Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0043
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UNESCO-Welterbe als Strategie für eine resiliente Stadtentwicklung?
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Lena Greinke
Widerstands- und anpassungsfähige Stadtentwicklung ist in Krisenzeiten bedeutsamer denn je, um auf aktuelle Herausforderungen schnell reagieren zu können. Kommunen stehen dabei zunehmend vor der Herausforderung einer resilienten Transformation. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die Auswirkungen urbaner Transformation mit dem oder durch das UNESCO-Welterbe am Beispiel der Mittel- und Welterbestadt Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) zu analysieren. Mit Hilfe qualitativer leitfadengestützter Interviews wird der Frage nachgegangen, inwiefern das UNESCO-Welterbe eine Strategie für eine resiliente – also widerstands- und anpassungsfähige - Stadtentwicklung in Quedlinburg sein kann. Zu diesem Zweck werden Chancen und Risiken des UNESCO-Welterbes in den Bereichen Welterbe, Tourismus sowie Wohnen und Stadtentwicklung aufgezeigt. Die Befunde zeigen Folgendes: Durch die Auszeichnung als UNESCO-Weltkulturerbe in 1994 hat die Stadt Quedlinburg in den letzten Jahren an touristischer Attraktivität gewonnen. Zudem konnten Anreize für Investor*innen geschaffen und dadurch die Wohnqualitäten verbessert werden. Allerdings gibt es auch noch Handlungsbedarf, die historische Identität der Stadt zukunftsfähig und resilient weiterzuentwickeln.
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70 2 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stresstest für Städte UNESCO-Welterbe als Strategie für eine resiliente Stadtentwicklung? Auswirkungen urbaner Transformation in der Mittel- und Welterbe-Stadt Quedlinburg Stadtplanung, Demografie, Wohnen, Tourismus, Denkmalschutz, Anpassungsfähigkeit Lena Greinke Widerstands- und anpassungsfähige Stadtentwicklung ist in Krisenzeiten bedeutsamer denn je, um auf aktuelle Herausforderungen schnell reagieren zu können. Kommunen stehen dabei zunehmend vor der Herausforderung einer resilienten Transformation. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, die Auswirkungen urbaner Transformation mit dem oder durch das UNESCO-Welterbe am Beispiel der Mittel- und Welterbestadt Quedlinburg (Sachsen-Anhalt) zu analysieren. Mit Hilfe qualitativer leitfadengestützter Interviews wird der Frage nachgegangen, inwiefern das UNESCO-Welterbe eine Strategie für eine resiliente - also widerstands- und anpassungsfähige - Stadtentwicklung in Quedlinburg sein kann. Zu diesem Zweck werden Chancen und Risiken des UNESCO-Welterbes in den Bereichen Welterbe, Tourismus sowie Wohnen und Stadtentwicklung aufgezeigt. Die Befunde zeigen Folgendes: Durch die Auszeichnung als UNESCO-Weltkulturerbe in 1994 hat die Stadt Quedlinburg in den letzten Jahren an touristischer Attraktivität gewonnen. Zudem konnten Anreize für Investor*innen geschaffen und dadurch die Wohnqualitäten verbessert werden. Allerdings gibt es auch noch Handlungsbedarf, die historische Identität der Stadt zukunftsfähig und resilient weiterzuentwickeln. Schlossberg Quedlinburg. © Hans Braxmeier auf Pixabay 71 2 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stresstest für Städte Resiliente Transformation in Quedlinburg Insbesondere in Krisenzeiten - wie der Finanz-, Klima- oder Covid-19-Krise - wird das Konzept der resilienten urbanen Transformation oder widerstands- und anpassungsfähiger Stadtentwicklung immer bedeutsamer. In unterschiedlichen Forschungssträngen wird Resilienz bereits vielschichtig diskutiert und bedeutet zumeist Robustheit, Widerstandfähigkeit oder Selbstregulationsfähigkeit [1]. Als zentrale