Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0051
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Bis zu 80 Prozent Energie einsparbar
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Fabian Pasimeni
Smarte Infrastrukturlösungen sind nicht nur Großstädten vorbehalten. Dass sich deren Umsetzung ebenso in kleineren Städten und Gemeinden lohnt, zeigt das Beispiel der sizilianischen Gemeinde Giardinello.
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14 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation Wenn über Smart Cities gesprochen wird, denken viele Menschen meist an futuristische Mega-Cities, mindestens aber an große Städte in internationalen Ballungsräumen. Als Beispiel sei Singapur genannt, wo selbstfahrende Busse in einem speziellen Areal getestet werden. In Barcelona sind mittlerweile über 12 .000 Sensoren verbaut. Die Seouler Straßen verfügen über ein Netz von Induktionsschleifen, um elektrisch angetriebene Busse schon während der Fahrt zu laden. Dies sind eindrucksvolle Beispiele mit entsprechender Strahlkraft. Bei aller Bewunderung bleibt das Bewusstsein, dass ein großer Teil der Bevölkerung nicht in Großstädten lebt, sondern in Kleinstädten oder Dörfern. Machen Smart-City-Lösungen in diesen Lebensräumen überhaupt Sinn? Auf diese Frage gibt es keine pauschale Antwort. Es bedarf vielmehr einer genaueren Betrachtung der in Frage kommenden Applikationen. Vom Grundprinzip geht es bei Smart City-Anwendungen in erster Linie darum, das Leben der Bürgerinnen und Bürger komfortabler zu gestalten. Eine Maßnahme sollte also möglichst zu einer Verbesserung der jeweiligen Situation beitragen, mindestens jedoch eine Verschlechterung verhindern oder abmildern. In diesem Rahmen finden sich noch zahlreiche Ansatzpunkte mit Potenzial selbst für kleine und mittelgroße Lebensräume. In Zeiten, in denen die Gesellschaft von einer Krise in die nächste rutscht, verschieben sich Anforderungen und Prioritäten. Sogenannte Krisen lassen sich daher ebenfalls als Chance nutzen. Die Corona- Pandemie hat beispielsweise in vielen Bereichen zu einem Digitalisierungsschub geführt. Heute sehen sich insbesondere die europäischen Volkswirtschaften von einer Energiemangellage bedroht. Welche Chancen bieten Smart-City-Lösungen kleineren Städten in einer solchen Situation? Die Herausforderung: unterschiedliche Leuchtentypen integrieren Vielleicht waren es genau diese Gründe, die den kleinen sizilianischen Ort Giardinello mit seinen rund 2 300 Einwohnenden dazu veranlasst haben, über smarte Lösungen für die öffentliche Infrastruktur nachzudenken. Denn wie die meisten Privathaushalte versuchen die Kommunen Energieverbräuche jeglicher Art zu senken und somit Kosten zu sparen, welche letztendlich durch die steuerzahlenden Bürgerinnen und Bürger getragen werden müssen. Speziell bezogen auf die Energieeinsparungen kommt es in der aktuellen Lage auf jeden Prozentpunkt an, damit unter anderem die Versorgungssicherheit gegeben ist. Neben den öffentli- Bis zu 80 Prozent Energie einsparbar Smartes Management der Straßenbeleuchtung von Giardinello Fabian Pasimeni Smarte Infrastrukturlösungen sind nicht nur Großstädten vorbehalten. Dass sich deren Umsetzung ebenso in kleineren Städten und Gemeinden lohnt, zeigt das Beispiel der sizilianischen Gemeinde Giardinello. © Franco e Guisto Scafidi 15 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation chen Gebäuden sowie der Wasserver- und -entsorgung gehört die Straßenbeleuchtung zu den großen Verbrauchern in einer Kommune (Bild 1). Vor diesem Hintergrund hat Giardinello die Beleuchtung bereits in jüngerer Vergangenheit auf LED-Technik umgerüstet. Auf dieser Grundlage haben sich die Verantwortlichen entschieden, eine modernere und digitalere Lösung für das Management der öffentlichen Straßenbeleuchtung umzusetzen. Ziel der Erneuerung war eine flexible