Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0013
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Die 15-Minuten-Stadt
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Dennis Dreher
Lutz Gaspers
Die Notwendigkeit, städtische Lebensräume zu transformieren, um sowohl Lebensqualität als auch Sicherheit durch die Vermeidung von Angsträumen zu maximieren, wird zunehmend anerkannt. Ein vielversprechender Ansatz zur Verwirklichung dieses Ziels ist das Konzept der 15-Minuten-Stadt. Dieses Konzept basiert auf der Idee, dass Bewohner innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad Zugang zu allen grundlegenden Bedürfnissen haben sollten. Der Artikel präsentiert eine ganzheitliche Betrachtung des Zusammenspiels von lebenswerten und sicheren Stadträumen im Rahmen der 15-Minuten-Stadt sowie einen Ausblick auf die Chancen für die Verkehrswende durch das Konzept.
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14 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0013 Carlos Moreno, der die Idee das erste Mal im Jahr 2016 präsentierte. Vergleichbar sind die Ansätze mit dem schon bekannten Modell der Stadt der kurzen Wege, welches in den 1980er- Jahren aufgekommen ist und ebenfalls auf der Minimierung von Entfernun- Dies umfasst nicht nur Arbeitsu n d E i n k a u f s m ö g l i c h ke i t e n , sondern auch den Zugang zu Bildungseinrichtungen, Gesundheitsdiensten sowie kulturelle und soziale Angebote. Das Modell geht zurück auf den französischen Politiker und Stadtplaner Was ist die 15-Minuten-Stadt? Die 15-Minuten-Stadt ist ein urbanes Entwicklungsmodell, das darauf abzielt, den Bewohnern Zugang zu allen grundlegenden Bedürfnissen innerhalb eines 15-minütigen Radius zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu ermöglichen. Die 15-Minuten-Stadt Ein Paradigmenwechsel für lebenswerte und sichere Stadträume 15-Minuten-Stadt, Lebenswerte Stadt, Nachhaltige Mobilität, Lebensqualität, Verkehrswende Dennis Dreher, Lutz Gaspers Die Notwendigkeit, städtische Lebensräume zu transformieren, um sowohl Lebensqualität als auch Sicher-heit durch die Vermeidung von Angsträumen zu maximieren, wird zunehmend anerkannt. Ein vielverspre-chender Ansatz zur Verwirklichung dieses Ziels ist das Konzept der 15-Minuten-Stadt. Dieses Konzept ba-siert auf der Idee, dass Bewohner innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad Zugang zu allen grundlegenden Bedürfnissen haben sollten. Der Artikel präsentiert eine ganzheitliche Betrachtung des Zusammenspiels von lebenswerten und sicheren Stadträumen im Rahmen der 15-Minuten-Stadt sowie einen Ausblick auf die Chancen für die Verkehrswende durch das Konzept. 15 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0013 gen zwischen verschiedenen Nutzungen basiert. Gleichermaßen forcieren die Ansätze die Reduktion des motorisierten Individualverkehrs zugunsten der Verkehrsmittel des Umweltverbundes. Im Fokus stehen der Fuß- und Radverkehr, aber auch Optimierungen im öffentlichen Verkehr sind unerlässlich. Lebensqualität und Sicherheit: Zwei Seiten derselben Medaille Eines der vorrangigen Ziele der 15-Minuten-Stadt besteht darin, die Lebensqualität und Sicherheit in städtischen Lebensräumen auf ein Höchstmaß zu steigern. Angsträume sind dabei ein entscheidender Faktor, der oft von einer Vielzahl von negativen Merkmalen geprägt ist, wie beispielsweise mangelnde Beleuchtung, unzureichende soziale Integration und ein Fehlen öffentlicher Aktivitäten. Diese Faktoren können bei den Bewohnern Gefühle von Unsicherheit und Unbehaglichkeit hervorrufen, welche die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen. Angsträume wirken sich nicht nur auf das individuelle Wohlbefinden aus, sondern können auch das soziale Gefüge und die allgemeine Wahrnehmung des urbanen Umfelds