Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0015
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Zu Fuß in der Menge
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Susanne Götz
Harald Kipke
Um die Akzeptanz des Zufußgehens bei den Menschen zu erhöhen, sind neben den rein funktional-objektiven Einflussfaktoren, die von der Stadtplanung beeinflussbar sind, ebenso die vom Individuum empfundenen sensitiv-emotionalen Einflüsse zu berücksichtigen, die hier mit dem Begriff des Wohlbefindens umschrieben werden. Unter der Annahme, dass das persönliche Wohlbefinden in unterschiedlichen Umgebungssituationen eine wichtige Rolle für die subjektive Entscheidungsfindung für das Zufußgehen spielt, wurden leitfadengestützte Interviews in realen als auch virtuellen Umgebungen durchgeführt, um die Wahrnehmung und das Wohlbefinden der Befragten zu erfassen. Die Ergebnisse zeigen, dass bei einer Unterschreitung eines spezifischen Flächenangebots von 6 m2/Person bereits Anzeichen von Agoraphobie festzustellen sind, dass aber auch die Interpretation von Umgebungsreizen das Wohlbefinden beeinflussen kann. Dabei fühlten sich Frauen unter gleichen Umgebungsbedingungen im Durchschnitt unwohler als Männer, was weiteren Forschungsbedarf aufwirft. Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass die deutschen Regelwerke zur Bemessung von Straßen den Aspekt des Wohlbefindens als Qualitätsmerkmal im Fußverkehr nicht ausreichend spiegeln. Einschränkungen zur Validität der Studienergebnisse liegen im Rahmen der Durchführung der Interviews in virtuellen und realen Umgebungen sowie in der Stichprobenzusammensetzung vor.
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28 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0015 Zu Fuß in der Menge Wohlbefinden und Wahrnehmungen im Fußverkehr unter Menschen Fußverkehr, Entscheidungsfindung, Wohlbefinden, Flächenangebot, Interviews, Regelwerke Susanne Götz, Harald Kipke Um die Akzeptanz des Zufußgehens bei den Menschen zu erhöhen, sind neben den rein funktional-objektiven Einflussfaktoren, die von der Stadtplanung beeinflussbar sind, ebenso die vom Individuum empfundenen sensitiv-emotionalen Einflüsse zu berücksichtigen, die hier mit dem Begriff des Wohlbefindens umschrieben werden. Unter der Annahme, dass das persönliche Wohlbefinden in unterschiedlichen Umgebungssituationen eine wichtige Rolle für die subjektive Entscheidungsfindung für das Zufußgehen spielt, wurden leitfadengestützte Interviews in realen als auch virtuellen Umgebungen durchgeführt, um die Wahrnehmung und das Wohlbefinden der Befragten zu erfassen. Die Ergebnisse zeigen, dass bei einer Unterschreitung eines spezifischen Flächenangebots von 6 m 2 / Person bereits Anzeichen von Agoraphobie festzustellen sind, dass aber auch die Interpretation von Umgebungsreizen das Wohlbefinden beeinflussen kann. Dabei fühlten sich Frauen unter gleichen Umgebungsbedingungen im Durchschnitt unwohler als Männer, was weiteren Forschungsbedarf aufwirft. Es konnte zudem nachgewiesen werden, dass die deutschen Regelwerke zur Bemessung von Straßen den Aspekt des Wohlbefindens als Qualitätsmerkmal im Fußverkehr nicht ausreichend spiegeln. Einschränkungen zur Validität der Studienergebnisse liegen im Rahmen der Durchführung der Interviews in virtuellen und realen Umgebungen sowie in der Stichprobenzusammensetzung vor. 29 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0015 THEMA Offene und sichere Städte Entstehung von Wohlbefinden innerhalb verschiedener Untersuchungskomponenten. Dabei werden zunächst Emotionsauslöser in Form von Reizen identifiziert, die im zweiten Schritt durch