eJournals Transforming cities 8/3

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0048
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2023
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Wohnen der Zukunft – Future Living 2040+

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2023
Vanessa  Borkmann
Ein Whitepaper des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erörtert, welche Bedeutung und welche Formen zukunftsgerichtetes Wohnen im urbanen Raum einnimmt. Dabei spielt der aus dem gesellschaftlichen Wandel hervorgehende Aspekt der gemeinschaftlichen Orientierung von Wohn- und Lebensformen eine besonders relevante Rolle. Im Interview erläutern Prof. Dr. Vanessa Borkmann, Leiterin des Teams „Smart Urban Environments“, und Anna-Lena Reulein, Projektleiterin „Future Living“, wie zukunftsweisende Trends, Wohnformen und Handlungsfelder einen Beitrag für eine Stadtentwicklung mit Zukunft leisten können.
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4 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Mit gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen verändern sich auch tradierte Wohnformen. Hat der Klassiker „Drei Zimmer, Küche, Bad“ noch eine Zukunft? Der Wohnklassiker „Drei Zimmer, Küche, Bad“ entstand in einer Zeit, in welcher Menschen und Familien nach Lebensentwürfen gelebt haben, für die dieses Wohnmodell optimal war. Heutzutage gibt es immer noch viele Menschen, für die dieses Wohnmodell passt - jedoch entwickeln sich seit einigen Jahren vielfältige neue Wohnmodelle, die sich den gegenwärtigen Lebensumständen der Bevölkerung anpassen. Die klassische Biografie mit den Lebensabschnitten Jugend, Erwerbstätigkeit und Ruhestand, wird von individuellen und sehr heterogen verlaufenden Multigrafien abgelöst. Diese sind gekennzeichnet von neuen, sich überschneidenden sowie wiederholenden Phasen und Neuanfängen, verbunden mit hoher Flexibilität. Zudem beeinflussen weitere Wandlungsprozesse, basierend auf Umweltfaktoren, auf sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rahmendbedingungen sowie der Digitalisierung alle Lebensbereiche. Laut Statistischem Bundesamt ist die durchschnittliche Pro-Kopf-Wohnfläche in Deutschland seit Anfang der 90er-Jahre um mehr als 12 m 2 gewachsen, zudem soll schon im Jahr 2040 voraussichtlich jeder vierte Mensch in Deutschland allein wohnen. Einem Bericht der Vereinten Nationen zufolge werden im Jahr 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in Städten leben. Wohnen der Zukunft - Future Living 2040+ Trends und Handlungsfelder für gemeinschaftsorientiertes Wohnen Ein Whitepaper 1 des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO erörtert, welche Bedeutung und welche Formen zukunftsgerichtetes Wohnen im urbanen Raum einnimmt. Dabei spielt der aus dem gesellschaftlichen Wandel hervorgehende Aspekt der gemeinschaftlichen Orientierung von Wohn- und Lebensformen eine besonders relevante Rolle. Im Interview erläutern Prof. Dr. Vanessa Borkmann, Leiterin des Teams „Smart Urban Environments“, und Anna-Lena Reulein, Projektleiterin „Future Living“, wie zukunftsweisende Trends, Wohnformen und Handlungsfelder einen Beitrag für eine Stadtentwicklung mit Zukunft leisten können. 