beeinflussen. Wenn sich Menschen in ihrer unmittelbaren Umgebung nicht sicher fühlen, neigen sie dazu, sich zurück zuziehen und öf fentliche Räume zu meiden, was die soziale Interaktion und das Gemeinschaf t sleben beeinträchtigen kann. Durch die gezielte Gestaltung und Entwicklung lebendiger und vielfältiger Stadtviertel können Angsträume erfolgreich reduziert und sogar eliminiert werden. Ein integraler Bes tandteil dieses Prozesses ist die Schaffung von öffentlichen Räumen, die zum Verweilen und Interagieren einladen, sowie die Integration von ausreichender Beleuchtung und sicherheitsrelevanten Maßnahmen. Eine ansprechende Gestaltung von Straßen, Plätzen und Grünflächen kann dazu beitragen, das Sicherheitsgefühl der Bewohner zu stärken und das Gefühl der Verbundenheit mit ihrer Umgebung zu fördern. Darüber hinaus spielt die Förderung sozialer Integration eine wichtige Rolle bei der Schaffung lebenswerter und sicherer Stadträume. Durch die Einbindung ver schiedener Bevölkerung s gruppen und die Schaffung von Begegnungsmöglichkeiten können Gemeinschaften gestärkt und Vorurteile abgebaut werden. Dies fördert ein Gefühl der Zugehörigkeit und Solidarität, das wiederum zu einem positiven sozialen Klima beiträgt und das Sicherheitsgefühl der Bewohner stärkt. Die 15-Minuten-Stadt strebt danach, nicht nur die physische, sondern auch die soziale Infrastruktur zu verbessern, um eine umfassende Steigerung der Lebensqualität zu erreichen. Indem sie Angsträume aktiv angeht und lebendige, sichere und inklusive Stadtviertel schafft, legt sie den Grundstein für eine nachhaltige und menschenzentrierte Stadtentwicklung. Verkehrswende durch die 15-Minuten-Stadt Ein weiterer wichtiger Aspekt der 15-Minuten-Stadt liegt in ihrem Potenzial, die Verkehrswende voranzutreiben. Durch die Reduzierung der Notwendigkeit, lange Strecken zurückzulegen, um grundlegende Bedür fnisse zu erfüllen, kann der Bedarf an individuellem motorisiertem Verkehr deutlich reduziert werden. Dies hat nicht nur positive Auswirkungen auf die Verringerung von Verkehrs- und Umweltbelastungen, sondern fördert auch eine gesündere und aktivere Lebensweise durch mehr Bewegung im Alltag. Traditionell wurden städtische Verkehrssysteme in der Vergangenheit stark auf den motorisierten Individualverkehr ausgerichtet, was zu einer Vielzahl von Problemen führte. Neben Staus und Luftverschmutzung beeinträchtigen auch Lärmbelästigungen die Lebensqualität in städtischen Räumen. Noch heute sind viele Innenstädte geprägt von Infrastruktur, die nach Leitbildern wie der verkehrsgerechten oder der autogerechten Stadt entstanden. Übergeordnetes Ziel Bild 1: Ein Relikt früherer Leitbilder ist der Österreichische Platz in Stuttgart. Die Luftaufnahme zeigt die hohe Priorisierung des motorisierten Individual-verkehrs. © HFT Stuttgart, MoVe. PRAXIS + PROJEKTE Mobilität 16 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0013 lichen, um eine effiziente und umweltfreundliche Mobilität zu gewährleisten. Dies umfasst die Integration von Fußgänger- und Radwegen sowie die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen. Durch diese ganzheitliche Planung sollen die Wegeketten optimiert und die Nutzung verschiedener Verkehrsmittel erleichtert werden, was letztendlich zu einer verbesserten Lebensqualität und einer Reduzierung der Umweltbelastung führen kann. Die Vermeidung von Angsträumen durch die 15-Minuten-Stadt Durch die Aufwertung des Lebensraums füllt sich der städtische Raum mit Leben. Das hat positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden der Menschen in der Stadt, indem es ein Gefühl von Gemeinschaft und Zugehörigkeit fördert. Die Möglichkeit, sich sicher und frei in der Stadt zu bewegen, trägt dazu bei, dass Bewohnerinnen und Bewohner ihre Umgebung ak tiv nut zen und genießen