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Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0085
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2023
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Bedeutungsplan Fußverkehr in Leipzig

124
2023
Friedemann Goerl
Frederik Sander
Robert Guschel
Caroline Koszowski
Regine Gerike
Dieser Beitrag stellt die Methodik zur Erarbeitung eines Bedeutungsplans Fußverkehr am Beispiel der Stadt Leipzig vor. Auf Basis von Annahmen zu Relevanz und Reichweite von Quellen und Zielen für den Fußverkehr werden dem öffentlichen Raum Bedeutungsstufen zugewiesen. Diese stehen für das Fußverkehrspotenzial, das durch die im Umfeld der jeweiligen öffentlichen Räume vorliegenden städtebaulichen Strukturen erwartet werden kann. Der so erstellte Bedeutungsplan ermöglicht die Identifikation von Netzen und Priorisierung von Planungen für den Fußverkehr, ohne dass Zählungen vorliegen.
tc840030
30 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende Fußverkehr sowohl als Bewegung zwischen Quellen und Zielen als auch als Aufenthalt in öffentlichen Straßenräumen ist mit vielfältigem Nutzen verbunden. Der Aufenthalt im öffentlichen Raum ist eine wesentliche Qualität städtischen Lebens, die Belebtheit öffentlicher Räume fördert den ökonomischen Erfolg angrenzender Nutzungen und die soziale Sicherheit. Fußverkehr ist ökonomisch, ökologisch sowie auch bezüglich des Flächenverbrauchs die effizienteste Fortbewegungsart und als Zugang zu und als Abgang von motorisierten Verkehrsmitteln und insbesondere zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) notwendiger Bestandteil der allermeisten Wege. Zu Fuß gehen bedeutet körperliche Aktivität, so dass Fußverkehr auch direkt zur Förderung der öffentlichen Gesundheit beiträgt. Diese vielfältigen positiven Effekte von Fußverkehr werden zunehmend erkannt, viele Akteure zeigen hohes Engagement bei seiner Förderung - von der strategischen Ebene der Fußverkehrskonzepte [1, 2] bis hin zur konkreten Gestaltung attraktiver und sicherer Straßenräume [3]. Diese hohe Bedeutung des Fußverkehrs an der Schnittstelle zwischen Stadt-, Verkehrs- und Gesundheitsplanung steht im deutlichen Widerspruch zur unzureichenden Datenlage. Straßenräumliche Daten zu Fußverkehrsaufkommen werden traditionell kaum erhoben, vornehmlich aus Gründen des Erhebungsaufwands und der Planungsprioritäten: Die Erhebung von Fußverkehrsaufkommen ist aufwändig, da diese bisher vor allem manuell erfolgt, automatische Zählstellen werden kaum angewendet und zeigen erhebliche Ungenauigkeiten bei der Erfassung [4]. Zudem liegt der Fokus der Untersuchungen und Planungen bisher häufig auf dem KFZ- Verkehr (individuell und öffentlich), zunehmend auch auf dem Radverkehr und weniger auf dem Fußverkehr. Technologische Innovationen bieten vielversprechende Chancen zur Verbesserung der Datenlage, zum Beispiel auf Basis von Erhebungen mit Videokameras oder anderen bildgebenden Verfahren mit zunehmend automatisierter Ableitung von Fußverkehrsstärken und auch von Bewegungslinien. Diese neuen Technologien werden aber bisher nur punktuell angewendet. Die Sichtbarkeit des Fußverkehrs in Mobilitätserhebungen ist durch das Prinzip des Hauptverkehrsmittels eingeschränkt. Übliche