eJournals Transforming cities 7/3

Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0059
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Klimawandelfolgenanpassung in der Zukunftsinitiative Klima.Werk

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Tobias  Unterbäumer
Nora Schecke
Ulrike Raasch
Fabian Urbanczyk
Die Auswirkungen des Klimawandels sind in stark verdichteten Städten und Ballungszentren besonders spürbar: Zunehmende Hitze- und Trockenperioden gehen mit vielfältigen Beeinträchtigungen für Mensch und Umwelt einher, darunter gesundheitliche Belastungen durch lokale Hitzeinseln und eine verminderte Aufenthaltsqualität durch fehlende Grün-, Frei- und Erholungsflächen. Flächenversiegelungen beeinträchtigen die Leistungen ortsnaher Versickerung und Verdunstung und erhöhen die (Überflutungs-) Gefahren durch Starkregen. Das Schwammstadtprinzip vereint hierbei verschiedene Lösungsansätze einer blau-grünen Stadtgestaltung. Durch Maßnahmen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung wird das Niederschlagswasser von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt und kann dem natürlichen Wasserhaushalt ortsnah zugeführt werden, was wiederum eine Entlastung der Kläranlagen und Infrastrukturen zur Folge hat.
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40 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Bild 1: Schwammstadt- Maßnahmen im Rahmen der Zukunftsinitiative Klima.Werk. © Emschergenossenchaft) Klimawandelfolgenanpassung in der Zukunftsinitiative Klima.Werk Betrachtungsräume für eine klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft Klimawandelfolgenanpassung, Klimaresilienz, Schwammstadt, Blau-grüne Infrastrukturen Tobias Unterbäumer, Nora Schecke, Ulrike Raasch, Fabian Urbanczyk Die Auswirkungen des Klimawandels sind in stark verdichteten Städten und Ballungszentren besonders spürbar: Zunehmende Hitze- und Trockenperioden gehen mit vielfältigen Beeinträchtigungen für Mensch und Umwelt einher, darunter gesundheitliche Belastungen durch lokale Hitzeinseln und eine verminderte Aufenthaltsqualität durch fehlende Grün-, Frei- und Erholungsflächen. Flächenversiegelungen beeinträchtigen die Leistungen ortsnaher Versickerung und Verdunstung und erhöhen die (Überflutungs-) Gefahren durch Starkregen. Das Schwammstadtprinzip vereint hierbei verschiedene Lösungsansätze einer blau-grünen Stadtgestaltung. Durch Maßnahmen dezentraler Regenwasserbewirtschaftung wird das Niederschlagswasser von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt und kann dem natürlichen Wasserhaushalt ortsnah zugeführt werden, was wiederum eine Entlastung der Kläranlagen und Infrastrukturen zur Folge hat (Bild 1). 41 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Um diese Ziele gebündelt verfolgen zu können, engagieren sich seit 2014 die Emscherkommunen gemeinsam mit der Emschergenossenschaft im Netzwerk der Zukunftsinitiative Klima.Werk (vormals Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“) für eine wassersensible, nachhaltige Stadtentwicklung. Die Aktivitäten führten 2019 im Rahmen der Ruhr-Konferenz zur Förderung des Projekts „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ durch das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Ziel des Vorhabens ist, eine Verbesserung der Klimaresilienz in den Kommunen des Regionalverbands Ruhr zu erreichen, indem 25 % der befestigten Flächen von der Mischwasserkanalisation abgekoppelt werden und die Verdunstungsrate um zehn Prozentpunkte gesteigert wird-[1]. Um die Städte und Akteure bei der