eJournals Transforming cities 7/3

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0063
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Baumfassaden in Bamberg

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2022
Lisa Höpfl
Florian Köhl
Christian Burkhard
Julian Lienhard
Divya  Pilla
Ferdinand Ludwig
Die Etablierung von Baumfassaden in Städten verspricht neue Wege des Klimaschutzes und der Klimaanpassung am Gebäude und auf Quartiersebene. Für ein soziales Wohnungsbauprojekt in Bamberg werden große Bäume so nah an die Fassade gepflanzt, dass sie zur Verschattung und Kühlung des Gebäudes beitragen, den Prozess des stetigen Wandels in die Architektur verankern und neue architektonische und räumliche Qualitäten erzeugen. Ein interdisziplinäres Team hat sich mit möglichen Herangehensweisen, Schnittstellen und der Umsetzung auseinandergesetzt.
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60 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser In allen bekannten Klimawandel-Anpassungsstrategien, die in den vergangenen Jahren von und für Städte erarbeitet wurden, wird eine vermehrte Verwendung von Vegetation, insbesondere von Bäumen gefordert [1] Begründet ist diese Forderung durch die bekannten positiven Klimaeffekte, die sowohl durch die hohe Verschattungsleistung als auch durch die hohe Transpirationsleistung entstehen. Ein interdisziplinäres Team hat sich im Rahmen eines von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten, praxisbasierten Forschungsvorhabens mit der Frage beschäftigt, ob Bäume so nah an eine Fassade gepflanzt werden können, dass sie als eine neue Kategorie der Bauwerksbegrünung als „Baumfassaden“ etabliert werden können. In der aktuellen Stadtplanung werden Bäume derzeit nur mit einem gewissen Abstand zum Gebäude gepflanzt, damit sich Krone und Wurzeln adäquat entwickeln können, aber auch um möglichen Sturmschäden an der Fassade vorzubeugen. Bedenken hinsichtlich Beschädigungen des Gebäudefundaments oder der unterirdischen Infrastruktur durch Wurzeln sind weit verbreitet [2], weshalb es ungewöhnlich erscheint, Bäume und Gebäude bewusst zusammen zu planen. Dokumentationen im urbanen Kontext verschiedener Städte zeigen jedoch, dass es bereits zahlreiche Beispiele für fassadennahe Bäume gibt (Bild 1). Wenn ein Baum derart nah an einer Fassade wächst, ist seine normale Reaktion, die Ast- und Kronenentwicklung zur Fassade hin zu minimieren und sich zu mehr Raum und Licht hin zu entwickeln. Durch das bewusste Pflanzen von Bäumen direkt am Gebäude und das gleichzeitige Beschleunigen des natürlichen Wachstumsverhaltens durch ein Beschneiden der zu Fassade gerichteten Äste führt dies zu folgender Definition: Baumfassaden in Bamberg Entwicklung einer neuen Form grüner Architektur mit großen klimatischen und gestalterischen Potenzialen Baumfassade, Gebäudebegrünung, grüne Architektur Lisa Höpfl, Florian Köhl, Christian Burkhard, Julian Lienhard, Divya Pilla, Ferdinand Ludwig Die Etablierung von Baumfassaden in Städten verspricht neue Wege des Klimaschutzes und der Klimaanpassung am Gebäude und auf Quartiersebene. Für ein soziales Wohnungsbauprojekt in Bamberg werden große Bäume so nah an die Fassade gepflanzt, dass sie zur Verschattung und Kühlung des Gebäudes beitragen, den Prozess des stetigen Wandels in die Architektur verankern und neue architektonische und räumliche Qualitäten erzeugen. Ein interdisziplinäres Team hat sich mit möglichen Herangehensweisen, Schnittstellen und der Umsetzung auseinandergesetzt. Bild 1: Fassadennahe Bäume an verschiedenen Standorten in München. © Fotos 1 - 4: Ferdinand Ludwig, Foto 5: Mahtab Baghaiepoor 61 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Eine