Verwundbarkeiten werden in der internationalen Literatur vor allem Naturkatastrophen, gezielte terroristische Angriffe und Cyber-Angriffe genannt [2]. Sie sind aber in nahezu allen Bereichen zu finden, zum Beispiel Wirtschaft, Umwelt, Finanzen, Infrastrukturen, Politik oder Demografie und Soziales [2]. Dazu können zum Beispiel auch lokale Überschwemmungen, Hitzeinseln oder kurzfristige Gewerbe- oder Einzelhandelschließungen zählen. Um im Krisenfall resilient zu sein und sich zu organisieren, reicht es als Stadt oft nicht aus, auf Standardmechanismen zurückzugreifen, sodass vielerorts neue Wege im Sinne von Experimentieren und Lernen für innovatives, adaptives Handeln gefordert werden. Dafür sind insbesondere intensive, gezielte und langfristige Kooperationen zwischen Akteuren der Stadtentwicklung nötig [3], etwa aus Politik, Stadtplanung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft [2]. In einer nachhaltigen Stadtentwicklung sollte die Resilienzpolitik stets prozessorientiert ausgerichtet sein und könnte sich am Resilienz-Zyklus orientieren [3] (Bild 1). Dabei gilt es für Kommunen, die Risiken durch Analysen ab- und einzuschätzen. Denn so kann Vorsorge betrieben, Gefahren können frühzeitig erkannt werden. Durch das Erkennen und Eindämmen der Verwundbarkeiten in der Stadt-(entwicklung) können Kommunen geschützt werden. Mit Hilfe der Analysen kann es gelingen, angemessen zu reagieren und zum Beispiel ein Krisenmanagement zu etablieren, mit dem Schocks gebändigt werden können [vgl. 3]. „Wenn dies gelingt, fällt es Städten auch leichter, sich von Krisen wieder zu erholen“ [3] und dadurch resilienter zu werden. Bislang wurden Welterbestätten zumeist in der Tourismusforschung thematisiert [4]. Neben dem Tourismus kann sich das Weltberbe aber möglicherweise auch auf andere Bereiche der Stadtentwicklung auswirken, zum Beispiel auf Wohnen und Leben. Ziel des Beitrages ist es, die Auswirkungen urbaner Transformation mit oder durch den Welt(kultur)erbestatus zu analysieren. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwiefern das UNESCO-Welterbe eine Strategie für eine resiliente Stadtentwicklung in der Mittel- und Welterbestadt Quedlinburg sein kann. Analyse des UNESCO-Welterbes am Beispiel der Stadt Quedlinburg Für die Analyse wird beispielhaft die etwa 120- m² große Mittelstadt Quedlinburg mit Mittelzentrum im Landkreis Harz (Sachsen-Anhalt) ausgewählt [7]. Die Welterbestadt Quedlinburg wurde erstmals im Jahr 922 schriftlich erwähnt und hat sich seitdem zu einer attraktiven Stadt mit rund 23 600 Einwohner*innen entwickelt [7]. Im Jahr 1994 wurde sie in die UNESCO-Welterbeliste der schützenswerten Kulturgüter aufgenommen und feierte im Jahr 2019 das 25-jährige Jubiläum UNESCO-Welterbe Quedlinburg [5]. Die Stadt zeichnet sich durch ein geschlossenes historisches Stadtbild aus und bildet damit eines der größten Flächendenkmaler Deutschlands mit über 1 300 Fachwerkhäusern [6]. In den vergangenen Jahrzehnten verzeichnet die Stadt bereits einen Bevölkerungsverlust, der auch für die Zukunft prognostiziert wird. Der negative Pendlersaldo im Jahr 2020 von - 405 verdeutlicht, dass Beschäftigte vor Ort wenig Arbeitsplätze finden [7]. Nach der Wiedervereinigung litten zahlreiche Denkmale in ostdeutschen Städten aufgrund von Mangelwirtschaft unter flächendeckendem Verfall [6]. Betroffen war und ist die Stadt vom Abbau industrieller Arbeitsplätze, Abwanderung (junger) Bevölkerung und - nicht zuletzt bedingt durch die pandemische Lage - sich reduzierendem Einzelhandel [vgl. 8]. Veränderungen in der Stadtstruktur sind seit 1991 mit der Erhaltungs- und Gestaltungssatzung sowie seit 1996 mit dem Denkmalschutzgesetz des Landes Sachsen-Anhalt abzustimmen [8]. Zudem