Modal Split-Auswertungen zur Verteilung der Wege in der Bevölkerung über die verschiedenen Verkehrsmodi zeigen beim Fußverkehrsanteil von rund 30 % nur die Wege, in denen von Quelle zum Ziel komplett zu Fuß gegangen wird. Die vor allem in den mit dem ÖPNV zurückgelegten Wegen enthaltenen Fußverkehrsetappen sind nicht sichtbar [1]. Relevante Einflussfaktoren betreffend sind die „5 Ds“ (Density/ Dichte, Diversity/ Diversität der Landnutzung, Design/ Gestaltung, Distance to Public Transport/ Erreichbarkeit des Öffentlichen Verkehrs (ÖV), Destination Accessibility/ Erreichbarkeit nahräumlicher Ziele) das in der internationalen Literatur am weitesten verbreitete System zur Klassifizierung räumlicher Determinanten von Fußverkehrsaufkommen [5]. Die Dichte wird in der Regel als Bevölkerungsdichte oder Anteil der bebauten an der gesamten Fläche („Floor Area Ratio“) in einem bestimmten Radius um einen Straßenabschnitt operationalisiert [6]. Die Diversität der Landnutzung wird über Entropiemaße oder einfacher über Anteile bestimmter Nutzungen beschrieben [7]. Dichte und Diversität sind die beiden wichtigsten Variablen für die Erklärung von Fußverkehrsauf- Bedeutungsplan Fußverkehr in Leipzig GIS-basierte Methodik als Basis für die strategische Netzentwicklung Fußverkehr, Netzplanung, Stadtstraßenentwurf, Points-of-Interest, Geodaten Friedemann Goerl, Frederik Sander, Robert Guschel, Caroline Koszowski, Regine Gerike Dieser Beitrag stellt die Methodik zur Erarbeitung eines Bedeutungsplans Fußverkehr am Beispiel der Stadt Leipzig vor. Auf Basis von Annahmen zu Relevanz und Reichweite von Quellen und Zielen für den Fußverkehr werden dem öffentlichen Raum Bedeutungsstufen zugewiesen. Diese stehen für das Fußverkehrspotenzial, das durch die im Umfeld der jeweiligen öffentlichen Räume vorliegenden städtebaulichen Strukturen erwartet werden kann. Der so erstellte Bedeutungsplan ermöglicht die Identifikation von Netzen und Priorisierung von Planungen für den Fußverkehr, ohne dass Zählungen vorliegen. 31 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende kommen, sie sind konsistent signifikant und zeigen die höchsten Effektstärken. Auch kürzere Distanzen zu Haltestellen des ÖPNV erhöhen das Fußverkehrsaufkommen. Design-Variablen auf Netzebene sind nur in manchen Studien signifikant und werden zum Beispiel über die Dichte an Knoten im Netz pro Fläche oder Blockgrößen operationalisiert [7]. Der Netzindikator „Betweenness Centrality“ zeigt in jüngeren Studien signifikante Zusammenhänge mit Fußverkehrsaufkommen, die aus der Zentralität von Knoten und Kanten in einem Netz abgeleitet werden [8]. Die Erreichbarkeit von nahräumlichen Zielen wie zum Beispiel Supermärkten zeigt deutliche Wechselwirkungen mit der Diversität der Landnutzung und hat weniger Gewicht für die Erklärung von Fußverkehrsaufkommen [5]. Typische Radien im Umkreis um die zu untersuchenden Straßenabschnitte variieren zwischen 250 m und 800 m, wobei häufig unterschiedliche Radien für unterschiedliche Ziele (zum Beispiel ÖPNV-Haltestellen oder Supermärkte) angewendet werden [9]. Diese Erkenntnisse zu den Determinanten von Fußverkehr können genutzt werden, um die Bedeutung von Straßen und öffentlichen Räumen für den Fußverkehr auf Basis