Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2022-0084
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Die ersten Schritte auf dem Weg zum Positive Energy District
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Regine Wehner
Positive Energy Districts (PEDs) sind eine innovative Lösung, um eine positive Energiebilanz in Stadtteilen zu erreichen und damit den Zielen der Klimaneutralität, der dezentralen Energieerzeugung sowie dem intelligenten Energiemanagement näher zu kommen. Doch was genau umfasst die Lösung und wo können Städte ansetzen, um diese vielversprechende Lösung zu verwirklichen?
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46 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2050 klimaneutral zu sein. Eine Mammutaufgabe insbesondere für Städte, die für einen Großteil der globalen Treibhausemissionen verantwortlich sind und deren Energiehunger stetig wächst. Bereits seit vielen Jahren stellt die EU daher Fördergelder für Forschung und Innovation zum Thema Smart City bereit. Vor kurzem wurden zusätzlich die sogenannten „Missionen“ vorgestellt. Ein Förderprogramm im Rahmen von Horizont Europa, das speziell für die größten Herausforderungen unserer Zeit entwickelt wurde, für die konkrete Lösungen gefunden werden sollen. Eine der fünf Missionen trägt den Namen „Klimaneutrale und intelligente Städte“ und hat zwei Ziele: 100 europäische Vorreiterstädte auf dem Weg zu klimaneutralen und intelligenten Städten bis 2030 zu begleiten und Klimaneutralität für alle europäischen Städte bis 2050 zu realisieren. Um dies zu erreichen, muss eine ganze Bandbreite an Prozessen und Lösungen umgesetzt werden. Eine der innovativen Lösungen, deren Entwicklung seit einiger Zeit von der EU aktiv gefördert wird und welche auch in den Missionen eine große Rolle spielt, sind die sogenannten Positive Energy Districts - kurz PEDs. Bis 2025 soll es in Europa mindestens 100 PEDs geben. Dieser Artikel zeigt auf, wie PEDs aktuell in Vorreiterstädten des EU-Projekts ATELIER umgesetzt werden und welche Informations- und Beteiligungsmöglichkeiten für Städte vorhanden sind, die sich für das Thema PEDs interessieren. Was sind Positive Energy Districts? Zusammengefasst handelt es sich bei den Positive Energy Districts um kleine, energieeffiziente und energieflexible Stadtteile oder untereinander vernetzte Gebäude, die Netto-Null-Treibhausgasemissionen produzieren (net zero) und mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen. 1 Im Vergleich zu einzelnen energieeffizienten und energieproduzierenden Gebäuden (nearly zero energy buildings - NZEB) haben PEDs den Vorteil, mit dem Energienetz ihrer Umgebung stärker verbunden zu sein. Mit intelligenten Tools können so zum Beispiel Bedarfe aus dem Energienetz der Umgebung durch den Überschuss aus den PEDs bedient werden. PEDs sind daher die logische Weiterentwicklung von NZEBs. Des Weiteren ermöglichen PEDs eine dezentrale sowie diversifizierte Energieerzeugung und können somit die Abhängigkeit von einzelnen Energielieferanten verringern, die - wie in den letzten Monaten besonders deutlich wurde - allerlei Risiken birgt. Das Energiesystem eines PEDs besteht aus einer Vielzahl an Komponenten. Die wichtigsten vier sind: Erzeugung erneuerbarer Energie (zum Beispiel aus Photovoltaikanlagen oder mit Wärmepumpen) und Speicherung der Energie (zum Beispiel in Batterien oder Wärmespeichern) Energieeffizienz (zum Beispiel durch den Bau neuer besonders energieeffizienter Gebäude oder die Sanierung bestehender Gebäude) 1 Definition durch JPI Urban Europe: www.jpi-urbaneurope.eu/ ped Die ersten Schritte auf dem Weg zum Positive Energy District Smart Cities, Positive Energy District, Klimaneutralität, Massive Open Online Course Regine Wehner Positive Energy Districts (PEDs) sind eine innovative