1 Whitepaper als PDF: https: / / publica.fraunhofer.de/ bitstreams/ fd0123f3-f4f2-4427-8e37-649ac8bf4e36/ download Bild 1: Prof. Dr. Vanessa Borkmann (rechts), Leiterin des Teams „Smart Urban Environments“ , und Anna-Lena Reulein (links), Projektleiterin „Future Living“. © Fraunhofer IAO, Ludmilla Parsyak 5 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview Exemplarisch können zudem - wie im Whitepaper Future Living 2040+ ausgeführt - der Rückgang der Geburtenrate, immer spätere Familiengründungen und eine stetig schrumpfende Haushaltgröße bei gleichzeitig wachsenden Quadratmeterzahlen sowie der Einzug des Arbeitsplatzes in die eigenen vier Wände genannt werden. Die beschriebenen Trends gehen mit neuen Anforderungen an das Wohnen einher, die über die Möglichkeiten der tradierten Wohnform von „Drei Zimmer, Küche, Bad“ hinausgehen. Dieser „Klassiker“ wird abgelöst von flexiblen Wohnmodellen, die sich durch eine hohe Anpassungsfähigkeit an individuelle Lebensstile und -phasen auszeichnen. Wie werden sich neue Lebenswirklichkeiten und differenzierte soziale Arrangements auf Wohnbedürfnisse auswirken? In einer sich stetig verändernden, hyperindividualisierten Gesellschaft, in der traditionelle Lebensentwürfe zunehmend aufgebrochen werden, entstehen vielfältige Wohnanforderungen und -präferenzen, die den jeweiligen Lebensentwürfen gerecht werden müssen. Menschen streben heute nach mehr Individualität und Selbstverwirklichung, was schlussendlich in der bereits erwähnten Multigrafie kumuliert. Es entsteht dadurch ein wachsender Bedarf nach flexiblen Wohnlösungen, die an verschiedene Lebensphasen und -stile angepasst werden können und sozusagen mit den sich verändernden Bedürfnissen der Bewohnenden „mitwachsen“. Trotz des wachsenden Strebens nach Individualität spielen soziale Arrangements und das Verlangen nach Zugehörigkeit und Geborgenheit eine entscheidende Rolle. Nicht traditionelle Familienstrukturen, Mehrgenerationenwohnen und das Leben in der selbst ausgewählten Community werden immer häufiger. Diese neuen sozialen Arrangements erfordern Wohnkonzepte, die Privatsphäre und Gemeinschaftsräume in Einklang bringen und die Bedürfnisse unterschiedlicher Haushalte berücksichtigen. Es gilt demnach den Spagat zwischen dem Wunsch nach dem Leben in und/ oder mit einer homogenen, gleichgesinnten Gruppe, bei gleichzeitigem Ausleben des individuellen Lebensstils zu meistern. Welche Schlüsse muss die Stadtentwicklung aus der gesellschaftlichen Transformation ziehen? Durch die gesellschaftliche Transformation rücken in Bezug auf das Feld der lebenswerten Stadt die drei Bereiche Wohnen, Leben und Arbeiten immer enger zusammen. Sie beeinflussen sich gegenseitig und wirken sich auf Umgebung und Raum aus. Die Stadtentwicklung ist daher primär gefordert, diese drei Bereiche synergetisch und integrativ zusammenzudenken und ganzheitliche Ansätze und Konzepte zu verfolgen. Im Zuge unserer Forschungsarbeit wurden 13- Handlungsfelder identifiziert, welche der Stadtentwicklung bei der Transformation in die Zukunft behilflich sein können. Die Handlungsfelder sind kennzeichnend für eine lebenswerte Stadt bzw. tragen zu dieser bei. Als Beispiel kann das Handlungsfeld „Natur“ genannt werden: Eine zukunftsfähige Stadtentwicklung muss die Reduzierung der Umweltbelastung und den Kampf gegen den Klimawandel in den Mittelpunkt stellen. Intakte Ökosysteme und die Biodiversität von Flora und Fauna sollen erhalten und gepflegt werden. Grüner Stadtraum und blaue Infrastrukturen können neben dem Senken von Temperaturen auch neue Begegnungsorte schaffen und zu einem Alleinstellungsmerkmal für den Standort werden. Ein intakter Zugang zur Natur in direkter Umgebung sowie Urban Farming und lokale, nachhaltige Lebensproduktion sind hier ebenso von Bedeutung. Um den Bedürfnissen und Ansprüchen der Bevölkerung gerecht zu werden, ist es zudem wichtig, aktive Communities aufzubauen, innovative Serviceangebote - in Form von digitalen und analogen Dienstleistungen - zu entwickeln und