eJournals Transforming cities 8/1

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0003
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Die resiliente Innenstadt

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Christiane Marks
„Die gesunde Innenstadt“, „Soziale Funktionen in Innenstädten“, „Wasser – Fluch und Segen“, „Klimaanpassung im Bestand“, „Grün in der klimaadaptiven (Innen-)Stadt“, „Nutzungen jenseits des Handels“ – die Vielfalt der Themen, die das „Netzwerk Innenstadt NRW“ im Jahr 2022 in verschiedenen Veranstaltungsformaten bearbeitet hat, ist breit. Und doch standen alle unter einer gemeinsamen Überschrift: „Urbane Resilienz“.
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7 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Mittlerweile arbeiten 170 nordrhein-westfälische Kommunen im „Netzwerk Innenstadt NRW“ zusammen. Übergeordnetes Ziel: die Förderung des Erfahrungsaustauschs und die kollegiale Beratung der Städte und Gemeinden untereinander. Das Netzwerk versteht sich als dabei wachsende Arbeitsgemeinschaft, die für alle Städte, Gemeinden und Innenstadtakteur*innen des Landes NRW offen ist. Im Jahr 2022 lautete das Jahresthema: „Urbane Resilienz“. Und das nicht von ungefähr: Befinden sich unsere Städte doch in einem Dauerzustand der Anpassung an unerwartete Herausforderungen. Schließlich ist Transformation ein urbaner Normalzustand. Viele Entwicklungen werden dabei besonders in den Stadtzentren sicht- und spürbar. Vor diesem Hintergrund ist der Begriff der Resilienz schon seit einiger Zeit immer stärker in den Blickpunkt von Stadtentwicklung und Planungspraxis gerückt. Der vielfältige Veranstaltungs- und Formatreigen, den das „Netzwerk Innenstadt NRW“ im Jahr 2022 zum Thema durchgeführt hat, wurde Anfang April von der in Unna hybrid durchgeführten „Tagung Innenstadt“ eröffnet. Zwei Tage lang standen hier sowohl wissenschaftliche Grundlagen als auch praktische Beispiele zur „Resilienten Stadt“ im Fokus. Mehr als 150 Teilnehmende vor Ort und noch etwa dreimal so viele Menschen an den heimischen Computerbildschirmen verfolgten die Vorträge und Diskussionen und beteiligten sich aktiv an den Debatten. Aber damit nicht genug. Das Netzwerk bot über das Jahr verteilt zahlreiche weitere digitale Formate und Vor-Ort-Veranstaltungen zu verschiedenen Teilgebieten von „Urbaner Resilienz“ an: Fachleute und Praktiker*innen beschäftigten sich hier gemeinsam mit den Mitgliedskommunen etwa mit den Themen: „Die gesunde Innenstadt“, „Soziale Funktionen in Innenstädten“, „Wasser - Fluch und Segen“, „Klimaanpassung im Bestand“, „Grün in der klimaadaptiven (Innen-)Stadt“ und „Nutzungen jenseits des Handels“. Deutlich ist dabei in nahezu allen Veranstaltungen geworden: Resilienz ist ein Begriff, der aktuell im Wesentlichen in der wissenschaftlichen Betrachtung diskutiert wird. Für eine stärkere Nutzung im Kontext der Verwaltungsarbeit gilt es, den Begriff handhabbar und konkreter zu gestalten - und ihn für die Bürger*innen zu übersetzen, ihn kommunizierbar zu machen. Die resiliente Innenstadt Vorausschauend handeln, für neue Wege öffnen Resilienz, Soziale Stadt, Klimawandel, Alternativen zur Handelsfixierung Christiane Marks „Die gesunde Innenstadt“, „Soziale Funktionen in Innenstädten“, „Wasser - Fluch und Segen“, „Klimaanpassung im Bestand“, „Grün in der klimaadaptiven (Innen-)Stadt“, „Nutzungen jenseits des Handels“ - die Vielfalt der Themen, die das „Netzwerk Innenstadt NRW“ im Jahr 2022 in verschiedenen Veranstaltungsformaten bearbeitet hat, ist breit. Und doch standen