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Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0011
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Energiesysteme 2045: Resilient, nachhaltig und akzeptiert

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2024
Sadeeb Simon Ottenburger
Manuel Baumann
Dietmar Kuhn
Daniel Banuti
Die Energiewende setzt auf die dezentrale Integration erneuerbarer Energien und erfordert nachhaltige Technologien für eine sichere und resiliente Energieversorgung. Schlüsselelemente wie Großwärmepumpen, Energiespeicher und neue Wärmequellen sind essenziell. Angesichts von Extremwetterereignissen gewinnen Quartierslösungen und Energiespeicher zunehmend an Bedeutung. Forschung entwickelt wissenschaftliche Grundlagen für eine umfassende Entscheidungsunterstützung in städtischen Energiesystemen. Die erfolgreiche Umsetzung erfordert strategische, integrative Ansätze und gesellschaftliche Innovationen.
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65 1 · 2024 TR ANSFORMING CITIES THEMA Die urbane Verkehrswende DOI: 10.24053/ TC-2024-0011 Die Energiewende, die darauf abzielt, bis 2045 Netto-null-Emissionen von Treibhausgasen zu erreichen, stützt sich auf die verstärkte dezentrale Integration erneuerbarer Energien. Die Auswahl von Technologien für eine sichere, resiliente und nachhaltige Energieversorgung im urbanen Raum erfordert nicht nur die Berücksichtigung des steigenden Bedarfs an elektrischem Strom durch z. B. Elektromobilität, sondern auch die Deckung des hohen Wärmebedarfs. Der gezielte Einsatz von Großwärmepumpen kann einen entscheidenden Beitrag zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung leisten. Zusätzlich bilden Energiespeicher in Verbindung mit diesen Wärmepumpen sowie die Erschließung weiterer Wärmequellen wie Geothermie wichtige Bausteine für die kommunale Wärmewende - all dies erfordert den Ausbau von Strom-, Nah- und Fernwärmenetzen. Energiesysteme 2045: Resilient, nachhaltig und akzeptiert Ganzheitliche Lösungen für die städtische Energiewende Energiewende, Nachhaltigkeit, Resilienz, Energiespeicher, Wärmeplanung Sadeeb Simon Ottenburger, Manuel Baumann, Dietmar Kuhn, Daniel Banuti Die Energiewende setzt auf die dezentrale Integration erneuerbarer Energien und erfordert nachhaltige Technologien für eine sichere und resiliente Energieversorgung. Schlüsselelemente wie Großwärmepumpen, Energiespeicher und neue Wärmequellen sind essenziell. Angesichts von Extremwetterereignissen gewinnen Quartierslösungen und Energiespeicher zunehmend an Bedeutung. Forschung entwickelt wissenschaftliche Grundlagen für eine umfassende Entscheidungsunterstützung in städtischen Energiesystemen. Die erfolgreiche Umsetzung erfordert strategische, integrative Ansätze und gesellschaftliche Innovationen. THEMA Kommunale Wärmewende Energiewende in Zeiten sich ändernder Randbedingungen Extremwetterereignisse, die durch den fortschreitenden Klimawandel bedingt sind, haben einen signifikanten Einfluss auf die Energiewende! Insbesondere Dunkelflauten, in denen gleichzeitig geringe Sonneneinstrahlung und Windstille auftreten, erschweren den Betrieb von erneuerbaren Energiesystemen erheblich. Diese partiellen Ausfälle der regenerativen Energieerzeugung motivieren zunehmend den verstärkten Einsatz von Quartierslösungen. Die Auswirkungen von Extremwetterereignissen auf ein Energiesystem gehen jedoch weit über technische Aspekte hinaus. Die Anpassung an veränderte Versorgungssituationen erfordert nicht nur technisch-infrastrukturelle, sondern auch gesellschaftliche Lösungen. Die Akzeptanz und Bereitschaft der Bevölkerung, sich auf