eJournals Transforming cities 7/4

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0073
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Grüne Wasserstoffproduktion in Wunsiedel

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Andreas Schmuderer
Im Norden Bayerns entsteht ein neuer Hotspot für die Energiewende: Ein Elektrolyseur stellt im Fichtelgebirge mithilfe erneuerbarer Energie mehr als 1 000 Tonnen grünen Wasserstoff jährlich her. Dieses Gas nutzen ortsnah Unternehmen und von Ende 2023 wohl auch LKWs, die mit Brennstoffzellen fahren.
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14 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Bis 2050 möchte Deutschland klimaneutral werden. Aus erneuerbaren Energien hergestellter „grüner“ Wasserstoff wird auf dem Weg dorthin eine wichtige Rolle spielen. Das Gas kann und wird in Wunsiedel klimaneutral aus regenerativen Quellen wie Photovoltaik (PV) und Windkraft hergestellt werden. Generell bietet es die Möglichkeit, große Energiemengen langfristig zu speichern und zu transportieren. Das ist besonders dann sinnvoll, wenn - etwa an sonnigen und windreichen Tagen - zeitweise mehr Strom aus Erneuerbaren zur Verfügung steht, als gerade benötigt wird. Die Anwendungsmöglichkeiten von klimaneutral erzeugtem „grünen“ Wasserstoff als Energieträger sind dabei ebenso breit gefächert wie bei konventionell produziertem - nur eben mit einer sehr viel besseren Klimabilanz. Ob Raffinerien, Metallurgie, Stahlproduktion, Chemieindustrie oder Chipherstellung - in der Industrie ist das Gas in vielen Prozessen unentbehrlich. Im Verkehrssektor kann Wasserstoff darüber hinaus als emissionsfreier Treibstoff dienen - und das nicht nur bei Autos mit Brennstoffzelle. Inzwischen sind auch Busse und sogar Züge im Nahverkehr mit Wasserstoff unterwegs. Und auch für den Schwerlast-, Schiffs- und Flugverkehr ist der Einsatz von klimaneutral produziertem Wasserstoff oder auf Basis von Wasserstoff erzeugter synthetischer Treibstoffe in Zukunft eine denkbare Alternative. Besonders klimafreundlich ist eine dezentrale Wasserstofferzeugung vor Ort, denn damit reduzieren sich einhergehend die Transportwege zu den Verbrauchsstellen. Regionale Wasserstoff- Erzeugung in Wunsiedel i. Fichtelgebirge Vor diesem Hintergrund ist im oberfränkischen Wunsiedel im Fichtelgebirge eine wegweisende Anlage zur klimaneutralen Erzeugung von Wasserstoff entstanden. Mit einer elektrischen Anschlussleistung von 8,75 MW kann sie bis zu 1 350 t Wasserstoff pro Jahr erzeugen und damit rund 13 500 t CO 2 Emissionen einsparen. Rechnet man mit einer regionalen Fahrleistung von 150- km pro Tag, so könnten beispielsweise 400 wasserstoffbetriebene 40-t-LKWs mit der Menge von 1 350 t H 2 ein ganzes Jahr CO 2 -frei fahren. Die Wasserstoff-Erzeugungsanlage wandelt die vorhandene erneuerbare Energie in ein speicherbares Medium um und macht diese damit für verschiedene Anwendungen in der Mobilität und Industrie verfügbar. Gleichzeitig ist für die Region Nordbayern eine neue „Wasserstoff-Quelle“ entstanden. Bisher musste das Gas für Endkunden über relativ lange Transportwege angeliefert werden. Nun wird der Wasserstoff in Wunsiedel für die lokale Verteilung in Druckgasbehälter abgefüllt und über LKW-Trailer an lokale und regionale Endkunden geliefert. Darüber hinaus hilft die Anlage dabei, Netzengpässe Grüne Wasserstoffproduktion in Wunsiedel Andreas Schmuderer Im Norden Bayerns entsteht ein neuer Hotspot für die Energiewende: Ein Elektrolyseur stellt im Fichtelgebirge mithilfe erneuerbarer Energie mehr als 1 000 Tonnen grünen Wasserstoff jährlich her. Dieses Gas nutzen ortsnah Unternehmen und von Ende 2023 wohl auch LKWs, die mit Brennstoffzellen fahren. Bild 1: Wunsiedel Energiepark, unten links befindet sich die Wasserstoffproduktionsanlage. © Siemens AG 15 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie zu entschärfen sowie Flexibilität für das Stromnetz bereitzustellen. Mit der für 2023 geplanten Errichtung einer H 2 -Tankstelle am Energiepark Wunsiedel kann