die jeweiligen Sinnesorgane wahrgenommen werden. Die darauffolgende kognitive Bewertung erfolgt auf Grundlage individueller Erfahrungen, Erinnerungen und ähnlicher Faktoren. Schließlich entsteht als Wirkung dieser Bewertung ein emotionales Stimmungsbild [9], welches im Falle einer positiven Ausprägung als Wohlbefinden bezeichnet wird. Bisherige Forschungen zu Einflüssen auf das Wohlbefinden beim Zufußgehen In der begleitenden Literaturrecherche wurde besonderes Augenmerk auf den dritten Schritt der o. g. Ursache-Wirkungs-Kette gerichtet, der die Bewertung der Einflüsse durch die Individuen umfasst. Die Literaturrecherche ergab, dass sich die Einflüsse auf das Wohlbefinden in exogene („von externen Quellen ausgehende“) und endogene („das innere Milieu betreffende“) Aspekte unterteilen lassen können [10][11]. Exogene Einflussfaktoren auf das Wohlbefinden von Individuen können potenziell von Stadtplanenden oder Mitmenschen kontrolliert werden. Zufußgehende sind aufgrund der fehlenden physischen Barriere (wie beispielsweise der Pkw bei Autofahrenden) [12] stärker den Auswirkungen von Witterungsbedingungen, Lärm, Staub, Gerüchen und möglichen Einschränkungen des persönlichen Raums ausgesetzt. Zudem geht aus der sozialpsychologischen Forschung hervor, dass der Raum um Menschen herum in verschiedene Distanzzonen eingeteilt werden kann [13]. Diese sind definierte Bereiche um eine Person herum, die eine angemes- Fußverkehrsforschung im Wandel Abgesehen von wenigen Ausnahmen [1] rückt der Fußverkehr erst in jüngerer Zeit stärker ins Visier der verkehrswissenschaftlichen Forschung. Zum einen wird seine Relevanz im Rahmen der angestrebten Verkehrswende im Kontext des Klimawandels erkannt. Zum anderen wird er auch als präventive Maßnahme gegen physische Insuffizienzen [2] und psychische Beschwerden [3] erwähnt. Das Zufußgehen leistet somit einen wichtigen Beitrag zur Volksgesundheit und entlastet das Gesundheitssystem. In der Vergangenheit wurden Betrachtungen zum Fußverkehr in der Stadt- und Verkehrsplanung überwiegend aus einer rein mechanistisch-funktionalen Perspektive heraus durchgeführt. Auch im aktuellen Regelwerk zur Bemessung von Fußverkehrsanlagen liegt der Fokus auf der Effizienz des Fußverkehrs im Sinne der Verkehrsflussoptimierung [4]. Eine bedeutende Forschungslücke besteht folglich hinsichtlich der psychologischen Effekte des Zufußgehens als Alltagsverkehrsmodus [5][6]. Eine mögliche Erklärung hierfür ist das klassische Problem interdisziplinärer Forschungsfelder: In der Verkehrsforschung werden Untersuchungen von Wahrnehmungen während des Zufußgehens sowie möglicher tiefenpsychologischer Anreize zum Zufußgehen eher im Bereich der Psychologie vermutet, während die Psychologie diese Effekte eher in der Verkehrswissenschaft angesiedelt sieht. Das verkehrs- und gesundheitspolitische Ziel die Motivation für das Zufußgehen zu erhöhen, erfordert daher auch eine genauere Erforschung der nicht-rationalen Beweggründe der Zufußgehenden. Hieraus können gezielte Maßnahmen zur Förderung des Fußverkehrs abgeleitet werden, um die Akzeptanz und damit die Nutzung dieses umweltfreundlichen Verkehrsmittels zu erhöhen. Die vorliegende Studie basiert auf einer Masterarbeit an der TH Nürnberg [7] und fokussiert sich auf die Identifikation und Analyse der Einflussfaktoren, welche das subjektive Wohlbefinden während des Zufußgehens bestimmen. Zudem werden die Wirkungen dieser Einflussfaktoren aufgezeigt, wobei das spezifische Flächenangebot (d. h. die Anzahl der Personen pro Quadratmeter) gesondert betrachtet wird. Von der theoriegestützten Analyse zur empirischen Untersuchung Ansätze aus