neue Energiekonzepte einzulassen, spielt eine entscheidende Rolle für eine nachhaltige städtische Energiewende. In diesem Kontext gewinnt die bedarfsorientierte kommunale Wärme- und Netzplanung zusätzlich an Bedeutung. Die Planung darf nicht ausschließlich die Energieeffizienz und technische Machbarkeit berücksichtigen, sondern muss auch die Anpassungsfähigkeit an Extremwetterereignisse und die Sicherstellung einer zuverlässigen Energieversorgung während Dunkelflauten gewährleisten. Quartierslösungen und sog. Microgrids [1] repräsentieren vielversprechende Ansätze zum Umgang mit Dunkelflauten, denn durch die lokale Vernetzung von Energieerzeugung, Speichern und Verbrauchern ermöglichen sie eine flexiblere Energieversorgung, die besser auf die variierende Verfügbarkeit erneuerbarer Ressourcen reagieren kann. Dies ist insbesondere in bebauten Umgebungen wie Städten von entscheidender Bedeutung. Resilienz durch Energiespeicher und Microgrids: eine ganzheitliche Perspektive Die Integration erneuerbarer Energien, wie Photovoltaik und Windkraft, in die Stromerzeugung erfordert eine durchdachte Planung aufgrund ihrer volatilen Natur. Dabei spielen der wachsende Elektrifizierungsbedarf von Industrie und Gesellschaft sowie der Wärmesektor als potenzieller Puffer für die Stromversorgung eine zentrale Rolle. Die Herausforderungen durch neue Stromlasten und mögliche Einschränkungen bei der Strombereitstellung durch Entwicklungen wie E-Mobilität, klimawandelbedingte Extreme, reduzierte Energieimporte, Umstellung der Heizungssysteme und Cyber-Attacken erfordern eine langfristige strategische Planung. Energiespeicher, nehmen eine fundamentale Position [2] ein, indem sie einen kontinuierlichen Stromfluss sicherstellen, selbst wenn die Erzeugung aus erneuerbaren Quellen den Bedarf übersteigt oder das Netz die Versorgung nicht decken kann! Die Auswirkungen von unterschiedlichen Netzentwicklungen und Energietechnologien zeigen sich in der Netzbelastung, Zuverlässigkeit und Resilienz der Versorgungssysteme, welche messbare Eigenschaften von Energiesystemen darstellen. Zusätz- Michael von Hauff Grundwissen Circular Economy Vom internationalen Nachhaltigkeitskonzept zur politischen Umsetzung 1. Auflage 2023, 156 Seiten €[D] 26,90 ISBN 978-3-8252-5988-4 eISBN 978-3-8385-5988-9 Die Circular Economy geht sehr viel weiter als die Kreislaufwirtschaft. In diesem Buch geht es darum, auf der Grundlage der planetaren Grenzen ein regeneratives System anzustreben. In diesem werden der Ressourceneinsatz und die Abfallproduktion, Emissionen und der Energieverbrauch durch Verlangsamung, Verringerung und Schließung von Energie- und Materialkreisläufen minimiert. Das wird durch eine langlebige Konstruktion, Instandhaltung bzw. Reparaturfähigkeit von Produkten und durch eine Förderung der Wiederaufbereitung und des Recycling angestrebt. Neben den theoretischen und konzeptionellen Grundlagen der Circular Economy analysiert der Autor den Stand der Entwicklung in Deutschland und der EU. Gleichzeitig beleuchtet er die drei Konzepte der Umsetzung der Circular Economy: Cradle to Cradle, Blue Economy und Performance Economy. Anzeige 67 1 · 2024 TR ANSFORMING CITIES THEMA DOI: 10.24053/ TC-2024-0011 Kommunale Wärmewende lich wird eine verstärkte Berücksichtigung von Nachhaltigkeits- und Akzeptanzanforderungen in der Bevölkerung unerlässlich. Die Identifikation eines nach all diesen Kriterien optimierten Netzausbaus ist entscheidend für den Erfolg der kommunalen Energiewende. Diese Herausforderung erfordert zuverlässige und resilient ausgearbeitete Gesamtlösungen, die die Auswahl von Energietechnologien, ihre