eJournals Transforming cities 8/2

Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0039
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Mit gemeinsamer Laborarbeit Innenstädte vitalisieren

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Eva Stüber
14 Modellstädte, über 25 Partner und Dienstleister haben eine Plattform für digitales Leerstandsmanagement und vorausschauendes Ansiedlungsmanagement entwickelt. Die „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“ waren geboren. Das Ziel: Standards schaffen, die vor Ort einen Mehrwert bieten. Dies betrifft nicht nur den Bereich Technologie, sondern schließt auch die Qualität des Contents sowie der Prozesse ein. Letztendlich müssen alle diese Elemente auf die jeweilige Strategie der Stadt einzahlen. Blicken wir auf die Vision, den Weg und das Ergebnis.
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52 2 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gemeinschaftsprojekt Stadt Die Vision: Zur Vitalisierung der Innenstädte und Zentren beitragen Die Gesellschaft ist auf funktionierende und attraktive Zentren angewiesen. Innenstädte vital zu halten und lebendig zu gestalten ist daher ein besonders relevantes Thema. Die aktuelle Zeit mit Pandemie, Energie- und Klimakrise ist herausfordernd - Verunsicherung dominiert. Eine Verödung der Innenstädte durch die absehbaren wirtschaftlichen Einbrüche muss umgangen werden. Doch die gute Nachricht: Krisen sind zu bewältigen - nicht mit einem „Weiter so“ oder einem „Wird schon“, sondern durch Veränderung. Eine aktive Gestaltung der Innenstadt ist der Lösungsansatz. Was braucht es, um einen Beitrag für die Zukunftsfähigkeit der Innenstädte zu leisten? Besonders unsere europäischen Nachbarn machen vor, wie eine konsequente Umsetzung von Zielbildern aussehen kann. So ist Paris auf dem Weg zur 15-Minuten-Stadt, Barcelona baut Superblocks als erweitertes Wohnzimmer und Kopenhagen entwickelt sich zur grünen Stadt. Gleichzeitig existieren Mit gemeinsamer Laborarbeit Innenstädte vitalisieren Von Kommunen für Kommunen: LeAn als Prozessinnovation für Leerstands- und Ansiedlungsmanagement Stadtlabor, Dialog, Kommune, Immobilienwirtschaft, Anbieter, Daten Eva Stüber 14 Modellstädte, über 25 Partner und Dienstleister haben eine Plattform für digitales Leerstandsmanagement und vorausschauendes Ansiedlungsmanagement entwickelt. Die „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“ waren geboren. Das Ziel: Standards schaffen, die vor Ort einen Mehrwert bieten. Dies betrifft nicht nur den Bereich Technologie, sondern schließt auch die Qualität des Contents sowie der Prozesse ein. Letztendlich müssen alle diese Elemente auf die jeweilige Strategie der Stadt einzahlen. Blicken wir auf die Vision, den Weg und das Ergebnis. Bild 1. © Stadtlabore für Deutschland | nh-visuals.com 53 2 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gemeinschaftsprojekt Stadt zahlreiche Best Practices zu Formaten und Ansätzen, die vom Stadtretter-Netzwerk seit Pandemiestart gebündelt werden. Doch wie soll eine systematische Aussteuerung funktionieren? Kommunen haben in der Regel keinen Überblick über den aktuellen Besatz oder die Leerstände in ihrer Innenstadt. Sowohl der Digitalisierungsgrad als auch die Datenlage sind unzureichend. An dieser Stelle muss angesetzt werden. Der Weg: Gemeinsam lernen und agil entwickeln Wie geht man ein Vorhaben an, eine Plattform für digitales Leerstands- und vorausschauendes Ansiedlungsmanagement zu entwickeln? Klar war von Beginn an, dass dies keine Aufgabe ist, die am Schreibtisch umgesetzt werden kann. Vielmehr müssen die Nutzenden - sprich die Kommunen - unmittelbar in die Entwicklung und Verprobung einbezogen werden. Im Projekt „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“ 1 fanden sich so 14 Modellstädte verteilt über verschiedene Bundesländer, Ortsgrößenklassen und mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen bezüglich Organisation ihrer Wirtschaftsförderung bzw. verantwortlicher Stadtorganisation sowie Leerstand in der Stadt als die ideale Besetzung zusammen: Bremen, Erfurt, Hanau, Karlsruhe, Köln, Langenfeld, Leipzig, Lübeck, Lüneburg, Mönchengladbach, Nürnberg, Rostock, Saarbrücken und Würzburg. 