Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0076
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Automatisch fahren, auch in der Stadt - wollen wir das?
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Hartmut Topp
Das selbstfahrende Auto ist ein alter Traum (Bild 1), der heute mit vollautomatisiertem und künftig mit autonomem Fahren – so die Fachbegriffe für die Stufen 4 und 5 zum selbstfahrenden Auto – technisch wirklich wird. Was noch fehlt, sind rechtliche Regelungen, insbesondere zu Fragen der Haftung bei einem Unfall, der ja nie völlig auszuschließen ist.
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4 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt Auf Autobahnen schon heute, auf vierstreifigen Landstraßen mit Mitteltrennung und auf weitgehend anbaufreien städtischen Magistralen mit Tempo 50 ab etwa 2035 ist automatisiertes Fahren kein Problem - im Gegenteil, der Verkehr wird entspannter und sicherer durch automatische Einhaltung von Tempolimits und Fahrzeugabständen, wie wir das bereits vom assistierten Fahren kennen. Aber wie sieht es aus auf multifunktionalen Stadtstraßen mit Fuß- und Radverkehr, ÖPNV und Autoverkehr? - „in hochkomplexen Umfeldern wie urbanen Räumen“ [3]. Wird es wirklich die schöne neue Welt des Stadtverkehrs, wie in Bild 2 suggeriert? Und passend dazu: „Der City-Pilot kann … im gesamten urbanen Umfeld die Steuerung bis zu einer Geschwindigkeit von 50 km/ h übernehmen“ [3], und im Forschungsprojekt STADT: up [4] geht es um „neue, KI-basierte Methoden … bei komplexen Verkehrssituationen“. Tatsächlich ist es komplizierter oder einfacher - je nachdem, wie man es betrachtet. Gehende und Radfahrende können automatisch fahrende Autos ohne Risiko ausbremsen, da deren Software aus Gründen der Sicherheit so ausgelegt sein muss - „Notbremsassistent mit Fußgängererkennung“ [3, 5]. Es ist ein Unterschied, ob man Autolenkenden ins Auge schaut oder ob man einen Automaten in Form eines Roboterautos vor sich hat. Wenn automatisch gefahren wird, ohne Blickkontakt und mit der Garantie des Anhaltens, kann querender Fuß- und Radverkehr den automatischen Autoverkehr jederzeit stoppen [6]. Und im nachgeordneten Straßennetz mit Shared Space und dem dort üblichen Miteinander aller kämen automatisch fahrende Autos kaum weiter. Nun könnte man argumentieren, dass das Automatisch fahren, auch in der Stadt - wollen wir das? Hartmut Topp Das selbstfahrende Auto ist ein alter Traum (Bild 1), der heute mit vollautomatisiertem und künftig mit autonomem Fahren - so die Fachbegriffe für die Stufen 4 und 5 zum selbstfahrenden Auto [1] - technisch wirklich wird. Was noch fehlt, sind rechtliche Regelungen, insbesondere zu Fragen der Haftung bei einem Unfall, der ja nie völlig auszuschließen ist. Bild 1: Familie beim Domino-Spiel im Pontiac Plexiglas-Coupé. © LIFE-Magazine, 1956 Bild 2: Schöne neue Welt des Stadtverkehrs? [2] © Daimler AG 5 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES FORUM Standpunkt ja Gehende bevorteilt. Aber was ist dann mit dem Autoverkehr? Wenn der weiter fließen soll, müsste „illegales“ Queren auf der Strecke zwischen Knotenpunkten und auch das Queren an roten Ampeln verhindert werden. Bei ROT gehen, wenn kein Auto kommt, ist in bestimmten überschaubaren Situationen heute gängige Praxis. Der Appell, dies nicht zu tun, wenn Kinder in der Nähe sind (Bild 3), wird nicht von allen befolgt. Intelligente Ampeln, wie in Wien, mit Erfassung des Fuß- und Radverkehrs und des Autoverkehrs, vermeiden das, indem sie GRÜN entsprechend der aktuellen Nachfrage verteilen [7]. Ein (falscher) Ansatz für einen störungsarmen automatischen Autoverkehr wäre die Einzäunung der Fahrbahn, wie zum Beispiel in Tokyo (Bild 4). Dort werden Straßen in Wohnquartieren häufig als Shared Space gestaltet, aber in einigen Hauptverkehrsstraßen zwischen den Quartieren sind die Fahrbahnen eingezäunt - auch ohne automatischen Autoverkehr. Auch in deutschen Städten gibt es Zäune zur Unterbindung von Querungen, hier allerdings im Mittelstreifen (Bild 5) - optisch weniger störend. Aber wollen wir die Freizügigkeit des Fußverkehrs in unseren Städten zu Gunsten eines automatischen Autoverkehrs weiter einschränken? Nein, (mehr) Zäune sind kein geeigneter Ansatz. Und Gesichtskontrollen wie in China kommen erst recht nicht in Frage. Das entspricht nicht unserer Vorstellung von Offenheit und Stadt. Wie sieht eine Lösung aus, die im Stadtverkehr Fuß- und Radverkehr, ÖPNV und Autoverkehr einschließlich LKW gleichermaßen berücksichtigt und Zäune vermeidet? Autofahrende müssten bei Einfahrt in die Stadt vom automatischen in den manuellen Modus wechseln. Und das muss verkehrsrechtlich durchgesetzt werden. So wird ein verträgliches Miteinander aller am Verkehr Teilnehmenden gefördert unter Bedingungen, die wir gewohnt sind. Das ist insbesondere auch für den manuell fließenden Autoverkehr von Vorteil und kommt ohne Einzäunung der Fahrbahn (Bild 4) aus. LITERATUR [1] ADAC: Autonomes Fahren: Die 5 Stufen zum selbstfahrenden Auto, (2021). [2] ADAC: Autonomes Fahren: So fahren wir in Zukunft, (2023). [3] Prognos: Einführung von Automatisierungsfunktionen in der PKW-Flotte. Auswirkungen auf Bestand und Sicherheit, (2018). [4] STADT: up - Konsortium: Solutions and Technologies for automated Driving in Town: An urban Mobility Project, (2023). [5] O’Neill, D.: Communication is Key. Wenn Verkehrsteilnehmer miteinander sprechen. polis- MOBILITY, (2022) S. 54 - 57. [6] Forschungsgesellschaft für das Straßen- und Verkehrswesen: Chancen und Risiken des autonomen und vernetzten Fahrens aus der Sicht der Verkehrsplanung. FGSV-Bericht, (2020). [7] Possegger, H.: Fußgängerampeln mit Intelligenz - ab Ende 2020 in ganz Wien, TU Graz (2019). https: / / w w w.internationalesverkehrs wesen.de/ fussgaen gerampeln-mit-intelligenz-abende-2020-in-ganz-wien/ Bild 3: (oben links) Gehende queren bei ROT, „Es kommt doch kein Auto“. © topp.plan Bild 4: (oben rechts) Fahren auf eingezäunten Fahrbahnen, hier in Tokyo. © Glotz-Richter Bild 5: (unten) Zaun im Mittelstreifen verhindert das Queren, hier in Kaiserslautern. © topp.plan Prof. Dr. Hartmut Topp topp.plan: Stadt.Verkehr.Moderation Kontakt: topp.plan@t-online.de AUTOR