Standorte, Skalierung und die notwendige Netzerweiterung berücksichtigen. Vor dem Hintergrund urbaner Resilienz leistet die Installation städtischer Microgrids nicht nur eine unterbrechungsfreie Energieversorgung trotz Energiemangel, sondern bietet auch einen langfristigen Schutz kritischer Infrastrukturen vor Energieausfällen und deren Folgen bis über das Jahr 2030 hinaus. Dabei beeinflussen städtische Stakeholder maßgeblich die Planung zukunftssicherer Verteilnetze. Die Entscheidungen über den Einsatz von Energie- Quartierspeichern und möglicher Microgrids in Bezug auf Anzahl und Positionierung sind äußerst komplex und werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Die Skalierung und Dimensionierung von Energiespeichern spielen eine entscheidende Rolle und müssen im Kontext unterschiedlicher möglicher Ausprägungen, zukünftiger Szenarien und verschiedener Systemkonfigurationen analysiert und bewertet werden. Neben gesellschaftlichen Überlegungen, die durch Beteiligung gelöst werden können, führen Kriterien zu Nachhaltigkeit und Resilienz zu Kompromissen. Die Gewichtung und Bewertung dieser Kriterien spiegeln die Priorisierung von Planungsoptionen wider, und eine Bewertung gemäß der kommunalen Präferenz bildet die Basis für die Suche nach optimalen Lösungen im Rahmen einer umfassenden und nachhaltigen Energiewende. Was kann Forschung leisten? Leitaspekte zur Energiezukunft und integrative Ansätze Die Energiesystemforschung, insbesondere im Rahmen des Forschungsprogramms „Energiesystemdesign“ der Helmholtz Gemeinschaft, verfolgt das zentrale Ziel, eine wissenschaftsbasierte Grundlage für die Entscheidungsunterstützung von Stadtwerken und Städten zu schaffen. Dabei liegt der Fokus auf der Identifikation nachhaltiger, resilienter und breit akzeptierter Technologiealternativen [3] sowie darauf aufbauender Netzentwicklungsoptionen für die gekoppelte Strom- und Wärmeversorgung. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Ziels trägt maßgeblich zur verbesserten Sicherstellung von Resilienz und Versorgungssicherheit in urbanen Energiesystemen bei. Ein spezifischer Forschungsbereich im Rahmen des 8. Energieforschungsprogramms [4] mit der Mission Energiesystem 2045 und dem Programmziel 3.2 konzentriert sich darauf, systemische Schwachstellen nachhaltiger Energiesysteme zu identifizieren und zu reduzieren. Moderne systemische Energieforschung integriert dabei unterschiedliche und strategisch relevante Bewertungskriterien wie techno-ökonomische Machbarkeit, Resilienz, Nachhaltigkeit und Akzeptanz. Die Herausforderungen im Kontext der Energiewende erfordern eine strategische und integrative Herangehensweise, um nachhaltige, resiliente und effiziente Verteilnetze in kommunalen Energiesystemen zu schaffen. Insb. wird die systemische Effizienz immer wichtiger, Gegenstand des verabschiedeten EEffG (Energieeffizienzgesetz, trat zum Januar 2024 in Kraft), vor diesem Hintergrund werden z. B. Wärmepumpen in Verbindung mit kalten Wärmenetzen verstärkt untersucht. Die Transformation städtischer Verteilnetze hin zu einem zukunftssicheren Energiesystem erfordert die Zusammenführung unterschiedlicher Bewertungsebenen in eine integrierte sowie räumlich und sozio-ökonomisch differenzierenden Bewertung [5], [6], welche dann hinsichtlich von Technologien eine sorgfältige Abwägung von Typen, Anzahl, Standorten und Skalierung erlaubt. Zusätzlich ist eine zusammenhängende und technologieoffene Betrachtung von Energietechnologien und Netzen in Verbindung mit möglichen Störungen bzw. Stressoren eine weitere notwendige Säule für eine erfolgreiche Energiewende, wobei Störungen von kleineren Schwankungen