1 Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (08/ 2021 bis 12/ 2022) gefördert. Die Beteiligten im Bundesgebiet verteilt, eine Pandemie, in der physische Zusammenkünfte nicht empfehlenswert sind, und nur 16 Monate Projektlaufzeit. Die Zusammenarbeit im Digital-First-Modus zu organisieren war eine logische Entscheidung. Das Commitment auf gemeinsame Werte war eine Grundvoraussetzung: Mut, Vertrauen und Neugier begleiteten das Stadtlabore-Team von Beginn an. Neben gemeinsamen Terminen mit allen wurden feste Arbeitskreise zu Schwerpunktthemen sowie nach Bedarf Arbeitsgruppen ins Leben gerufen, zu denen sich die Modellstädte nach Interesse und Ressourcen anschließen konnten. Wissen und Erfahrungen wurden so verteilt generiert und mit allen geteilt - dies ermöglichte ein schnelles Vorankommen. Während das Stadtlabore-Team zu Beginn nur aus dem IFH KÖLN und den Modellstädten bestand, wurden nach und nach weitere Partner an Bord geholt. Das Onboarding erfolgte Step by Step im Kontext der Plattform, der Daten und weiteren Basisfeldern wie Recht. Die Spezialist*innen in ihren Feldern arbeiteten ebenso auf der Wertebasis und schlossen sich direkt der offenen sowie feedbackorientierten Umgebung an. Die hohe Geschwindigkeit der Umsetzung wurde durch klare Verantwortlichkeiten sichergestellt. Gleichzeitig hat das Vorhaben der Plattformentwicklung entscheidend davon profitiert, dass immovativ als Plattformentwickler bereits vier Wochen nach Beauftragung mit dem Roll-out eines Prototyps in den Modellstädten gestartet ist. Bild 2. © Stadtlabore für Deutschland | nh-visuals.com 54 2 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gemeinschaftsprojekt Stadt Durch das agile Vorgehen konnten schnell Erfahrungen gesammelt und Anpassungen vorgenommen werden: Bei der Priorisierung von Themen, ebenso wie in der Programmierung. Eine neue Erfahrung für die Beteiligten in den Modellstädten, da normalerweise mit langjährig erprobter Software gearbeitet wird. Die Geduld wird an dieser Stelle ordentlich gefordert, zum Beispiel wenn gewünschte Funktionen erst für ein Release in einem halben Jahr vorgesehen und sinnvoll sind. Evolution braucht eben Zeit und schrittweises Vorgehen in Etappen ist für die Zielerreichung hilfreich. Doch für diese Zeit entschädigt, bereits im Projektverlauf mit Stolz auf das Ergebnis des gemeinsamen Lernens und Ausprobierens zurückblicken zu können. Das Ergebnis: Mit LeAn Innenstädte datenbasiert steuern Der Einsatz und die Mühen werden durch LeAn als Werkzeug für Kommunen zur Gestaltung von vitalen Innenstädten und Zentren deutlich. Eine digitale Plattform für ein vorausschauendes Leerstands- und Ansiedlungsmanagement, die unter Federführung der Kommune alle Nutzergruppen an einen „digitalen“ Tisch bringt. Die datenschutzkonforme Webanwendung erleichtert die Bestandsflächenverwaltung, liefert einen aktuellen Überblick über Immobilienbesatz und (drohende) Leerstände, enthält ein Dashboard mit umfangreichen relevanten Daten zu Umfeld und Nutzbarkeit der Immobilie und erfasst Ansiedlungsgesuche für eine stadtindividuelle Ansiedlungssteuerung. Als Ökosystem für Akteur*innen der Innenstadt ermöglicht LeAn Kommunen damit schnelle Reaktionszeiten und ein passgenaues Matching von Immobilien und Nachnutzungskonzepten: Anbieter*innen profitieren von der vereinfachten Standortsuche und Immobilieneigentümer*innen sowie die Vermittlungsbranche erhalten neben professionellen Objektexposés die Möglichkeit, gemeinsam mit der Kommune die Innenstadt datenbasiert aktiv zu gestalten. So liefert LeAn die Basis für einen Dialog auf Augenhöhe aller Innenstadtakteur*innen und die Grundlage für standardisierte Prozesse, die eine zukunftsgewandte Gestaltung ermöglichen. Potenzial von LeAn in Modellstädten sichtbar Bereits während der Projektlaufzeit ist in den Modellstädten das Potenzial von LeAn sichtbar geworden - trotz noch naturgemäß dünner Datenlage. Das Spektrum hierbei ist groß und reicht von Dingen, die Außenstehende vielleicht für selbstverständlich halten, bis zum Kern - der Vitalisierung der Innenstädte durch Neuansiedlungen. So konnten nicht nur Fragen zu Leerstandsquoten qualifiziert innerhalb von Sekunden beantwortet werden, die Frequenzen der jeweiligen Laserstandorte minutengenau ausgelesen und mit gewählten Zeitpunkten verglichen werden, sondern auch erste Ansiedlungen durch LeAn generiert werden. Der Matching-Testbetrieb lief ab Mitte August 2022 zehn Wochen lang. Sechs Modellstädte mit 55 Flächen nahmen daran teil - und über 550 Matches wurden auf Basis des Abgleichs von Gesuchen, Werkzeug für vitale Innenstädte und Zentren Zukunftsgewandte Ansiedlungssteuerung Ökosystem für Akteur: innen der Stadt Datenbasierte Entscheidungen Transparenz und Geschwindigkeit Nachhaltige Quartiersaufwertung