eJournals Transforming cities 8/3

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0057
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Gegen die Hitze in der Stadt

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Tassilo Soltkahn
Temperaturen über 30 °C, kaum Abkühlung in den Nächten, wenig Schatten und dafür viel Beton: Die Sommer in den Städten werden immer heißer und anstrengender für Menschen, Tiere und Pflanzen. Denn in der Regel ist es in urbanen Gebieten wärmer als auf dem Land – man spricht deshalb auch von urbanen Hitzeinseln. Der Wärmeeffekt ist dabei umso stärker, je dichter die Gebäude nebeneinander gebaut sind. Dadurch kann die Luft nicht gut zirkulieren und kühlender Wind die Straßen nicht ausreichend belüften. Zudem speichern Materialien wie Beton, Glas und Metall Wärme, weshalb Städte nachts nur langsam wieder abkühlen. Dunkle Materialien in Farben wie Schwarz, Grau oder Rot verstärken diesen Effekt noch – sie nehmen Sonnenlicht auf und wandeln es in Wärme um. Nachhaltige Bauweisen mit freien Flächen, sogenannten Frischluftschneisen, weiße Fassaden und ausreichend Pflanzen – Bäume und Grünlagen sowie Fassaden- und Dachbegrünung – können Hitze in den Städten hingegen regulieren.
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28 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Städte als Wärmeinseln Die städtische Hitze- oder Wärmeinsel ist ein typisches Merkmal des Stadtklimas. Sie zeichnet sich durch die Lufttemperaturdifferenz zwischen der wärmeren Stadt und ihrem kühleren Umland aus und erreicht ihr Maximum bei warmen und windschwachen Wetterbedingungen während der Nacht. Dabei hängt die Lufttemperatur in Städten stark von der Gebäudegeometrie, den thermischen Eigenschaften der Bausubstanz, den Strahlungseigenschaften der Oberfläche und der anthropogenen Wärmefreisetzung, beispielsweise durch Verkehr, Industrie, Abwärme aus Wohnungen und Versiegelung der Böden, ab. Die produzierten Treibhausgase können zudem eine Dunstglocke bilden, die die Luftqualität weiter verschlechtert. Außerdem ist in den Städten heutzutage ein Großteil der Fläche versiegelt, die natürliche Bodenoberfläche durch undurchlässige Materialien nahezu vollständig abgedichtet und Vegetation kaum vorhanden. Somit wird Niederschlagswasser schnell und ungenutzt in die Kanalisation abgeführt und bleibt nicht mehr zur kühlenden Verdunstung im Boden gespeichert. Außerdem haben die für die Versiegelung verwendeten Materialien Stein, Beton, Stahl und Asphalt ein höheres Wärmeaufnahme- und -speicherverhalten als natürliche Vegetation. Enge Bebauung und tiefe Straßenschluchten verringern zudem den Luftaustausch mit dem Umland sowie höher liegenden Luftschichten und behindern somit die Frischluftzufuhr. Kommt noch Abwärme von Industrie, Verkehr sowie Heiz- und Kühlprozessen hinzu, ist es nicht verwunderlich, dass der Temperaturunterschied zwischen Stadt und Land im Sommer bis zu 10 °C betragen kann. Zusammen mit diversen Luftverunreinigungen, bestehend aus Feinstaub und Luftschadstoffen, entsteht ein ungesundes Stadtklima. Vor allem während längerer Hitzeperioden in den Sommermonaten drohen deshalb auch gesundheitliche Folgen. Besonders ältere Menschen, Schwangere, Kleinkinder und Menschen mit Vorerkrankungen können sich oft nur unzureichend an die erhöhte Wärmebelastung anpassen. Die extreme Hitze belastet dann die Lunge, das Herz, die Nieren - manchmal auch die Psyche. Zudem können Menschen nicht mehr produktiv arbeiten, sie bewegen sich weniger und es erhöht sich auch das Risiko für die Verbreitung von Krankheitserregern und Pandemien. Mehr Grünflächen, Bäume und Pflanzen Mit den zunehmenden Auswirkungen des Klimawandels werden die Hitzeperioden vermutlich noch häufiger werden. Damit die Lebensqualität der Bewohnerinnen und Bewohner von Städten nicht weiter sinkt und die negativen gesundheitlichen Gegen die Hitze in der Stadt Wie Fassaden- und Dachbegrünung für Abkühlung sorgen kann Tassilo Soltkahn Temperaturen über 30 °C, kaum Abkühlung in den Nächten, wenig Schatten und dafür viel Beton: Die Sommer in den Städten werden immer heißer und anstrengender für Menschen, Tiere und Pflanzen. Denn in der Regel ist es in urbanen Gebieten wärmer als auf dem Land - man spricht deshalb auch von urbanen Hitzeinseln. Der Wärmeeffekt ist dabei umso stärker, je dichter die Gebäude nebeneinander gebaut sind. Dadurch kann die Luft nicht gut zirkulieren und kühlender Wind die Straßen nicht ausreichend belüften. Zudem speichern Materialien wie Beton, Glas und Metall Wärme, weshalb Städte nachts nur langsam wieder abkühlen. Dunkle Materialien in Farben wie Schwarz, Grau oder Rot verstärken diesen Effekt noch - sie nehmen Sonnenlicht auf und wandeln es in Wärme um. Nachhaltige Bauweisen mit freien Flächen, sogenannten