von Daten zur gebauten Umwelt abzuschätzen und damit eine Hierarchisierung von Netzen und eine Priorisierung von Planungen zu ermöglichen, ohne dass Zählungen vorliegen. Dieser Beitrag stellt am Beispiel der Stadt Leipzig einen solchen Ansatz vor. Auf Basis von Annahmen zu Relevanz und Reichweite von Quellen und Zielen (Points of Interest = POI) sowie flächenhaften Nutzungen (zum Beispiel Parks) für den Fußverkehr, werden jedem Element des öffentlichen Raumes Bedeutungsstufen zugewiesen. Diese stehen für das Fußverkehrspotenzial, das für die im Umfeld der jeweiligen Räume vorliegenden städtebaulichen Strukturen unter anderem auf Basis der in der Literatur generierten Erkenntnisse erwartet werden kann. Die Methode schätzt damit implizit auch Fußverkehrsaufkommen. Durch die bisher fehlende Validierung mit tatsächlichen Zählungen bleibt sie aber auf der qualitativen Ebene der Zuweisung von Potenzialen und erhebt nicht den Anspruch, quantitativ Fußverkehrsaufkommen zu schätzen. Es können dadurch jedoch bereits Vergleiche zwischen den unterschiedlichen städtischen Räumen und deren Bedeutung für den Fußverkehr gezogen werden. Ausgangslage in der Stadt Leipzig Die Stadt Leipzig bietet mit dichten städtebaulichen Strukturen, breiten Boulevards, einer attraktiven autoarmen Innenstadt sehr gute Bedingungen für den Fußverkehr und hat sich früh zur Förderung dieser Verkehrsart bekannt. Bereits das im Jahr 1997 beschlossene Konzept für den Fußgängerverkehr in Leipzig bekennt sich zu den Zielen der Stadt der kurzen Wege und der Stärkung des Fußverkehrs. Diese hohe Priorität ist auch in den dann folgenden strategischen Planungsdokumenten und Aktivitäten sichtbar. Dies sind vor allem der Stadtentwicklungsplan Verkehr und öffentlicher Raum aus dem Jahr 2015, die Schaffung der Position eines Fußverkehrsverantwortlichen - in Leipzig als erste Stadt Deutschlands - in 2018 und die Mobilitätsstrategie 2030 in 2018 [1]). Zur fortlaufenden systematischen Förderung des Fußverkehrs ist ein dreistufiger Ansatz vorgesehen mit den Komponenten a) der Fußverkehrsstrategie als konzeptionelle Grundlage, b) des Fußverkehrsentwicklungsplans zur Identifizierung von Netzen und Schwerpunkten für Maßnahmen auf gesamtstädtischer Ebene und 3) teilräumlicher integrierter Verkehrskonzepte auf Stadtteilebene, die ebenso den Fußverkehr inkludieren. Die in der im Jahr 2021 verabschiedeten Fußverkehrsstrategie formulierten nachfrageseitigen Ziele fokussieren auf den wegebezogenen Modal Split-Anteil des Fußverkehrs, welcher stabilisiert werden soll. Angebotsseitige Ziele betreffen die Identifikation von Netzen, die Entwicklung von attraktiven, barrierefreien und sicheren Infrastrukturen, die Stärkung fußverkehrsfreundlicher Mobilitätskulturen sowie die Umsetzung von Monitoring und Evaluation. Der nachfolgend vorzustellende Bedeutungsplan zahlt auf verschiedene dieser Ziele ein. Er ermöglicht unter anderem die evidenzbasierte Identifizierung von gesamtstädtischen Entwicklungsschwerpunkten als Basis für die Netzentwicklung, die Priorisierung von Maßnahmen zur Umgestaltung oder Instandsetzung von Straßenräumen bis hin zur Verkehrsüberwachung und der ÖPNV-Netzplanung. Methodik zur Erstellung des Bedeutungsplans Die oben zusammengefasste