der Psychologie In der Psychologie lässt sich der Entstehungsprozess von Wohlbefinden mit den s. g. kognitiven Emotionstheorien beschreiben, auf deren Basis eine Ursache-Wirkungs-Kette abgeleitet und formuliert wurde (vgl. Bild 1) [8]. Diese Kausalitätskette dient der strukturierten Analyse und Aufgliederung der Bild 1: Entstehungsprozess von Emotionen entsprechend kognitiven Emotionstheorien. © TH Nürnberg 30 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0015 THEMA Offene und sichere Städte zustand, Lebensstil, Verpflichtungen und Wegezwecke [14]. Leitfadengestützte Interviews Basierend auf dem Ansatz der kognitiven Emotionstheorien sowie weiterer Erkenntnisse aus der durchgeführten Literaturrecherche wurden leitfadengestützte Interviews entwickelt, um Daten zur Erforschung der subjektiven Gedanken und Gefühle von Zufußgehenden zu sammeln. Interviews ermöglichen es, ungefilterte Einblicke in die individuelle Wahrnehmung zu erhalten, die Einfluss auf die Stimmung und damit auch auf die Entscheidung zum Fußverkehr haben. Dabei ist zu beachten, dass die gewählte Methode nicht in der Lage ist, wahrgenommene Objekte zu identifizieren, die von den Befragten als irrelevant angesehen, bewusst nicht erwähnt oder nur unterbewusst wahrgenommen wurden. Die Interviews wurden sowohl in realen (n=97) als auch in virtuellen Umgebungen (n=120) durchgeführt (vgl. Bild 3). Dabei wurde das allgemeine Wohlbefinden der Zufußgehenden in ihrer aktuellen Umgebung erfasst, ebenso wie die wahrgenommenen Elemente, die für diese Wahrnehmung verwendeten Sinnesorgane und die Bewertung dieser Elemente auf einer Skala von sehr positiv bis sehr negativ. Um mögliche Gewöhnungseffekte zu berücksichtigen, wurden in den realen Umgebungen auch Fragen zur Vertrautheit der Befragten mit ihrer Umgebung gestellt. Besonderes Augenmerk wurde auf die Effekte gelegt, die durch Interaktionen mit anderen Zufußgehenden entstehen können. Virtuelle und reale Umgebungen Die Durchführung von Befragungen in den verschiedenen Umgebungen bietet eine Vielzahl methodischer Vorzüge und gleichzeitig auch Limitationen. sene räumliche Nähe für Interaktionen und Kommunikation je nach Beziehung und kulturellen Normen festlegen. Sie umfassen die intime, persönliche, soziale und öffentliche Zone (vgl. Bild 2). Bewegen sich Personen im öffentlichen Raum, kann insbesondere in stark frequentierten Bereichen nicht immer gewährleistet werden, dass die Distanzzonen von Menschen eingehalten werden. Als Folge können negative Emotionen entstehen und die Überfüllung dient als Auslöser für Agoraphobie. Gleichzeitig besitzen exogene Faktoren wie die Qualität der städtebaulichen Umgebung, die Wegeführungen und Barrieren einen Einfluss auf das Wohlbefinden der Zufußgehenden. Endogene Aspekte hingegen umfassen die demographischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Eigenschaften einer Person und ihres sozialen Umfelds. Diese können ebenfalls das Wohlbefinden von Zufußgehenden beeinflussen, jedoch sind sie nicht von Verkehrs- und Stadtplanenden beeinflussbar. Typische endogene Einflüsse sind Alter, Geschlecht, sozioökonomischer Status, Kultur und Religion, psychischer und physischer Gesundheits- Bild 2: Distanzzonen von Menschen. © TH Nürnberg nach Hall, Edward T. The hidden dimension. New York: Anchor Books, 1990 Bild 3: Ansichten der Analyseumgebungen. © TH Nürnberg 31 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0015 THEMA Offene und sichere Städte kehrsdichten tendenziell ausweichen würden, was sich positiv auf die Repräsentativität der Stichprobe auswirkt und die Validität der Ergebnisse zusätzlich erhöht. Allerdings