Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0074
125
2022
74
Ammoniak - der übersehene Energieträger
125
2022
Christian Platzer
Ammoniak gilt seit kurzem als mögliche Alternative zu Erdgas – unter anderem deshalb, weil es im Vergleich zu Wasserstoff relativ unkompliziert gelagert werden kann und sich recht einfach per Schiff importieren lässt. Doch auch lokal gibt es viele Möglichkeiten, das stickstoffreiche Gas zu gewinnen. Das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC entwickelt ein Verfahren, um Ammoniak aus Kläranlagen und Industrieabwässern abzutrennen.
tc740016
16 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Ohne Stickstoff läuft in der Natur gar nichts. Doch während Pflanzen Stickstoff zum Wachsen brauchen, belastet er in zu großen Mengen das Grundwasser in Form von Nitrat oder führt in Gewässern zu Algenblüten. Ihn zu entfernen, ist deshalb eine wesentliche Aufgabe der Abwasserbehandlung in Kläranlagen. Bisher erledigen das vor allem Mikroorganismen. Doch dabei gehen Ressourcen und Energie verloren - denn die Stickstoffverbindung Ammoniak (NH 3 ) ist ein wertvoller Rohstoff und Energieträger. Dieses Potenzial zu heben, war das Ziel des Projektes „Ammonia to Power”. Darin haben AEE IN- TEC, das Engineeringunternehmen AVL LIST und die Technische Universität Graz ein Verfahren entwickelt, um Ammonium-Ionen (NH 4 +) aus dem Abwasser zu entziehen, in gasförmiges Ammoniak (NH 3 ) umzuwandeln und mit diesem wiederum in einer Festoxid-Brennstoffzelle Strom zu erzeugen. Vakuum-Pumpe saugt Gas durch eine Membran aus der Flüssigkeit Die Projektpartner nutzen für die Abscheidung des Ammoniaks die Vakuum-Membrandestillation (VMD). Diese Technik ist in der Meerwasserentsalzung schon weit verbreitet. Für den neuen Einsatzzweck forscht AEE INTEC daran, das Verfahren und die Membranen so anzupassen, dass sie gasförmiges Ammoniak passieren lassen, aber Wasserdampf so weit wie möglich zurückhalten. Ammoniak ist in Abwässern bei Umgebungsbedingungen vor allem als Ammonium gelöst (NH 4 +), nur etwa ein Prozent ist gasförmiges Ammoniak (NH 3 ). Damit es als Gas aus der Flüssigkeit austritt, muss man das Abwasser auf etwa 30 bis 40 °C erwärmen und einen Unterdruck von etwa 0,3 bar anlegen. Die Vakuumpumpe saugt sozusagen das gasförmige Ammoniak durch die Membran hindurch aus dem warmen Abwasser. Das funktioniert überall dort gut, wo viel Ammonium im Wasser gelöst ist. AEE INTEC hat das Membranverfahren daher mit Zentratwasser aus dem Faulturm der Gleisdorfer Kläranlage getestet. Das Zentratwasser bleibt zurück, wenn der abgefaulte Klärschlamm gepresst und in feste und flüssige Bestandteile getrennt wird. Mit der VMD gelang es im Laborversuch, immerhin 80 % dieser Stickstofffracht abzufangen und als Ressource nutzbar zu machen. Für die Kläranlagen bringt das noch einen weiteren Vorteil. Während der feste Klärschlamm meist in die Verbrennung geht, muss das Zentratwasser nämlich die Kläranlage erneut durchlaufen. Obwohl es sich um ein kleines Volumen handelt, macht es bis zu 30 % der Stickstofffracht in der Kläranlage aus. Das ist so ähnlich, als würde man schmutziges Putzwasser immer wieder über den Boden gießen. Da die VMD die Stickstofffracht reduziert, brauchen die Bakterien weniger Sauerstoff für die Reinigung. Das spart Strom für die Belüftung der Klärbecken. Später im Faulturm steigt durch die geringere Stickstofffracht zudem die Biogaserzeugung. Kläranlagen sind wegen des Mehrfachnutzens und der bereits vorhandenen Ammoniak - der übersehene Energieträger Christian Platzer Ammoniak gilt seit kurzem als mögliche Alternative zu Erdgas - unter anderem deshalb, weil es im Vergleich zu Wasserstoff relativ unkompliziert gelagert werden kann und sich recht einfach per Schiff importieren lässt. Doch auch lokal gibt es viele Möglichkeiten, das stickstoffreiche Gas zu gewinnen. Das österreichische Forschungsinstitut AEE INTEC entwickelt ein Verfahren, um Ammoniak aus Kläranlagen und Industrieabwässern abzutrennen. Bild 1: Im Labor passte das Team von AEE INTEC die aus der Meerwasserentsalzung bekannte Membrandestillation für Ammoniakabscheidung aus Abwässern an. © AEE INTEC 17 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Infrastruktur ein guter Startpunkt für die Ammoniakrückgewinnung mit der VMD. Doch grundsätzlich lässt diese sich für alle Flüssigkeiten mit hoher Ammoniumfracht nutzen. Im Projekt gab es erste Ansätze, das neue