Entwicklung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen sowie in der vernetzten Zusammenarbeit bestmöglich unterstützen und begleiten zu können, richtete die Emschergenossenschaft dafür 2020 die Serviceorganisation (SO) ein. Neben der Entwicklung und Umsetzung von Klimaanpassungsmaßnahmen wird innerhalb der Zukunftsinitiative Klima.Werk insbesondere die integrale, kooperative und vertrauensvolle Kultur der Zusammenarbeit in und mit den Kommunen und Stakeholdern als transformativer Hebel weiterentwickelt und etabliert. Auf politischer Ebene bekräftigt der Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung (Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen, Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN 2022 - 2027) die Dringlichkeit der Anpassungen an den Klimawandel und das modellartige Vorgehen im Ruhrgebiet ([2], Zeilen 1507 - 1512). Für den nachhaltigen Transformationsprozess bietet dies die Chance, die Aktivitäten in der Region zu intensivieren und die Ziele der Klimaresilienz - insbesondere in flächendeckender und gemeinschaftlicher Umsetzung der Fördermöglichkeiten - zu verstetigen. Förderung für 53 Kommunen - Betrachtungsräume Ebenjene gemeinschaftliche und flächendeckende Umsetzung von Maßnahmen zur Steigerung der Klimaresilienz wird seit Inkrafttreten der Förderrichtlinie „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ in den 53 Städten und Gemeinden im Verbandsgebiet des Regionalverbands Ruhr gefördert (Bild 2). Zu den Förderbausteinen gehören Maßnahmen zur Versickerung von Regenwasser, zur Entsiegelung von Flächen und zur Schaffung blaugrüner Strukturen (Bilder 1 und 3) sowie zugehörige Maßnahmen zur Öffentlichkeitsarbeit und Umweltbildung in sogenannten Betrachtungsräumen. Ab Januar 2024 sind Betrachtungsräume in den teilnehmenden Kommunen Voraussetzung, um weitere Projekte fördern zu können. Zahlreiche Kommunen beschäftigen sich deshalb schon jetzt mit der Definition von Betrachtungsräumen. Ähnlich wie bei Programmen zur städtebaulichen Entwicklung sind dies räumlich abgegrenzte, zusammenhängende Bereiche, in denen bestimmte Defizite, hier im wasserwirtschaftlichen Zusammenhang mit Folgen des Klimawandels, behoben werden sollen. Durch eine Bündelung von Maßnahmen in den Betrachtungsräumen wird eine spürbare Verbesserung des Mikroklimas sowie eine Verbesserung des natürlichen Wasserhaushalts sowie der Gewässergüte angestrebt. Die Betrachtungsräume sollen „ ... im Rahmen eines integralen Planungsprozesses unter Beteiligung der zuständigen Bezirksregierungen … “ [3] entwickelt werden. Bei der Definition von Betrachtungsräumen müssen die Kommunen demnach darlegen, dass sie integral denken und handeln können, denn Klimafolgenanpassung ist ein Querschnittsthema, das nur dann erfolgreich und ressourcenschonend bearbeitet werden kann, wenn die verschiedenen Bild 2: Kommunen im Netzwerk der Zukunftsinitiative und Fördergebiet der KRIS- Förderung. © Emschergenossenschaft 42 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Fachbereiche einer Verwaltung an einem Strang ziehen. Zudem fehlt es den im kommunalen Zuständigkeitsdenken verankerten Klimaanpassungsabteilungen in der Regel an Flächenzugriff. Ein integraler, fachbereichsübergreifender Planungsansatz wird so zur Voraussetzung, um ganzheitliche Projekte in Betrachtungsräumen umzusetzen. Ein interkommunales Netzwerk hat hierzu eine Arbeitshilfe entwickelt, die anderen Kommunen auf dem Weg zu Betrachtungsräumen unterstützen soll [4]. Beispielhaft werden hier die Ansätze aus Gelsenkirchen und Mülheim an der Ruhr genannt. Praxisbeispiele