eJournals Transforming cities 8/4

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2023-0090
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2023
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Verhaltensveränderung durch Incentivierung und Gamification

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2023
Anke Sauerländer-Biebl
Antje Michel
Christian Berkes
Katharina Lange
Johannes Scherbarth
Titus Wagner
Thomas Wanke
Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten, interdisziplinären Projekt MaaS L.A.B.S. wurde getestet, wie innovative Mobilitätsangebote den öffentlichen Verkehr stärken und eine klimafreundliche Stadtentwicklung unterstützen können. Übergeordnete Ziele waren die Reduktion des individuellen Autoverkehrs und von schädlichen Emissionen. Fokus der Erprobungen als Living-Lab war unter anderen die Stadt Potsdam. Hier wurde eine integrierte Mobilitäts-App entwickelt und erprobt sowie die Integration von Formen des On-Demand-Angebotes im öffentlichen Verkehr und das Mobilitätsverhaltens von Probanden durch Tracking und Gamification getestet. Ein Test mit dem Ziel, CO2 einzusparen, hat aufschlussreiche Ergebnisse geliefert.
tc840058
58 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende Die Bewältigung der Folgen von Klimawandel, Schadstoff-Grenzwertüberschreitung und hoher Verkehrsbelastung sind aktuelle und künftige Herausforderungen für viele Städte in Deutschland und Europa. Dabei ändert sich das Mobilitätsverhalten der Verkehrsteilnehmenden langsam. Umweltverträglichere Mobilitätsformen wie das Fahrrad werden wieder attraktiver (bessere und mehr Radwege sowie Radabstellmöglichkeiten), das Angebot und die Nutzung von unterschiedlichen Sharing-Angeboten nimmt zu. Das Ziel der Mobilitätswende ist in allen Städten gleich, die Voraussetzungen und Gegebenheiten können jedoch sehr unterschiedlich sein. Das interdisziplinäre MaaS L.A.B.S.-Projektteam aus den Sozial-, Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften sowie aus beteiligten Verkehrs-IT- Unternehmen und Verkehrsbetrieben stellt hierzu die Verkehrsteilnehmer*innen ins Zentrum seiner Forschung und strebt eine schrittweise Erprobung von Technologien und Geschäftsmodellen an. Die hier berichteten Ergebnisse stammen aus dem Living Lab Potsdam, welches Teil des Gesamtprojekts ist. Im Living Lab Potsdam wurde getestet, wie innovative Mobilitätsangebote - zusammengeführt in einer integrierten Mobilitäts-App - den öffentlichen Verkehr stärken und eine klimafreundliche Stadtentwicklung unterstützen können. Übergeordnete Ziele sind die Reduktion des individuellen Autoverkehrs und von schädlichen Emissionen. Die beteiligten Projektpartner des Potsdamer Teams sind die Fachhochschule Potsdam, der ViP Verkehrsbetrieb Potsdam, die highQ Computerlösungen GmbH, das DLR-Institut für Verkehrssystemtechnik und die Universität Siegen. Verhaltensveränderung durch Incentivierung und Gamification Ein öffentlicher Test in Potsdam im Rahmen des Projekts MaaS L.A.B.S. Verhaltensänderung, Incentivierung, Gamification, Verkehrswende, Emissionsreduktion Anke Sauerländer-Biebl, Antje Michel, Christian Berkes, Katharina Lange, Johannes Scherbarth, Titus Wagner, Thomas Wanke Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten, interdisziplinären Projekt MaaS L.A.B.S. wurde getestet, wie innovative Mobilitätsangebote den öffentlichen Verkehr stärken und eine klimafreundliche Stadtentwicklung unterstützen können. Übergeordnete Ziele waren die Reduktion des individuellen Autoverkehrs und von schädlichen Emissionen. Fokus der Erprobungen als Living-Lab war unter anderen die Stadt Potsdam. Hier wurde