sind die virtuellen Analyseumgebungen auf visuelle und auditive Reize beschränkt und berücksichtigen andere sensorische Einflüsse wie Geruch oder taktile Reize nicht. Trotz dieser Limitationen erlaubt die methodische Struktur der Interviews sowohl quantitative als auch qualitative Analysen. Wohlfühlfaktoren beim Zufußgehen Wie viele Menschen sind zu viele? Durch Variation des spezifischen Flächenangebots in der virtuellen Umgebung von 0,75 m 2 / Person bis zu einer Umgebung ohne weitere Zufußgehende („soziale Isolation“) wurde festgestellt, dass erst ab knapp 4 m 2 / Person (das entspricht einem mittleren Abstand von ca. 1,9 m) die Befragten andere Zufußgehende nicht mehr überwiegend als (sehr) negativ wahrgenommen haben. Ab einem Flächenangebot von etwa 6 m 2 / Person (entspricht einem mittleren Abstand von ca. 2,3 m) konnten keine absoluten Einschränkungen des Wohlbefindens mehr nachgewiesen werden. Dies lässt vermuten, dass bei den Zufußgehenden erst ab einem spezifischen Flächenangebot von ca. 6 m 2 / Person keine Formen von Agoraphobie infolge einer Konzentration von Menschenansammlungen ausgelöst werden (vgl. Bild 4). Das Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanlagen als deutsches Regelwerk für die Bemessung von Fußverkehrsanlagen stuft diese zu Verfügung stehende Fläche pro Person in die zweit- Die Validität der Studie ist durch Beschränkungen gekennzeichnet, die unteranderem darauf zurückzuführen sind, dass Interviews in realen Umgebungen vor Veranstaltungsplätzen stattfanden. Grund hierfür ist, dass damit Antworten bei unterschiedlichen spezifischen Flächenangeboten im Fußverkehr erfasst werden konnten. Diese Platzierung könnte potenziell eine implizite Selektion der Teilnehmenden bedingen, da Personen, die sich in überfüllten Umgebungen unwohl fühlen, möglicherweise weniger geneigt sind, an solchen Befragungen teilzunehmen. Zudem sprechen Befragungen vor Veranstaltungsplätzen hauptsächlich Freizeitnutzende des Fußverkehrs an, während Pendelnde und Personen mit anderen Verpflichtungen möglicherweise unterrepräsentiert sind. Des Weiteren wurden die Befragungen in virtuellen Umgebungen in einem universitären Kontext durchgeführt, was die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränken könnte. Trotz dieser Einschränkungen bieten die unterschiedlichen Befragungsumgebungen jeweils spezifische Vor- und Nachteile, die bei der Interpretation und Einordnung der Ergebnisse zu berücksichtigen sind. Insbesondere virtuelle Umgebungen ermöglichen eine präzise Kontrolle der experimentellen Rahmenbedingungen, wodurch für alle Befragten der gleiche Zugang zu wahrnehmbaren Objekten gewährleistet ist, d. h. es sind für alle Befragten exakt gleiche Ausgangsbedingungen herstellbar, was die Validität der Ergebnisse deutlich erhöht. So erlaubt z. B. die flexible Anpassung des spezifischen Flächenangebots in virtuellen Umgebungen die Einbeziehung von Teilnehmenden, die in realen Umgebungen hohen Ver- Bild 4: Einfluss eines geringen spezifischen Flächenangebots auf Zufußgehende. © TH Nürnberg 32 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0015 THEMA Offene und sichere Städte Beispiel hierfür war ein Motorengeräusch, das von einem nahegelegenen PKW ausging. Teilnehmende, die das Fahrzeug nicht aktiv wahrnahmen, hatten Schwierigkeiten, das Geräusch einem Fahrzeug zuzuordnen und beschrieben es als ein allgemeines Brummen. Während das Motorengeräusch als störend empfunden wurde, wurde das Brummen signifikant weniger negativ wahrgenommen. Auffallende endogene und exogene Einflüsse Alle Ergebnisse zeigen die Tendenz auf, dass der endogene Einfluss des