Bild 1: Resilienz-Zyklus. © Greinke nach [3] 72 2 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stresstest für Städte sind die Vorgaben der UNESCO zu beachten. Diese werden regelmäßig durch die UNESCO-Kommission überprüft [9]. Im Jahr 2022 wurden qualitative leitfadengestützte Interviews [Experteninterviews nach 10, 11, 12] mit Akteuren aus Verwaltung, Politik, Wohnungswirtschaft und Gesellschaft geführt. Der für die Gespräche entwickelte Leitfaden enthält Fragen zur aktuellen Situation in Quedlinburg, der Stadtentwicklung vor und nach der Auszeichnung als UNESCO-Welterbe sowie zur zukünftigen Entwicklung der Stadt. Die etwa 30 bis 60-minütigen Interviews wurden in Form von Protokollen und Audiomitschnitten dokumentiert [13] und transkribiert [12] sowie anhand von qualitativer Inhaltsanalyse [14] ausgewertet. Herausforderungen und Chancen des Welterbe-Status für die Stadtentwicklung Das Welterbe kann eine Chance und eine Herausforderung für die Stadtentwicklung von Mittelstädten in der urbanen Transformation sein. Für die Stadt Quedlinburg ist dieser Transformationsprozess seit vielen Jahren gelebte Praxis und wird es auch zukünftig sein. So heißt es in der zweiten Fortschreibung des Städtebaulichen Rahmenplans der Welterbestadt Quedlinburg „Quedlinburg 2036“ im Jahr 2021, dass es Ziel ist, die „historische Identität der Welterbestadt Quedlinburg zu bewahren, als auch die Stadt zukunftsfest im Sinne urbaner Resilienz weiterzuentwickeln“ [15]. Stadtentwicklung, Denkmalschutz und Welterbe Die Auszeichnung als Welterbe bedeutete für die Stadt Quedlinburg nicht nur touristische Attraktivität, sondern auch neue, andere Stadtentwicklung als zuvor. Betroffen vom demografischen Wandel musste die Stadt schon häufiger auf Bevölkerungsrückgang und Fortzug reagieren. Durch den Welterbe-Status als Flächendenkmal galt es aber den Bedingungen der UNESCO gerecht zu werden und das historische Stadtbild zu erhalten, was „bei einem großräumigen Altstadtkern weitaus komplexer als bei Einzeldenkmalen“ [16] ist. Das kann unter anderem daran liegen, dass die Gebäude und Flächen in privater und öffentlicher Hand liegen [17]. Nicht immer ist es für die lokalen Entscheidungsträger*innen leicht, die globalen Standards des Welterbeschutzes vor Ort umzusetzen, ohne dabei als kommunale Planungshoheit mit den Maßgaben zu kollidieren [4]. Die Regulierungen führen zum Beispiel zu reduzierten Landnutzungsoptionen [17]. Einige Investor*innen hat das dazu veranlasst, auf den Kauf einer denkmalgeschützten Immobilie zu verzichten, weil die Auflagen zu groß waren (beispielsweise die Bindung an soziale Mieter*innen). Gleichzeitig kann die Welterbeauszeichnung dazu führen, dass der Stadt aus denkmalschützerischer Perspektive besonderes Gewicht verliehen wird [4]. So haben einige Investor*innen aus persönlichem oder ideellem Interesse die Immobilien saniert. Zwar ist der Austausch der Stadtverwaltung mit den zuständigen Komitees der UNESCO bisher nahezu konfliktfrei verlaufen; die UNESCO selber hat Bild 2: Renovierte Fachwerkhäuser neben leerstehenden Immobilen in Quedlinburg. © Greinke, Dezember 2021 73 2 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stresstest für Städte fast ausschließlich weiche Sanktionsmittel (zum Beispiel: Mahnungen) [4], dennoch besteht immer auch das Risiko, auf der „Roten Liste“ zu landen und den Status zu verlieren. Beispiele in anderen Städten haben bereits gezeigt, wie kontrovers die Maßgaben der UNESCO diskutiert werden können (etwa beim Kölner Dom [16]). Dies bekam auch Quedlinburg bei der Entwicklung einer Seniorenresidenz zu spüren, die nicht durchgehend auf Zustimmung stieß. Zudem liegt derzeit die Ausweisung eines neuen Gewerbegebietes zur Prüfung