neue Kooperationen im Ökosystem-Kontext der Stadt einzugehen. Schließlich wird das Wohnen von heute durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst, die über das reine Wohnangebot hinausgehen. Eine offene Kommunikation und innovative Kooperationen zwischen den unterschiedlichsten Stakeholdern und Stakeholderinnen tragen hierzu wesentlich bei. Finden die sich ändernden Lebensmodelle Raum in gewachsenen urbanen Strukturen? Ja, sie finden durchaus in gewachsenen urbanen Strukturen ihren Raum, lassen sich jedoch nicht auf diesen beschränken. Es gilt, den gesamten urbanen Raum modular und offen zu denken, um nach den Bedarfen der Bewohnenden zu agieren und entsprechende (Frei-)räume zu schaffen. Ein enger Austausch zwischen dem urbanen Raum, Stadtrandgebieten und dem ruralen Raum wird daher immer wichtiger werden. Müssen Architektur und Städtebau deutlich resilienter und anpassungsfähiger werden? Angesichts der zunehmenden Herausforderungen, denen Städte und ihre Bewohnenden gegenüberstehen, ist es von Bedeutung, dass Architektur und Städtebau resilienter und anpassungsfähiger werden. Das kann vor allem dann geschafft werden, 6 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview wenn Menschen zusammenkommen und sich kollektiv Lösungsstrategien widmen. Mit zunehmendem Austausch, aktivem Zuhören und Verstehen von Interessen und Bedarfen können neue Ideen geboren und Ansätze zur Problemlösung gefunden werden. Es gibt bereits viele gute Ideen, die sich mit genau diesen Themen auseinandersetzen - aus unserer Sicht liegt viel Potenzial in der Adaption von Ansätzen auf den eigenen Standort, unter Einbezug von lokalen und globalen Netzwerken, der Akteurinnen- und Akteurslandschaft und den Ressourcen vor Ort. Einerseits finden wir in der Stadtlandschaft heute gewachsene Strukturen im Bestand, die auch ein „Bleiberecht“ haben - nicht zuletzt aus Nachhaltigkeitsgründen. Zudem wird neuer Wohnraum und neue Architektur geschaffen, die größtenteils noch sehr tradierten Formeln folgt, also Grundrisse, Nutzungen und Gebäudestrukturen aus den letzten Jahrzehnten verwendet. Viel Potenzial liegt in innovativen Strukturen, die eine Anpassungsfähigkeit an Lebensphasen bieten. Dies kann beispielsweise über eine kluge Grundrissgestaltung, neue Geschäftsmodelle und über Nutzungsmixe passieren. Auch temporäre architektonische Strukturen oder innovative Wohntypologien wie beispielsweise Tiny Houses, insbesondere aber gemeinschaftsorientierte Wohnformen im Bereich des Co-Living, die auch mit zielgruppenspezifischen Serviceangeboten und einem hohen Grad an Digitalisierung einhergehen, zahlen aufgrund ihrer Flexibilität auf die geforderte Resilienz ein. Welche Akteure und Akteurinnen braucht es, um ein innovatives Ökosystem der Stadtentwicklung aufzubauen? Ein innovatives Ökosystem setzte sich aus insgesamt vier Gruppen von Akteurinnen und Akteuren zusammen: Aus den Bereichen der Politik, der Wissenschaft, der Wirtschaft und der Gesellschaft. So auch das Wohn-Ökosystem. Grundlegend ist neben einem gemeinsamen „Purpose“ auch der verstetigte Austausch im Stakeholder*innen-Netzwerk. Welche Rolle spielt eine branchenübergreifende Zusammenarbeit unterschiedlichster Akteurinnen und Akteure bei der urbanen Transformation? Die branchenübergreifende Zusammenarbeit unterschiedlichster Akteurinnen und Akteure spielt eine entscheidende Rolle bei der urbanen Transformation. In Anbetracht der komplexen Herausforderungen, die mit der Entwicklung und Gestaltung nachhaltiger Städte verbunden sind, ist eine gemeinsame Zusammenarbeit über verschiedene Branchen hinweg von Bedeutung, um