Geschlechts eine nicht zu vernachlässigende Rolle beim Wohlbefinden während des Zufußgehens spielt, wobei Frauen angaben sich unwohler zu fühlen als Männer. Der genaue Hintergrund dieser Geschlechtsunterschiede bleibt jedoch unklar und bedarf weiterer Forschung, um vollständig verstanden zu werden. Des Weiteren bestätigten die Ergebnisse der Interviews das in der Literaturrecherche aufgezeichnete Bild, dass natürliche Objekte wie Bäume, Wiesen oder Wasser einen signifikanten positiven Einfluss auf das Wohlbefinden haben-[17]. In der Auswertung der Interviews wurde festgestellt, dass über 90 % der wahrgenommenen Naturobjekte positiv oder sehr positiv bewertet wurden. Ableitungen für die Stadtgestaltung Die Ergebnisse der Studie haben gezeigt, dass die im Rahmen der Bemessung von Straßen stark auf die Optimierung des Verkehrsflusses ausgerichteten Regelwerke den Aspekt des Wohlbefindens als Qualitätsmerkmal im Fußverkehr nicht ausreichend spiegeln, um ein mögliches Potenzial zur Erhöhung des Fußverkehrsanteils vollständig auszuschöpfen. Insbesondere die räumliche Enge auf den Anlagen des Fußverkehrs kann das Wohlbefinden erheblich beste Qualitätsstufe B ein [15]. Die Gegenüberstellung zwischen der rein funktionalen Qualitätseinstufung im Rahmen der Regelwerke der FGSV und einer Einstufung nach dem subjektiven Qualitätsempfinden zeigt eine große Diskrepanz auf und kann in der kommunalen Praxis dazu führen, dass die Flächenbelange von Zufußgehenden in der Bemessung von Fußverkehrsanlagen systematisch vernachlässigt werden. Ab einem Flächenangebot von 6 m 2 / Person wirken sich weitere Erhöhungen des Flächenangebots nicht mehr auf eine Steigerung des Wohlbefindens aus (vgl. Bild 5). Auffallend ist, dass die Streubreite der Antworten bei sehr hohem und sehr geringem spezifischen Flächenangebot ansteigt. Dieses Phänomen bestätigt die Richtigkeit des gewählten Ansatzes auf Basis der kognitiven Emotionstheorien, nach denen die Bewertung unterschiedlicher Situationen auf verschiedene Erfahrungen, Erinnerungen und Prägungen zurückzuführen ist. So kann eine Situation in einer großen Menschenansammlung als „normal in einer Stadt“ oder auch als „unangenehm eng“ beschrieben werden. Gleichzeitig werden Situationen der sozialen Isolation von manchen Personen als „furchterregend einsam“ oder als „angenehm ruhig“ empfunden. Die gewonnenen Erkenntnisse stehen zudem nicht im Widerspruch zu bekannten im Kontext des Städtebaus formulierten Dichte-Hypothesen, da sich diese u. a. auf Personen beziehen, die nicht in Bewegung sind [16]. Wie interpretieren wir unsere Umwelt? Die Analysen zeigen, dass identische Geräusche unterschiedliche Reaktionen auf das Wohlbefinden hervorrufen können, abhängig von ihrer vermeintlichen Ursache. Dies wurde besonders in den Auswertungen der virtuellen Interviews deutlich. Ein Bild 5: Durchschnittliche Wohlbefinden bei verschiedenen spezifischen Flächenangeboten. © TH Nürnberg 33 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0015 THEMA Offene und sichere Städte Susanne Götz, M.Eng., Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Intelligente Verkehrsplanung, Nuremberg Campus of Technology, Technische Hochschule Nürnberg susanne.goetz@th-nuernberg.de Harald Kipke, Prof. Dr.