eine integrierte Mobilitäts-App entwickelt und erprobt sowie die Integration von Formen des On-Demand-Angebotes im öffentlichen Verkehr und das Mobilitätsverhaltens von Probanden durch Tracking und Gamification getestet. Ein Test mit dem Ziel, CO 2 einzusparen, hat aufschlussreiche Ergebnisse geliefert. © Tom und Nicki Löschner auf Pixabay 59 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende Öffentliche Tests Das Living-Lab Potsdam bearbeitete diese Forschungsziele unter Beteiligung der Öffentlichkeit sowie mit Stakeholdern von Planungsprozessen zwischen Mai 2020 und Mai 2023. Seitdem fanden verschiedene Aktivitäten zu den einzelnen Komponenten des integrierten Mobilitätsservices statt, wie beispielsweise die Durchführung einer Mobilitätstrackingstudie („Digitale Spuren Potsdam“), der Entwurf eines MaaS-Kartenspiels für Laien und Profis („Shuttle Dreams“), das Mitfahrexperiment „Soulmachine - der selbstlernende Robobus“ als mobiles Interaktionsspiel, der DRT-Tag mit Vorträgen, Diskussionen und Demonstrationen zum Thema Demand Responsive Traffic (Bedarfsverkehr/ DRT) mit Bürger*innen, Forschenden und Stakeholdern, die Durchführung von Umfragen zu Themen der Gestaltung von DRT-Verkehren und Mobilitätshubs, Testbetriebe mit On-Demand-Verkehren für die Öffentlichkeit im Stadtteil Bornstedter Feld (Bedarfsbus „juu-Limo“) mit unterschiedlichen Szenarien oder dem App-Test mit Incentivierungs- und Gamification-Anteilen mit dem Ziel, emissionsärmere Verkehrsmittel für die täglichen Wege zu benutzen. App-Test: Ihre Mobilität in Klima-Coins - 04/ 2023 Im Rahmen dieses Tests zur Verhaltensänderung durch Incentivierung und Gamification wurde untersucht, inwiefern Prämien und/ oder spielerischer Wettbewerb dazu beitragen können, das Mobilitätsverhalten nachhaltiger zu gestalten. Hierzu wurden auf der Basis einer Literatur- und Best-Practice-Analyse Strategien der Incentivierung und Gamification entwickelt, die unterschiedliche Ziele verfolgten:  die Information über das eigene Verhalten und seine Auswirkungen in Bezug auf seine Klimabilanz,  individuelle und gruppenbezogene spielerische Ansätze zur Motivation von Verhaltensänderungen,  materielle Belohnung  sowie Wohltätigkeit. Im Rahmen dieses Tests wurde die Nutzung eines App-basierten Anreizsystems in einem qualitativexpermimentellen Forschungsdesign mit einem kleinen Teilnehmer*innenkreis erprobt, der hinsichtlich Alter, bevorzugtem Verkehrsmittel und auch bestehender Alterantiven bei der Verkehrsmittelwahl heterogen war. Das Anreizsystem ist in die Mobilitätsapp „juu“, die im Projekt entstanden ist, integriert. Sie zielt darauf ab, Menschen über Incentivierung zu einem klimafreundlicheren Mobilitätsverhalten zu bewegen. Die Konzipierung des Tests erfolgte in enger Zusammenarbeit zwischen den Projektpartnern: Die technischen Komponenten wurden von highQ und dem DLR bereitgestellt, die zu gewinnenden Preise und Teilnahmeprämien von der ViP Verkerhsgesellschaft Potsdam bereitgestellt, die Gesamtkonzeption der Incentivierungsstrategien und ihrer Evaluation sowie die Akquise der gemeinnützigen Projekte wurde von der FHP durchgeführt. Die Planung, die Vorbereitungsveranstaltung und die Begleitung während der Durchführung wurde von allen Projektpartnern im Team ausgeführt. Während der zweiwöchigen Testphase haben die insgesamt 16 Testeilnehmer*innen ihre Bewegungsdaten mit der App getrackt. Die App erkannte dabei automatisch, auf welche Weise bzw. mit welchen Verkehrsmitteln sich die Testpersonen fortbewegt haben (zu Fuß, Fahrrad, ÖPNV oder Auto). Für alle Wege, die mit umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zurückgelegt