Lösung mit der Möglichkeit zur weiteren Energieeinsparung. Außerdem sollte der Zustand jeder einzelnen Leuchte einsehbar sein und die Lösung auf einer weit verbreiteten und skalierbaren Technologie basieren, was die Abhängigkeit von einem Hersteller ausschließt sowie für Zukunftssicherheit sorgt. Da es bei der Beleuchtung ebenso um das Thema Sicherheit geht, muss die Applikation entsprechend ausgelegt respektive geschützt sein. Eine besondere Herausforderung stellten die unterschiedlichen Leuchtentypen dar. Während in einigen Teilen des Ortes Leuchten mit einem modernen Design installiert sind, bestimmen in anderen Teilen von Giardinello historisch anmutende Leuchten den sizilianisch dörflichen Charakter. Diese technische Bewandtnis zu berücksichtigen, machte die Aufgabe schwierig (Bild 2). Die Lösung: Kommunikation über den LoRaWAN-Standard ... Die modernen Leuchten sind schon mit einem Zhaga-Sockel ausgerüstet. Bei Zhaga handelt es sich um die Definition einer Schnittstelle. Die aktuelle Version des Zhaga-Standards umfasst neben dem mechanischen Design des Sockels und der elektromechanischen Teile respektive Auslegungen auch die Möglichkeiten zur Kommunikation oder Ansteuerung der LED-relevanten Komponenten. Im Gegensatz dazu sind die historischen Lampen zwar ebenfalls mit LED-Technik versehen, allerdings ist keine moderne Zhaga-Schnittstelle vorhanden. Nach der Beachtung sämtlicher Anforderungen und Voraussetzungen entschieden sich die Verantwortlichen hinsichtlich der Kommunikationstechnologie für den relativ neuen LoRaWAN- Standard. Aufbauend auf der physikalischen Bit-Übertragungsschicht bietet LoRaWAN (Low Range Wide Area Network) als Protokoll eine Definition der zwei folgenden logischen Schichten (2-und 3) gemäß OSI-Modell. Folglich ist sowohl die Verbindungsebene inklusive Datensicherung ebenso wie die Netzwerkschicht im LoRaWAN-Standard berücksichtigt. Eine doppelte AES-Verschlüsselung stellt eine durchgehende Kryptografie bis in eine Serverebene sicher. Dabei wird ein Schlüssel bis in den Netzwerkserver genutzt und ein weiterer bis in die Applikationsebene. … sowie die Zhaga-Schnittstelle oder ein Universalsteuergerät Innerhalb der Funkkommunikation ist LoRaWAN in die Kategorie der LPWAN-Technologien einzuordnen. Hier steht LP für Low Power und bedeutet, dass es sich um eine besonders energiesparende Möglichkeit der Datenweiterleitung handelt. Diese muss aber zur jeweiligen Applikation passen, um sie sinnvoll einsetzen zu können. In Europa wird für Lo- RaWAN der schmalbandige Ultra- High-Frequency-Bereich verwendet. Das genutzte Frequenzband von 863 bis 870 MHz (SRD-Band Europa) bietet die Vorteile einer Reichweite von bis zu 40 Kilometer - einem theoretischen Wert im ländlichen Raum - sowie einer hohen Durchdringung etwa der Gebäudewände in Stadtgebieten. Zur Realisierung eines Lo- RaWAN-Netzwerks werden die Leuchten mit einem Steuergerät, der sogenannten Luminaire Controller Unit (LCU), ausgestattet. Bei den modernen Leuchten wird eine LCU mit Zhaga-Schnittstelle eingesetzt. Ist kein Sockel vorhanden, werden LoRaWAN-fähige Universalsteuergeräte verwendet, die sich direkt im Gehäuse für die Schaltelektronik verbauen lassen. Beide Varianten kommunizieren via Dali-2-Protokoll. Auf diese Weise können sie neben einfachen Schaltbefehlen weitere Betriebs- und Diagnosedaten mit dem LED-Treiber austauschen. Die Systemarchitektur entspricht im Feld einer klassischen Sterntopologie. Die einzelnen Steuergeräte kommunizieren Bild 1: Durch den Einsatz einer bedarfsorientierten Beleuchtung wird der Energieverbrauch in Giardinello erheblich reduziert. © Franco e Guisto Scafidi Bild 2: Die historisch anmutenden Leuchten wurden mit LoRaWAN-fähigen Steuergeräten ausgestattet © Franco e Guisto Scafidi 16 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Kommunikation also mit einer zentralen