Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0014
36
2023
81
Was wäre, wenn?
36
2023
Niklas Reinhardt
Moderne und komplexe Gesellschaften sind immer mehr der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgesetzt und sind immer öfter von Störungen der technischen Infrastrukturen betroffen. Die Auswirkungen schon kleinster Schocks können wie Kaskaden ganze Versorgungsnetze lahmlegen und die Gesellschaft in ihrem Kern treffen. Mit Hilfe neuer Modelle und gekoppelter Simulationen wird es zukünftig möglich, das Zusammenwirken von Technik, Infrastruktur, Einsatzkräften und Bevölkerung zu erforschen, Auswirkungen zu simulieren und Handlungsoptionen abzuleiten sowie vor allem die gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere oder neue Bedrohungen zu übertragen.
tc810051
51 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen Wenn die Rede auf das Thema öffentliche Sicherheit fällt, denkt man unweigerlich an naturbedingte Katastrophen wie das Hochwasserereignis im Ahrtal vor knapp zwei Jahren, extreme Wetterereignisse, Hitze und Trockenheit oder natürlich das globale Pandemiegeschehen. Zusätzlich fordern auch von Menschen gemachte Unglücke die öffentliche Sicherheit immer wieder heraus, beispielsweise Was wäre, wenn? Neue Simulationen sollen die Auswirkungen von KRITIS- Ausfällen erlebbar machen. Öffentliche Sicherheit, Infrastruktur, Krisenprävention, Kaskadeneffekt, KRITIS Niklas Reinhardt Moderne und komplexe Gesellschaften sind immer mehr der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgesetzt und sind immer öfter von Störungen der technischen Infrastrukturen betroffen. Die Auswirkungen schon kleinster Schocks können wie Kaskaden ganze Versorgungsnetze lahmlegen und die Gesellschaft in ihrem Kern treffen. Mit Hilfe neuer Modelle und gekoppelter Simulationen wird es zukünftig möglich, das Zusammenwirken von Technik, Infrastruktur, Einsatzkräften und Bevölkerung zu erforschen, Auswirkungen zu simulieren und Handlungsoptionen abzuleiten sowie vor allem die gewonnenen Erkenntnisse auch auf andere oder neue Bedrohungen zu übertragen. Bild 1: Komplexe Großstadt - ohne die nötige Datenbasis, neue Modelle und gekoppelte Simulationen sind die Auswirkungen von natürlichen oder menschengemachten Schadenslagen kaum abzuschätzen. © Philip Plum / Fraunhofer FOKUS 52 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen bei Großveranstaltungen mit Paniksituationen wie 2010 in Duisburg oder letztes Jahr in Seoul, grenzüberschreitende Cyber-Verbrechen, die Behörden, Kommunalverwaltungen und andere staatliche Stellen teilweise ausschalteten, sowie der andauernde Krieg in der Ukraine mit seinen indirekten und auch direkten Auswirkungen auf die globale Versorgungslage. Die Krisen werden zum Normalzustand, viele dauern an, sie werden immer komplexer und sind von vielen Faktoren abhängig, denn in so gut wie allen Lebensbereichen sind Mensch und Technik heute hoch vernetzt. In der Forschung sprechen wir daher über die moderne Gesellschaft als „soziotechnisches System“. Und in einem solchen System, in dem (fast) alles miteinander zusammenbzw. voneinander abhängt, können sich Krisen und sogar punktuelle Störungen rasend schnell entwickeln und über das ganze System verbreiten in sogenannten Kaskaden oder sogar Multi-Kaskaden. Eine Herausforderung für den Umgang mit dieser Situation ist, dass viele der vorhandenen und zum Teil hoch spezialisierten Lösungsansätze und -technologien sich vor allem auf die Abwehr und Behebung lokaler Störungen in der einzelnen Domäne richten. Die Grundidee: Wenn eine Störung eintritt, dann muss sie möglichst umfassend abgewehrt und der Schaden schnell behoben werden, damit das betroffene System insgesamt in seinem Ausgangszustand erhalten bleibt. Was für überschaubare Systeme ohne technische Durchdringung ein probates Vorgehen ist, stößt in Zeiten der digitalen Vernetzung und in hochtechnisierten Gesellschaften an seine Grenzen. Betrachtet man zum Beispiel die Bedrohungen durch Klimawandel, Pandemie oder Kriegsfolgen, so sind heute die Ausmaße und Entwicklungen der zu behebenden Schäden nur schwer im Voraus zu identifizieren und singuläre Lösungen, damit alles wieder in gewohnten Bahnen verläuft, unmöglich. Die wechselseitigen Abhängigkeiten zwischen Menschen und Technik und die Wirkungsmechanismen der Störungen sind zu komplex. Immer mehr Menschen stellen zum Beispiel fest, dass die Welt nach der Pandemie nicht mehr die gleiche ist wie vorher. Eine Frage, die sich die Forschung also stellen muss, ist, wie die Ausbreitung eines lokalen Ereignisses auf die Gesamtbevölkerung zukünftig besser prognostiziert werden kann und wie Abhängigkeiten über die Grenzen einer Domäne oder einer Verantwortlichkeit hinweg mit anderen zusammenhängt und sich auf andere auswirkt. Hier spielen neue Modelle und genauere Simulationen eine wichtige Rolle. Potenzielle Schäden und Risiken zu verstehen heißt, das System in seiner Komplexität zu verstehen und abzubilden. Durch das Modellieren komplexer Logistiknetze und Warenketten wird etwa nachvollziehbar oder auch prognostizierbar, welche Auswirkungen Dürren in Nordchina und Taiwan auf die Lieferketten für Halbleiter haben und wie sie letztlich zu einem Chip-Mangel bei der deutschen Automobilindustrie führen bzw. diese fast lahmlegen können. Realistische Szenarien für die Forschung Zwei fiktive, aber durchaus mögliche Szenarien in einer Großstadt sollen diese sozio-technischen Abhängigkeiten noch einmal verdeutlichen: Erstens eine kaskadierende Situation durch schwere Gewitter, die mit hohen lokalen Niederschlagsmengen das öffentliche Leben massiv stören. Durch die Auswirkungen von solch lokal konzentrierten Niederschlägen kommt es zu Störungen der technischen Infrastrukturen, beispielsweise der Stromversorgung. Weitere Auswirkungen folgen und betreffen am Ende sogar die Gas-, Wasser-, Abwasser- und die Telekommunikationsversorgung. Die Konsequenzen sind Versorgungsengpässe nicht nur bei den direkt betroffenen, sondern auch den mittelbar betroffenen Güter und Ressourcen, zum Beispiel: verderbende Lebensmittel im Supermarkt, weil die Kühlung versagt oder weil LKWs wegen Ausfall der elektrischen Pumpen an Tankstellen nicht mehr fahren und liefern können. Auch der ÖPNV ist betroffen, Menschen müssen auf Bahnhöfen ausharren oder die Nacht im Zug verbringen. Viele weitere Beeinträchtigungen folgen und lokale Lösungsansätze können hier allenfalls punktuell für Abhilfe sorgen. Ein zweites Beispiel: Eine Explosion auf einer bzw. auf mehreren parallelen Veranstaltungen im Stadtgebiet mit vielen tausend Besucher*innen sorgt für teils chaotische Zustände. Durch panikartige Fluchtbewegungen einiger Besucher*innen und gleichzeitig einem unkontrollierten Zulauf von Schaulustigen, die für Handyfotos sich selbst und andere in Gefahr bringen, entsteht auch hier eine komplexe soziotechnische Gemengelage