Lösung, um eine positive Energiebilanz in Stadtteilen zu erreichen und damit den Zielen der Klimaneutralität, der dezentralen Energieerzeugung sowie dem intelligenten Energiemanagement näher zu kommen. Doch was genau umfasst die Lösung und wo können Städte ansetzen, um diese vielversprechende Lösung zu verwirklichen? Scannen, um zum Video „What is a Positive Energy District? “ zu gelangen. Bild 1: Aus „Positive Energy Districts Factsheet“ (Smart Cities Marketplace). © basierend auf Grafik der Amsterdam University of Applied Sciences mit Input von Han Vandevyvere ( VITO) 47 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Flexibles Management (zum Beispiel durch die automatisiert gesteuerte Abgabe von überschüssiger Energie und Zuführung benötigter Energie mit dem umliegenden Netz) Integration von E-Mobilität (durch die Integration einer Ladeinfrastruktur in das PED-Energiesystem, die aktuell und vor allem künftig einen großen Energiebedarf darstellt) Ein Positive Energy District stellt nach außen nicht zwangsläufig eine deutlich abgrenzbare Einheit dar. Viel häufiger kommt es vor, dass in einer Umgebung nur einzelne miteinander vernetzte Gebäude oder Gebäudekomplexe einen PED bilden. Insbesondere die Energieerzeugung ist häufig nicht direkt am Gebäude, sondern beispielsweise mit einer Turbine an einem nahegelegenen Fluss angesiedelt. In welcher Konfiguration (wie etwa die Auswahl der Energiequellen) sich ein PED zusammensetzt, ist je nach Stadt höchst individuell und richtet sich nach den lokalen Gegebenheiten. Dies zeigt sich auch im EU-Projekt ATELIER, bei dem PEDs in Bilbao und Amsterdam umgesetzt werden. Aus ehemals industriellen Vierteln in Bilbao und Amsterdam werden moderne Innovation Hubs Im Herzen der baskischen Stadt Bilbao befindet sich die längliche Insel Zorrotzaurre. Das 60 Hektar große Areal beherbergte in den 1950er und 60er Jahren noch florierende Industrieunternehmen, bevor diese in den 70er und80er Jahren verschwanden. Nur eine Handvoll ist noch übrig - zusammen mit rund 500 Bewohnern. Mittlerweile erlebt die Insel wieder einen großen Umbruch und soll im Rahmen eines großen Stadtentwicklungsprogramms zu einem nachhaltigen, attraktiven Stadtteil mit gemischter Nutzung werden. Eine ähnliche Geschichte spielte sich im Stadtteil Buiksloterham im Norden der Stadt Amsterdam ab. Nachdem die Schwerindustrie ihre Standorte in Länder mit niedrigeren Löhnen verlagerte, blieb der verschmutzte Stadtteil zunächst ungenutzt. Seit einigen Jahren befindet sich Buiksloterham jedoch im Wandel und entwickelt sich immer mehr zu einem modernen Viertel mit innovativen Energie- und Bürgerbeteiligungskonzepten. Bilbao und Amsterdam sind sogenannte Leuchtturmstädte innerhalb des Projekts ATELIER - ein EUgefördertes Smart Cities and Communities Projekt im Rahmen des Forschungs- und Innovationsprogramms Horizont 2020, in dem in beiden Städten Positive Energy Districts umgesetzt werden sollen. Das Projekt, das seit November 2019 läuft, fügt sich sowohl in Bilbao als auch in Amsterdam in größere Entwicklungsvorhaben für die jeweiligen Stadtteile ein und treibt diese voran. In Bilbao wird der PED aus drei miteinander vernetzten Gebäudekomplexen entwickelt, die sich an unterschiedlichen Orten der Insel Zorrotzaurre befinden. Die drei Areale werden unter anderem mit Bild 2: Die Insel Zorrotzaurre im Herzen der baskischen Stadt Bilbao. © Ayuntamiento de Bilbao 48 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie einem Erdwärmesystem miteinander verbunden, das Energie zuliefert. Gleichzeitig soll die Insel in Zukunft ausschließlich mit emissionsfreien Elektrofahrzeugen befahrbar sein, für die eine Ladeinfrastruktur geschaffen wird, die in den PED integriert wird. In Amsterdam werden für die Umsetzung des PED zwei neue energieeffiziente