Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0027
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Wärmenetze im Wandel: Umbau à la Carte
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Joachim Kelz
Ein Wärmenetz schrittweise für einen klimafreundlichen Betrieb umzugestalten, ist immer eine individuelle Aufgabe. Das österreichische Leitprojekt ThermaFLEX hat zehn innovative Demo-Projekte in kleinen, mittleren und großen Fernwärmenetzen begleitet und ausgewertet. Herausgekommen ist eine Sammlung von Technologien und Methoden, aus denen sich die Wärmeversorger je nach den Anforderungen ihres Netzes ein eigenes Wärmewendemenü zusammenstellen können.
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10 2 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie Es ist noch nicht lange her, dass ein Wärmenetz als klimafreundlich zählte, wenn die Wärme vor allem aus Holzhackschnitzeln kam. Doch heute ist es nicht mehr so einfach. Ein Konzept wie das Bioenergiedorf, das in bestimmten Fällen gut funktioniert, kann nicht die Lösung sein, wenn es darum geht, die Wärmenetze ganzer Länder zu dekarbonisieren. Vielmehr gilt es, die jeweiligen lokalen Ressourcen zu erschließen. In vielen Fällen muss man dafür auch unkonventionell denken. Manche Ressourcen lassen sich nur dezentral an bestimmten Standorten einbinden, andere fluktuieren zeitlich und erfordern neue Wärmespeicher, wieder andere eine Anpassung der Regelungen. In kurzer Zeit das jeweils beste Konzept zu finden und einzubinden, wird eine Schlüsselaufgabe für die Wärmewende sein. Im Großforschungsprojekt ThermaFLEX hat ein transdisziplinäres Team von 28 Partnern unter der Leitung von AEE INTEC die Erfahrungen aus zehn Demo- Projekten an unterschiedlichen Standorten zusammengetragen. ThermaFLEX wurde aus Mitteln des Klima- und Energiefonds gefördert und stand unter dem Schirm des Green Energy Lab als Teil des Programms „Vorzeigeregion Energie“. In den einzelnen Demo-Projekten geht es um sehr unterschiedliche Aspekte der Integration innovativer Wärmeerzeuger, die jeweils zum Gelingen eines Projektes nötig sind. Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten stand bei ThermaFLEX nicht die Entwicklung eines klassischen Leitfadens im Vordergrund, der sich Schritt für Schritt abarbeiten ließe. Vielmehr bietet ThermaFLEX eine Auswahl an, aus der sich Wärmenetzbetreiber die für ihr Netz passenden Ansätze zusammenstellen und Wärmenetze im Wandel: Umbau à la Carte Wärmewende, Wärmenetze, Abwärme, Bioenergie, erneuerbare Energien Joachim Kelz Ein Wärmenetz schrittweise für einen klimafreundlichen Betrieb umzugestalten, ist immer eine individuelle Aufgabe. Das österreichische Leitprojekt ThermaFLEX hat zehn innovative Demo-Projekte in kleinen, mittleren und großen Fernwärmenetzen begleitet und ausgewertet. Herausgekommen ist eine Sammlung von Technologien und Methoden, aus denen sich die Wärmeversorger je nach den Anforderungen ihres Netzes ein eigenes Wärmewendemenü zusammenstellen können. Bild 1: Die Koordination der Stakeholder war bei ThermaFLEX ein zentrales Thema, wie hier bei der Planung der Sektorkoppelung mit der Kläranlage am Standort in Gleisdorf. Hier ist mittlerweile eine Wärmepumpe zur Nutzung der Energie aus Abwasser installiert. © Klimafonds / Krobath Bild 2: Grüne Energien werden auch in der Fernwärme- Versorgung immer wichtiger. Entsprechend isolierte Fernwärmerohre minimieren dabei die Wärmeverluste. © Klimafonds / Krobath 11 2 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Energie bei Bedarf noch weiter variieren können. Statt einer festen Speisenfolge gibt es sozusagen eine Wärmewende à la carte, bei der wie in jedem guten Restaurant obendrein noch Anpassungen an die individuellen Bedürfnisse möglich sind. Drei Dimensionen der Wärmewende Die verschiedenen Aspekte stellt ThermaFLEX in einer Art Kleeblatt dar. Jedes der drei Teilblätter steht für eine Dimension der Wärmewende. Die technischen Komponenten, wie Wärmepumpen oder Speichertechnologien, bilden das erste Teilblatt. Sie lassen sich vergleichsweise einfach von einem Projekt auf andere übertragen, sofern sich physikalische Randbedingungen ähneln. Ein Beispiel