durch die UNESCO vor. Solche Wohn- und Gewerbeansiedlungen können jedoch für eine schrumpfende Stadt wertvoll sein, um die Auswirkungen des demografischen Wandels zu minimieren und Fortzug zu vermeiden, sowie Gewerbe und Industrie zu diversifizieren. Durch das regelmäßige Monitoring der UNESCO ist die Stadt stets dazu angehalten, strategisch zu agieren und „klug“ zu reagieren, was folglich Planungen befördern, aber auch hemmen kann. Anbindung und Wirtschaftsstandort Bereits Ende der 90er Jahre analysierte Manz [8], dass Quedlinburg durch seine Lage in der Mitte Deutschlands durchaus ein attraktiver Standort sei, allerdings waren damals Investor*innen weniger interessiert, weil die überregionale verkehrliche Anbindung der Stadt kritisch war [8]. Zudem waren die nahgelegenen Städte Goslar und Wernigerode Konkurrenzstandorte [8]. Heute ist die Stadt durch einen Zubringer zur Autobahn etwas besser angebunden, kämpft aber weiterhin um wirtschaftliche Attraktivität. In Quedlinburg selber und im direkten Umland gibt es nur wenige Industrie- und Gewerbeansiedlungen, sodass es an Arbeitsplätzen außerhalb der Einzelhandels-, Tourismus- und Beherbergungswirtschaft mangelt. Themenbezogene Kooperationen mit den Nachbarstädten befruchten derzeit zwar den Tourismus wechselseitig (zum Beispiel durch gemeinsame Veranstaltungen), stärken aber nicht die Wirtschaftskraft. Zu beobachten war, dass aufgrund des Welterbe-Status insbesondere die Tourismusbranche mit den dazugehörigen privaten und wirtschaftlichen Profiteur*innen im Übernachtungs- und Bewirtungsbereich gewann. Parallel wird bemängelt, dass sich durch das Welterbe viele Maßnahmen ausschließlich auf das Innenstadtgebiet beschränken, obwohl dort nur rund 20 Prozent der Bevölkerung der Stadt leben. Die Ausweisung denkmalgeschützter Gebäude und des Ensembles war und ist ein positiver Wirtschaftsfaktor [6], der dafür gesorgt hat, dass Quedlinburg an Bekanntheit überregional und weltweit gewonnen hat [8] sowie bei den Bewohner*innen eine stärkere Identifikation mit der Stadt hervorgerufen hat [vgl. 17]. Gleichzeitig kann eine Mittelstadt wie Quedlinburg durchaus auch an die Grenzen ihrer touristischen Kapazitäten gelangen [8]. Wohnen und Leben Die Stadt Quedlinburg identifiziert sich selbst als Wohnstandort mit attraktiven Lebensbedingungen. Durch das Welterbe und den damit verbundenen Restriktionen sind aber insbesondere die innerstädtischen Lagen eine Herausforderung für den Wohnungsmarkt. Vielerorts sind zumeist nur minimale (architektonische) Interventionen an der physischen Substanz der Gebäude möglich [18], was wiederum im Gebäudeinneren sehr individuelle Zuschnitte der Wohnflächen bedingt [8]. Aufgrund der daraus resultierenden Einschränkung freier Entfaltungsmöglichkeiten der Bewohner*innen kann es zu Abwanderungen aus dem Innenstadtgebiet kommen [8]. Für Investor*innen ist insbesondere in Zeiten der Covid-19-Pandemie der Kauf und die Sanierung von denkmalgeschützten Gebäuden nicht gewinnbringend, sodass derzeit häufig davon abgesehen wird. Gleichzeitig kann durch den Charme der denkmalgeschützten Gebäude der Zuzug von zahlungskräftigen Eigentümer*innen und Mieter*innen die Gefahr der Gentrifizierung erhöhen [8]. Beide Herausforderungen haben Quedlinburg bislang weniger stark getroffen: Zwar gab es Fortzüge aus der Innenstadt und es gab (hochpreisige) Renovierungen privater (ausländischer) Investor*innen, die jedoch bisher nicht zur Gentrifizierung führten (Bild 2). Dennoch wurden und werden in Quedlinburg Immobilien bereits abgerissen oder umgenutzt, um den Leerstand zu reduzieren. Vielmehr führten die Investitionen dazu, dass die vor dem Welterbe stark sanierungsbedürftigen und leerstehenden Wohnungen (etwa 