Gebäudekomplexe errichtet, in denen erneuerbare Energie erzeugt wird. Auch hier soll ein smartes Energiesystem für die optimale Balance zwischen Erzeugung und Nutzung sorgen. Teil des Konzepts ist zudem die Schaffung einer Energy Community, in der die Bürger*innen des Viertels im Zentrum stehen. Ähnlich wie im Paradigmenwechsel von zentraler zu dezentraler und diversifizierter Energieerzeugung findet auch hier ein Wandel der Rolle von Bürger*innen von passiven Konsumenten hin zu aktiven Prosumenten statt. Klar ist, dass große Innovationsvorhaben dieser Art im Rahmen der Energiewende ohne die Beteiligung von Bürger*innen nicht gelingen können. Trotz aller top-down getriebenen Planungen der Baumaßnahmen finden daher zahlreiche Beteiligungsformate wie zum Beispiel Co-Creation Workshops zur Einbindung von Bürger*innen und weiteren Stakeholdern statt - sogenannte PED Innovation Ateliers. Durch den Austausch können individuelle Bedarfe in die Planung der PEDs integriert werden. Diese können auch Anregungen für ein besseres Wohlbefinden im Quartier enthalten und damit nicht direkt mit der Energiethematik verknüpft sein. Denn letztendlich geht es bei der Transformation unserer Städte auch darum, diese lebenswerter zu gestalten. Durch die Austauschformate kann ein größerer Rückhalt für die Vorhaben entstehen und rechtliche, finanzielle oder soziale Hindernisse vor der Umsetzung der PEDs schneller identifiziert werden. Bild 3: Zielbild für eines der energieeffizienten Gebäude (aktuell im Bau) als Teil des Positive Energy Districts im Stadtteil Buiksloterham im Norden Amsterdams. © Projectvisuals ATELIER ist ein durch die Europäische Union im Rahmen von Horizont 2020 gefördertes Forschungs- und Innovationsprojekt mit dem Ziel der Planung und Umsetzung von Positive Energy Districts (PEDs). Dies wird durch innovative Lösungen erreicht, die Gebäude mit intelligenten Lösungen für Energieerzeugung und -nutzung ausstatten. Neben den zwei Leuchtturmstädten Bilbao und Amsterdam wirken die sechs Partnerstädte Bratislava (Slowakei), Budapest (Ungarn), Kopenhagen (Dänemark), Krakau (Polen), Matosinhos (Portugal) und Riga (Lettland) mit. Diese Städte werden die erfolgreich implementierten Lösungen replizieren und anpassen und so als Testfelder für zukünftige Smart Cities dienen. Pro Stadt wird ein PED-Innovationsatelier gegründet mit dem Ziel, das lokale Innovationsökosystem zu stärken und rechtliche, finanzielle oder soziale Hindernisse für die Umsetzung intelligenter Lösungen - immer in Zusammenarbeit mit den Bürgern - zu beseitigen. Die EU fördert das Projekt mit 19,6 Mio EUR in einem Zeitraum von fünf Jahren seit November 2019. Es wird von einem Konsortium bestehend aus 30 Partnern unterschiedlicher Disziplinen aus 11 europäischen Ländern umgesetzt. Mehr erfahren: Website: www.smartcity-atelier.eu | Twitter: www.twitter.com/ atelierh2020 | LinkedIn: https: / / www.linkedin.com/ company/ atelierh2020/ ATELIER 49 4 · 2022 TR ANSFORMING CITIES THEMA Mit neuer Energie Von den Erfahrungen anderer Städte lernen ATELIER ist ein Forschungs- und Innovationsprojekt. Das bedeutet, dass die technischen und sozialen Ansätze auf innovative Art und Weise in Bilbao und Amsterdam als Pilotvorhaben erprobt werden. Wissenschaftliche Partner unterstützen das Projekt mit Analysen rund um die Umsetzung und Zukunftsperspektiven, nutzen es aber auch, um mit Monitoring- und Evaluationsmaßnahmen wertvolle Erkenntnisse über die Umsetzung von Positive Energy Districts zu erlangen. Gegen Ende des Projekts (voraussichtlich Herbst/ Winter 2024) wird es demnach einen großen Schatz an Lernerfahrungen geben, der auch für andere Städte zur Verfügung steht, die ebenfalls PEDs umsetzen wollen. Da es nach drei Jahren jedoch bereits eine Menge Wissen und Lernerfahrungen gibt, wurde vor kurzem