innovative Lösungen zu finden und diese umzusetzen. Die Zusammenarbeit in einer heterogenen Landschaft von Beteiligten ermöglicht es, die verschiedenen Komponenten des städtischen Ökosystems in Betracht zu ziehen und Synergien mit einem ganzheitlichen Ansatz zu schaffen. Durch den Austausch von Fachwissen, Perspektiven und Erfahrungen können innovative und integrierte Lösungen entwickelt werden, die die verschiedenen Aspekte der Stadtentwicklung berücksichtigen und dazu beitragen, eine zukunftsfähige Stadtentwicklung zu gestalten. Darüber hinaus trägt die branchenübergreifende Zusammenarbeit zum Gleichgewicht und zur sozialen wie auch ökonomischen und ökologischen Nachhaltigkeit des städtischen Ökosystems bei. Durch die optimale Nutzung von Ressourcen, die Minimierung von Umweltauswirkungen und die Schaffung von sozialen und wirtschaftlichen Chancen können vielfältige Potenziale ausgeschöpft werden. Schaffen Co-Spaces für Wohnen, Arbeiten und Leben ein mögliches Umfeld, um soziales Auseinanderdriften einzudämmen? Co-Spaces als (teil-)öffentliche Orte weisen, neben ihren spezifischen Funktionen, ein wesentliches Merkmal auf: Sie sind Orte der Begegnung. Sie schaffen Austausch zwischen verschiedenen Menschen - die entweder gemeinsam an einem Projekt arbeiten oder sich zum ersten Mal zufällig im gleichen Raum aufhalten. Damit geht immer eine indirekte oder direkte Art der Interaktion einher und das Wahrnehmen eines Umfelds. In unserer zunehmend vernetzten und flexiblen Gesellschaft sind traditionelle Trennungen zwischen Wohn-, Lebens- und Arbeitsbereichen nicht länger zwingend erforderlich. Co-Spaces bieten damit die Möglichkeit, verschiedene Lebensbereiche miteinander zu verbinden und dadurch neue Synergien Bild 2: Co-Working Space. © Mona Sorcelli on Unsplash 7 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview zu schaffen und soziale Interaktionen zu fördern. Die Gestaltung von Co-Spaces bietet eine Möglichkeit, interaktionsfördernde Elemente zu integrieren. Dadurch kann neben der Stärkung von Kommunikations-Skills und dem Aktivieren der eigenen Kreativität durch externe Impulse auch das Verständnis für und der Austausch unter heterogenen sozialen Gruppen wachsen. Co-Spaces können demnach eine von vielen Maßnahmen sein, dem sozialem Auseinanderdriften entgegenzuwirken. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass diese Maßnahmen einer ganzheitlich teilhabeorientierten, integrativen sowie inklusiven Ausrichtung der Stadt unterliegen sollten. Eine gewisse Herausforderung besteht darin, dass es auch Co-Spaces gibt, die nur Personen einer bestimmten Gruppe (Lebensstil, Milieu, Interessen) adressieren und der Co-Space in diesem Fall eine isolierte Auseinandersetzung mit Themen erlaubt, aber nicht auf Diversität, Integration und Offenheit einzahlt. Was sollten solche urbanen Ökosysteme Nutzenden außerdem anbieten? Durch eine enge Zusammenarbeit und Kooperation zwischen den verschiedenen Stakeholdern und Stakeholderinnen innerhalb des Ökosystems entstehen Innovationen und Kooperationen, die die Lebensqualität vor Ort steigern. Da sich die Lebensqualität eines Standorts auf die Bedürfnisse der Bewohnenden und der Gäste auswirkt, geht es demnach auch indirekt darum, die vorhandenen Kapazitäten zu bündeln, um neue digitale und analoge Geschäftsmodelle und Services, im Sinne von Dienstleistungen, zu entwickeln, die sich positiv auf die Lebensqualität auswirken. Dies können unterschiedlich ausgeprägte Services in allen Feldern, wie beispielsweise Kultur, Bildung oder Soziales sein: Sei es ein Welcome Hub samt Buddy-Up-Programm zum Ankommen an einem