Baumfassade besteht aus ausladenden, großkronigen Bäumen, die so nah an ein Gebäude gepflanzt werden, dass die Baumkrone von außen visuell Teil des Hauses wird. Die Pflanzung des Baumes nah an der Fassade führt, begleitet durch pflegerische Schnittmaßnahmen, zur Ausbildung einer „halben Krone“ (Bild 2). Die Bewohner der Gebäude können den Baum unmittelbar vor dem Fenster oder vom Balkon aus erleben und es entsteht der Eindruck, sich direkt in der Baumkrone zu befinden, im Baum zu leben. Ausgangspunkt des Projekts In einem europaweiten Wettbewerb wurde für eine Konversionsfläche (etwa 3 ha) der US-Streitkräfte in Bamberg ein Konzept für ein nachhaltiges und gemeinwohlorientiertes Stadtquartier, die zukünftigen „Lagarde-Höfe“ gesucht. Den Zuschlag erhielt der Vorschlag der Volksbau Bamberg: neben Wohnungen und Gewerbe wird ein nach der DGNB zertifizierter Stadtteil entstehen. Unterschiedliche Architekturbüros, darunter fatkoehl architekten, planen die einzelnen Gebäude, so auch das Kopfgebäude Haus N° 11, das sich im Inneren des neuen Viertels befindet und dessen Fassaden nach Süden, Westen und Osten orientiert sind. Bereits in der Entwurfsphase entstand der Wunsch, das Gebäude auf eine innovative Art zu begrünen, um eine vielfältige und lebendige Wohnumgebung mit angenehmem Mikroklima zu schaffen. Inspiriert von den Arbeiten des Forschungsgebiets Baubotanik (TU München) und baubotanischen Entwürfen des Office for Living Architecture (OLA) war der Wunsch der Architekten, in Bamberg ein grünes Pilotprojekt mit Baumfassaden zu initiieren, das innerhalb der ökonomischen Rahmenbedingungen des sozialen Wohnungsbaus realisierbar ist. Für dieses Vorhaben fand sich ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Architekten, Landschaftsarchitekten und Tragwerksplanern zusammen, um konzeptionelle Ansätze zu entwickeln, die kritischen Punkte zu identifizieren und konstruktiv-technische und gestalterische Grundlagen für eine Umsetzung zu entwickeln. Erste Überlegungen Ausgewählt wurden die ostseitige Hoffassade und die stark besonnte Südseite für eine potenzielle Baumfassade. Bereits in ersten Planungsgesprächen stellte sich heraus, dass das Verständnis von Baumwachstum und Baumstatik, insbesondere bei Wind, ein Schlüsselfaktor bei der Gestaltung von Baumfassaden ist. Untersucht wurde dafür der Baum in seiner Entwicklung vom Jungbaum zum ausgewachsenen Baum und sein jeweiliges Verhalten im Wind. Je nach Stadium liegen im Stamm und den Ästen unterschiedliche Flexibilitätsbzw. Steifigkeitsgradienten vor, die je nach Windstärke zu unterschiedlich starken Bewegungen führen [3]. Das macht den Baum und das Gebäude zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Punkten anfällig für Schäden: 1. Der Baum kann sich aufgrund zu geringer Wurzelverankerung (bei der Pflanzung oder bei schlechter Entwicklung) vom Haus weg- oder zum Haus hinneigen oder gar entwurzelt werden und kippen. 2. Zweige und Äste können an die Fassade schlagen, diese beschädigen oder selbst abbrechen Von diesem Risiko ausgehend wurden für das Projekt zwei Prinzipien im Umgang mit dem sich ändernden Verhalten des Baumes entwickelt: die zusätzliche Sicherung oder Abstützung des Baumes (dauerhaft oder temporär) oder die Integration der Bewegung des Baumes in die Planung. Architektonische Voraussetzungen und Entwicklung konstruktiver Varianten Die Kubatur und die Gestaltung der Fassade waren zum Planungszeitpunkt der Baumfassade bereits weitestgehend festgelegt. Das dreibzw. in manchen Bereichen viergeschossige Gebäude ist mit regelmäßig angeordneten Fensteröffnungen ausgestattet und verfügt über Balkone am zurückspringenden Teil der Südfassade. Basierend auf den zwei