die projekteigene Lern- und Austauschplattform pedlearning.eu gelauncht. Die Plattform richtet sich sowohl an Interessierte, die das Ziel der Klimaneutralität in ihrer Stadt mit Hilfe von PEDs vorantreiben wollen, jedoch noch über wenig Kenntnisse verfügen, als auch an Professionals, die sich bereits mitten im Prozess der PED-Umsetzung befinden. Das Lernen auf der Plattform wird durch einen interaktiven Massive Open Online Course (MOOC) unterstützt - eine kostenfreie und ansprechende Möglichkeit, in kurzweiligen aufeinanderfolgenden Einheiten Wissen zu erlangen. Mit dem PED Start Guide ist das erste Einstiegsmodul bereits online. Neun Experten aus dem Projekt ATELIER erklären in kleinen englischsprachigen Videoeinheiten in zwischen sieben bis 19 Minuten das PED-Konzept aus unterschiedlichen Perspektiven. Sie geben darüber hinaus erste Tipps an die Hand, welche Voraussetzungen gegeben sein sollten, um das Projekt Positive Energy Districts in der eigenen Stadt erfolgreich umzusetzen. Link: www.pedlearning.eu Mit EU-Projekten in die Umsetzung kommen Die Planung und Umsetzung eines PEDs ist ein komplexes Innovationsvorhaben, das sich ohne professionelle Begleitung und finanzielle Förderung nicht einfach verwirklichen lässt. Eine Möglichkeit, Zugang zu Begleitung und Förderung zu bekommen, ist die Beteiligung an einem EU-Projekt. Neben den Leuchtturmstädten Bilbao und Amsterdam gibt es im Projekt ATELIER sechs weitere Partnerstädte: Budapest, Bratislava, Kopenhagen, Krakau, Matosinhos und Riga. Sie nutzen das Projekt, um wichtige Voraussetzungen für die Planung und Umsetzung von PEDs zu schaffen. Dazu gehört beispielsweise die Verabschiedung eines Aktionsplans für Klima, der konkrete Maßnahmen für die Erreichung von städtischen Klimazielen bietet. Die Schaffung von PEDs kann dabei eine der Maßnahmen sein, die im Aktionsplan empfohlen wird. Gleichzeitig begleiten die Partnerstädte die Leuchtturmstädte Bilbao und Amsterdam, um erfolgreich getestete Maßnahmen später selbst zu übernehmen oder auch weniger erfolgreiche Maßnahmen zu meiden. Eine Stadt, die Interesse an Positive Energy Districts hat, kann also durch die Beteiligung an einem EU-Projekt als Partnerstadt die ersten Schritte gehen. Viele Ressourcen stehen für den Wissenstransfer bereit Wir, im Steinbeis Europa Zentrum, sind seit fast 20- Jahren in EU-geförderten Smart City-Projekten tätig und unterstützen Städte und Kommunen bei der Antragstellung. Häufig übernehmen wir in den Projekten auch die Aufgabe, Vertreter*innen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung oder Politik außerhalb des Projekts, die sich mit Smart Cities beschäftigen, auf die Aktivitäten der Projekte aufmerksam zu machen. Dazu gehören unter anderem die Erstellung von Kommunikationsmaterialien wie Websites oder die Organisation internationaler Veranstaltungen. Dadurch ermöglichen wir den Austausch unter Gleichgesinnten. Darüber hinaus unterstützen wir Partner im Projekt beim Innovationsmanagement. Wir helfen ihnen, ihre erarbeiteten Lösungen so weiterzuentwickeln, dass sie von der Zielgruppe außerhalb des Projekts direkt genutzt werden können. Aus dieser langjährigen Erfahrung wissen wir, dass es eine große Sammlung an Materialien (das heißt: Toolboxes, Best Practices Booklets, Publikationen) gibt, die für interessierte Städte hilfreiche Ressourcen sein können. Die Lernplattform pedlearning.eu des Smart City Projekts ATELIER bildet eine der neuesten Ergänzungen zu diesem großen Wissenspool. Wir können hier unter anderem die Angebote des Smart Cities Marketplace der EU-Kommission empfehlen: https: / / smart-cities-marketplace.ec.europa.eu/ Regine Wehner Project Manager Climate and Energy Transition for Communities & Cities Steinbeis Europa Zentrum Kontakt: Regine.Wehner@steinbeis-europa.de AUTORIN