Literatur zeigt, dass Fußverkehr im Unterschied zu anderen Verkehrsarten insbesondere nahräumliche Zusammenhänge hat. Für Fußverkehrsaufkommen relevant sind weniger Quell- und Zielbeziehungen entlang von Routen und Achsen über große Distanzen, sondern eher das direkte Umfeld mit den jeweiligen städtebaulichen Nutzungsmöglichkeiten und räumlichen Gegebenheiten. Die Grundidee der Methodik zur Erstellung des Bedeutungsplans für die Stadt Leipzig besteht vor diesem Hintergrund in der Annahme, dass spezifische fußverkehrsrelevante und -generierende Orte in den straßenräumlichen Randnutzungen als Points of Interest (POI) sowie auch Flächennutzungen wie beispielsweise Grünräume jeweils typische 32 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende Fußverkehrsaufkommen mit typischen Reichweiten generieren. Die Auswahl der POI und flächenhaften Nutzungen erfolgt auf Basis der in den Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen (EFA) der FGSV [10] gelisteten Einrichtungen mit erhöhten Anforderungen an Gehwege, welche in Typisierung und Reichweiten auf Basis der Literatur in Kombination mit Plausibilitätsprüfungen vor Ort und darüber hinaus gehenden Überlegungen adaptiert werden (Tabelle 1). Einwohnendenschwerpunkte werden als 100 m x 100 m- Rasterdaten eingebunden; Bildungseinrichtungen, Dienstleistungen, öffentliche Gebäude, Versammlungs-/ Sport- und Freizeiteinrichtungen werden im Vergleich zu den EFA [10] stärker ausdifferenziert; für den ÖPNV wird nach Bus-, Straßenbahn- und SPNV-Haltestellen (schienengebundener Personennahverkehr) unterschieden und die Reichweiten in Übereinstimmung mit dem Nahverkehrsplan angepasst; eine eigene Gruppe für Grün-, Blau- und Platzflächen wird ergänzt, um deren Bedeutung für den Fußverkehr Rechnung zu tragen. Neben der Reichweite wird jeder Klasse von POI eine Bedeutung zugewiesen, welche in der Aggregation einer Gewichtung der verschiedenen Klassen gleichkommt. Die Bestimmung der Bedeutungen wird unter Berücksichtigung von Erkenntnissen aus der Literatur zu Fußverkehrspotenzialen bestimmter Typen von POI, Expert*innenwissen sowie politischen Abstimmungen zur Priorisierung ausgewählter Nutzer*innengruppen wie Kindern und Senior*innen vorgenommen bei einer Bandbreite von eins bis 20 für die Bedeutungsstufen. In die Erstellung des Bedeutungsplans wurden dabei Fachausschüsse der Kommunalpolitik, die Fachöffentlichkeit in Form der städtischen Arbeitsgemeinschaft Fußverkehrsförderung und der Runde Tisch Fußverkehr, sowie die Stadtbezirksbeiräte und Ortschaftsräte intensiv einbezogen. Für die Zuordnung der Bedeutung der Einwohnendenschwerpunkte werden die in dem 100 m x 100 m- Raster gemeldeten Personen mit einem Koeffizienten von 0,02 multipliziert und somit eine Bandbreite von eins bis zehn erzeugt. Diese Gewichtung wurde ebenfalls mehrfach verwaltungsintern und über die Arbeitsgemeinschaft Fußverkehrsförderung in ihrer Auswirkung auf das Gesamtergebnis evaluiert und angepasst. ÖPNV-Haltestellen wird ein Grundwert nach Tabelle 1 zugewiesen. Darüber hinaus erhalten Umstiegshaltestellen fünf weitere Bedeutungspunkte, welche auf Basis des Nahverkehrsplans der Stadt Leipzig bei größeren Bedienhäufigkeiten weiterhin erhöht werden [11]. Um einen differenzierten