60 % Wohnungsleerstand) [19] wieder nutzbar wurden. Mittlerweile befindet sich ein Großteil des Leerstands ausschließlich außerhalb des Welterbegebietes. Die Sanierungen ermöglichten zudem neue Wohnformen (zum Beispiel: betreutes Wohnen für Menschen mit Behinderung im Haus der Deutschen Stiftung Denkmalschutz) [6]. Zudem wurden durch das Welterbe neue Instrumente der Stadtentwicklung erprobt: Im Jahr 1995 gab es zum Beispiel einen Baulückenwettberwerb [8] und später wurden auch Zwischennutzungen von Einzelhandelsflächen oder Plätzen in der Innenstadt etabliert. Vor allem aber für private Investor*innen stellten die Fördermaßnahmen durch das Welterbe eine Chance zur Entwicklung von Wohnungen für den Eigenbedarf 74 2 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stresstest für Städte oder zur Vermietung dar. Dafür waren nicht nur die finanziellen Anreize verantwortlich, sondern auch das Verbundenheitsgefühl mit der Stadt, der ideelle Wert der Immobilien und die Aufbruchsstimmung nach der Wende. Allerdings sorgen die Anreize für (private) Investor*innen im Zusammenhang mit der touristischen Attraktivität der Stadt auch für negative Entwicklungen auf dem (Miet-)Wohnungsmarkt. Überall in Quedlinburg sind in den letzten Jahren Ferienwohnungen aus dem Boden gesprossen. Das führt zu Konkurrenzen mit dem Beherbergungsgewerbe und den Bewohner*innen der Stadt. Für die touristische Attraktivität sind die zahlreichen Überachtungsmöglichkeiten in Hotels und Ferienwohnungen sowie weitere Angeboten (zum Beispiel Airbnb) aber sehr förderlich. Unter den Akteur*innen vor Ort sorgen sie für vielschichtige Diskussionen. Zum einen kann die hohe Anzahl der Ferienwohnungen, dazu führen, dass nicht mehr ausreichend Mietwohnungen für die lokale Bevölkerung zur Verfügung stehen. Allerdings kann der Verkauf von Immobilien als Ferienwohnungen auch eine Lösung für den Mietwohnungsmarkt sein, weil diese keine zusätzlichen Konkurrenzwohnungen sind. Gleichzeitig stellen die (privaten) Ferienwohnungen eine Konkurrenz zu Beherbergungsbetrieben dar, die dadurch nicht mehr ausreichend ausgelastet werden. Diese Problematik ist der Stadtverwaltung durchaus bekannt. Maßnahmen zur Eindämmung dieser Herausforderung, zum Beispiel durch ein Zweckentfremdungsverbot, werden deshalb immer wieder abgewogen, aber bislang (noch) nicht etabliert. Das Spannungsfeld zwischen Welterbe, Tourismus, Wohnen und Stadtentwicklung als Beitrag zur resilienten Stadt? Die Stadt Quedlinburg hat in der Vergangenheit durch die Auszeichnung als Welterbe-Stadt profitiert und tut dies auch heute noch. Nicht nur die touristische Attraktivität, sondern auch das Leben und Wohnen vor Ort hat sich positiv verändert. Allerdings gibt es auch noch zahlreiche Handlungsoptionen für Quedlinburg als Stadt mit historischer Identität, um sich „zukunftsfest im Sinne urbaner Resilienz weiterzuentwickeln“ [15]. Um „den ständigen Wandel mit Rücksicht auf das wertvolle Erbe zu steuern“ [16], zeigt sich die Stadt Quedlinburg aktiv und hat bereits den zweiten Städtebaulichen Rahmenplan „Quedlinburg 2036“ fortgeschrieben. Darin enthalten ist ein Sanierungskonzept und unterschiedliche Maßnahmen. Die hier formulierten Ziele und Strategien sind wichtig, um „die gesunde Mischung aus der lebenswerten Stadt, die wir sein müssen, da es unser Standortfaktor ist, in Kombination mit allen Konsequenzen des Welterbes zu finden“ [20]. Um sich auch zu einer klimagerechten Stadt zu entwickeln sollen zukünftig die naturnahen Potenziale der Stadt (beispielsweise Grün- und Wasserflächen) genutzt und ein stadtökologisches Grundlagenkonzept erarbeitet werden [15]. Für Quedlinburg bietet sich eventuell auch der Blick in andere Städte an, die bereits Instrumente