aus Besucherströmen, verletzten und verunsicherten Veranstaltungsgästen, Schausteller*innen, Budenbesitzer*innen und Sicherheitspersonal sowie Veranstaltungstechnik, baulichen Gegebenheiten, ÖPNV, Straßenverkehr und vieles mehr. Dabei spielt es zunächst keine Rolle, ob es sich bei der Explosion um eine technische Panne oder einen geplanten Anschlag handelt. Relevant für den systemischen Blick ist vor allem, dass die in die Breite wachsende Gefährdungssituation eine so hohe Dynamik und Unübersichtlichkeit entwickelt, dass die Abwehr und Behebung der ursächlichen Störungen und ihren direkten Folgen nicht weit genug trägt. 53 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen PREPARE Vorbereiten Politik und Verwaltung Forschung und Entwicklung (FuE) Interaktive, virtuelle Lagevisualisierung Neue Modelle und agentenbasierte Simulationen Kritische Infrastrukturen (KRITIS) Sicherheitsindustrie Resilienz & Sicherheit IMPACT TRANSFER SIMULATION RECOVER Regenerieren PREVENT Vorsorgen RESPOND Reagieren PROTECT Schützen Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) Digitale Gebäude- und Infrastrukturzwillinge Sichere Versorgungsnetze und Infrastrukturen Kommunikations- Schutz und Reaktionsfähigkeit von Einsatzkräften, Helfern und Bevölkerung Agentenbasierte Simulationen von Kaskadeneffekten und Menschenströmen Mapping von Drohnenbildern auf Landschaftsmodellen Nutzung von Echtzeitsensordaten und interpretierten Daten 3-dimensionale »Multi-User Virtual Reality«-Umgebungen Ereignis Entscheidungsunterstützung und Handlungsoptionen Simulations- und Demonstrationsplattform Geschäftsmodelle und Technologieberatung Workshops und Veranstaltungen Trainings und Schulungen Wissenschaftliche Analysen Um diesen systemischen Gesamtblick auf komplexe Schadenslagen zu ermöglichen, nahm Anfang des letzten Jahres das neue Fraunhofer-Zentrum für die Sicherheit Sozio-Technischer Systeme (kurz: Fraunhofer SIRIOS) seine Arbeit auf. Für fünf Jahre gefördert von Bund und Land Berlin soll das Forschungszentrum die Bedarfsträger*innen der öffentlichen Sicherheit, wie beispielsweise Sicherheitsbehörden und -organisationen (BOS), Betreiber*innen kritischer Infrastrukturen (KRITIS), Veranstalter*innen von großen Events sowie Städteplaner*innen und Sicherheitsbeauftragte mit Hilfe neuer Simulationswerkzeuge dabei unterstützen, die gesellschaftliche Resilienz zu stärken und sich auch für unerwartete Risiken zu rüsten. Die genannten Szenarien bilden dafür einen wichtigen Anknüpfungspunkt. Konkret heißt dies, dass neuralgische Gebäude in der Stadt, kritische Infrastrukturen wie Bahnhöfe, Krankenhäuser und Strom-, Gas-, Wasser- und Telekommunikationsnetze digital nachgebildet werden. Auch Kommunikationsstrukturen zwischen Behörden und zur Bevölkerung sowie das Verhalten von Menschen, deren Fluchtbewegungen und Kommunikationsfähigkeit in kritischen Situationen, fließen in die Modelle ein. Dabei kann zwar nie die gesamte Realität in allen Details erfasst werden, aber zumindest für die Krisenbewältigung relevante Ausschnitte. Und je besser die Datenlage ist, desto genauer können auf Basis dieser Modelle Krisenlagen simuliert und erprobt werden. Innerhalb der nächsten Jahre sollen so gekoppelte Simulationen, also die Verbindung verschiedener Einzelsimulationen von urbanen Lebensräumen und Infrastrukturen, entstehen und schließlich in einer Trainings- und Schulungsumgebung sowie für die Entscheidungsunterstützung