Ausgleich zwischen innerstädtischen und randstädtischen Lagen zu erreichen, wurden die Zentren der historischen Ortslagen im Leipziger Stadtgebiet erhoben und in ihrer Bedeutung gesteigert. Ehemalige Dorfkerne der Stadtrandlagen gehen somit mit 10- Punkten als Sonderfälle in die Bewertung ein. Zur Bestimmung der Bedeutung für Parkanlagen wird auf Bewegungs- und Trackingdaten des Unternehmens Strava zurückgegriffen, um den von POI unabhängigen Fußverkehr abzuschätzen. Da durch die Bewegungsdaten insbesondere der Freizeitfußverkehr ( Joggen, Spazieren) abgebildet ist, können dadurch die Grünflächen detaillierter analysiert werden. Räume in Grünflächen mit einer besonders hohen Frequenz erhalten bis zu 150 Punkte, um hier eine Vergleichbarkeit zu den Straßenräumen herstellen zu können. Dies ermöglicht die adäquate Berücksichtigung dieser für den Fußverkehr wichtigen Flächennutzungen einschließlich auch des weniger auf POI orientierten Freizeitverkehrs. Zur Bestimmung der Gesamtbedeutung eines Straßenabschnitts über alle berücksichtigten POI und Flächennutzungen wird um jeden Bedeutungsträger eine Netzwerkanalyse mit der jeweiligen Reichweite durchgeführt, wobei keine Kreise gezogen werden, sondern differenziert entlang des tatsächlichen Straßen- und des Wegenetzes geroutet wird. Die Bedeutungen der das jeweilige Straßensegment überstreichenden Einflussbereiche werden gewichtet aufaddiert und so die Gesamtbedeutung für jedes Straßensegment ermittelt. Das der Analyse zugrundeliegende Wegenetz basiert auf zwei Datensätzen. Dies sind zum einen das Wegenetz von OpenStreetMap (OSM) als Linien und zum anderen Verkehrsflächen als Polygone von der Stadt Leipzig. Während die Verkehrsflächen nur jene Flächen umfassen, die in der Liegenschaft des Verkehrs- und Tiefbauamtes der Stadt Leipzig liegen, umfasst das Wegenetz von OSM auch Wege in Grünanlagen (Verantwortlichkeit beim Amt für Stadtgrün und Gewässer), Wege im halböffentlichen und privaten Raum und teilweise auch informelle Wege, die letztlich auch bedeutsame Verbindungen für den Fußverkehr darstellen. Der Datensatz der OSM-Wege wurde lediglich um jene Wege bereinigt, die nicht durch zu Fuß Gehende begangen werden können (zum Beispiel Autobahnen und Autobahnauffahrten). Die Geodaten der POI lagen der Stadt Leipzig größtenteils direkt vor. Sie wurden durch OSM- Daten ergänzt, falls keine flächendeckenden gesamtstädtischen Datensätze vorhanden waren. Teilweise wurden Datensätze aus beiden Quellen zusammengeführt, dabei identifizierte Dopplungen wurden bereinigt. Einige Datensätze wurden 33 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende Gruppe Klasse Datenquelle Datentyp Einflussbereich Bedeutung Wohnen Einwohnerschwerpunkte Stadt Raster Fläche des Rasters 1 - 10 Einwohnerzahl * 0,02 Altenpflegeheime Stadt POI 500 m 7 Bildungseinrichtungen Kindergärten Stadt POI 200 m 7 Grundschulen Stadt POI 200 m 7 weiterführende Schulen Stadt POI 200 m 7 Hochschulen Stadt/ OSM POI 400 m 7 Dienstleistungen, Einzelhandel und Gastronomie Geschäfte OSM POI 200 m 1 Großflächiger Einzelhandel OSM, selbst erstellt POI 300 m 10 Gastronomie OSM POI 300 m 27 Öffentliche Gebäude Öffentliche Verwaltung, Bürgerämter Stadt POI 300 m 6 Bibliotheken, Post Stadt/ OSM