identifizierten Prinzipien wurden drei Konstruktionsvarianten entwickelt. Bei Variante (1) werden die Bäume sehr nah vor das Gebäude gepflanzt. Der Abstand zwischen Fassade und Stammmitte beträgt lediglich etwa 70 cm und stellt genau die Hälfte des Wurzelballens bei der Pflanzung dar. Um den jungen Baum bei seinem Verankerungs- und Wachstumsprozess zu unterstützen und den älteren, stabileren Baum mit flexibler Triebspitze vor dem Abknicken bei starkem Wind zu schützen, wird vorgeschlagen, Bild 2: Schematischer Schnitt und Ansicht einer Baumfassade. © Zeichnung: Lisa Höpfl 62 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser die Bewegungsdynamik über eine an der Fassade dauerhaft verbleibende, aber elastisch angebundene Wachstumsstütze zu reduzieren (Bild 3 - 1). Der flexible Spross des Baumes wird ab dem Zeitpunkt der Pflanzung regelmäßig um die Wachstumsstütze nach oben geführt, so dass mit zunehmender Dicke beide Elemente zu einer Einheit verwachsen (vgl. Forschungen zu baubotanischen Strukturen [4, 5]. Hierzu wurde ein Feder-Dämpfer-System konzipiert, das die auftretenden Kräfte thermisch entkoppelt an der Rohbaukonstruktion verankert, sodass dabei keine Wärmebrücken entstehen. Die Kopplung des starren Systems Gebäude mit dem flexiblen System Wachstumsstütze - Baum stellt eine Herausforderung dar, die bereits früh im Planungsprozess und in der Kostenkalkulation angedacht werden sollte. Der Ansatz wurde aufgrund des vergleichsweise hohen technischen Aufwands und der damit verbundenen, im sozialen Wohnungsbau nicht darstellbaren Kosten für das Projekt verworfen. Eine weitere Variante (2) entwickelte sich aus den an der Südfassade befindlichen Balkonen. Auskragende Elemente (wie zum Beispiel auch Laubengänge) können genutzt werden, um den Baum temporär und elastisch beispielsweise mit Baumanbindern oder Kokosstricken an speziellen, in das Bauteil integrierte, eingelassene oder auskragende Geländer anzubinden (Bild 3 - 2). Ist der Baum etabliert, werden die temporären Anbindungen entfernt. Der Ansatz technisch deutlich einfacher, unter anderem auch deshalb, weil keine (zusätzliche) Durchdringung der thermischen Gebäudehülle nötig ist. Da bei dem Projekt Balkone nur partiell vorhanden sind und der ökonomische Druck im Kontext des sozialen Wohnungsbaus eine noch kostengünstigere Lösung erforderte, wird bei der Variante (3) statt der Wachstumsstütze oder der Anbindung am Balkon die eigene Tragfähigkeit des Baumes genutzt und der Abstand zum Gebäude auf ca. 120 cm erhöht (Bild 3 - 3). Das Schadensrisiko zwischen dem dynamischen System (Baum) und dem statischen System (Gebäude) wird dabei minimalisiert. Basierend auf Beobachtungen und ersten Simulationen des dynamischen Verhaltens des Baumes im Wind kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Fall die biegsamen Äste die Fassade in einem Sturmszenario zwar berühren können, ihr aber keinen Schaden zufügen und lediglich kleine Zweige abbrechen. Diese Variante wurde zur Umsetzung ausgewählt. Klimatische Aspekte Durch ihr wesentlich größeres Kronenvolumen weisen Baumfassaden im Vergleich zu flächigen Fassadenbegrünungen potenziell eine noch deutlich höhere mikroklimatische Wirkung auf. So können bei Bäumen durch die hohe Transpirationsleistung lokale Temperaturreduktionen der Außenluft von bis zu 3,5° C nachgewiesen werden, während bei Fassadenbegrünungen nur bis zu 1,3° C gemessen werden [6]. Durch die reine Verschattung des Baumes reduziert sich die Wandoberflächentemperaturen um bis zu 9° C [7]. Räumliche-zeitliche Aspekte Die Frage nach der räumlichen Wirkung der Baumfassade eröffnet der Architektur neu Gestaltungsmöglichkeiten und ist deshalb ein essentieller Bestandteil