in Krisensituationen oder die Veranstaltungsplanung eingesetzt werden. Damit können nicht nur bekannte Krisenszenarien erneut trainiert und vorhandene Schwächen in deren Bewältigung identifiziert und beseitigt, sondern auch das Unerwartete, ja Undenkbare in vielfältigen „Was-wärewenn“-Szenarien vorbereitet, durchgespielt und virtuell erlebt werden - perspektivisch auch jenseits von Extremwetter- und Großveranstaltung. Forschungsperspektiven für Simulationen Auf vier Schwerpunkte zielen die initialen Forschungs- und Entwicklungsarbeiten von Fraunhofer SIRIOS ab und stellen die Basis für eine perspektivische Erweiterung des gesamten Forschungsspektrums in den nächsten Jahren dar. So sollen Simulationswerkzeuge für sichere Versorgungsnetze und Infrastrukturen ermöglichen, Gebäudeschäden oder auch den Kollaps von Infrastrukturen und Bild 2: Simulation - Transfer - Impact: Der systematische Austausch zwischen Forschung und Anwendung soll Chancen und Schwachstellen identifizieren, um die gesellschaftliche Resilienz zu stärken. © Fraunhofer SIRIOS 54 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen Netzen abzuschätzen und zu visualisieren. Im Zentrum stehen dabei einerseits Fragen zur baulichen Vulnerabilität, Funktionsbeeinträchtigung und Schadensprognose, also zum Beispiel welche Straßenzüge bei Starkregen zuerst für Rettungseinheiten unpassierbar werden und welche Gebäude so kritische Zustände erreichen, dass eine sofortige Evakuierung der Bewohner*innen nötig ist. Andererseits werden dafür Versorgungsnetze (Strom, Gas, Wasser) digital erfasst, um physikalische Schäden bis hin zum Ausfall zu prognostizieren und deren Ausbreitungsgeschwindigkeiten von einer Netzinfrastruktur auf die andere zu quantifizieren. Neben der Prognose und Analyse spielen hier auch Maßnahmen zum Umgang mit den Schäden eine wichtige Rolle, wie zum Beispiel Vorgehensweisen für eine unterbrechungsfreie Stromversorgung mittels Notstromsystemen oder Lösungen für (neue) Warnmethoden und -systeme, um auch kurzfristig mit betroffenen Bevölkerungsgruppen interagieren zu können. Ein anderer Schwerpunkt stellt den Schutz und die Reaktionsfähigkeit von Einsatzkräften, Helfer*innen und der Bevölkerung in den Mittelpunkt. Ziel ist es, die Einsatzführung bei zeitkritischen operativ/ taktischen Entscheidungen mit Simulationen und Visualisierungen der Lage zu unterstützen und eine intelligente Entscheidungshilfe anzubieten. Damit können die potenzielle Lageentwicklung, Kaskadeneffekte, Beschädigungen an Gebäuden, Strommasten oder Bäumen vorab analysiert und bewertet werden. Offene Schnittstellen für andere Modelle, Algorithmen und Sensoren machen das System adaptierbar für weitere naturbezogene oder anthropogene Schadenszenarien (zum Beispiel: Waldbrände oder Cyberangriffe). Ein weiterer Forschungsschwerpunkt liegt auf der interaktiven, virtuellen Lagevisualisierung, so dass mehrere Personen an einer gemeinsamen Simulation teilnehmen, ohne dass sie sich real in dieser Umgebung oder auch nur am selben Ort befinden. Dafür wird eine vernetzte dreidimensionale Multi-User Virtual Reality-Umgebung geschaffen, in der zum Beispiel Schadenslagen mit Massenpaniken simuliert und visualisiert sowie in der realen Welt unsichtbare Informationen (zum Beispiel: unterirdische Versorgungsleitungen) eingeblendet, physische Schutzmaßnahmen (zum Beispiel: mobile oder stationäre Zufahrtsschutzsperren) konzipiert und mit den