POI 300 m 6 Polizei, Justiz OSM POI 300 m 3 Versammlungsstätten, Sport, Freizeit Sportanlagen Stadt/ OSM POI 200 m 2 Spielplätze OSM POI 200 m 4 Bäder Stadt POI 200 m 6 Großveranstaltungen selbst erstellt POI 500 m 20 Hotels, Pensionen OSM POI 300 m 3 Museen, Gebäude mit überörtlicher Bedeutung Stadt/ OSM POI 200 m 6 Haltestellen des ÖPNV Bushaltestelle Stadt POI 300 m 10 Straßenbahn haltestelle Stadt POI 300 m 15 SPNV-Haltestelle Stadt/ selbst erstellt POI 500 m 20 Gesundheit Krankenhäuser selbst erstellt POI 500 m 20 Praxen, Gesundheitsbedarf, Sozialeinrichtungen Stadt/ OSM POI 300 m 3 Grün-, Blau- und Platzflächen Friedhof Stadt Polygone Fläche 10 Wald/ Gehölz Stadt Polygone Fläche 10 Kleingärten Stadt Polygone Fläche 5 Platz Stadt Polygone Fläche 10 Gewässer Stadt Polygone Fläche + 100 m 15 Park/ gestaltetes Grün Stadt Polygone Fläche + 100 m 20 Historische Ortskerne in randstädtischer Lage Ortskerne Kartendienst Meilenblätter Sachsen, Berliner Exemplar Polygone Fläche 15 100m Puffer um Ortskerne Kartendienst Meilenblätter Sachsen, Berliner Exemplar Polygone Fläche 5 Bewegungsdaten keine bis wenige Frequenz Strava Metro Linie + 20 m Puffer Fläche 0 niedrige Frequenz Strava Metro Linie + 20 m Puffer Fläche 10 mittlere Frequenz Strava Metro Linie + 20 m Puffer Fläche 50 hohe Frequenz Strava Metro Linie + 20 m Puffer Fläche 100 sehr hohe Frequenz Strava Metro Linie + 20 m Puffer Fläche 150 Tabelle 1: Typisierung der Points of Interest (POI) und Flächennutzungen einschließlich Einflussbereich und Bedeutungsstufe. 34 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende mangels Verfügbarkeit händisch recherchiert und nachgetragen. Neben den als Punktdaten vorliegenden POI wurden Rasterdaten für die Einwohnendendichte und Polygone als Flächendaten für die Grün-, Blau- und Platzflächen sowie historische Ortslagen eingebunden. Ebenso wurden räumliche Bewegungsdaten hinzugezogen, die den Freizeitverehr (Spazierengehen, Joggen) abbilden. Dies war vor allen Dingen innerhalb der Grünflächen von Relevanz. Die so umgesetzte Analyse stützt sich auf einen umfangreichen Datensatz an Einzelelementen von Bedeutungsträgern wie POI (6 629 Datensätze), Einwohnendenraster (46 000 Datensätze), Grün- und Gewässerflächen (3 085 Datensätze), sowie den Bewegungsdaten. Ergebnisse Bild 1 zeigt den finalen Bedeutungsplan für das gesamte Gebiet der Stadt Leipzig und Bild 2 für einen innerstädtischen Ausschnitt. Die höchsten Bedeutungswerte werden mit über 650 Punkten in der Leipziger Innenstadt erreicht, da sich dort besonders viele Einzugsbereiche von Geschäften, Dienstleistungen, Gastronomie, Bildungseinrichtungen (vor allem Hochschulstandorte) und öffentlichen Gebäuden überlagern. Generell zeigt sich, dass Dienstleistungen, Einzelhandel und Gastronomie aufgrund räumlicher Ballungen die Bedeutungsräume des Fußverkehrs deutlich prägen. Entsprechend zeichnen sich auch die im Stadtentwicklungsplan 2016 (StEP) [12]) definierten Zentren der Stufen A bis D deutlich ab. Hier besteht demnach eine gute Übereinstimmung zwischen den mit der hier beschriebenen Methode ermittelten Fußverkehrspotenzialen und den räumlichen Entwicklungszielen der Stadt Leipzig. Auch in der Abstufung der Zentren zeigt sich eine gute Übereinstimmung