Interdisziplinäre Zusammenarbeit dte en kunftswandte siedlungseuerung Ö f d Datenbasierte Entscheidungen Nachh Quart aufwe Interdisziplinäre Zusammenarbeit Dashboard mit relevanten Daten Passgenaue Vorschläge aus Matching Ansiedlungsgesuche Bestandsflächenverwaltung Professionelle Objektexposés Zielbildcheck und Frühwarnsystem Stakeholder- Dialogsystem Datenschutzkonforme Webanwendung Datenraum: geschlossen oder (teil-)offen Kartenbasierte Darstellung (Geodaten) Berechtigungslogik je Nutzergruppe Schnittstellenanbindung/ -bereitstellung Aktualisierung auch über Dritte (Meldesysteme) Individualisierbare Prozesse Das it aue ands- Bild 3. © Stadtlabore für Deutschland | nh-visuals.com 55 2 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Gemeinschaftsprojekt Stadt Flächen- und Standortanforderungen sowie Informationen zu Zielgruppen generiert. Davon wurden 65 % der Ansiedlungsvorschläge nach der Vorauswahl durch die kommunalen Verantwortlichen weiterverfolgt und mit der zuständigen Maklerschaft, den jeweiligen Eigentümer*innen der Immobilien und den entsprechenden Konzeptanbietenden besprochen. Schon im Dezember folgten die ersten Ansiedlungen und die Feuerprobe war bestanden - ein großes Etappenziel der Stadtlabore für Deutschland! Ein Blick auf ausgewählte Ansiedlungen zeigt weitere Besonderheiten. Bei der ersten Ansiedlung stand die Immobilie in der Hanauer Innenstadt nur rund einen Monat leer - dank LeAn wurde der Nachvermietungsprozess stark beschleunigt. Zuträglich war zudem der intensive Dialog mit Anbietenden und der Immobilienwirtschaft, den die Verantwortlichen in Hanau pflegen. Insgesamt vergingen nur wenige Tage zwischen Erstkontakt und der Besichtigung der Gewerbefläche mit anschließender Unterschrift des Mietvertrags. Und auch die dritte Ansiedlung in Hanau sticht mit einer Besonderheit hervor: Die Vertragsunterschrift erfolgte bereits Monate, bevor der Leerstand sichtbar geworden wäre. Gemeinsames Anpacken und Dialog sind auch nach der Entwicklungsphase gefragt Das passgenaue Matching von Immobilien und Nachnutzungskonzepten und die schnellen Reaktionszeiten sind somit bereits nachgewiesen. Doch wie genau sieht die Nutzung für Anbietende und Immobilienwirtschaft aus? Schließlich sind vereinfachte Standortsuche bzw. professionelle Objektexposés aussichtsreiche Mehrwerte. Der Zugang zu LeAn ist für die Akteur*innen auf unterschiedlichen Wegen möglich (Bild 4). Für alle Kommunen ist der Einsatz des Leerstandsbzw. Gesuchsmelder für Immobilienbzw. Konzeptanbietende zu empfehlen. Die Datenübermittlung mittels Onlineformular funktioniert so bequem ohne Anmeldung. Digitalisierung durch LeAn und die Nutzung von Daten bilden die Grundlage für die Vitalisierung der Innenstädte, entscheidend bleibt jedoch der Dialog. Innerhalb der Kommune und unter den Kommunen braucht es den Austausch. Ganzheitlich gedacht sind automatisch alle Stakerholder der Innenstadt eingebunden. Für ein vorausschauendes Ansiedlungsmanagement ist der Trialog zwischen Kommune, Immobilienwirtschaft und Konzeptanbietenden Pflicht. Insbesondere der Aufbau und die Professionalisierung des immobilienwirtschaftlichen Dialogs stand im Rahmen des Projekts im Fokus. Dabei ist nicht nur die Gewinnung von Daten zu den Gewerbeimmobilien entscheidend, sondern auch zur Nutzung des Ökosystems LeAn durch die Maklerschaft. Letztendlich wurde das Motto gemeinsam gelebt und steht für so viel bei den „Stadtlaboren für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“. 14 Modellstädte, über 25 Partner und Dienstleister sowie ein divers besetzter Projektbeirat haben mit vielen Interessierten und begleitenden Organisationen, Unternehmen und Kommunen am Thema Leerstand und Ansiedlung gearbeitet. Es ist wichtig, bei einem ganzheitlichen Vorhaben eine Einladung zum Mitmachen auszusprechen - aber nicht auf die Annahme zu warten. Die Geschwindigkeit in der Umsetzung muss hoch sein und bleiben. Wir freuen uns, wenn das Leerstands- und Ansiedlungsmanagement 2023 weiter professionalisiert und gemeinsam an der Vitalisierung der Innenstädte gearbeitet wird. Und nun? Nach der Entwicklungsphase besteht deutschlandweite Nutzungsmöglichkeit Weitere Informationen zu den Modellstädten, den Projektergebnissen und den Nutzungsmöglichkeiten von LeAn gibt es unter: www.stadtlabore-deutschland.de Bild 4. © Stadtlabore für Deutschland | nh-visuals.com Dr. Eva Stüber Mitglied der Geschäftsleitung IFH (Institut für Handelsforschung) KÖLN Kontakt: e.stueber@ifhkoeln.de AUTORIN