realen Begebenheiten (zum Beispiel: Flucht- und Rettungswege) abgeglichen werden können. Beim Schwerpunkt der Kommunikations- und Handlungseffizienz schließlich geht es um die Planung von Warnmitteln, das Testen und Optimieren der Krisenkommunikation sowie die virtuelle Bewertung von Sicherheitskonzepten speziell bei Großveranstaltungen. Auf Basis menschlicher Verhaltensparameter werden dafür im virtuellen dreidimensionalen Raum Besucherströme und deren Reaktionen auf kritische Vorkommnisse durchgespielt. Um die Wirkungen von Warnmitteln wie Sirenen, Lautsprechern und Apps zu bewerten, können hier mit Hilfe intelligenter Bild- und Videoauswertungen sowie Lagevisualisierungen die Personendichte, individuelle Handlungen, die Hör- und Sichtbarkeit von Warnungen usw. modelliert und simuliert werden. Soweit die Verhaltensmodelle und Warnmittel auch auf andere Szenarien übertragbar sind, können perspektivisch zum Beispiel auch kritische Situationen an Flughäfen, Bahnhöfen oder in Krankenhäusern untersucht werden. Gesamtheitliche Simulationen und systematischer Austausch Um all die beschriebenen Ansätze den Bedarfsträger*innen zugänglich zu machen, arbeitet eine Gruppe von Expert*innen in einem Querschnittsprojekt an der Integration der verschiedenen entwickelten Modelle, Simulationen und Systemkomponenten. Auf diese Weise sollen die Forschungs- und Entwicklungsarbeiten in einer oder mehreren gekoppelten (Gesamt-)Simulationen zusammengeführt werden, um dem Anspruch des systemischen Gesamtblickes zu entsprechen. Darüber hinaus wird eine offene Systemarchitektur auch die Anbindung externer (kommerzieller und nicht- Das Fraunhofer-Zentrum für die Sicherheit Sozio- Technischer Systeme (kurz: Fraunhofer SIRIOS) in Berlin macht komplexe Sicherheitsszenarien erleb- und beherrschbar, um die Sicherheit und Resilienz in der Gesellschaft zu erhöhen. Das im Jahr 2022 gegründete Fraunhofer-Zentrum bündelt die Expertise der Fraunhofer-Institute EMI, FOKUS, IOSB und IVI. Die Forschungsschwerpunkte liegen dabei in den Bereichen digitaler Gebäude- und Infrastrukturzwillinge, sicherer Versorgungsnetzte und Infrastrukturen, kollaborativer Mithelfersysteme, virtueller Lagevisualisierung und der Kommunikations- und Handlungseffizienz in Krisensituationen. Die Vision ist es, für seine PartnerInnen und BedarfsträgerInnen in der öffentlichen Sicherheit eine in Europa einzigartige Forschungs-, Test- und Trainingsumgebung für gekoppelte Simulationen komplexer Sicherheitsszenarien aufzubauen. Fraunhofer SIRIOS verfügt über eine fünfjährige Anschubfinanzierung durch den Bund und das Land Berlin. FRAUNHOFER SIRIOS 55 1 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Krisen managen kommerzieller) Systeme ermöglichen, um perspektivisch gemeinsam mit den Anbieter*innen technischer Systeme vorhandene Schwachstellen und technisch-organisatorische Synergien zu erkennen, und zwar schon bevor die Simulationen für echte Schulungen und Trainings durchgeführt werden. Szenario-orientierte Simulation muss als technologieoffene und ressortübergreifende Methodik für alle beteiligten Stakeholder gesehen werden. Die Forschungsarbeiten werden daher fest in einem Anwendungs-Netzwerk mit Partner*innen aus Behörden, Industrie, Forschung, Politik und Gesellschaft verankert, so dass der systematische Austausch mit allen direkt und indirekt betroffenen gesellschaftlichen Gruppen von Anfang an sichergestellt ist. Im Rahmen dieses