des Entwurfsprozesses. Während die Entwicklung des Gebäudes mit dem Einzug der ersten Nutzer*innen abgeschlossen ist, befindet sich die Baumfassade zu diesem Zeitpunkt noch im Anfangsstadium des Wachstums. Bis zum Erreichen der angestrebten Höhe und eines maximalen Kronenvolumens dauert es je nach Art 20 - 30 Jahre (Bilder 4 - 6). Die räumlichen Erfahrungen sind also einem ständigen Wandel unterworfen. Das Denken in solchen Zeitdimensionen beeinflusst auch die Lebenszyklen und Bedürfnisse der Bewohner sowie die sozialen Komponenten der Architektur. Neben der zeitlichen Komponente werden räumliche Qualitäten insbesondere durch die Anordnung der Bäume und den Abstand der Baumfassade vor dem Gebäude beeinflusst. Entscheidend für die räumliche Wirkung des „Lebens in der Baumkrone“ ist in erster Linie die konkret gewählte Baumart. Ihre Kronenarchitektur, die Belaubungsdichte und jahreszeitlich bedingte Eigenschaften (zum Beispiel der Zeitpunkt des Laubaustriebs) ermöglichen eine adäquate Belichtung der Innenräume bei gleichzeitiger Gebäudekühlung durch Verschattung sowie einen natürlichen Sichtschutz oder mögliche Blickbeziehungen in die Umgebung. Qualitativ-ästhetische Aspekte Baumstämme, Aststrukturen und Blattwerk bilden je nach Jahreszeit ein komplexes Licht- und Schattenspiel, das sich von den Balkonen, über die Bild 3: Für Bamberg entwickelte strukturelle Varianten: (1) Baum mit eingewachsener Wachstumsstütze, (2) Integration und temporäre Anbindung des Baumes am Balkon, (3) Baum frei vor der Fassade stehend. © Zeichnung: Lisa Höpfl 63 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Fassade bis in die Wohnräume hinein erstreckt. Die Ausblicke ändern sich mit der Jahreszeit, dem Alter des Baumes und der erlebbaren Höhe der Baumkrone: Im Winter dringt Licht in die Wohnräume und der Blick öffnet sich, gelenkt von den Ästen, in die Umgebung. Im Sommer ermöglicht das Laub nur partielle Ausblicke und eine introvertiertere Erfahrung der Baumkrone. Durch die Unmittelbarkeit des Baumes werden dessen Eigenschaften für die Nutzer nicht nur visuell, sondern auf vielfältige Arten sinnlich erfahrbar: die Textur von Stamm, Rinde und Ästen, das Ansiedeln von Moosen, das Überwintern der Knospen in der kalten Jahreszeit, das Austreiben der Blätter im Frühjahr genauso wie der Laubfall im Herbst. Regen und Wind spielen beim Erleben sinnlicher Qualitäten eine zentrale Rolle. Durch die sanfte oder starke Bewegung von Ästen und Blättern im Wind, das verzögerte Abtropfen von Wasser nach einem Sommerregen oder durch Schnee auf den Ästen im Winter werden Wetter und Jahreszeit intensiv erfahrbar. Das Erlebnis wird durch neue, nicht alltägliche Beobachtungen, wie Geräusche von schlagenden Ästen und raschelndem Laub und Gerüche nach frischem Blattgrün, Rinde oder Regen bereichert. Dies und die Möglichkeit, Vögel und Insekten auf dem Balkon oder vom Wohnzimmer aus zu beobachten, bringen eine neue Art von Naturerlebnis in das unmittelbare Wohnumfeld der Nutzer (Bild 7). Prozess der Baumartenwahl Die Artenwahl für Bamberg erfolgte zunächst nach Standortkriterien. Berücksichtigt wurden das örtliche Klima, die vorhandenen Bodeneigenschaften, die Ausrichtung und die damit verbundene Besonnungsdauer an der Fassade. Da es sich bei Fassaden durch ihre Wärmespeicherkapazität und den eingeschränkten Wurzelraum um „Extremstandorte“ handelt, mussten die Arten besonders hitze- und trockenheitstolerant sein, gleichzeitig aber auch wenig anfällig für Windbruch. Mit der daraus abgeleiteten Liste potenziell in Frage kommender Arten erfolgte eine Prüfung im Zusammenspiel mit dem architektonischen Konzept. Die Bedürfnisse der zukünftigen Bewohner nach Licht- und