wurden (zu Fuß, Fahrrad, ÖPNV), erhielten die Testpersonen sogenannte „Klima-Coins“. Nr. Datum von Datum bis Titel Bemerkung Typ Zielwert ZM 1 20.03.2023 27.03.2023 50 km/ 7 Tage Radfahren => 50 juu-Klima-Coins Rad 50 km 50 2 22.03.2023 25.03.2023 5 kg CO 2 einsparen (3 Tage) => 50 juu-Klima-Coins CO 2 5 kg 50 3 24.03.2023 26.03.2023 Wochenende! Nutze den ÖPNV Ein Wochenende mit dem ÖPNV, lass das Auto stehen ÖPNV 10 km 50 4 27.03.2023 30.03.2023 Lauf 5 km/ 4-fache Punkte Schaff es, erhalte 200 Klima-Coins Laufen 5 km 200 5 28.03.2023 29.03.2023 Rad 5 km/ 2 Tage/ 4-fache Punkte Schaff es, erhalte 200 Klima-Coins Rad 5 km 200 6 31.03.2023 02.04.2023 Nutze die ViP Schaff es, erhalte 200 Klima-Coins ÖPNV 5 km 200 7 31.03.2023 02.04.2023 Lauf bei Sonnenschein Schaff es, erhalte 200 Klima-Coins Laufen 5 km 200 8 31.03.2023 02.04.2023 Spar CO 2 Schaff es, erhalte 200 Klima-Coins CO 2 3 kg 150 Tabelle 1: Die „Challenges“. 60 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende In der App konnte eine Testperson einsehen, wie viele Klima-Coins sie schon gesammelt hat, welchen Platz sie damit im Ranking mit den anderen Testteilnehmer*innen belegt und wie viele Klima- Coins durch die gesamte Teilnehmergruppe bereits gesammelt wurden und wie viel CO 2 dadurch eingespart wurde. Der App-Prototyp enthielt einen „Prämienshop“, in dem angezeigt wird, welchen Gegenwert die gesammelten Coins haben. Zum einen konnten Coins gegen Gutscheine für unterschiedliche Fahrkarten der ViP oder einem Guthaben bei den in Potsdam verfügbaren Sharing-Dienstleistern Volt oder Miles eingelöst werden. Zum anderen konnten die Klima-Coins für eine Spende an lokale gemeinnützige Projekte in Potsdam eingelöst werden. Die 16 Teilnehmer*innen haben sich zwei Wochen lang durch die Test-App tracken lassen. Aus den Trackingdaten wurden Wege ermittelt, die auch mit verschiedenen Verkehrsmitteln zurückgelegt werden konnten, zum Beispiel mit dem Fahrrad zur Bahn. Je genutztem Verkehrsmittel wurde der CO 2 -Verbrauch berechnet und mit dem, der für die gleiche Strecke mit einem PKW angefallen wäre, verglichen. Bei der Planung wurde bewusst auch nicht der CO 2 -Verbrauch in den Vordergrund gestellt, sondern die CO 2 -Ersparnis auf den durchgeführten Wegen, also Lob statt erhobener Zeigefinger. Diese CO 2 -Einsparungen wurden je Teilnehmer*in gesammelt, aufaddiert und in Klima-Coins umgerechnet. Diese Klima-Coins konnten entweder eingelöst (ViP- Tickets, Guthaben für die Nutzung Miles oder TIER) oder ganz bzw. teilweise an gemeinnützige Projekte der Bürgerstiftung Potsdam (Bürgermobil oder Stadtgrün) gespendet werden. Zusätzlich wurden zeitlich versetzt „Challenges“/ Sonderaufgaben in der App angeboten, an denen die Probanden teilnehmen konnten. Wurden deren Ziele erreicht, gab es nochmal extra Klima-Coins für das erfolgreiche Absolvieren der Aufgabe. Beispiel für solch eine Challenge: „Ein Wochenende mit dem ÖPNV - Lass das Auto stehen“. Die Teilnehmenden hatten sich zu Beginn einen Spitznamen gegeben, unter dem sie sich in einer Rankingliste mit den anderen vergleichen konnten. Gemessen wurde jeweils die Gesamteinsparung von CO 2 . Für die ersten drei der Rangliste gab es am Ende des Tests nochmals eine Extraprämie zu gewinnen. Vor Start des Tests und am Ende des zweiwöchigen Tracking-Zeitraums haben die Teilnehmer*innen einen Eingangs- und Ausgangsfragebogen beantwortet. Im Eingangsfragebogen wurden Fragen zum Alter und zum Mobiltätstyp sowie der Verfügbarkeit von Fahrzeugen im Haushalt gestellt. Der Ausgangsfragebogen enthielt Fragen zur Beeinflussung der Verkehrsmittelwahl durch die unterschiedlichen Anreize in der App sowie durch den Wettbewerbscharakter der Challenges und des Rankings. Dem Bilder 2 a, b, c: Sreenshots der App. © Sauerländer- Biebl et al. 1. User 250 2. FilouOnBike 3. Xtian 4. User 242 5. Nightwood 6. User 241 7. Bohne 8. EjtnaMic 9. Brady (Du) 10. Buntfisch 27KG 27KG 20KG 19KG 15KG 15KG 13KG 11KG 11KG 10KG Rangliste Challenges März 61 4 · 2023 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende MaaS L.A.B.S.