in der Energiebereitstellung bis zu größeren disruptiven Stressereignissen reichen. Allerdings ist aufgrund der enormen Komplexität die Suche nach optimalen Planungslösungen für zukunftsfähige Energiesysteme nicht einfach, da verschiedene Bewertungskriterien berücksichtigt werden müssen und sehr viele Freiheitsgrade existieren. Mathematik, Simulationen und künstliche Intelligenz können hierbei unterstützen, optimale Energienetze zu berechnen. Die Entwicklung solcher Optimierer sowie der Einsatz dieser in Entscheidungsunterstützungssoftware bilden ebenfalls zentrale Aspekte moderner Energiesystemforschung. Fazit Insgesamt stellt die Energiewende eine komplexe Herausforderung dar, die nicht nur technologische Aspekte, sondern auch gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Faktoren berücksichtigen muss. Die Fortschritte in der Energiesystemforschung, insbesondere bei der Integration von 68 1 · 2024 TR ANSFORMING CITIES THEMA DOI: 10.24053/ TC-2024-0011 Kommunale Wärmewende erneuerbaren Energien und der Entwicklung von Energiespeichern, effizienten Simulations- und KIbasierten Planungstools für nachhaltige und resiliente Verteilnetze sowie von neuen smarten Formen der Partizipation, sind entscheidend für eine erfolgreiche Umsetzung der Energiewende bis 2045 und darüber hinaus. Literatur [1] A. Hussain, V.-H. Bui, und H.-M. Kim, „Microgrids as a resilience resource and strategies used by microgrids for enhancing resilience“, Applied Energy, Bd. 240, S. 56-72, Apr. 2019, doi: 10.1016/ j.apenergy.2019.02.055. [2] „BMWK: Stromspeicher-Strategie“. 8. Dezember 2023. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.bmwk. de/ Redaktion/ DE / Downloads/ S -T/ stromspeicherstrategie- 231208.pdf ? blob=publicationFile&v=2 [3] D. Baur, M. J. Baumann, P. Stuhm, und M. Weil, „Societal Acceptability of Large Stationary Battery Storage Systems“, Energy Tech, S. 2201454, März 2023, doi: 10.1002/ ente.202201454. [4] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, „8. Energieforschungsprogramm“. Zugegriffen: 15. Januar 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www. energieforschung.de/ aktuelles/ news/ 2023/ veroeffentlichung-8energieforschungsprogramm-bmwk [5] S. S. Ottenburger, S. Möhrle, T. O. Müller, und W. Raskob, „A Novel MCDA-Based Methodology Dealing with Dynamics and Ambiguities Resulting from Citizen Participation in the Context of the Energy Transition“, Bd. Algorithms, Nr. 15(2), 2022, doi: 10.3390/ a15020047. [6] M. Baumann, M. Weil, J. F. Peters, N. Chibeles-Martins, und A. B. Moniz, „A review of multicriteria decision making approaches for evaluating energy storage systems for grid applications“, Renewable and Sustainable Energy Reviews, Bd. 107, S. 516-534, Juni 2019, doi: 10.1016/ j.rser.2019.02.016. Sadeeb Simon Ottenburger, Dr. rer. nat., Leiter der Abteilung „Resiliente und Smarte Infrastruktursysteme“ (RESIS) am Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit (ITES), Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Kontakt: ottenburger@kit.edu Manuel Baumann, Dr. wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe „Forschung für nachhaltige Energietechnologien“ am Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Dietmar Kuhn, Dr. rer. nat., Leiter der Abteilung „Energie- und Verfahrenstechnik“ (EVT) am Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit (ITES), Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Daniel Banuti, Prof. Dr.-Ing., Leiter des Instituts für Thermische Energietechnik und Sicherheit (ITES), Karlsruher Institut für Technologie (KIT) AUTOR*INNEN Eingangsabbildung: © mbruxelle - stock.adobe.com