mit vereinzelten Abweichungen. So zeigt zum Beispiel das D-Zentrum Connewitzer Kreuz eine sehr hohe und das C-Zentrum Eutritzsch/ Delitzscher Straße eine eher niedrige Ausprägung in den Bedeutungsstufen auf. Die B- und C-Zentren im StEP 2016 haben maximale Bedeutungsausprägungen von etwa 200 - 250, während die D-Zentren zwischen 100 - 150 liegen. Auch abseits der im StEP 2016 definierten Zentren gibt es Räume mit sehr hohen Bedeutungsausprägungen wie beispielsweise der Johannisplatz, der Bayerische Platz, das Musikviertel und erhöhte Bedeutungsräume innerhalb der Stadt- und Ortsteile wie zum Beispiel der Coppiplatz, der Stannebeinplatz oder der Ortskern Zweinaundorf. Dies zeigt das Potenzial dieser Bereiche für künftige Entwicklungen auf. Insgesamt zeigt sich, dass Räume mit guter Erreichbarkeit im Netz besser abschneiden. Je mehr Zufahrten ein Knotenpunkt hat und je mehr Wege dementsprechend zu einem Ort führen, desto mehr Einflussbereiche überlagern sich dort tendenziell, was wiederum zu höheren Bedeutungsausprägungen führt. Zusammenfassung und Ausblick Mit dem für die Stadt Leipzig vorliegenden Bedeutungsplan können erstmalig evidenzbasiert gesamtstädtisch Potenziale und Entwicklungsschwerpunkte für den Fußverkehr identifiziert werden. Unter Bezugnahme des Bedeutungsplanes ist es nun möglich, bei allen aufkommenden Initiativen und Maßnahmen eine Priorisierung und Hierarchisierung aus Sicht des Fußverkehrs vorzunehmen. Bei der Vielzahl von notwendigen Maßnahmen für Bild 1: Bedeutungsplan Fußverkehr der Stadt Leipzig. © Stadt Leipzig Bild 2: Innerstädtischer Ausschnitt aus dem Bedeutungsplan Fußverkehr der Stadt Leipzig . © Stadt Leipzig 35 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende Friedemann Goerl Fußverkehrsverantwortlicher Stadt Leipzig, Verkehrs- und Tiefbauamt Kontakt: friedemann.goerl@leipzig.de Frederik Sander Sachbearbeiter strategische Rad- und Fußverkehrsplanung Stadt Leipzig, Verkehrs- und Tiefbauamt Kontakt: frederik.sander@leipzig.de Robert Guschel Koordinierungsstelle Leipzig weiter denken Stadt Leipzig, Stadtplanungsamt Kontakt: robert.guschel@leipzig.de Caroline Koszowski, M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin Technische Universität Dresden, Integrierte Verkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik Kontakt: caroline.koszowski@tu-dresden.de Prof. Dr.-Ing. Regine Gerike Professur für Mobilitätssystemplanung Fakultät Verkehrswissenschaften „Friedrich List“ Institut für Verkehrsplanung und Straßenverkehr Technische Universität Dresden Kontakt: regine.gerike@tu-dresden.de AUTOR*INNEN den Fußverkehr im gesamten Stadtgebiet ist eine solche Systematik zwingend erforderlich, um die systematische und strategische Einordnung der Belange des Fußverkehrs unter den Zwangspunkten der finanziellen und personellen Ressourcen zu ermöglichen - entsprechend der in den verschiedenen strategischen Planungsdokumenten formulierten Zielstellungen [1]. Der auf Geodaten beruhende Ansatz ist transparent und übertragbar auch auf andere Städte, er erlaubt zudem durch den gewählten raumdifferenzierten Ansatz die ausgewogene Berücksichtigung der Ansprüche der stark urbanisierten Siedlungsstrukturen sowie auch der Anforderungen der Außen- und Siedlungsgebiete