neuen Arbeitsort, die Möglichkeit, Lagerräume zur Einlagerung von Hab und Gut flexibel dazu zu buchen, wenn sich der Arbeitsort temporär verändern sollte, oder innovative und spielerische Learning Labs in Anbindung an einen Bildungscampus. Bei der Umsetzung kommen entsprechende digitale und analoge Placemaking-Strategien zum Tragen, die dabei unterstützen, Lebensräume zu gestalten. Dies können wir auch in anderen Feldern, in welchen wir uns mit Ökosystemen beschäftigen, beobachten. Auch im kulturellen Bereich zeigt uns das sich derzeit in der Entwicklung befindende museale Ökosystem auf, dass Placemaking sowie kollaborative Ansätze bei der Zusammenarbeit unabdingbar sind. Apropos Ökosystem: Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit - sozial, ökologisch und ökonomisch - für innovative Wohnformen? Nachhaltigkeit hat einen enormen Stellenwert für innovative Wohnformen, sowohl in sozialer, ökologischer als auch ökonomischer Hinsicht. In der heutigen Zeit ist es entscheidend, dass Wohnformen nicht nur den individuellen Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner gerecht werden, sondern auch im Einklang mit Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft stehen. Soziale Nachhaltigkeit bezieht sich darauf, dass innovative Wohnformen inklusiv und sozial gerecht sind. Sie sollten eine Vielfalt von Menschen ansprechen und Raum für soziale Interaktion und Gemeinschaft bieten. Dies kann durch die Schaffung gemeinschaftlicher Räume und Einrichtungen erreicht werden, in denen die Bewohnerinnen und Bewohner zusammenkommen, sich austauschen und gemeinsame Aktivitäten durchführen können. Innovative Wohnformen sollten auch so gestaltet sein, dass sie eine gesunde und sichere Umgebung fördern und das Wohlbefinden der Menschen unterstützen. Ökologische Nachhaltigkeit zielt unter anderem darauf ab, Ressourcen effizient zu nutzen, den Energieverbrauch zu reduzieren und den ökologischen Fußabdruck der Wohnformen zu minimieren. Das kann durch energieeffiziente Gebäudekonzepte, den Einsatz erneuerbarer Energien, nachhaltige Materialien und eine intelligente Gebäudetechnik erreicht werden. Zudem sollten innovative Wohnformen eine grüne Infrastruktur umfassen, wie beispielsweise begrünte Dächer, Gemeinschaftsgärten und den Zugang zu natürlichen Freiflächen. Dies fördert nicht nur die Umweltverträglichkeit, Bild 3: Begrünte Fassade auf der Floriade Expo 2022, Almere, Netherlands. © Jw on unsplash 8 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES FORUM Interview sondern auch das Wohlbefinden und die Gesundheit der Bewohnerinnen und Bewohner. Auch ökonomische Nachhaltigkeit spielt eine wichtige Rolle für innovative Wohnformen. Sie sollten bezahlbar und wirtschaftlich rentabel sein. Durch effizientes Flächennutzungsmanagement und die Integration von gemischt genutzten Gebäuden und Quartieren kann eine optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen gewährleistet werden. Zudem können innovative Wohnformen neue Wirtschaftsmodelle und Arbeitsmöglichkeiten fördern, wie die bereits genannten Co-Working Spaces, die eine flexible Arbeitsumgebung bieten. Insgesamt ist Nachhaltigkeit ein grundlegender Aspekt für innovative Wohnformen. Sie trägt dazu bei, eine lebenswerte und zukunftsfähige Umgebung zu schaffen, die soziale, ökologische und ökonomische Anforderungen erfüllt. Durch die Integration nachhaltiger Prinzipien können innovative Wohnformen eine positive Wirkung auf die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner haben und gleichzeitig einen Beitrag zum Schutz der Umwelt leisten. Wie kann gerade in dicht bebauten Innenstädten