eJournals Transforming cities 8/1

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0007
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2023
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Mehr Sicherheit in Wohngebieten

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2023
Antje Flade
Das Defensible Space-Konzept, das der Architekt Oskar Newman bereits vor 50 Jahren propagiert hat, wird in Erinnerung gerufen. Ein Grund ist die derzeitige bauliche Verdichtung in Anbetracht der Notwendigkeit, bei knappem städtischem Baugrund viele Wohnungen herzustellen. Das Verdichten kann jedoch dazu führen, dass statt Defensible Spaces das Gegenteil, nämlich „vulnerable spaces“ entstehen, in denen sich die Bewohner und Bewohnerinnen nicht sicher fühlen und sich deshalb hinter ihren Wohnungstüren verschanzen. Ein ausgewogenes territoriale Gefüge kann dazu beitragen, Wohngebiete sowohl objektiv als auch subjektiv sicherer zu machen.
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20 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen Die Frage nach den Gründen, warum in manchen städtischen Bereichen und Wohnsiedlungen Kriminalität und Unsicherheitsgefühle überhand nehmen, hat in den 1960er Jahren in den USA zur Gründung der Institution „Crime Prevention Through Environmental Design“ (CPTED) geführt. Man hatte erkannt, dass eine mangelnde öffentliche Sicherheit auch mit der Umweltgestaltung zu tun haben kann. „The CPTED approach states that the proper design and effective use of the built environment can lead to a reduction in the fear and incidence of crime, and an improvement in the quality of life“ [1]. Verschiedene Modelle und Theorien zur Prävention von Kriminalität und Kriminalitätsfurcht wurden entwickelt. Eines davon ist das von Oskar Newman stammende Defensible Space-Konzept, das sich dadurch auszeichnet, dass es die räumliche Struktur eines Gebiets als kriminalitäts- und sicherheitsrelevantes Merkmal in den Blickpunkt rückt. Es sagt etwas darüber aus, was bei dem Entwurf und der Herstellung Mehr Sicherheit in Wohngebieten Rückbesinnung auf das Defensible Space-Konzept Öffentliche Sicherheit, Kriminalität, Unsicherheitsgefühle, Prävention, Zwischenzonen Antje Flade Das Defensible Space-Konzept, das der Architekt Oskar Newman bereits vor 50 Jahren propagiert hat, wird in Erinnerung gerufen. Ein Grund ist die derzeitige bauliche Verdichtung in Anbetracht der Notwendigkeit, bei knappem städtischem Baugrund viele Wohnungen herzustellen. Das Verdichten kann jedoch dazu führen, dass statt Defensible Spaces das Gegenteil, nämlich „vulnerable spaces“ entstehen, in denen sich die Bewohner und Bewohnerinnen nicht sicher fühlen und sich deshalb hinter ihren Wohnungstüren verschanzen. Ein ausgewogenes territoriale Gefüge kann dazu beitragen, Wohngebiete sowohl objektiv als auch subjektiv sicherer zu machen. Bild 1: Baustelle. © Flade 21 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen gebauter Umwelten zu beachten ist, damit sie „funktionieren“ und zwar auch in dem Sinne, dass die Kriminalitätsrate gering ist und Unsicherheitsgefühle selten sind [2]. Ein Defensible Space bietet Tätern keine Chance, ihre kriminellen Absichten zu verwirklichen. Die Bewohnerinnen und Bewohner können sich sicher fühlen. Eine differenzierte räumliche Struktur besteht nicht nur aus privaten und öffentlichen Bereichen, sondern enthält immer auch Übergangsbereiche bzw. Zwischenzonen. Inwieweit das „territorial functioning“ klappt, hängt von der Zusammensetzung aus privaten (primären), halböffentlichen (sekundären) und öffentlichen Territorien ab. Während öffentliche Bereiche für alle Menschen zugänglich sind - was sie zu anonymen Räumen macht -, gilt das nicht für die halböffentlichen Zwischenzonen. So dürfen zum Beispiel in der Bahn nur diejenigen mitfahren, die ein Ticket haben, oder in der Staatsbibliothek dürfen nur diejenigen Bücher ausleihen, die einen Bibliotheksausweis besitzen. Je nach der Art und Exklusivität der halböffentlichen Bereiche ist die Zugänglichkeit mehr oder weniger begrenzt. In Wohngebieten sind die Zwischenzonen (sekundäre Territorien) eher selten sichtbar markiert. Es gibt kein Ticket oder einen Pförtner oder festgefügte Mauern. Es sind subtilere Zeichen, die mitteilen, wer dazu gehört und wer nicht. Ein Beispiel sind Fußwege zwischen mehrstöckigen Häuserzeilen, die nicht als Durchgangsweg - also öffentliches Territorium - infrage kommen, weil sie in einer Sackgasse münden. Weitere Beispiele sind hinter dem Haus gelegene Höfe und Gemeinschaftsgärten sowie zur Wohnanlage gehörende Kinderspielplätze. Für das territoriale Funktionieren sind die sekundären Territorien essentiell. „Territoriality refers to the legitimate users’ sense of ownership or appropriation which reduces the opportunities for offending by discouraging illegitimate users … Territoriality aims to eliminate unassigned spaces and ensure that all spaces have a clearly defined and designated purpose“ [3]. Zwischenzonen sind nicht nur aus Sicherheitsgründen wichtig. Das soziale Leben im Wohngebiet und die Wohnzufriedenheit hängen davon ab. Die Bewohner und Bewohnerinnen können sich hier unverbindlich, informell, ohne