Verfahren auch für Gärreste aus Biogasanlagen oder Urin von Autobahnraststätten anzuwenden. Damit sich die neue Technologie leicht an unterschiedliche Anforderungen anpassen lässt, hat das Forschungsteam ein numerisches Modell entwickelt. So lässt sich für jedes Abwasser schnell ermitteln, bei welcher Temperatur und welchem pH-Wert das Optimum zwischen Ammoniak- Abscheidung und Kosten liegt. Vom Ammoniak zum Strom Wie sich das Ammoniak in Strom und Wärme umsetzen lässt, hat das Institut für Wärmetechnik der TU Graz untersucht. Grundlage dafür ist eine Festoxid-Brennstoffzelle (Solid Oxide Fuel Cell, kurz SOFC). Wegen ihrer hohen Betriebstemperatur ist sie relativ robust. Das ist wichtig, denn Ammoniak ist kein einfacher Energieträger. Es ist korrosiv und im Vergleich zu reinem Wasserstoff eher träge, was seine Reaktion mit Sauerstoff betrifft. Dass die VMD kein reines Ammoniak liefert, sondern ein Gemisch mit Wasserdampf, ist eine zusätzliche Herausforderung. In den Labortests fand das Team der TU Graz heraus, dass mit 30 % Wasserdampf und 70 % Ammoniak ein stabiler und effizienter Betrieb der Brennstoffzelle möglich ist. Während der mehrwöchigen Testphase gab es zudem keine Hinweise auf eine höhere Korrosion. Steigern ließe dich die Effizienz noch, indem man Methan beimischt, das zum Beispiel aus dem Faulgas der Kläranlage stammen kann. Ebenfalls wichtig für die Effizienz ist die Integration des Gesamtsystems. So kann die Abwärme der Brennstoffzelle das Abwasser für die VMD-Anlage vorwärmen. Wirtschaftlichkeit am Beispiel der Kläranlage Gleisdorf Wie ein solches System in der Praxis aussehen könnte, haben die Beteiligten am Beispiel der Kläranlage Gleisdorf durchgerechnet. Diese reinigt mittlerweile mehr als doppelt so viel Abwasser, wie die Auslegung des Faulturmes ursprünglich vorsah. Künftig soll sie noch weiter wachsen und dann Abwasser von 49 000 Einwohner-Gleichwerten behandeln. Auf dieser Grundlage lässt sich die Wirtschaftlichkeit der VMD abschätzen. In den Faultürmen werden voraussichtlich 102 m 3 Zentratwasser pro Tag anfallen, in dem 1 500 mg Ammonium (NH 4 +) pro Liter enthalten sind - insgesamt also 152 kg täglich. Gelingt es wie im Labor, 80 % des Stickstoffs zurückzugewinnen, sind das umgerechnet 122 kg Ammoniak (NH 3 ) pro Tag. Das reicht, um drei Festoxid-Brennstoffzellen mit einer Nennleistung von je 5 kW zu betreiben. So erhält man 360 kWh elektrische Energie und 240 kWh Abwärme täglich. Im Zentratwasser bleiben dann noch 250 bis 300 mg Ammonium pro Liter zurück. Mit dieser Konzentration geht es zurück in den Kläranlagen-Zulauf. Für die Kläranlage bringt das mehrere wirtschaftliche Vorteile. Bei Strombezugskosten von 0,11 Ct/ kWh ersetzt die Brennstoffzelle Strom im Wert von 13 200 Euro pro Jahr. Außerdem muss das Hauptklärbecken durch die geringere Stickstofflast weniger stark belüftet werden. Das spart rund 5 400 Euro jährlich. So kommt eine Einsparung von 18 600 Euro zusammen - bei steigendem Strompreis ist es natürlich entsprechend mehr. Durch die geringere Stickstofffracht bleibt zudem mehr Kohlenstoff für die Biogasproduktion erhalten. Diese fällt daher um 6 % höher aus. Der finanzielle Wert des Biogases wurde im Projekt allerdings nicht beziffert. Die Kostenseite ist schwerer zu kalkulieren. Bisher gibt es nur Prototypen für die VMD-Anlage und die Brennstoffzelle. Anhand von Skalierungseffekten und Preisanfragen für die Komponenten hat das Forschungsteam geschätzt, wie hoch die Kosten in einer Serienfertigung sein könnten. Eine Investition würde sich demnach innerhalb von fünf bis acht Jahren amortisieren. Dabei ist bereits eingepreist, dass einzelne Komponenten wie Membranen und die Stacks der Brennstoffzelle nach einigen Jahren erneuert werden müssen. Seit der Kalkulation im Projektbericht sind der Wert des Stroms und des Biogases deutlich gestiegen, eine Trendwende ist nicht in Sicht. So kann man trotz der bei Innovationen unvermeidbaren Ungewissheiten sagen: Die Technologie lohnt sich. Die Projektpartner werden ihre jeweiligen Themen daher weiterverfolgen. Aus der Brennstoffzelle soll ein marktfähiges Produkt werden, das von einem OEM-Hersteller produziert werden soll. In Folgeprojekten sollen außerdem Abwasserströme aus der Lebensmittelindustrie und Gärreste aus Biogasanlagen untersucht werden. DI (FH) Christian Platzer, MSc. Forschungsgruppe „Wasser- und Prozesstechnologien“ AEE INTEC Kontakt: c.platzer@aee.at AUTOR
