020 insgesamt etwa 55 000 m² Fassadenfläche mit wandgebundener und bodengebundener Fassadenbegrünung (mit Kletterhilfen) neu begrünt. Die wandgebundenen Fassadenbegrünungen nehmen dabei eine Fläche von etwa 10 000 m² ein. Bei bodengebundenen Fassadenbegrünungen mit Kletterhilfen beträgt die Fläche etwa 45 000 m². Kommunale Förderinstrumente Dach- und Fassadenbegrünung gewinnt im Rahmen einer klimaangepassten und wassersensiblen Stadtentwicklung bundesweit an Bedeutung, denn sie hat einen Mehrfachnutzen für die Stadt. Auf kommunaler Ebene kann die Umsetzung von Dach- und Fassadenbegrünung durch verschiedene Instrumente gefördert werden, die sich in ihrem Wirkungsbereich, ihrer Bild 2: Zahlen zum Gründachmarkt 2020. © BuGG 10 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Gründachmarkt Zahlen für 2020 Die wichtigsten Ergebnisse der BuGG-Gründachsubstrat-Umfrage (eine Methode, bei der über die vertriebenen Mengen auf die eingebauten Flächen umgerechnet wird) werden wie folgt zusammengefasst: In Deutschland wurden im Jahr 2020 insgesamt 7 839 97 m² Dachbegrünung neu erstellt. Diese neue Gesamt- Gründachfläche besteht aus 6 437 762 m² Extensivbegrünung (Marktanteil von 82,1 %) und 1 402 215 m² Intensivbegrünung (Marktanteil von 17,9 %). Das scheint auf den ersten Blick viel zu sein, doch im Verhältnis zu den angenommenen 100 000 000 m² in 2020 neu entstandener Flachdachfläche (Neubau und Sanierung) sind das nur etwa 8 % - 92 % blieben unbegrünt - ein enormes Potenzial! 1.2 Entwicklungen im Gründachmarkt von 2008 bis 2020 Da die Gründachsubstrat-Umfrage mit gleicher Methode und denselben Teilnehmenden schon seit 2008 durchgeführt wird, lassen sich darüber auch gut Entwicklungen ablesen: Von 2008 bis 2020 wurden insgesamt 66 181 175 m² Gründachfläche angelegt. Von der Gesamtfläche wurden 55 543 998 m² extensiv begrünt, das entspricht 83,93 % und 10 637 177 m² intensiv begrünt, das entspricht 16,07 %. Der Gründach-Markt wächst im Durchschnitt jährlich um etwa 7 %, von 2008 bis 2020 wuchs er insgesamt um 117 %. Der Trend Der Markt der Dach- und Fassadenbegrünung wächst weiter! BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2021 Deutschland Gunter Mann Der Bundesverband GebäudeGrün e. V. (BuGG) hat im letzten Jahr mit dem „BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2020” erstmals eine Übersicht der wichtigsten ermittelbaren Zahlen zur Dach-, Fassaden- und Innenraumbegrünung in Deutschland veröffentlicht - ein Nachschlagewerk, auf das tausendfach von Politik, Industrie, Baubeteiligten, Medien, Hochschulen und Studierenden zurückgegriffen wurde. Mit dem vorliegenden „BuGG-Marktreport Gebäudegrün 2021” werden die Zahlen des Gebäudebegrünungsmarktes aktualisiert, im Fokus hierbei die Zuwächse bei der Dach- und Fassadenbegrünung. PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Bild 1: In Deutschland liegt der durchschnittliche Gründach-Index bei 1,3 - das heißt 1,3 m 2 Dachbegrünung pro Einwohner*in. © BuGG 9 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Veranstaltungen Am 10. und 11. Mai 2022 freuen wir uns, in Berlin mit vielen Interessenten aus der kommunalen Familie sowie Anbietern und Dienstleistern zum Thema „Zukunft Straßenbeleuchtung“ zusammenzukommen. Nach einem digitalen Auftakt im vergangenen Jahr in 2022 nun live und mit viel Gelegenheit zum persönlichen Austausch. Die Straßenbeleuchtung, obwohl in jeder Kommune omnipräsent, führte in der Vergangenheit häufig ein Schattendasein am Rande der öffentlichen Wahrnehmung. Dies wird sich in den kommenden Jahren, beobachtet man die aktuellen Trends, jedoch deutlich ändern. Der erste Teil der Veranstaltung widmet sich den essenziellen Themen und Grundlagen von Straßenbeleuchtung als Pflichtaufgabe eines jeden Straßenbaulastträgers. Hierbei geht es um die Fragen „Warum müssen öffentliche Verkehrswege beleuchtet werden? “ und „Welche Gestaltungsmöglichkeiten bestehen für Kommunen in Erfüllung ihrer gesetzlichen Verpflichtung? “ Gerade zu Fragen des „Ob“ und insbesondere des „Wie“ der Straßenbeleuchtung hat der Gesetzgeber mit den Änderungen des Bundesnaturschutzgesetzes zum Ende der letzten Legislaturperiode neue, prägende Akzente gesetzt. Neben den verkehrstechnischen Notwendigkeiten nimmt die Veranstaltung daher auch Fragen des Insektenschutzes sowie der Lichtverschmutzung in den Blick und beleuchtet ebenfalls Aspekte des Bestandsschutzes. Diese Rahmenbedingungen werden die zukünftige Entwicklung der Frage „Wie und wann wird eine Straße hell? “ maßgeblich beeinflussen. Die Gewährleistung einer nachhaltigen, umweltfreundlichen Beleuchtung ist daher unser erster Themenschwerpunkt. Straßenbeleuchtung ist jedoch viel, viel mehr als reine Lichtbereitstellung - sie spielt eine vielschichtige Rolle bei der Schaffung „smarter Cities“ und kann einen wichtigen Beitrag bei der Digitalisierung von Kommunen leisten. Mit der vorhandenen Infrastruktur haben es Kommunen selbst in der Hand, die Grundlagen für ihre zukünftige Entwicklung zu gestalten und zu bestimmen. Den unterschiedlichen Handlungsfeldern dieser Entwicklung widmet sich der zweite Kongresstag mit einer Vielzahl von Praxisbeispielen, die zeigen, welches Potenzial in Straßenbeleuchtung steckt. Von solarbetriebenen Straßenbeleuchtungsanlagen über die Schaffung des digitalen Rückgrats einer Kommune auf Basis vorhandener Straßenbeleuchtungsmaststrukturen durch Lo-RaWan bis hin zum beschleunigten 5G-Ausbau bietet die Veranstaltung ein breites Spektrum an bereits in der Praxis realisierten Modellbeispielen, um Ihnen als Teilnehmer*innen sowohl Denkanstöße zu geben als auch mögliche Vorbehalte zu nehmen, die Entwicklung von Straßenbeleuchtung aktiv voranzutreiben. Straßenbeleuchtung ist aber auch unmittelbarer Bürgernutzen. So wagen wir einen Blick auf die Beiträge von Straßenbeleuchtung zur Energiewende als Teil kommunaler Ladeinfrastrukturen genauso wie auf Einsatzmöglichkeiten von „Smart Poles“, die beginnend mit Beiträgen zur öffentlichen Sicherheit durch Videoüberwachung oder Notrufsysteme auch Aspekte der Bürgerinformation (elektronische Anzeigetafeln) bedienen können. Nutzen Sie die Chance für einen Blick auf den breiten Fächer der Gestaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten von Straßenbeleuchtung und kommen Sie ins Gespräch mit Praktikern, die nicht nur über Möglichkeiten reden, sondern sie bereits realisiert haben und gerne über Erfahrungen berichten. Wir freuen uns auf zwei anregende Tage zur „Zukunft Straßenbeleuchtung - Kommunen im neuen Licht“, auf einen intensiven Austausch und zündende Ideen für Ihr tägliches Doing. Zukunft Straßenbeleuchtung Rechtsanwalt Martin Brück von Oertzen Wolter Hoppenberg Rechtsanwälte Partnerschaft mbB Kontakt: bvo@wolter-hoppenberg.de AUTOR 8 1 · 2022 TR ANSFORMING CITIES FORUM Agenda möglicherweise weiteren Akteuren besetzt ist. Sie muss methodische Fragen ebenso klären wie die zu verwendenden Informationen, Daten und Indikatoren. Zur Selbsteinschätzung fiele auch die Befragung in die Zuständigkeit dieser Projektgruppe. Die Ergebnisse der Analyse und die ausgewerteten Befragungen liefern die Basis für kommunale Workshops und die Diskussion zur Resilienz der Stadt. Aus den Pilotstädten, die das Forschungsvorhaben zum „Stresstest Stadt“ aktiv begleitet haben, gab es eine Menge ermunterndes Feedback: Ein pragmatischer Selbsttest kann aufbauend auf den skizzierten Vorarbeiten ein wichtiges Element städtischer Planung werden. Verantwortliche in einer Kommune sollten daher neben ihren bisherigen Alltagsaufgaben wieder stärker die Risiken für die Entwicklung ihrer Stadt anerkennen - und zum Beispiel