ein gesundes und lebenswertes Wohnumfeld geschaffen werden? Hier kann die Ergänzung des privaten Wohnraums durch eine attraktive Infrastruktur, die auf die Aspekte Freizeitgestaltung, Kultur, Natur, Bildung, Mobilität, Technik sowie auf Community Building einzahlt, viel bewirken. Dabei sollte die Infrastruktur um den eigenen Wohnraum so aufgebaut sein, dass alle für den Alltag notwendigen Bedarfe oder Stationen innerhalb weniger Minuten erreicht werden können, das Modell der 10-Minuten-Stadt macht es vor. Dies erfordert neben dem Denken in Quartieren und Hubs auch den Ausbau eines starken multimodalen Mobilitäts-Netzes, das es ermöglicht, über Sharing-Angebote und einen flächendeckenden ÖPNV, innerhalb weniger Minuten größere Strecken zurückzulegen. Innerhalb der eigenen vier Wände werden modulare Systeme zum Game-Changer. Sie ermöglichen es, Grundrisse und Möbel so zu gestalten, dass sie sich sowohl den sich verändernden Bedürfnissen der Bewohnerinnen und Bewohner anpassen als auch den Umständen des Standorts gerecht werden können. Bereits bei der Planung neuer Wohnräume können modulare Lösungen eingesetzt werden. Dabei werden flexible Grundrisse und Raumkonzepte entwickelt, die es ermöglichen, die Wohnfläche bei Bedarf zu vergrößern oder zu verkleinern. Zum Beispiel können Trennwände oder verschiebbare Elemente verwendet werden, um zusätzliche Zimmer oder größere Wohnbereiche zu schaffen. Dies bietet den Bewohnerinnen und Bewohnern die Möglichkeit, den Raum an ihre aktuellen Bedürfnisse anzupassen, sei es für Familienzuwachs, Home- Office-Bereiche oder andere Veränderungen im Lebensverlauf. Anbietende wie das „Poha House“ oder „the Set“ ermöglichen es bereits, dass sich die räumlichen Bedarfe an alle Lebenslagen und -phasen anpassen und Bewohnende auf Grund der gegebenen hohen räumlichen Flexibilität nicht mehr umziehen müssen. Auch beim nachträglichen Aus- oder Umbau von bestehenden Wohnräumen können modulare Möbel eine große Hilfe sein. Ein gutes Beispiel ist das Konzept von Popup Living, das wir in unserem Whitepaper „Future Living 2040+ - Trends und Handlungsfelder für gemeinschaftsorientiertes Wohnen“ als Good-Practice-Fall identifiziert haben. Mit modularen Möbeln können verschiedene Funktionen in einem Raum kombiniert werden. Zum Beispiel können ein Queensize-Bett, ein Kleiderschrank und ein Arbeitsplatz in einem kompakten Möbelsystem untergebracht werden. Tagsüber können diese Elemente einfach umgestaltet werden, um den Raum für andere Aktivitäten zu nutzen. Dadurch wird der verfügbare Raum optimal genutzt und die Wohnqualität verbessert. Modulare Systeme bieten den Vorteil der Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, ohne dabei Kompromisse bei Komfort und Funktionalität einzugehen. Sie ermöglichen es, den vorhandenen Raum effizient zu nutzen und gehen dennoch auf individuelle Bedürfnisse ein. In Zeiten des Fachkräftemangels und hoher Fluktuation sind Kommunen und Städte umso mehr gefordert, sich mit Themen der modularen, flexiblen, gemeinschaftsorientierten Wohnwelt auseinander zu setzen, um attraktive und lebenswerte Räume für Arbeitgebende und die Wirtschaft aufrecht zu erhalten und dadurch auch für Talente und Fachkräfte interessant zu sein. Hierzu haben wir am Fraunhofer IAO verschiedene Konzepte und Lösungen entwickelt - mit unserer Expertise helfen wir interessierten Kommunen und Städten als Kooperationspartner dabei, diese umzusetzen. Prof. Dr. Vanessa Borkmann Leiterin Team Smart Urban Environments vanessa.borkmann@iao.fraunhofer.de www.muse.iao.fraunhofer.de/ de/ ueber_uns/ team_ stadtsystemgestaltung.html KONTAKT