Frischluftschneisen, weiße Fassaden und ausreichend Pflanzen - Bäume und Grünlagen sowie Fassaden- und Dachbegrünung - können Hitze in den Städten hingegen regulieren. Green Living Heidesee. © Soltkahn AG 29 3 · 2023 TR ANSFORMING CITIES PRAXIS + PROJEKTE Stadtraum Folgen nicht zunehmen, gilt es, die Städteplanung und den Wohnungsbau neu zu denken. Vor allem Grün- und Wasserflächen müssen dabei im Fokus stehen. Bäume und Grünflächen sorgen nicht nur für Abkühlung - der Übergang von flüssigem Wasser zu Wasserdampf verbraucht Wärmeenergie -, sondern dämpfen auch Lärm, reinigen die Luft und speichern bei Starkregen Versickerungswasser und dienen so als Puffer. Das Stadtkonzept „Schwammstadt“ sieht zum Beispiel vor, dass Wasser versickert, verdunstet oder gespeichert wird. Oberflächen werden weniger zubetoniert, es wird mehr Wert auf städtische Wiesen und Parks gelegt, Baumwurzeln bekommen mehr Platz, Mulden und Zisternen speichern Regenwasser, das in Trockenphasen Bäume und Pflanzen versorgen soll. Auffangbecken unter der Erde, sogenannte Rigolen, lassen das Wasser versickern und leiten überschüssige Flüssigkeit in die Kanalisation ab. Damit sollen Kanäle weniger überlastet werden, um Überschwemmungen vorzubeugen. Auch begrünte Dächer und Fassaden wirken aufgrund von Verschattung und Verdunstung kühlend auf die nähere Umgebung und bieten somit Möglichkeiten, gesunde und nachhaltige Lebensumgebungen zu schaffen. Überlebenskünstler auf dem Dach Wer ein Gründach auf dem Haus, der Garage oder dem Carport hat, profitiert gleich mehrfach - denn es bietet nicht nur ökologische, sondern auch bauphysikalische Vorzüge. Während es regnet, geben Gründächer zum Beispiel wesentlich weniger Wasser an die Kanalisation ab. Die Pflanzen nehmen das Wasser auf und es verdunstet, wodurch der Regen im Wasserkreislauf vor Ort verbleibt. Gleichzeitig schützen Gründächer vor hohen Temperaturen. Mit Asphaltpappe gedeckte Dächer erhitzen sich im Sommer auf 80 bis 100 °C - Gründächer hingegen nur auf 25 bis 40 °C. Laut eines Forschungsprojektes des Umweltbundesamtes von 2019 spart eine Dachbegrünung etwa 10 % Energie bei der Kühlung von Innenräumen. Entscheidend für den Kühlungseffekt ist, dass die Pflanzen ausreichend Wasser zur Verfügung haben. Die Schicht des Pflanzsubstrates sollte deshalb mindestens 10-cm hoch sein. Zudem können sogenannte Retentionselemente verbaut werden, die Wasser längerfristig speichern. In Sommern mit gelegentlichem Regenfall benötigt eine ausgewachsene Begrünung in der Regel keine zusätzliche Bewässerung. Es werden vor allem Pflanzen für Dachbegrünung verwendet, die trockenresistent sind und mit einem geringen Nährstoffangebot auskommen. Echte Überlebenskünstler und häufig bestandsbildend sind Sedumpflanzen, auch Fetthenne oder Mauerpfeffer genannt. Aber auch spezielle Kräuter, Moose und Gräser kommen mit den besonderen Standortbedingungen auf dem Dach zurecht. Durch die zunehmenden Dürreperioden in Deutschland kann allerdings auch für trockenresistente Pflanzen eine zusätzliche Bewässerung nötig werden. Zudem gilt es die Bepflanzung einmal im Jahr - im Frühjahr oder Herbst - zu düngen. Deutlicher Kühlungseffekt durch Fassadenbegrünung Im Vergleich zu einer Dachbegrünung kann eine Fassadenbegrünung hinsichtlich des Kühlungseffektes noch effektiver sein. Denn in der Regel nimmt die Bepflanzung von Fassaden eine größere Fläche ein und wirkt auf allen Etagen eines Gebäudes. Dabei stellen die Pflanzen eine Verschattung dar, die die Wände kühlen. Der erzielte Effekt hängt vor allem davon ab, wie dicht die Bepflanzung ist. Es gibt Messungen, die zeigen, dass eine dichte Belaubung die einfallende Sonnenstrahlung auf die Wandoberfläche um bis zu 80 % reduzieren kann. Dadurch lassen sich Oberflächentemperaturen im Vergleich zu einer unbepflanzten Wand um bis zu 15 °C verringern. Doch die Begrünung spendet nicht nur Schatten. Sie kühlt auch die Umgebung, indem sie Wasser verdunstet. Dabei wird der unmittelbaren Umgebungsluft Energie in Form von Wärme entzogen. Um bis zu 5 °C können grüne Fassaden die umgebende Temperatur senken. Außerdem mindern sie an verkehrsreichen Straßen zusätzlich noch den Lärm. Wird die Begrünung im Boden am Gebäude gepflanzt, sodass sie Wasser und Nährstoffe aus dem Boden ziehen kann, ist der Pflegeaufwand minimal. Zum Beispiel Efeu, wilder Wein oder Blauregen eignen sich gut für eine Fassadenbegrünung. Aufgrund der vielen Vorteile von Dach- und Fassadenbegrünungen - von den Kühlungseffekten im Sommer über Lärmschutz und Wärmedämmung im Winter bis zur Verbesserung der Luftqualität durch das Filtern von Staub und Schadstoffen - setzen wir bei immer mehr Projekten auf Pflanzen als Teil einer nachhaltigen Bauweise. AUTOR Tassilo Soltkahn Architekt und Vorstand Soltkahn AG Kontakt: kontakt@soltkahn.de