mithilfe eines systematischen Stresstests analysieren. [9, S. 48] Ausblick Mit dem Memorandum für Urbane Resilienz hat der Bund ein Bündel von Empfehlungen vorgeschlagen, mit denen die Stadtentwicklungspolitik Städte und Gemeinden auf dem Weg zur Resilienz unterstützen kann. Das hier vorgestellte prototypische Instrument eines Stresstests für Städte kann durchaus die aktuell noch bestehende strategische Lücke der integrierten Stadtentwicklung füllen: Stresstests sind ganzheitlich ausgerichtet und nehmen die Informationsvorteile der Städte und Gemeinden auf, weil sie als Hilfestellung für eine Selbsteinschätzung auf kommunaler Ebene konzipiert sind. Der Stresstest kann und will keine fachlichen Detailanalysen zu den adressierten Themenbereichen und Stresskonstellationen ersetzen. Er ist gewissermaßen als Einstieg für zwingend notwendige vertiefende und fokussierte Untersuchungen in den Städten zu verstehen. Das BBSR wird die Idee in 2022 zusammen mit dem neuen Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen weiterentwickeln. Mit Blick auf den schnellen Handlungsbedarf wird es dabei um eine Weiterentwicklung der ersten prototypischen Ideen und einen breiteren Praxistest gehen. Unabhängig von dieser Ausrichtung ist es von großer Bedeutung, dass sich der Fachdiskurs in Deutschland und Europa weiter intensiviert, um die bestehende Resilienz-Lücke in der praktischen Stadtentwicklung möglichst schnell schließen zu können. Genau in diesen Kontext ist auch das Engagement des BBSR zur Etablierung von Stresstests für Städte und Gemeinden einzuordnen. LITERATUR: [1] Schott, D.: Katastrophen, Krisen und städtische Resilienz: Blicke in die Stadtgeschichte. Informationen zur Raumentwicklung, (2013) S. 297 - 307. [2] Vale, L. J., Campanella, T. J. (Hrsg.): The Resilient City, How modern cities recover from desaster, Oxford u. a. O., 2005. [3] Jakubowski, P.: Resilienz - Eine zusätzliche Denkfigur für gute Stadtentwicklung. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4 (2013) S. 371 - 378. [4] Jakubowski, P.: Resilienz - brauchen wir nach dem Corona-Schock neue Leitbilder für die Stadtentwicklung? In: Informationen zur Raumetwicklung (IzR), Bonn, Heft 4 (2020), S. 16 - 29. [5] Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Memorandum urbane Resilienz: Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt, 2021. Internet: https: / / www.nationale-stadtentwicklungspolitik.de/ NSPWeb/ SharedDocs/ Blogeintraege/ DE/ memorandum_urbane_resilienz.html [6] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe: Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen, Bonn, 2019. [7] BBSR (Hrsg.): Stresstest Stadt - Mit neuen Risiken planen und leben lernen, 2018. Internet: https: / / www. bbsr.bund.de/ BBSR / DE/ forschung/ programme/ exwost/ Studien/ 2014/ StresstestStadt/ 01-start.html [8] BBSR (Hrsg.): Stresstest Stadt - Wie resilient sind unsere Städte? Unsicherheiten der Stadtentwicklung identifizieren, analysieren und bewerten, Sonderveröffentlichung, Bonn, 2018. [9] Jakubowski, P., Kötter Th., Weiß, D.: Urbane Resilienz auf dem Prüfstand - eine Anleitung für die Praxis der Stadtentwicklung, in: RaumPlanung; Heft 1 (2019), S. 8 - 14. [10] Zolli, A., Healy, A. M.: Resilience - Why things Bounce Back, London, 2012. [11] Jakubowski, P.: Resilienz als neues Leitbild gesellschaftlicher Entwicklung? , in: Pies, I. (Hrsg.): Das weite Feld der Ökonomik, In: Schriften zu Ordnungsfragen der Wirtschaft, Band 98, Stuttgart, 2013. [12] Kegler, H.: Resilienz - Strategien & Perspektiven für die widerstandsfähige und lernende Stadt, in: Bauwelt Fundamente Bd.152, Birkhäuser Berlin, 2014. Dr. Peter Jakubowski Leiter der Abteilung Raum- und Stadtentwicklung Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung Kontakt: Peter.Jakubowski@BBR.Bund.de AUTOR