Komponente, die das Routing übernimmt. In Giardinello werden dazu drei LoRaWAN-Gateways genutzt, um eine qualitativ hochwertige Ausleuchtung sicherzustellen sowie alle angebundenen Leuchten zu erreichen. Die entsprechenden LCUs senden ihre Daten an das an der besten Position befindliche Gateway, das mit einem integrierten Modem als Verbindungselement zwischen der Feldebene und dem Internet respektive dem Netzwerkserver fungiert (Bild 3). Das Besondere: Beleuchtungsmanagement als Software-asa-Service Abgesehen von den beschriebenen Hardwarekomponenten setzt die sizilianische Kommune die IoT-Plattform Grovez.io für die neue Lösung ein. Grovez.io ist speziell für Applikationen im Bereich urbane Infrastruktur entwickelt worden. Als zentraler Bestandteil der IoT-Plattform dient ein eigens betriebener LoRa- WAN-Netzwerkserver inklusive verschiedener Decoder-Anwendungen auf der vorgelagerten Integrationsebene. Im Netzwerkserver werden die Daten sämtlicher registrierten Endgeräte für die Organisation gemanagt und gepflegt. Darüber hinaus stehen unterschiedliche Schnittstellen zur Kommunikation mit weiteren Plattformen bereit. Grovez.io bietet zudem einen eigenen Applikationsserver für die Verwendung von Software im Rahmen einer Sof t ware -as-a -S er vice - Diens tleistung (SaaS). Der Betreiber der Straßenbeleuchtung in Giardinello nutzt nun statt der klassischen Steuerung in einer Leitwarte den Smart Lighting-Service als SaaS. Hierzu loggen sich die Mitarbeitenden mit Zugangsberechtigung über einen Webserver ein. Danach können sie die Straßenbeleuchtung manuell aus der Ferne steuern. Durch die Kombination aus moderner LED-Technik und der LoRaWAN-basierten Steuerungstechnik lässt sich jede einzelne Leuchte ansteuern und diagnostizieren. Tritt eine Dysfunktion auf, wird der Anwender automatisch über ein Alarmmanagement informiert (Bild 4). Die Zukunft: Einbindung von Fahrzeugverkehrssensoren sowie Aufbau eines Umweltmonitoring-Systems Über den Smart Lighting-Service als Beleuchtungsmanagementsoftware können verschiedene Dimmstufen eingestellt werden, was einen direkten Einfluss auf den Energieverbrauch und die Lebensdauer der Leuchten hat. Um komplette Gebiete komfortabel zu verwalten, lassen sich Gruppen bilden und zusammenschalten. Während die Leuchten in der Nacht in einigen Teilen des Orts zwecks Einsparung von Energie und Kosten heruntergedimmt werden, leuchten andere Lampen aus Sicherheitsgründen - zum Beispiel an Fußgängerüberwegen - weiterhin zu 100 Prozent. Der in der Lösung hinterlegte astronomische Kalender vereinfacht die Einstellung. Ferner fungieren im Feld verbaute Sensoren als zusätzliches Triggersignal für eine Automatisierung. Mit einer bedarfsorientierten Beleuchtung kann der ursprüngliche Energieverbrauch um bis zu 80 Prozent reduziert werden. Nachdem dieser Schritt vollzogen ist, denken die Verantwortlichen in Giardinello über weitere Möglichkeiten und den Einsatz der installierten LoRaWAN-Infrastruktur nach. Erste Ideen kreisen um die Integration von Verkehrssensoren von Fahrzeugen, perspektivisch vielleicht als Signalgrundlage für eine adaptive verkehrsabhängige Steuerung der Beleuchtung. Denkbar wäre außerdem der Aufbau eines Umweltmonitoring-Systems auf Basis von LoRaWAN-fähigen Sensoren. Egal in welche Richtung sich Giardinello entwickeln wird: Die Gemeinde ist jetzt schon smarter als so manche Großstadt. Fabian Pasimeni MBA & Eng. Manager Infrastructure Applications & Projects Phoenix Contact Electronics GmbH fpasimeni@phoenixcontact.com AUTOR LoRaWAN Gateway LoRaWAN- Steuergerät LoRaWAN Server Street Lighting Service Inbetriebnahme-App SPS und I/ O- System Fremdsystem Bild 3: Die Daten der Leuchten werden via LoRaWAN- Gateway übertragen. © Franco e Guisto Scafidi Bild 4: Der Zustand der Lichtpunkte ist mit dem Smart Lighting Service stets im Blick. © Phoenix Contact
