eJournals Transforming cities 7/4

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0072
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Grüner Wasserstoff

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Eberhard Buhl
Mit der aktuellen Unsicherheit auf den Energiemärkten scheint es endgültig festzustehen: Wasserstoff, möglichst aus heimischer Erzeugung, ist der Treibstoff für eine nachhaltige Zukunft. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zu Erzeugung, Transport und Verwendung des leicht flüchtigen Gases, das die volatile Solar- und Windstromerzeugung stablisieren und einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten kann.
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11 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Grüner Wasserstoff Königsweg für nachhaltige Energiewirtschaft? Eberhard Buhl Mit der aktuellen Unsicherheit auf den Energiemärkten scheint es endgültig festzustehen: Wasserstoff, möglichst aus heimischer Erzeugung, ist der Treibstoff für eine nachhaltige Zukunft. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick zu Erzeugung, Transport und Verwendung des leicht flüchtigen Gases, das die volatile Solar- und Windstromerzeugung stablisieren und einen wichtigen Beitrag zur Energiewende leisten kann. Warum gerade Wasserstoff? Die knappe Frage lässt sich knapp beantworten: Weil Wasserstoff - chemische Formel H 2 - keinen Kohlenstoff enthält, kann auch kein klimaschädliches Kohlendioxid (CO 2 ) entstehen, wenn er in Brennstoffzellen oder Motoren als Kraftstoff dient oder elektrische Energie zur Stromversor- Bild 1: 100 kW Brennstoffzellen-KWK Anlage des ZBT. © Nadine van der Schoot, ZBT Zentrum für BrennstoffzellenTechnik GmbH gung liefert. Allerdings: Soll das Gesamtsystem wirklich nachhaltig sein, darf auch bei der Produktion des Energieträgers Wasserstoff kein klimaschädliches Kohlendioxid anfallen - nur der sogenannte „grüne“ Wasserstoff ist tatsächlich CO 2 frei hergestellt. Und damit wird die Antwort schon etwas länger. Grau, blau, grün - die H 2 -Farbenlehre Obwohl Wasserstoff ein farbloses Gas ist, wurde es im Rahmen der politischen Klima- und Kohlenstoffdioxid-Debatte allgemein üblich, je nach Herstellungsverfahren bestimmte Farben zur Klassifizierung der Nachhaltigkeit zu verwenden. 12 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Das traditionelle, wegen fossiler Ausgangsprodukte und klimaschädlicher Emisssionen am wenigsten zukunftsfähige Verfahren erzeugt „schwarzen“ oder „braunen“ Wasserstoff: Es basiert auf Steinkohle- oder Braunkohlevergasung und anschließender Reaktion des entstandenen Kohlenmonoxids (CO) mit Wasserdampf, wobei CO 2 ein Nebenprodukt ist. Derzeit wird Wasserstoff meist durch Dampfreformierung aus Erdgas (Methan, CH 4 ) erzeugt. Gelangt das entstehende Kohlendioxid vollständig in die Atmosphäre, spricht man von „grauem“ Wasserstoff. Würde das schädliche Kohlendioxid nicht freigesetzt, sondern gespeichert, wäre der Wasserstoff „blau“ - doch hohe Speicherkosten lassen dieses Verfahren eher unwirtschaftlich erscheinen. Alles auf Grün: Das Prinzip nachhaltiger Herstellung Wirklich klimaneutrale Herstellung von Wasserstoff kann es nur geben, wenn weder fossile Ausgangsmaterialien noch schädliche Emissionen im Spiel sind. Hier hilft ein Rückblick auf das Knallgas-Experiment aus dem Physik- oder Chemieunterricht: Zwei Elektroden in einem Wasserbad werden unter Strom gesetzt und zerlegen das H 2 O elektrochemisch in seine Bestandteile Wasserstoff (H 2 ) und Sauerstoff (O). Das großtechnische Verfahren ist prinzipiell gleich: In einem sogenannten Elektrolyseur wird Wasser durch eine elektrochemische Reaktion in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt, allerdings verwendet man stromleitende Membranen statt der Elektroden. Stammt die zugeführte elektrische Energie ausschließlich aus Wind- oder Sonnenkraftwerken, entsteht „grüner“ Wasserstoff als Energieträger. Der kann in der Prozessindustrie als nachhaltiger Rohstoff weiterverarbeitet oder mittels Brennstoffzellen rückverstromt werden. Denn die Brennstoffzelle als Energiewandler kehrt den Prozess der Elektrolyse um, erzeugt also aus Wasserstoff und Luft-Sauerstoff wieder Wasser, und setzt dabei ursprünglich eingesetzte elektrische Energie wieder frei (Bilder 1 und 2). Sowohl Elektrolyseure als auch Brennstoffzellen, meist zu größeren, leistungsfähigeren Stacks zusammengefasst, sind bisher kaum im großtechnischen Maßstab verfügbar. Für die flächendeckende Versorgung mit grünem Wasserstoff und grüner Energie erscheint daher die dezentrale Herstellung