Betrachtungsräume Gelsenkirchen Seit Anfang des Jahres 2020 gibt es in Gelsenkirchen das sogenannte ZI-Kernteam, welches sich mit allen Anliegen rund um die Zukunftsinitiative Klima. Werk beschäftigt. In diesem interdisziplinären Team sind alle relevanten Akteur*innen der Stadtverwaltung, ergänzt um Vertreter*innen der ZI-Serviceorganisation, vertreten. Die sich aus der Förderrichtlinie ergebende Anforderung der Definition von Betrachtungsräumen im Stadtgebiet erfolgt in ebenjenem ZI-Kernteam. Hierzu wurde ein Sprintteam gegründet, welches sich mit der konkreten, gesamtstädtischen Ausarbeitung der Betrachtungsräume beschäftigt. Um eine möglichst sinnvolle und integrale Grundlage für die Ermittlung der Betrachtungsräume zu erhalten, wurde zunächst das grundsätzliche Vorgehen und eine Leitfrage ausgearbeitet. Unter Berücksichtigung der Leitfrage: „In welchen Teilen der Stadt lassen sich wasserwirtschaftliche Verbesserungen erreichen und gleichzeitig die Lebensbedingungen (beispielsweise Hitzebetroffenheit) für die Menschen verbessern? “ und der Anforderung, Räume zu definieren, herrschte relativ schnell Einigkeit darüber, dass dieses Thema in einem geografischen Informationssystem ausgearbeitet werden sollte. Dies bietet die Möglichkeit, Räume im Stadtgebiet zu definieren, in welchen sich viele Defizite (zum Beispiel: Hitzebelastung, Starkregengefahren, Sozialraumindikatoren) überschneiden und somit durch die umgesetzten Maßnahmen eine gezielte Verbesserung erreicht werden kann. Um auch soziale Aspekte zu berücksichtigen, wurde ein Index für ausgewählte Sozialraumindikatoren (beispielsweise besonders alte/ junge Bevölkerung, Armutsindikator in Form der SGB-II-Quote, Anteil der von Verkehrslärm betroffenen Bewohner) errechnet, der mit in die Auswahl der Betrachtungsräume einfließt. Aus den ermittelten Defiziträumen werden potenzielle Betrachtungsräume definiert, welche im weiteren Verlauf auf ihr Potenzial zur Zielerreichung überprüft werden. Durch einen von Beginn an integralen und transparenten Planungsprozess soll die Ermittlung und Festlegung der Betrachtungsräume mit einer breiten Trägerschaft der beteiligten Dienststellen erfolgen. Dies auch vor dem Hintergrund, dass die weitere Bearbeitung/ Umsetzung von wasserwirtschaftlichen Klimaanpassungsmaßnahmen in den gewählten Betrachtungsräumen durch die Interdisziplinarität der Maßnahmen ein Prozess sein wird, in welchem weiterhin fachübergreifend zusammengearbeitet werden muss, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Mülheim an der Ruhr Vorab zum eigentlichen KRIS-Förderprogramm hat sich Mülheim eine GIS-basierte Konzepterstellung für einen Betrachtungsraum fördern lassen. Mit der Durchführung wurde ein Büro beauftragt, das ausreichende Erfahrung mit wasserwirtschaftlichen Planungen auch nach den „Schwammstadt“-Prinzipien besitzt. Aus den Ergebnissen ergeben sich durch diesen „Pionierstatus“ besonders viele Erfahrungen, welche Vorgehensweisen sinnvoll sind und was sich als weniger erfolgversprechend herausgestellt hat. Bild 3: Beispiel für eine Fassadenbegrünung - hier am Parkhaus am HBF Bottrop. © EGLV, Kirsten Neumann 43 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Ausgehend von einem rund 800 Hektar großen Kläranlagen-Einzugsgebiet südlich der Ruhr wurde das gesamte Gebiet zunächst großmaßstäblich (makroskopisch) untersucht. Hierzu wurde auf allgemein zugängliche Daten zurückgegriffen, eine aufwendige Datenerhebung oder -bearbeitung war nicht erforderlich. Durch die Bewertung aller untersuchten Parameter als Indiz für