Netzwerkes sollen erste Teillösungen und Komponenten bereits Ende dieses Jahres in einem sozio-technischen Transfer- Lab am Standort Berlin implementiert und getestet werden. Diese Demonstrationsumgebung hilft dabei, Bedarfe zu erfassen und in die Forschung einzubringen, damit die Technologieentwicklung nicht als „Selbstzweck im Elfenbeinturm“ endet. Denn ganz im Gegenteil muss Systementwicklung und anwendungsorientierte Forschung immer in einem Kontext aus rechtlichen Rahmenbedingungen, Arbeitsweisen von Behörden und Organisationen, Geschäftsmodellen von Technologieunternehmen und natürlich auch im Kontext von anderen schon im Einsatz befindlichen Lösungen stattfinden. Desweiteren sorgt das Transfer-Lab auch für Transparenz und hilft die Akzeptanz neuer Technologien in der Bevölkerung frühzeitig zu adressieren. Nur gemeinsam mit allen Partner*innen können nachhaltige und anwendungsorientierte Systeme entstehen und sich bewähren. Erfahrungen von und mit KRITIS Um den Austausch von Perspektiven, Bedarfen und technischen Möglichkeiten dreht es sich auch bei den Fachworkshops, die Fraunhofer SIRIOS regelmäßig mit Praktikern, Behörden und Wissenschaftler*innen durchführt, zuletzt Ende Januar mit rund 20 Teilnehmer*innen unter anderem aus den Bereichen Elektrizität und Stromnetze, Wasserversorgung, Mobilität, Telekommunikation, Rettungswesen bzw. Krankenhaus sowie pharmazeutische Industrie. Neben der fachlichen Vernetzung zwischen Forschung und Anwender*innen hinaus entstand dabei auch ein produktiver Austausch zwischen den verschiedenen KRITIS-Domänen selbst und es konnten übergreifende Problemlagen und Fragestellungen aufgezeigt werden, mit denen die Sicherheitsverantwortlichen umzugehen haben. So wurde zum Beispiel das Thema Kommunikation - sowohl in technischer, organisatorischer als auch personeller Hinsicht - als ein zentrales Thema diskutiert. Störung oder gar Ausfall der Kommunikationsinfrastrukturen treffen alle Domänen hart. Dabei reicht das Thema über die jeweils einzelne Organisation hinaus und betrifft auch das Zusammenspiel der Domänen. Nach dem Motto: In Krisen Köpfe kennen, wurde der Wert eines übergreifenden Austauschs und die Möglichkeit, Synergieeffekte zwischen den KRITIS-Anwender*innen zu finden, von vielen Teilnehmer*innen des Workshops für besonders wichtig erachtet. Auf technischer Ebene besteht vor allem der Wunsch nach Interaktion: So gebe es schon vielfach ausgereifte Simulationen in Infrastrukturbetrieben, doch seien zum einen die Werkzeuge oftmals nicht kompatibel und zum anderen stünden dem Datenaustausch rechtlich, organisatorisch und betriebswirtschaftlich große Hürden im Wege. Die Folge: Gerade die so wichtige Betrachtung von übergreifenden Kaskaden bleibe vielfach auf der Strecke und die Frage, wie alle Beteiligten für das Krisenmanagement zu einem gleichen Verständnis kommen, oftmals unbeantwortet. Da die Vernetzung auf der persönlichen Ebene vielfach der organisatorischen, fachlichen und technischen Zusammenarbeit vorweggeht, will Fraunhofer SIRIOS als neutrale und anbieterunabhängige Plattform auch diesen Weg des persönlichen Austauschs in Zukunft weiterverfolgen und allen Netzwerk- PartnerInnen den Rahmen für weitere Gespräche und Brainstorming anbieten. Niklas Reinhardt Leiter Kommunikation und Netzwerk Fraunhofer-Zentrum für die Sicherheit Sozio-Technischer Systeme (Fraunhofer SIRIOS) Kontakt: niklas.reinhardt@sirios.fraunhofer.de AUTOR