-Ing, Forschungsprofessur Intelligente Verkehrsplanung, Nuremberg Campus of Technology, Technische Hochschule Nürnberg harald.kipke@th-nuernberg.de AUTOR*INNEN fußgehenden, Nürnberg: Technische Hochschule Nürnberg, 2023. [8] von Georgi, R. und Starcke, K.: Theorien und Messung von Emotionen, in: Eventpsychologie, Wiesbaden: Ronft, 2021. Seite 611. [9] Ludewig, E.: Stimmung und Emotion: Wo liegen die Unterschiede und wie lassen sie sich beeinflussen? , in: UsabilitBlog, 17. November 2011, https: / / www.usabilityblog. de/ stimmung-und-emotion-wo-liegen-die-unterschiede-und-wie-lassen-sie-sich-beeinflussen/ . [10] Śleszyński, M.: Modellierung und Analyse des Verhaltens von FußgeherInnen vor und nach Verkehrsberuhigung einer Geschäftsstraße, Wien: Technische Universität Wien, 2012. Seite 18 f. [11] Wermuth, M.: Modellvorstellungen zur Prognose, in: Stadtverkehrsplanung: Grundlagen, Methoden, Ziele, 2. Auflage, Berlin Heidelberg, Steierwald, 2005. Seite 246. [12] Risser, Ralf: Gut zu Fuß - Fußgänger als Verkehrsteilnehmer 2. Klasse, Wien, Mandelbaum Verlag, 2002. Seite 51f. [13] Hall, E. T.: The hidden dimension. New York, Anchor Books, 1990. Seite 113 ff. [14] Kramer F. und Raddatz M.: Das Bewegungsverhalten von Fussgaengern im Strassenverkehr auf Basis einer experimentellen Reihenuntersuchung, in: Verkehrsunfall und Fahrzeugtechnik, 2012. [15] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanalgen, Köln, FGSV Verlag, 2015. Seite S9-4. [16] Gehl, Jan: Städte für Menschen, Berlin, Jovis-Verlag GmbH, 2015. Seite 64 ff. [17] Franěk, M. et al.: Effect of Traffic Noise and Relaxations Sounds on Pedestrian Walking Speed, in: International Journal of Environmental Research and Public Health 15, Ausgabe 4, 14. April 2018, https: / / doi.org/ 10.3390/ ijerph15040752. Seite 752. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Dmytro Varavin beeinträchtigen, sodass eine gerechtere Flächenaufteilung zugunsten der Zufußgehenden einen Baustein im Paradigmenwechsel von der autogerechten zur menschengerechten Stadt bildet. Dieser Wechsel impliziert nicht nur eine bessere Fußverkehrsinfrastruktur, sondern auch eine stärkere Berücksichtigung der Bedürfnisse und subjektiven Sicherheit von Zufußgehenden. Die Integration von Grünflächen in Fußverkehrsanlagen bietet eine breite Palette von Vorteilen, darunter Geschwindigkeitsreduktion, Stressabbau, Schattenspenden und eine Steigerung der subjektiven Sicherheit. Eine durchdachte Begrünung kann somit nicht nur das gestalterische Erscheinungsbild eines Straßenzuges verbessern, sondern auch das Wohlbefinden und die Attraktivität der Fußverkehrsanlagen steigern. Das eingangs erwähnte politische Ziel einer Förderung des Zufußgehens im Alltag sowie die bislang vorliegenden Erkenntnisse betonen die Dringlichkeit weiterer Forschungsvorhaben im Fußverkehr wie u. a. die tiefergehende Untersuchung endogener Faktoren wie Geschlecht, kultureller Hintergrund und Alter. Literatur [1] Knoflacher, Hermann: Katalysatoren für Nichtmotorisierte, Wien, 1985, ISBN 3-900657-00-9. [2] N.N.: Bewegen ist die Beste Vorsorge, in: HERZ Heute, Ausgabe 4, 2018, https: / / herzstiftung.de/ system/ files/ 2020-05/ HH0418-Expertentipps-fuer-ein-gesundes-Herz.pdf. [3] Harvey, Samuel et al.: Exercise and the Prevention of Depression: Results of the HUNT Cohort Study, in: The American Journal of Psychiatry, 2017, DOI: 10.1176/ appi. ajp.2017.16111223. [4] Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen: Handbuch für die Bemessung von Straßenverkehrsanalgen, Köln, FGSV Verlag, 2015. Seite S9-2. [5] Kipke, Harald: Routensuch- und Zeitbewertungsmechanismen im nicht motorisierten Verkehr (Fußgänger- und Radfahrer), Nürnberg: Technische Hochschule Nürnberg, 2018 (unveröffentlicht). [6] Schmidt-Hamburger, Céline et al.: Mobilitätskomfort und Sicherheitsempfinden für die urbane Verkehrswende, in: Transforming Cities, Ausgabe 4, 2023. Seite 36-41. [7] Götz, Susanne: Analyse der Wechselwirkung zwischen der Fußverkehrsdichte und des Wohlbefindens von Zu-