-Team ist natürlich bewusst, dass die 16- Teilnehmer*innen bei weitem keine repräsentative Auswahl sind und die Anzahl sehr klein, doch lassen die Antworten aus der Befragung zur Verhaltensänderung aufhorchen. Die Zuordnung der Teilnehmenden zu verschiedenen Altersgruppen zeigt einen deutlichen Schwerpunkt bei Testteilnehmer*innen in der Altersgruppe von 36 bis 55. Hieraus lässt sich erkennen, dass ein überwiegender Teil der Testteilnehmenden bezogen auf das Alter zur Gruppe der Berufstätigen gehört. Daraus lässt sich schließen, dass sie regelmäßige Wege zur Arbeit zurücklegen müssen. Auf die Frage, „Haben die Anreize Ihr Mobilitätsverhalten innerhalb der zwei Wochen beeinflusst“ antworteten 50 % mit „ja“ und 50 % mit „nein“. Jeder zweite hat also auf die Anreize und/ oder den Wettbewerbscharakter reagiert. Auf die Frage „Können Sie sich vorstellen, dass ein solches Anreizsystem langfristig zu einer nachhaltigeren Mobilität beitragen kann? “ haben immerhin 66 % mit „ja“ geantwortet und nur 8 % mit „nein“. Der Rest war unsicher. Um herauszufinden, welche Aspekte konkret zur Verhaltensänderung geführt haben, wurden die Elemente abgefragt, die am meisten motiviert haben, das Verhalten zu ändern. Mehrfachantworten waren möglich:  Übersicht CO 2 -Ersparnisse: 50 %  Einzelchallenges: 41 %  Ranglistenplatzierung: 33 %  Ansammeln von Clima-Coins: 33 %  Aussicht auf die Clima-Coin-Präemien: 33 %  Aussicht auf die Mitmachprämie: 33 %  Keines der Elemente: 33 % Bemerkenswert ist, dass die Übersicht der CO 2 -Einsparungen der meistgenannte Antrieb war. Interessant ist dies, weil somit die reine Information über die Auswirkungen des eigenen Verhaltens auf den CO 2 -Verbrauch als relativ einfach zu implementierende Strategie den höchsten Effekt auf die Motivation der Teilnehmenden hatte. Noch einmal sei betont: Der Teilnehmerkreis war weder hinsichtlich der Auswahl der Proband*innen noch im Hinblick auf Umfang und Zusammensetzung der Stichprobe repräsentativ für alle potenziellen Nutzer*innen. Die Potsdamer Mobilitäts-App „juu“ und der App-Test haben wahrscheinlich eher digital-affine Menschen angesprochen. Jedoch sind die Ergebnisse ein Hinweis darauf, dass die positive Information von Verkehrsteilnehmenden über die Auswirkungen ihrer Verkehrsmittelwahl und (in geringerem Maße) spielerische Challenges zur Verhaltensänderung Potenzial haben, für ein klimafreundlicheres Mobiliätsverhalten zu motivieren. Anke Sauerländer-Biebl Wissenschaftliche Mitarbeiterin Institut für Verkehrssystemtechnik Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt DLR Kontakt: anke.sauerlaender-biebl@dlr.de Prof. Dr. Antje Michel Forschungsprofessur für Informationsdidaktik und Wissenstransfer FH Potsdam Kontakt: antje.michel@fh-potsdam.de Christian Berkes Akademischer Mitarbeiter FH Potsdam Kontakt: christian.berkes@fh-potsdam.de Katharina Lange FH Potsdam Kontakt: katharina.lange@fh-potsdam.de Johannes Scherbarth Leiter Mobilitätsmanagement/ Marketing/ Vertrieb ViP Verkehrsbetrieb Potsdam GmbH Kontakt: johannes.scherbarth@vip-potsdam.de Titus Wagner highQ Computerlösungen GmbH Kontakt: t.wagner@highq.de Thomas Wanke Leiter Büro Berlin highQ Computerlösungen GmbH Kontakt: t.wanke@highq.de AUTOR*INNEN