alle unter einer gemeinsamen Überschrift: „Urbane Resilienz“. Bild 1: Wasser als Fluch und Segen für die Stadt war nur eines der zahlreichen Themen des Netzwerk Innenstadt NRW im Jahr 2022. © Imorde 8 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Innenstadt als erleb- und bespielbarer Raum Wirft man einen Blick auf die Zahl der Teilnehmenden, so konnte das Netzwerk allein mit den Veranstaltungen zur Resilienz im Jahr 2022 knapp über 1 000 Personen erreichen und so den Wissenstransfer für eine resiliente Innenstadtentwicklung in 170 nordrhein-westfälische Städten und Gemeinden sowie darüber hinaus transportieren. Zusätzlich fanden weitere Formate wie Arbeitsgruppen, Innenstadtgespräche und Experimentierlabore statt, die das Querschnittsthema Resilienz zumindest indirekt abdeckten: Dabei ging es beispielsweise um digitale Beteiligung, die Rolle von Kunst und Kultur für den öffentlichen Raum, die Innenstadt als erleb- und bespielbaren Raum, um Beschleunigung von Planungsprozessen sowie die komplexen Konstellationen von Innenstadtakteur*innen. Auch 2022 standen alle diese Themenfelder im Kontext des Sofortprogramms des Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Inhalte, Erfahrungen und Erkenntnisse, die in der Auseinandersetzung mit der resilienten Innenstadt sichtbar wurden, waren und sind dabei durchaus vielgestaltig - und warfen ein ums andere Mal nicht nur neue Fragen auf, sondern unterstrichen die Notwendigkeit von Perspektivwechseln. Was nicht wundern mag. Zeigt das Konzept Resilienz doch deutlich auf, dass neue Perspektiven auch frische Herangehensweisen, Entscheidungsmöglichkeiten, Lösungswege und Potenziale aufzeigen können - und müssen. Ein wichtiger Aspekt in diesem Kontext - der letztlich diverse Formate und Diskussionen bestimmte: Alt ist das neue Neu! Vor dem Hintergrund der globalen Klimakrise müssen wir uns viel stärker mit dem Bestand, der (Um-)Nutzung vorhandener Baustrukturen und der darin gebundenen Energie beschäftigen. Und das bedeutet auch, Umnutzungen als gute Beispiele und prestigeträchtige Projekte anzusehen und einen kreativen Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz zu üben. Planungen verschlanken und beschleunigen Dabei gilt es gleichzeitig zu betonen, dass Resilienz nicht ein „Zurückbouncen“ im klassischen physikalischen Sinne bedeutet, sondern dass jegliche Reaktion auf Krisen- oder Stresssituationen in eine aktive und bewusst zukunftsgewandte Entscheidungskultur überführt wird. Dazu braucht es - und daran müssen alle Kommunen arbeiten - ein widerstandsfähiges und flexibles sowie nachhaltiges Zukunftsbild der eigenen Innenstadt, welches die globalen Herausforderungen mit den lokalen Gegebenheiten in Einklang bringt. Das bedeutet in der Konsequent auch: Es gilt, Planungen zu verschlanken und zu beschleunigen, mehr Zugriffsmöglichkeiten für Kommunen zu schaffen, Anpassungen der Sanierungsrechte vorzunehmen und nicht zuletzt Fördergegebenheiten zu modifizieren. Wahr ist aber auch, dass die bereits vorhandenen Möglichkeiten in den gesetzlichen Spielräumen oftmals noch nicht vollends ausgeschöpft werden oder flexibler und umfassender eingesetzt werden könnten. Mit besonderem Blick auf die Innenstädte rückte die Frage der Nutzungen jenseits des Handels wenig überraschend schnell und oft in den Mittelpunkt. Konsens bestand dabei weitgehend darin, dass die Städte mit ihren Bewohner*innen aushandeln sollten und müssen, wie die Innenstädte zukünftig aussehen und genutzt werden sollen, welche Rolle die aktuell tragende Nutzung des Einzelhandels