zusätzlich die regionale Nutzfahrzeugflotte dekarbonisiert werden. Auftraggeber der Anlage ist die eigens gegründete WUN H2 GmbH. Siemens Financial Services (München) unterstützt mit einem intelligenten Finanzierungskonzept und ist mit einem Anteil von 45 % an der Betreibergesellschaft WUN H2 beteiligt. Weitere Anteilseigner sind die Rießner- Gase aus Lichtenfels (Oberfranken), ebenfalls mit 45 % sowie die Stadtwerke Wunsiedel (SWW) mit 10 %. Generalunternehmer ist Siemens Smart Infrastructure, Deutschland, mit Sitz in Erlangen. Am 14. September 2022 wurde die Anlage feierlich in Betrieb genommen und somit hat die kommerzielle Produktion des Energieträgers H 2 begonnen. Aktuell werden bereits Gespräche über eine Erweiterung der Anlage auf die doppelt so hohe Kapazität von 17,5 MW Leistung geführt. Die Anlage befindet sich im Wunsiedler Energiepark in unmittelbarer Nähe zu einem bereits aktiven Batteriespeicher von Siemens und ergänzt das zukunftsweisende Energiekonzept, das dort umgesetzt wird: Im Rahmen einer so genannten „Grid Edge“-Lösung sollen perspektivisch Konsumenten, Prosumenten und das intelligente Stromnetz in einem neuartigen Energiesystem miteinander interagieren. Die am Energiepark vorhandenen Assets sowie die zu errichtende Wasserstoffanlage werden über das cloudbasierte, offene IoT-Betriebssystem von Siemens aggregiert. In Wunsiedel ist die Energiewende damit heute schon Realität. PEM-Elektrolyseverfahren Konkret wird der Wasserstoff durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt. Die für diesen Prozess erforderliche Energie liefert der aus Photovoltaik- und Windkraftanlagen bereitgestellte Strom. Als Elektrolyseur wird in Wunsiedel ein Silyzer 300 von Siemens Energy mit Sitz in München eingesetzt. Dieses Modell zeichnet sich durch einen hohen Wirkungsgrad bei hohen Leistungsdichten sowie durch einen wartungsarmen, zuverlässigen und chemikalienfreien Betrieb aus. Im Vergleich zur traditionellen Alkali-Elektrolyse ist die PEM- Technologie ideal geeignet, um fluktuierenden Wind- und Solarstrom aufzunehmen, da eine hoch dynamische Betriebsweise möglich ist. Die Produktion ist damit der schwankenden Verfügbarkeit von erneuerbaren Energien optimal angepasst und kann schnell rauf- und runter reguliert werden. Denn wenn die Sonne plötzlich scheint, sollte der Produktion nichts mehr im Wege stehen. In Wunsiedel werden mit dem half array Silyzer 300 bis zu 165 kg H 2 pro Stunde hergestellt, wobei etwa 10 Liter aufbereitetes Frischwasser pro Kilogramm H 2 benötigt werden. Mit der Erweiterung der Anlage wäre eine Produktionskapazität von bis 330-kg H 2 pro Stunde möglich. Rohstoff Sauerstoff Als Besonderheit werden in Wunsiedel auch der bei der Wasserstoff-Erzeugung anfallende Sauerstoff sowie die Niedertemperaturabwärme erstmalig in nahegelegenen Industriebetrieben weiter genutzt. Da somit alle Medienströme einer Verwendung zugeführt werden, zeigt die Anlage eine einzigartige Gesamt- Energieeffizienz. Realisierte CO 2 -Einsparungen Die Anlage in Wunsiedel ist für die CO 2 -freie Erzeugung von grünem Wasserstoff ein Zukunftsmodell für die sektorübergreifende Nutzung erneuerbarer Energien: In Zahlen werden heute im Praxisbetrieb bis zu 1 350 Tonnen Wasserstoff hergestellt und damit um die 13 500 Tonnen CO 2 pro Jahr eingespart. Das größte Einsparpotenzial bietet dabei die Umstellung des Wasserstoffherstellungsprozesses. Der derzeitig benötigte Wasserstoff in der Region wird durch Erdgasdampfreformierung in Raffinerien erzeugt. Dabei werden pro 1 kg H 2 rund 10 kg CO 2 freigesetzt. Zusätzlich fallen durch den Transport aus den bisherigen, bis zu 280 km entfernten Wasserstoffquellen weiteres CO 2 an. Die Umstellung auf grünen Wasserstoff bedeutet somit eine Einsparung von rund 98 % CO 2 pro Jahr. Andreas Schmuderer Leiter der Abteilung Energy Performance Services Siemens Smart Infrastructure, Deutschland, Siemens AG Kontakt: About.si.de@siemens.com AUTOR Bild 2: Wasserstoff- Produktionsanlage Seitenansicht: Elektrolyse mit Blick auf PEM- Module. © Siemens AG