Blickdurchlässigkeit sowie einer möglichst hohen gesundheitlichen Verträglichkeit wurden dabei ebenfalls berücksichtigt. Als Grundlage für die Vorauswahl wurden Listen der GALK [8], die Baumartenmatrix von A. Roloff [9] sowie die Beschreibungen der Arten in Baumschulkatalogen herangezogen. Ergebnisarten der Vorauswahl waren die Roteiche (Quercus rubra) und die Robinie (Robinia pseudoacacia). Bild 4: Baumfassade Bamberg nach Pflanzung. © Zeichnung: Divya Pilla, Florian Köhl Bild 5: Baumfassade Bamberg nach drei Jahren. © Zeichnung: Divya Pilla, Florian Köhl Bild 6: Baumfassade Bamberg nach 10-15 Jahren. © Zeichnung: Divya Pilla, Florian Köhl Bild 7: Blick in die Baumkrone eines zufällig in unmittelbarer Nähe vor dem Gebäude wachsenden Baumes. Vergleichbare ästhetische Eindrücke sind bei einer gezielt angelegten Baumfassade zu erwarten. © Ferdinand Ludwig 64 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Nach umfassenden Beratungen mit der Baumschule zu den gewählten Arten stellte sich heraus, dass die Roteiche in der gewünschten Qualität nicht verfügbar war. Als Alternative wurde zunächst die Zerreiche (Quercus cerris) diskutiert, die für den Standort ebenfalls geeignet ist. Wie alle Eichenarten kann die Zerreiche jedoch vom Eichenprozessionsspinner befallen werden, der starke allergische Reaktionen auslösen kann, was im unmittelbaren Wohnumfeld zu riskant wäre und im Falle eines Befalls einen spürbaren Akzeptanzverlust der Nutzer*innen zur Folge hätte. Die finale Auswahl fiel schließlich auf die amerikanische Esche (Fraxinus americana „Autumn Applause“), die den Anforderungen des Bamberger Standortes entspricht, sich durch ihren regelmäßigen Aufbau gut in die halbe Kronenform schneiden lässt, sich in das architektonische Konzept integriert und durch die Sorte den roten Laubaspekt im Herbst an die Fassade bringt. Vom Eschentriebsterben ist diese Sorte nicht betroffen. Für die Robinie (Robinia pseudoacacia), die als sehr robuster, dem Klimawandel angepasste Baumart mit schönem Blühaspekt und lichtdurchlässiger Blattstruktur gilt, ergab sich im Austausch mit den Baumschulen folgende Erkenntnis: Robinien wachsen besonders dann sehr robust und an den Standort angepasst, wenn sie vor Ort aus dem Sämling keimen. In der baumschulischen Anzucht und beim Verpflanzen reagiert die Robinie jedoch vergleichsweise empfindlich, ebenso ist es relativ schwer, einen geraden durchgehenden Leittrieb zu erziehen. Um ein Scheitern des Anwachsens und intensive, schwer vorhersehbare Pflegemaßnahmen zu vermeiden, wurde auch von der Robinie abgesehen und zunächst der Schnurbaum (Sophora japonica) angedacht. Dieser wird jedoch im Laufe der Zeit sehr breitkronig, passt deshalb nicht in das architektonische Gefüge der Gebäude und blüht zudem im Hochsommer, was aus Nutzerperspektive zu Konflikten führen könnte (Belästigung durch Insekten). Nach weiteren Überlegungen stellte sich die Gleditschie (Gleditsia triacanthos ‚Skyline‘ ) als geeigneter Baum mit lockerer Blatttextur und klarem Habitus heraus. Die ausgewählten Bäume wurden in der Baumschule in Größen von etwa 7,5 m bei einem Stammumfang von ungefähr 35 cm einzeln ausgewählt und auf die zukünftige Wuchsform vorbereitet, indem die zu einer Seite wachsenden Äste entfernt wurden. Die fünf Bäume wachsen noch eine weitere Saison in der Baumschule (Bild 8), bis sie direkt in Bamberg gepflanzt werden. Schlussbetrachtung Bei dem Forschungsprojekt zu Baumfassaden in Bamberg handelt es sich um ein Pilotprojekt, dass außerhalb geltender Normen umgesetzt wird. Um weiterführende Erkenntnisse aus der baulichen Umsetzung und Entwicklung gewinnen zu können, ist eine Begleitforschung vorgesehen. Ein ausführlicher Bericht über den bisherigen Forschungsstand erscheint im Herbst 2022 unter dem Titel „Strategien für das Entwerfen von Baumfassaden“ und auf der Internetseite: www.baumfassaden.de. Bild 8: Halbe Kronen- Bäume in der Baumschule. Links Seitansicht ( Januar), Mitte Frontalansicht ( Juli), rechts Seitenansicht des gleichen Baumes. © Florian Köhl, Britta Herold 65 3 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Luft, Boden, Wasser Dipl.