können. Durch die Schaffung attraktiver öffentlicher Räume und die Integration von Grünflächen und sozialen Treffpunkten entstehen Orte der Begegnung und des Austauschs, die das soziale Gefüge stärken und das allgemeine Wohlbefinden steigern. Die 15-Minuten-Stadt konzentriert sich somit nicht nur auf die physische Erreichbarkeit von Einrichtungen, sondern auch auf die Schaffung einer lebendigen und lebenswerten Stadt, in der sich die Menschen aktiv engagieren und einbringen können. Damit zahlt das Konzept der 15 -Minuten-Stadt auf die Vermeidung von Angsträumen ein und stärkt gleichzeitig das Sicherheitsgefühl der Menschen in den Städten. Durch die ganzheitliche und integrierte Betrachtung der die körperliche Gesundheit der Bevölkerung. Die 15-Minuten-Stadt bietet somit eine ganzheitliche und nachhaltige Lösung für die Herausforderungen im Bereich der städtischen Mobilität. Durch die Umgestaltung der städtischen Infrastruktur und die Förderung von umwelt freundlichen Verkehrsmitteln kann sie nicht nur dazu beitragen, die Lebensqualität und Gesundheit der Bewohner zu verbessern, sondern auch zu einer lebenswerteren und nachhaltigeren Zukunft beitragen. Neue Mobilitätsformen als Chance zu mehr Nachhaltigkeit Auch Shared Mobility kann eine Schlüsselrolle beim Gelingen der 15-Minuten-Stadt spielen, indem die Mobilität in städtischen Gebieten effizienter, nachhaltiger und zugänglicher gestaltet wird. Durch die Bereitstellung von gemeinsam genutzten Verkehrsmitteln wie Carsharing, Bikesharing oder Mitfahrgelegenheiten können die Bewohner leichter auf eine Vielzahl von Verkehrsmitteln zugreifen, die ihre Bedürfnisse in einem engen geografischen Radius erfüllen. Dies reduziert die Notwendigkeit von privatem Fahrzeugbesitz, verringert den Verkehr und die Umweltbelastung und fördert gleichzeitig eine lebendige, sozial vernetzte Gemeinschaft, in der die Menschen bequem alle ihre täglichen Erledigungen zu Fuß, mit dem Fahrrad oder öffentlichen Verkehrsmitteln erreichen können. Insgesamt liegt der Schwerpunkt der Verkehrsabwicklung im Rahmen dieser Stadtent wicklung stark auf der Förderung von Inter- und Multimodalität. Dabei wird anges trebt , nachhaltige Verknüpfungen von verschiedenen Verkehrsmitteln zu ermögsolcher Leitbilder war die effiziente Abwicklung des motorisierten Verkehrs, während der Aufenthaltsqualität im Stadtraum keine Bedeutung zugemessen wurde. Das Planungs verständnis hat sich hier bereits seit vielen Jahren gewandelt, dennoch sind diese Spuren auch noch heute im Stadtraum präsent. Moderne Ansätze und Leitbilder forcieren deutlich stärker die Aufenthaltsqualität und die Funktion des städtischen Raumes für die Menschen. Die 15-Minuten-Stadt zielt darauf ab, diese Herausforderungen durch die Schaffung von kompakten und gut vernetzten Stadtvierteln anzugehen, in denen die meisten täglichen Bedürfnisse innerhalb eines kurzen Zeitraums zu Fuß oder mit dem Fahrrad erfüllt werden können. Indem die Entfernungen zu Arbeitsplätzen, Geschäften, Schulen und öffentlichen Einrichtungen verkürzt werden, wird der Bedarf an langen Pendelzeiten und -strecken deutlich reduziert. Das ermöglicht den Bewohnern, vermehrt alternative und umweltfreundliche Verkehrsmittel wie den öffentlichen Nahverkehr, das Fahrrad oder sogar das Zufußgehen zu nutzen, anstatt auf das eigene Auto angewiesen zu sein. Die Förderung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln wie dem Fahrrad und dem öffentlichen Verkehr ist entscheidend für die Bekämpfung des Klimawandels und die Reduzierung von Treibhausgasemissionen. Indem weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind, wird die Luftqualität verbessert und die Belastung durch Schadstoffe und Feinstaub verringert, was sowohl der Umwelt als auch der menschlichen Gesundheit zugutekommt. Darüber