in Zukunft spielen wird, welche Vorstellungen überhaupt angestrebt werden und auch gewünscht sind. Die Antworten darauf dürften und werden je nach Kommune recht unterschiedlich ausfallen. Bild 2: Das Konzept Resilienz zeigt auf, dass neue Perspektiven auch frische Herangehensweisen, Entscheidungsmöglichkeiten, Lösungswege und Potenziale für die Innenstadt aufzeigen können - und müssen. © Imorde Weitere konkrete Fragestellungen, die im Laufe des Jahres behandelt und debattiert wurden, drehten sich um aktuelle und bevorstehende Risiken im Kontext des Klimawandels: innerstädtische Hitzeinseln, Hochwasser, urbane Sturzfluten etc. - wie lassen sich unsere Innenstädte widerstandsfähiger und unsere Strukturen flexibler gestalten? Welche Möglichkeiten bieten multifunktionale Lösungen, multicodierte Räume oder auch neue bzw. bekannte Technologien? Und wie kann dies mit einer Steigerung der Aufenthaltsqualität einhergehen? Einmal mehr bewährte sich hier das Credo des „Netzwerk Innenstadt NRW“: Der kollegiale Austausch und der Blick auf Projekte anderer Städte, die bereits Erfahrungen in der Umsetzung machen konnten, helfen ungemein. Deutlich wurde hierbei vor allem, dass insbesondere Einzelmaßnahmen mit grüner und blauer Infrastruktur einerseits zusammen und andererseits multidimensional gedacht werden müssen. Oftmals sind vielerorts in vielen Bereichen auch bereits gut ausgearbeitete Ansätze und Unterlagen vorhanden, an denen sich die Verwaltung, aber auch die Kommunalpolitik anderenorts orientieren kann. Widerstandsfähigkeit und Lernfähigkeit Gezeigt hat sich ebenso, dass Erfahrungen im Umgang mit Krisen die Resilienz von Kommunen steigern können und dass im Sinne von Lernfähigkeit und Flexibilität Kommunen gestärkt aus Krisenzeiten heraustreten. In schwierigen Zeiten werden die internen Strukturen, Denkmuster und Kommunikationswege herausgefordert, angepasst und flexibilisiert, was in späteren Situationen zu einer verbesserten 35. Oldenburger Rohrleitungsfo rum über 400 Aussteller ca. 100 Fachvorträge in den Weser-Ems-Hallen Oldenburg Rohrleitungen und Kabel Kritische Infrastruktur und Versorgungssicherheit www.iro-online.de 30. + 31. März 2023 Reaktionsfähigkeit - auch in der Außenkommunikation - führen kann. Ob es dabei um große strategische Fragen oder ganz konkrete Umsetzungsmaßnahmen geht: Um gemeinsam starke Transformationsprozesse durchsetzen zu können, braucht es sowohl ein gutes und auf Vertrauen basierendes Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung als auch einen aktiven Aushandlungsprozess zwischen politischem Willen und fachlicher Einordnung - immer mit einem mutigen Blick in Richtung einer Zukunft von und mit resilienten Städten. Widerstandsfähigkeit und Lernfähigkeit, Robustheit und Flexibilität - wie auch immer man Resilienz übersetzen möchte: Es geht darum, vorausschauend zu handeln, einen integrierten Blick in die Zukunft zu werfen und offen für neue Wege zu sein. Dabei sollten ausgetretene Pfade auch einmal verlassen werden, um Experimente zu wagen und die Transformation der Innenstädte aktiv zu gestalten. Resilienz ist in diesem Sinne eben kein reines Reagieren auf Krisen und Stress, sondern ein bewusstes, die Eigenheiten der eigenen Stadt einbeziehendes und fachlich fundiertes aktives Handeln, mit dem Ziel, den aktuellen, aber auch noch unbekannten zukünftigen Herausforderungen bestmöglich begegnen zu können. Christiane Marks Geschäftsführerin Netzwerk Innenstadt NRW c/ o IMORDE Projekt- & Kulturberatung GmbH Kontakt: info@innenstadt-nrw.de AUTORIN ANZEIGE