-Ing. Lisa Höpfl Green Technologies in Landscape Architecture Technische Universität München Kontakt: lisa.hoepfl@mytum.de Prof. Dipl.-Ing. Arch. Florian Köhl Bauwirtschaft und Projektentwicklung FB Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Universität Kassel Kontakt: koehl@asl.uni-kassel.de Christian Burkhard Quest GbR, Berlin Kontakt: cb@qst.eco Prof. Dr.-Ing. Julian Lienhard Professor für Tragwerksentwurf FB Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Universität Kassel Kontakt: lienhard@uni-kassel.de Divya Pilla Architektin und Landschaftsarchitektin (Indien), M.A.-Studentin Landschaftsarchitektur Technische Universität München Kontakt: divya.pilla91@gmail.com Prof. Dr.-Ing. Ferdinand Ludwig Green Technologies in Landscape Architecture Technische Universität München Kontakt: ferdinand.ludwig@tum.de Danksagung Die Autor*innen danken der Deutschen Bundesstiftung Umwelt für die Förderung des Projekts (Förder-Nummer: 36056/ 01-25), vertreten durch Sabine Djahanschah. Weitere Danksagungen an: Beratung: Andreas Detter, Marco Schmidt, Baumschule Bruns Projekt Bamberg: Bauherr: pro.b, vertreten durch Andreas Stahl Landschaftsplanung: Georg Wasmer LITERATUR [1] Kögl, L.: Bundesumweltamt fordert mehr Bäume und Schatten in den Städten, in ZEIT ONLINE, veröffentlicht am 03.07.2022. Verfügbar unter https: / / www. zeit.de/ wissen/ umwelt/ 2022-07/ umweltbundesamthitze-staedte-schatten-baeume; abgerufen am: 13.07.2022 [2] ARD-Bericht: Millionen-Schäden durch Baumwurzeln, in: Plusminus, das ARD-Wirtschaftsmagazin, 2015, veröffentlicht am 24.06.15, 21: 45 - 22: 15 [3] Wessolly, L., Erb, M.: Handbuch der Baumstatik und Baumkontrolle. Patzer-Verlag Berlin, 2014. [4] Ludwig, F., Storz O.: Baubotanik - Mit lebenden Pflanzen konstruieren. Baumeister, In: Zeitschrift für Architektur 11 (2005) S. 72 - 75. [5] Ludwig, F.: Joining Living Wood - Lebendes Holz verbinden. Conceptual Joining, Wood Structures from Detail to Utopia - Holzstrukturen im Experiment, Birkhäuser: (2021) S. 228 - 235. [6] Pfoser, N., Henrich, J., Jenner, N., Schreiner, J., Unten Kanashiro, C., Weber, S., Heusinger, J.: Gebäude Begrünung Energie. Potenziale und Wechselwirkungen. B. u. S. B. f. B. u. R. F. Z. B. Bundesministeriums für Verkehr, Technische Universität Darmstadt Technische Universität Braunschweig, 2013. [7] Berry R., Livesley S.J., Aye L.: Tree canopy shade impacts on solar irradiance received by building walls and their surface temperature. Building and Environment 69 (2013) p. 91 - 100. [8] Gartenamtsleiterkonferenz des Deutschen Städtetages - GALK: Straßenbaumliste 2006 - Beurteilung von Baumarten für die Verwendung im städtischen Straßenraum, 2006. [9] Roloff, A. et al.: Klimawandel und Baumartenwahl in der Stadt - Entscheidungsfindung mit der Klima-Arten-Matrix (KLAM), 2008. Online unter: http: / / www. frankfurt. de/ sixcms/ media. php/ 738/ klam_stadt. pdf AUTOR*INNEN All you can read Alles zusammen zum Superpreis: Die Papierausgabe in hochwertigem Druck, das ePaper zum Blättern am Bildschirm und auf dem Smartphone, dazu alle bisher erschienenen Ausgaben im elektronischen Archiv - so haben Sie Ihre Fachzeitschrift für den urbanen Wandel immer und überall griffbereit. 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