hinaus hat die Verlagerung vom motorisierten Individualverkehr zu aktiveren Fortbewegungsarten positive Auswirkungen auf PRAXIS + PROJEKTE Mobilität 17 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0013 Lebensräumen vorantreiben und damit den Bedürfnissen ihrer Bewohner gerecht werden. LITERATUR [1] Gehl, Jan (2015). Städte für Menschen. Jovis Verlag. [2] Schmucki, Barbara (2001): Der Traum vom Verkehrsfluss: städtische Verkehrsplanung seit 1945 im deutsch-deutschen Vergleich. [3] Schneidewind, Uwe (2018). Die große Transformation: Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. [4] Wegerhoff, Erik (2023): Automobil und Architektur: Ein kreativer Konflikt. Eingangsabbildung: Durch Inter- und Multimodalität wird das Stadtbild von neuen Verkehrsmitteln und Mobilitätsdienstleistungen geprägt. © HFT Stuttgart, MoVe. wendung finden, um die Stadt nachhaltig zu transformieren. Dennoch bietet die 15-Minuten-Stadt auch zahlreiche Chancen für eine nachhaltigere und lebenswertere Zukunft. Durch die Schaffung von lebendigen, gut verbundenen Stadtvierteln können nicht nur Lebensqualität und Sicherheit verbessert werden, sondern auch neue Möglichkeiten für Gemeinschaft, Kreativität und Innovation entstehen. Ausblick Insgesamt stellt die 15-Minuten- Stadt einen vielversprechenden Ansatz dar, um die Herausforderungen der urbanen Entwicklung anzugehen und eine lebenswerte Zukunft für alle Bewohner zu schaffen. Durch die konsequente Umsetzung dieses Konzepts können Städte zu Orten werden, in denen Menschen gerne leben, arbeiten und sich entfalten können. Es erfordert jedoch ein breites Engagement von Regierungen, Gemeinden und der Zivilgesellschaft, um die Vision einer 15-Minuten-Stadt Wirklichkeit werden zu lassen. Mit einer ganzheitlichen und integrativen Herangehensweise können Städte weltweit die Transformation zu lebenswerten und sicheren Fachdisziplinen Verkehrs- und Stadtplanung können so lebenswerte und nachhaltige Stadträume geschaffen werden. Herausforderungen und Chancen Die Umsetzung des Konzepts der 15-Minuten-Stadt bringt jedoch auch Heraus forderungen mit sich. Die Neugestaltung bestehender städtischer Infrastrukturen er forder t umfas s ende Planung, Investitionen und die Zusammenarbeit verschiedener Interessengruppen und Fachdisziplinen. Es bedarf einer integrativen Herangehensweise, die die Bedürfnisse und Perspektiven aller Betroffenen berücksichtigt. Ein zentraler A spekt ist die Schaffung von lebenswerten öffentlichen Räumen, die sowohl ästhetisch ansprechend als auch funk tional sind. Grünflächen, Plätze und Fußgängerzonen spielen dabei eine wichtige Rolle und tragen dazu bei, eine lebendige und soziale Atmosphäre zu schaffen. Ein weiteres Hindernis bei der Umsetzung des 15-Minuten-Konzepts ist die oft bestehende soziale Ungleichheit in städtischen Gebieten. Benachteiligte Gemeinschaften haben möglicherweise nicht den gleichen Zugang zu Ressourcen und Dienstleistungen wie wohlhabendere Viertel. Es ist daher wichtig, sicherzustellen, dass die Vorteile der 15-Minuten-Stadt allen Bewohnern zugutekommen und keine weiteren Disparitäten entstehen. Es ist zu beachten, dass eine vollständige Erreichbarkeit aller relevanten Ziele innerhalb eines 15-Minuten-Radius für alle Menschen aus praktischen Gründen oft schwer umsetzbar ist. Die Idee der 15-Minuten-Stadt sollte vielmehr als Inspirationsquelle für den Planungsprozess betrachtet werden und die Grundideen An- Dennis Dreher, M. Eng., Akademischer Mitarbeiter und Teamleitung MoVe dennis.dreher@ hft-stuttgart.de Lutz Gaspers, Prof. Dr.-Ing., Professor für Verkehrsplanung und Sprecher MoVe lutz.gaspers@ hft-stuttgart.de AUTOR*INNEN Bild 2: In der 15-Minuten- Stadt wird der Fokus auf aktive Mobilitätsformen gelegt. © Berzane Nasser. PRAXIS + PROJEKTE Mobilität