und der peripheren Großwohngebiete. Zur Validierung der abgeschätzten Potenziale und Bedeutungsstufen wäre die umfassende Erhebung tatsächlicher Fußverkehrsaufkommen geeignet, dies würde die Belastbarkeit der Aussagen und damit auch das Gewicht des Instruments Bedeutungsplan in der Planung weiter verbessern. LITERATUR [1] Stadt Leipzig: Fußverkehrsstrategie - Die Overtüre; 2021. Verfügbar unter: https: / / static.leipzig.de/ fileadmin/ mediendatenbank/ leipzig-de/ Stadt/ 02.6_ Dez6_Stadtentwicklung_Bau/ 66_Verkehrs_und_Tiefbauamt/ Verkehrskonzepte/ Fussverkehrsstrategie_ Online_2021.pdf (Stand: 17.07.2023). [2] Bauer, U., Hertel, M., Buchmann, L., Frehn, M., Spott, M.: Geht doch! Grundzüge einer bundesweiten Fußverkehrsstrategie: Umweltbundesamt; 2018. Verfügbar unter: https: / / www.umweltbundesamt.de/ publikationen/ geht-doch (Stand: 17.07.2023). [3] Aichinger, W., Frehn, M.: Straßen und Plätze neu denken: Umweltbundesamt; 2017. Verfügbar unter: https: / / w w w.umweltbundesamt.de/ publikationen/ strassen-plaetze-neu-denken (Stand: 17.07.2023). [4] Pestalozzi, C., Bucheli, D., Sauter, D.: Empfehlungen zur Zählung des Fussverkehrs: Bundesamt für Straßen; 2022. Verfügbar unter: https: / / monitoring-fussvelo. ch/ images/ Bilder/ D_empfehlungen_zaehlung _fussverkehr_svi_bericht_1720.pdf (Stand: 17.07.2023). [5] Ewing, R., Connors, M.B., Goates, J.P., Hajrasouliha, A., Neckerman, K., Nelson, A.C. et al.: Validating Urban Design Measures; 2013. [6] Gascon, M., Götschi, T., Nazelle, A. de, Gracia, E., Ambròs, A., Márquez, S. et al.: Correlates of Walking for Travel in Seven European Cities: The PASTA Project. Environ Health Perspect 2019; 127(9): 97003. doi: 10.1289/ EHP4603. [7] Ewing, R., Cervero, R.: Travel and the Built Environment. Journal of the American Planning Association 2010; 76(3): S. 265 - 94. doi: 10.1080/ 01944361003766766. [8] Kirkley, A., Barbosa, H., Barthelemy, M., Ghoshal, G.: From the betweenness centrality in street networks to structural invariants in random planar graphs. Nat Commun 2018; 9(1): 2501. doi: 10.1038/ s41467-018- 04978-z. [9] Aurich, A.: Modelle zur Beschreibung der Verkehrssicherheit innerörtlicher Hauptverkehrsstraßennetze unter besonderer Berücksichtigung der Umfeldnutzung (PhD Thesis): TU Dresden; 2012. Verfügbar unter: https: / / tu-dresden.de/ bu/ verkehr/ ivs/ vnm/ ressourcen/ dateien/ institutsschriftenreihe/ Heft-14. pdf ? lang=de (Stand: 19.08.2022). [10] FGSV: Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen: EFA. Ausg. 2002. Köln: FGSV-Verl.; 2002. [11] Stadt Leipzig: Nahverkehrsplan der Stadt Leipzig: Zweite Fortschreibung; 2019 Verfügbar unter: https: / / static.leipzig.de/ fileadmin/ mediendatenbank/ leipzig-de/ Stadt/ 02.6_Dez6_ Stadtentwicklung _Bau/ 66_ Ve r ke h r s _ u n d _T i e f b a u a m t / N a h v e r ke h r s p l a n / Zweite-Fortschreibung-Nahverkehrsplan-Stadt-Leipzig-2019.pdf (Stand: 17.07.2023). [12] Stadt Leipzig: Stadtentwicklungsplan Zentren 2016; 2016 Verfügbar unter: https: / / static.leipzig.de/ fileadmin/ mediendatenbank/ leipzig-de/ Stadt/ 02.6_ Dez6_Stadtentwicklung_Bau/ 61_Stadtplanungsamt/ Stadtentwicklung/ Stadtentwicklungsplaene/ STEP_ Zentren/ STEP_Zentren_2016_Blaue-Reihe-Nr-62.pdf (Stand: 17.07.2023).