unumgänglich - vor Ort aus lokal verfügbaren, erneuerbaren Energiequellen. Die wären selbstverständlich nicht auf Solar- und Windkraftanlagen beschränkt - denn technologisch ist das Thema Erzeugung noch längst nicht ausgereizt. Das zeigten kürzlich Forschende am Institut für Chemische Verfahrenstechnik und Umwelttechnik der TU Graz. Sie entwickelten ein nachhaltiges Verfahren zur dezentralen Wasserstofferzeugung, die sogenannte „Chemical Looping Hydrogen Methode“, mit der sie ausgehend von Biogas oder Biomasse Wasserstoff erzeugen. Im Rahmen des Projekts „Biogas2H2“ produzierten sie im industriellen Maßstab hochreinen Wasserstoff direkt aus gewöhnlichem Biogas - also Methangas aus Schweinegülle, Glycerinphase, Silomais und Getreideresten. Dieser hochreine Wasserstoff eignet sich ideal für die „grüne“ Stromerzeugung vor Ort mithilfe von Brennstoffzellen-Stacks. Transportieren, umwandeln, nutzen Und wenn der Wasserstoff nicht direkt vor Ort genutzt werden kann? Bis zum Jahr 2040 wollen die europäischen Gasnetz- Unternehmen ein dediziertes Wasserstoffnetz installieren und dafür überwiegende Teile ihrer heutigen Infrastruktur anpassen. Lassen sich aber bestehende Erdgas-Pipelines so einfach für Wasserstoff nutzen? Wie das kostengünstig, umweltverträglich und Bild 2: Prinzip einer PEM- Brennstoffzelle. © Grafik: Nécropotame / Wikipedia, eigene Bearbeitung 13 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie praktikabel umgesetzt werden könnte, testen Leipziger Wissenschaftler und Unternehmen seit einigen Jahren im „Wasserstoffdorf“ Chemiepark Bitterfeld- Wolfen. Auf einer Versuchsfläche von 12 000 Quadratkilometern wird der Wasserstofftransport unter realen Bedingungen erprobt, Herzstück ist ein 1 400 Meter langes Verteilnetz mit speziellen Regel- und Messanlagen. Die vorläufigen Erkenntnisse: Zwar sind punktuelle Anpassungen nötig, doch prinzipiell können die vorhandenen Erdgasleitungen künftig durchaus für Wasserstoff genutzt werden. Ein völlig neuer Typus integrierter Energiesysteme auf See soll im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Leitprojektes „H2Mare“ entwickelt werden. Das Ziel: Autarke Einheiten aus Offshore-Großwindanlage und integriertem Elektrolyseur stellen grünen Wasserstoff im Industriemaßstab her und ersparen zunächst einmal den landseitigen elektrischen Netzanschluss. In einem weiteren Schritt kann der Wasserstoff noch auf See in andere Energieträger umgewandelt werden - etwa in Methan, flüssige Kohlenwasserstoffe, Ammoniak oder Methanol. Dabei dürfte besonders Methanol (CH 4 O) interessant werden: Es lässt sich aus Wasserstoff und Kohlendioxid herstellen, einfach per Pipeline abtransportieren und in Tanks speichern. Denn Methanol ist flüssig bei Raumtemperatur und deshalb leichter zu handhaben als das sehr flüchtige Wasserstoffgas. Es kann herkömmlichem Benzin beigemischt werden und dient auch als Grundstoff zur Synthese nichtfossiler Kraftstoffe wie E-Kerosin, E-Benzin oder E-Diesel. Damit könnten auch weitere Sektoren wie der Schwerlastverkehr oder die Luftfahrt, die auf leistungsstarke Verbrenner-Antriebe angewiesen sind, dekarbonisiert werden. Stabile Versorgung mit Strom aus Wind und Sonne Im Hinblick auf den wachsenden Anteil klimafreundlichen Wind- und Sonnenstroms, der nachts oder bei Flaute logischerweise ausbleibt, ist jedoch die gezielte Speicherung von Energie besonders wichtig. Da eröffnen grüner Wasserstoff und Brennstoffzellen eine durchaus praktikable Möglichkeit, die volatile Stromerzeugung mit Wind- und Photovoltaikanlagen zu stabilisieren. Integrierte Komplettlösungen, wie in Bild 3 gezeigt, umfassen neben Wasserstoffinfrastruktur und Brennstoffzellen auch UPS- Systeme mit Pufferbatterien und Inverter zur unterbrechungsfreien Versorgung der Verbraucher mit Wechselstrom. Die notwendigen Technikmodule sind seit Jahren verfügbar, wenn auch bislang nur für dezentrale Anwendungen im kleineren Maßstab geeignet. Das freilich lässt sich ändern, etwa durch konsequentes Dezentralisieren der Energieversorgung: Stabilisieren mehrere strategisch eingesetzte Speichersysteme das Netz, kann auch der Grundstrombedarf statt durch Gas- oder Kohlekraftwerke durch Solar- und Windkraftanlagen mit nachfolgender Wasserstoffinfrastruktur gedeckt werden - CO 2 neutral und über die gesamte Versorgungskette nachhaltig. Eberhard Buhl, M.A. Technikjournalist Redaktionsleiter Internationales Verkehrswesen, Baiersbronn Kontakt: eberhard.buhl@trialog.de AUTOR Bild 3: Prinzip einer (Not-)Stromversorgung mit Wasserstoff und Brennstoffzelle © Grafik: Rolls- Royce Power Systems