möglichen Handlungsbedarf bzw. für Handlungsoptionen wurden in einem ersten Schritt Räume mit besonders hohen Bedarfen und Potenzialen ermittelt. Mit der Gebietskenntnis der involvierten kommunalen Begleiter*innen wurden nach der Überlagerung von Bedarfen und Potenzialen drei geeignet erscheinende Bereiche ausgewählt, für die in einem kleineren Maßstab (mikroskopisch) geeignete Maßnahmen identifiziert und mit einer Kostenschätzung versehen wurden. Die Bearbeitung wurde von der Stabsstelle Klimaschutz und Klimaanpassung angestoßen, die sich von der Umsetzung geeigneter KRIS-Förderbausteine eine positive Auswirkung für klimatisch stark belastete Bereiche innerhalb des untersuchten Gebietes verspricht. Die in Gelsenkirchen erfolgte stadtweite Abstimmung ist hier nicht in der Bearbeitung des Konzeptes erfolgt, sondern zu weiten Teilen in der vorlaufenden Erarbeitung des städtischen Klimaanpassungskonzeptes. In einem nächsten Schritt gilt es zu klären, inwieweit sich die erarbeiteten Vorschläge mit den Vorstellungen diverser Fachabteilungen decken und ob das einmal entwickelte Verfahren für andere Bereiche - möglicherweise unter Einbeziehung weiterer Sozialdaten - erneut angewendet werden sollte. Ausblick und Fazit Die Transformation zur klimaangepassten Region erfordert Aktivitäten und Veränderungsprozesse auf verschiedensten Ebenen. Der Zugang zu Fördermitteln und Ressourcen bildet dabei eine wichtige Unterstützung zur Handlungsfähigkeit der Kommunen. Mit dem Förderprojekt „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ und dessen Veröffentlichung im April 2022 konnten dafür die Weichen gestellt werden. Das Angebot solcher Förderprogramme ist notwendig für eine langfristige Verstetigung der Maßnahmen. Daneben ermöglicht die Zusammenarbeit in einem organisierten Netzwerk die Bündelung von Ressourcen und Wissen sowie die Etablierung einer transformativ wirkenden Kultur der Zusammenarbeit, und die skizzierten Wege zur Entwicklung integraler Konzepte sind ein guter Weg auch außerhalb dieser Förderkulisse. LITERATUR: [1] Werner, M., Raasch, U., Falk, C., Geretshauser, G.: Für Grün - für Blau: für die Region. Auf dem Weg in die „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft. Transforming Cities 3 (2019), S. 46 - 50. [2] Landesregierung Nordrhein-Westfalen: Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen. Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN 2022-2027. 2022. Online unter (abgerufen am: 15.07.2022): https: / / gruene nr w.de / dateien / Zukunf t s ver trag _ C D U - GRUeNE_Vorder-und-Rueckseite.pdf [3] Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz: Richtlinie zur Förderung des Vorhabens „Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft“ (Förderrichtlinie Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft - FöRL KRiS), 2022. Online unter (abgerufen am: 15.07.2022): https: / / recht.nrw.de/ lmi/ owa/ br_vbl_detail_text? anw_ nr=7&vd_id=20389&ver=8&val=20389&sg=0&menu =0&vd_back=N [4] Expertennetzwerk Betrachtungsräume: Arbeitshilfe Betrachtungsräume. 2022. Online unter (abgerufen am: 14.07.2022): www.klimawerk.de/ downloads AUTOR*INNEN Tobias Unterbäumer AGG Gelsenkanal Kontakt: Tobias.Unterbaeumer@agg-ge.de Nora Schecke Zukunftsinitiative Klima.Werk Emschergenossenschaft | Lippeverband (EGLV) Kontakt: schecke.nora@eglv.de Ulrike Raasch Zukunftsinitiative Klima.Werk Emschergenossenschaft | Lippeverband (EGLV) Kontakt: raasch.ulrike@eglv.de Fabian Urbanczyk Zukunftsinitiative Klima.Werk Emschergenossenschaft | Lippeverband (EGLV) Kontakt: urbanczyk.fabian@eglv.de