hierfür ist die Modernisierung und Integration einer Wärmepumpe in einem Bioenergie-Netz, wie in Saalfelden. Dabei war es wichtig, im ersten Schritt Effizienzpotenziale im Netz zu heben und die Wärmepumpe erst danach auf das optimierte Netz hin anzupassen. Es gibt in Österreich hunderte dörfliche Wärmenetze mit hohem Bioenergie-Anteil, für die das Konzept in ähnlicher Weise nutzbar wäre. In einem anderen Demo-Projekt bezog sich eine Fragestellung auf die Nutzung von Wärme aus einem Abwasserkanal. Der Betreiber der Kläranlage fürchtete, die Reinigungsleistung der Bakterien im Klärbecken könnte durch das kühlere Abwasser sinken. Das Monitoring zeigte, dass die Abwärmenutzung mit den gegebenen Rahmenbedingungen unproblematisch ist. Diese Erkenntnis lässt sich mit den passenden Parametern auch auf andere Projekte übertragen. Im zweiten Teil des Kleeblatts untersuchte ThermaFLEX nichttechnische Maßnahmen wie die Integration von Stakeholdern und innovative Geschäftsmodelle. Das ist zum Beispiel für die Nutzung von unterschiedlichen Abwärmequellen aus Industrie und Gewerbe sowie Infrastrukturen wichtig. Meistens fällt diese schließlich in Betrieben an, die mit dem Wärmenetz nicht unmittelbar zu tun haben. Dann ist es zentral, ein Geschäftsmodell zu finden, das allen beteiligten Parteien einen Vorteil bietet. Ein Beispiel hierfür ist die Nutzung von Abwärme aus Thermen, wie im Projekt in Wien. Hier galt es nicht nur, Thermeneigentümer und Wärmenetzbetreiber an einen Tisch zu holen, sondern auch den Kanalnetzbetreiber, denn sie sind die Besitzer des Abwassers. Der dritte Teil des Kleeblatts zeigt systemische Ansätze. Dazu gehört zum Beispiel die Energieraumplanung, die Sektorkopplung oder eine intelligente, individuell angepasste Regelungstechnik. Ein Beispiel hierfür ist die Einbindung großer Solarthermie-Anlagen, wie in Mürzzuschlag. Die Solarthermie- Anlage beginnt morgens mit der Wärmelieferung. Wenn diese nicht sofort im Netz Abnehmer findet, muss es freie Kapazitäten in den Pufferspeichern geben, um sie aufzunehmen. Sorgt die Regelung des Netzes dafür, dass Pufferspeicher auch nachts auf einen hohen Sollwert beladen werden, hat die Sonnenwärme keine Chance. Die Regelung muss also für die Nutzung der Solarthermie angepasst werden. Im Zentrum steht das flexible Zusammenspiel Gemeinsam betrachtet führen die drei Teilblätter zu deutlich mehr Freiraum und Flexibilität in der Fernwärme-Planung. Denn wenn man einzelne Rahmenbedingungen, zum Beispiel die möglichen Abwärmequellen oder die zeitliche Verfügbarkeit, von vornherein komplett festzurrt, schränkt das die Freiheitsgrade bei der Optimierung des Systems ein. Indem man stattdessen das System als Ganzes optimiert, lässt sich der Einsatz fossiler Energieträger nachhaltig minimieren. Dadurch sinken nicht nur die Emissionen, sondern auch die laufenden Kosten. Im Gegenzug wachsen die Versorgungssicherheit und der Mehrwert für die Stakeholder. Indem diese von Anfang an eingebunden sind, verkürzen sich im späteren Prozess zudem die Planungs- und Abstimmungszeiten, da nicht immer wieder zusätzliche Interessen berücksichtigt werden müssen. So war es möglich, in den vier Jahren Projektlaufzeit auch große Demo-Projekte zügig voranzubringen. Der Ansatz, auf eine komplexe Aufgabenstellung mit einem flexiblen Vorgehen zu reagieren, ist für ein schnelles Umsetzen der Wärmewende unverzichtbar. AEE - Institut für Nachhaltige Technologien (AEE IN- TEC) wurde 1988 gegründet und ist heute eines der führenden europäischen Institute der angewandten Forschung auf dem Gebiet erneuerbarer Energie und Ressourceneffizienz. In den drei Zielgruppenbereichen „Gebäude“, „Städte & Netze“ und „Industrielle Systeme“ sowie drei technologischen Arbeitsgruppen „Erneuerbare Energien“, „Thermische Speicher“ sowie „Wasser- und Prozesstechnologien“ reicht die Palette der durchgeführten F&E-Projekte von grundlagennahen Forschungsprojekten bis hin zur Umsetzung von Demonstrationsanlagen. Seit 2015 ist AEE INTEC Mitglied von Austrian Cooperative Research - ACR. ÜBER AEE INTEC Joachim Kelz Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Nachhaltige Technologien - AEE INTEC Kontakt: j.kelz@aee.at AUTOR