zum Umgang mit denkmalgeschützten Gebäuden und Flächen entwickelt haben (etwa die Stadtumbaumatrix in Görlitz [21] oder das Kommunale Denkmalkonzept in Bayern [22]). In Anlehnung an den Resilienz-Zyklus [nach 3] (Bild- 1) gilt es für die Welterbestadt Quedlinburg zukünftig die Risiken für eine resiliente Stadtentwicklung einzuschätzen. Dabei können Vulnerabilitätsanalysen oder Machbarkeitsstudien divergierende Interessen verdeutlichen und helfen, diese zukunftsfähig abzuwägen. Dadurch kann es den Akteur*innen vor Ort gelingen, Gefahren frühzeitig zu erkennen und dafür entsprechende Maßnahmen zu entwickeln. Um die Verwundbarkeit in der Stadtentwicklung zu minimieren, ist es zukünftig wichtig, noch stärker Kooperationen anzustoßen bzw. auszubauen. Themenbezogen gelingt diese Kollaboration schon recht gut (etwa bei der Entwicklung des ISEK). Allerdings gilt es hier auch (neue) Formate der informellen Beteiligung stärker in den Fokus zu rücken. Runde Tische und Workshops können helfen, die Chancen Quedlinburgs zu stärken und an den Herausforderungen gemeinsam zu wachsen. Um Kaskadeneffekte in Zukunft zu verhindern, sollte die Mittelstadt Quedlinburg sich nicht auf dem Welterbe-Status ausruhen, sondern insbesondere die Diversifizierung der Bereiche Wohnen, Tourismus, Wirtschaft und Bildung fördern. Geplante Gewerbegebiete und neue Wohnformen sind einige Beispiele, die es sich lohnt, im Einklang mit dem Welterbe weiter zu entwickeln. Um den demografischen Wandel abzufedern, ist es aber auch nötig, geeignete Strategien und Leitbilder für die Stadt zu entwickeln. Beispielsweise könnte die Kooperation oder Ansiedlung einer Hochschule, Zweigstelle oder eines Ausbildungszentrums (etwa für Pflegeberufe) für den Zuzug junger Menschen sorgen. Eine Vernetzung mit den Nachbarkommunen ist erstrebenswert, um Synergieeffekte zu nutzen. Der Welterbe-Status hat die Stadtentwicklung Quedlinburgs positiv beeinflusst. Die Stadt hat den Status nicht nur als Auszeichnung aufgefasst, sondern als Arbeitsauftrag verstanden. So konnte der Wohnungsleerstand reduziert, touristische Attraktivität gesteigert, historische Bausubstanz erhalten 75 2 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Stresstest für Städte und ein Alleinstellungsmerkmal geschaffen werden. Bislang zeigte sich die Stadt innovativen Ansätzen gegenüber offen, um Leerstand zu vermeiden (zum Beispiel: Zwischennutzungen) oder „neue“ Bauweisen an historischer Substanz (zum Beispiel: Balkone im Hinterhof). Um den heutigen Nutzungsansprüchen und gleichzeitig den Herausforderungen einer denkmalverträglichen Stadtentwicklung gerecht werden zu können, sollte die Stadt diese Offenheit beibehalten. In Quedlinburg gibt es bereits innovative Akteure, die leerstehende Flächen flexibel nutzen könnten (zum Beispiel: für Coworking in ehemaligen Industriegebäuden). Für die Mittel- und Welterbestadt Quedlinburg ist es zukünftig von Bedeutung, den Resilienzbegriff in der Praxis zu operationalisieren und mögliche resilienzbildende Leitideen, Strategien und Maßnahmen zukunftsweisend gemeinsam mit allen Akteuren zu realisieren. LITERATUR [1] Jakubowski, P. Kaltenbrunner, R.: Resilienz. S. I-II, in: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4, (2013). [2] Christmann, G., Ibert, O., Kilper, H.: Resilienz und resiliente Städte. S. 183 - 196, in: Jäger, T., Daun, A., Freudenberg, D. (Hrsg.): Politisches Krisenmanagement. Band 2: Reaktion - Partizipation - Resilienz. Wiesbaden, Springer VS, 2018. [3] Jakubowski, P.: Resilienz - eine zusätzliche Denkfigur für gute Stadtentwicklung. In: Informationen zur Raumentwicklung, Heft 4, (2013) S. 371 - 378. [4] Schmitt. T., Schweitzer, A.: Welterbe der Stadtentwicklung in Gefahr? Zu deutschen Debatten und zur global-lokalen Governanz von UNESCO-Welterbestätten am Beispiel des Kölner Doms. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, Leipzig, Band 21, Heft 4, (2007) S. 329 - 352. [1] Quedlinburg-Tourismus-Marketing GmbH: Geschichte und Chronik. Zuletzt aufgerufen am 05.04.2022, https: / / www.quedlinburg-info.de/ de/ sehenswert/ historie.html [6] Deutsche Stiftung Denkmalschutz: Quedlinburg: Denkmalschatz trifft Denkmalschutz. Bonn, 2019. [7] brain-SCC GmbH: Demografie-Monitor. Kennzahlen und Indikatoren der Landesentwicklung. Zuletzt aufgerufen am 05.04.2022, http: / / www.demografiemonitor.de [8] Manz, K.: Quedlinburg: Auswirkungen des Status als UNESCO-Weltkulturerbe auf die Stadtentwicklung. In: Europa Regional, 7 (1999) (4) S. 14 - 22" https: / / nbn-resolving.org/ urn: nbn: de: 0168-ssoar-48277-2 [9] Deutsche UNESCO-Kommission e. V.: Über die Deutsche UNESCO-Kommission, Zuletzt aufgerufen am 05.04.2022, https: / / www.unesco.de/ [10] Liebold, R., Trinczek, R.: Experteninterview. In: Kühl, S., Strodtholz, P., Taffertshofer, A. (Hrsg.): Handbuch Methoden der Organisationsforschung. Quantitative und Qualitative Methoden. Wiesbaden, (2009) S. 32 - 56. [11] Mayer, H. O.: Interview und schriftliche Befragung. Grundlagen und Methoden empirischer Sozialforschung. 6. überarb. Aufl., München, 2013. [12] Meuser, M., Nagel, U.: ExpertInneninterviews - Vielfach erprobt, wenig bedacht. Ein Beitrag zur qualitativen Methodendiskussion. In: Bogner, A., Littig, B., Menz, W. (Hrsg.): Das Experteninterview. Theorie, Methode, Anwendung. Opladen, (2002) S. 71 - 93. [13] Helfferich, C.: Die Qualität qualitativer Daten. Manual für die Durchführung qualitativer Interviews. 4. Aufl.. Wiesbaden, 2011. [14] Mayring, P.: Qualitative Inhaltsanalyse: Grundlagen und Techniken. 11. überarb. Aufl., Weinheim, 2010. [15] Welterbestadt Quedlinburg (Hrsg.): QUEDLINBURG 2036. Zweite Fortschreibung Städtebaulicher Rahmenplan der Welterbestadt Quedlinburg / Juli 2021. [16] Ruland, R.: Entwicklung vs. Weltkulturerbe? Der schwierige Umgang mit einem Flächendenkmal. In: Bauwelt 21, (2006) S. 50 - 51 [17] Franz, P.: Stadtentwicklung durch Denkmalschutz? Eine Analyse seiner Regulierungs- und Anreizinstrumente. In: Wirtschaft im Wandel 6 (2010) S. 274 - 280. [18] Oevermann, H., Mieg, H. A.: Nutzbarmachung historischer Industrieareale für die Stadtentwicklung: Erhaltungsbegriffe und Fallbeispiele in der Praxis. In: disp - The Planning Review, 52 (1), (2016) S. 31 - 41. [19] Schirmer, U.: Eine Erfolgsgeschichte. Altstadtsanierung Quedlinburg. In: Monumente, Jg.29, Nr. 2, (2019) S. 64 - 72. [20] Interview mit Vetreter*innen der Stadt Quedlinburg am 17.02.2022. [21] Knippschild R., Zöllter C.: Stadterneuerung zwischen Revitalisierung und Denkmalschutz. In: Altrock U., Kurth D., Kunze R., Schmidt H., Schmitt G. (Hrsg.) Stadterneuerung in Klein- und Mittelstädten. Jahrbuch Stadterneuerung. Springer VS, Wiesbaden, 2020. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-658-30231-3_6 [22] Sandmeier J., Selitz L.M.: Das Kommunale Denkmalkonzept Bayern. In: Altrock U., Kurth D., Kunze R., Schmidt H., Schmitt G. (Hrsg.): Stadterneuerung in Klein- und Mittelstädten. Jahrbuch.- Die Autorin bedankt sich bei den Interviewpartnerinnen und -partnern für die wertvollen Auskünfte und Hinweise, ohne die dieser Beitrag nicht zustanden gekommen wäre. Außerdem bedankt sie sich bei ihren Kolleginnen, Dr. Nora Mehnen und Dr. Sonja Fücker, für die Anmerkungen und Korrekturen. Dr. Lena Greinke Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Forschung und Lehre Institut für Umweltplanung Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover Kontakt: greinke@umwelt.uni-hannover.de AUTORIN