jede Terminabsprache begegnen und ins Gespräch kommen. Dabei können sich soziale Beziehungen und ein Gefühl von Zugehörigkeit herausbilden. Kontakte, Kommunikation und das Gefühl der Zugehörigkeit verhindern Vereinzelung und Vereinsamung. Die positive Wirkung des „territorial functioning“ ist empirisch belegt. Dazu zwei Beispiele: Eine Untersuchung in einem Studentenwohnheim ergab, dass die Einbruchswahrscheinlichkeit in ein studentisches Apartment höher war, wenn dieses direkt an den öffentliche Bereich angrenzte, was vor allem für Eckwohnungen im Erdgeschoss zutraf. Hier hatte die „Pufferwirkung“ halböffentlicher Zwischenzonen Bild 2: Neubau-Gebiet. © Flade 22 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen gefehlt [4]. Die Analyse der Umwandlung eines großen öffentlichen Bereichs direkt vor den Häusern in kleinere halböffentliche Bereiche ergab, dass die Bewohner und Bewohnerinnen nachher weniger verängstigt waren (5). Damit sich die Menschen in den geplanten neuen Wohngebieten und künftigen Stadtteilen wohl und sicher fühlen, sollte die bauliche Verdichtung nicht auf die Spitze getrieben werden, indem die Zwischenzonen allzu sehr dezimiert oder einfach weg gelassen werden. Diese Tendenz besteht, wie die Bilder 1 und 2 zeigen. Differenzierte räumliche Anordnungen mit Übergangsbereichen zwischen den privaten Wohnungen und dem öffentlichen Raum fördern Begegnungen und das einander Bekanntwerden. Günstige Konstellationen sind der Hoftyp, in den keine Fremden kommen, und der Überdachungstyp [6]. Überdachungen verändern das Ambiente. Eine Einkaufsmeile, die von einem Glasdach überspannt ist, wirkt beispielsweise weniger öffentlich als eine Straße mit ähnlichen Geschäften unter freiem Himmel. Eine völlig andere, nicht auf territoriales Funktionieren abzielende Strategie, um die Wahrscheinlichkeit von Unsicherheitsgefühlen jenseits der eigenen Wohnungs- oder Haustür spürbar zu verringern, soll hier nicht unerwähnt bleiben: ein striktes Abgrenzen von öffentlichen Räumen in Form der Gated Communities. Anstelle von Zwischenzonen gibt es hier sehr klare, nicht misszuverstehende Grenzziehungen. Diejenigen, die sich die teuren Communities leisten können und geschützter leben wollen, ziehen in umzäunte, mit Überwachungsanlagen versehene abgeschottete Wohnanlagen, in denen Sicherheit garantiert ist. Bezogen auf den gesamten städtischen Raum wirken Gated Communities segmentierend, so dass sie aus kommunaler Sicht sowie aus der Sicht der außerhalb dieser Communities Lebenden keine befriedigende Lösung darstellen. Ergebnis ist „die fragmentierte Stadt“ [7]. Auch eine Verwandlung öffentlicher Räume in No-go-Areas ist im Zuge der Segmentierung nicht auszuschließen. Abgrenzungen sind ein Zeichen von Unsicherheit und Angst, was Theroux in literarischer Form beschrieben hat: „Ich hatte keine Lust, hier anzuhalten. Wer aus Oklahoma oder Texas stammt, brüstet sich gern mit seiner Freiheit und redet davon, wie eng zusammengepfercht die New Yorker leben müssen, aber die Landstädte hier kamen mir zum Ersticken eng vor. Schon die Art, wie sie angelegt waren, deutete auf Verteidigungsbereitschaft hin, als seien sie nur aus einer allgemeinen Angst entstanden. Das Raster entsprach dem einer Wagenburg“ [8]. Die strikte Abgrenzung vom öffentlichen Raum in Form von Gated Communities oder „Wagenburgen“ läuft auf ein „narrow the field“ hinaus, ein freiwilliges Verzichten auf Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten. Bei einem funktionierenden Mix aus privaten, halböffentlichen und öffentlichen Territorien erübrigt sich ein Verzicht auf Lebensmöglichkeiten. Das Fazit ist ein Plädoyer: In den in Planung befindlichen Wohnsiedlungen und künftigen Stadtteilen sollte es zwischen den Wohnungen und dem öffentlichem Raum sekundäre Territorien in allen möglichen Formen geben. Es lohnt, darüber nachzudenken, wie sich trotz des Gebots, viel Wohnraum auf begrenzten städtischen Flächen zu schaffen, ansprechende und unmissverständliche Zwischenbereiche realisieren lassen. LITERATUR [1] Montoya, L., Junger, M., Ongena, Y.: The relation between residential property and its surroundings and dayand night-time residential burglary. Environment and Behavior, 48 (2016), S. 517. [2] Newman, O.: Defensible Space. Crime prevention through urban design. New York: McMillan, 1972. [3] Montoya et al., a.a.O., S. 519. [4] Robinson, M. B., Robinson, C. E.: Environmental characteristics associated with residential burglaries of student apartments. Environment and Behavior, 29 (1997), S. 657 - 675. [5] Cherulnik, P. D.: Applications of environment-behavior research. Case studies and analysis. Cambridge: Cambridge University Press, 1993. [6] McCamant, K., Durrett, C.: Cohousing. A contemporary approach to housing ourselves. Berkeley, CA: Habitat Press, 1989. [7] Glasze, G.: Die fragmentierte Stadt. Ursachen und Folgen bewachter Wohnkomplexe im Libanon. Opladen: Leske+ Budrich, 2003. [8] Theroux, P.: Der alte Patagonien Express. 3. Aufl. München: Deutscher Taschenbuch Verlag, (1998) S. 52f. Dr. Antje Flade Diplom-Psychologin Angewandte Wohn- und Mobilitätsforschung (AWMF), Hamburg Kontakt: awmf-hh@web.de AUTORIN