Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0017
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Ergebnisse aus dem Projekt „Smart-City-Herausforderungen um Safety und Security erweitern“ (SCHUSS)
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André Röhl
Karl-Heinz Hollung
Heiko Nissen
Ulrich Graumann
André Schulz
Achim Wortmann
Im laufenden Projekt SCHUSS werden die Möglichkeiten der Smart City mit den Anforderungen an eine sichere Stadt verknüpft. Dabei sind technologische Hürden zu überwinden, rechtliche Vorgabe zu beachten und ein vielschichtiges Verständnis von Sicherheit in einer örtlichen Gemeinschaft zu entwickeln. Im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand kommen dazu Start-ups und etablierte Sicherheitstechnikunternehmen mit Stakeholdern aus Kommunen und Vertretern unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachdisziplinen zusammen.
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39 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0017 Ergebnisse aus dem Projekt „Smart-City-Herausforderungen um Safety und Security erweitern“ (SCHUSS) Urbanisierung, Klimawandel, Digitalisierung, Kommunen, Bedarfsanalyse, Smart City, Safe City, Sicherheitstechnik André Röhl, Karl-Heinz Hollung, Heiko Nissen, Ulrich Graumann, André Schulz, Achim Wortmann Im laufenden Projekt SCHUSS werden die Möglichkeiten der Smart City mit den Anforderungen an eine sichere Stadt verknüpft. Dabei sind technologische Hürden zu überwinden, rechtliche Vorgabe zu beachten und ein vielschichtiges Verständnis von Sicherheit in einer örtlichen Gemeinschaft zu entwickeln. Im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand kommen dazu Start-ups und etablierte Sicherheitstechnikunternehmen mit Stakeholdern aus Kommunen und Vertretern unterschiedlicher wissenschaftlicher Fachdisziplinen zusammen. Smart Cities und Sicherheit Kommunen sind als sprichwörtliche örtliche Gemeinschaft der zentrale Interaktionsraum von Bürgerinnen und Bürgern, Staat und Zivilgesellschaft. Sie sind damit auch zugleich Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Herausforderungen als auch technologischer Entwicklungen. Dies fordert eine stetige Auseinandersetzung mit Veränderungen, bietet aber auch Chancen. Die Vision einer Smart City, welche die Auswirkungen der Digitalisierung antizipiert, die Nutzung neuer Möglichkeiten fördert und zugleich auch für die Steuerung und Stärkung der örtlichen Gemeinschaft nutzt, spiegelt diesen Prozess wider. 40 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0017 THEMA Offene und sichere Städte telständischer Unternehmen durch Zuschüsse für Forschungs- und Entwicklungsprojekte. 4 Neben der direkten Förderung von Projekten werden auch innovative Unternehmensnetzwerke gefördert, deren Ziele ebenfalls die Konzeption und Durchführung von Projekten beinhalten. Unter dem Dach der HSC - Hollung Security Consult GmbH wurde 2023 ein Netzwerk ins Leben gerufen, das aktuell aus neun Unternehmen, einer Kommune (Bad Segeberg) und der NBS Northern Business School besteht. Hauptsächliches Ziel des Netzwerks ist es, die Sicherheit der Bevölkerung durch die Entwicklung und den Einsatz von automatisierten, KI-unterstützten Sensoren (optisch, akustisch, georeferenziert) zu verbessern, ohne dabei die persönlichen Freiheiten der Individuen einzuschränken. Es handelt sich um einen ganzheitlichen Ansatz, der die Gesamtsicherheit und Attraktivität einer so entstehenden Smart City als Wohn- und Gewerbestandort verbessern soll. Die neun Unternehmenspartner können klassifiziert werden in Unternehmen, die mit Bildgenerierung und -verarbeitung beschäftigt sind, wie die Arrowtec GmbH (autonome Drohnen), GedonSoft GmbH (3D-Bilddatenerfassung, motion capturing) und die iCGOGNIZE GmbH (Biometrische Zutrittskontrolle). Mit der LASE PeCo GmbH ist ein Unternehmen dabei, das eine auf Laserscannern basierende Echtzeiterkennung ermöglicht. Außerdem sind drei Unternehmen im Bereich des Objektschutzes tätig: MEBO GmbH und KSM GmbH als Betreiber von Notruf-Serviceleitstellen, Hausnotruf, Werk- und Objektschutz sowie die SecuGround GmbH, die sich mit der physischen Absicherung von Geländen durch Sperranlagen beschäftigt. Abgerundet wird das Kompetenzportfolio durch zwei Unternehmen aus dem Bereich Gefahrenmanagement, die VOMATEC Innovations GmbH und die b2 Business Solutions GmbH. Damit ist das Netzwerk bereits gut aufgestellt, aber offen für weitere innovative Unternehmen. Auch Städte können im weiteren Verlauf dem Netzwerk noch beitreten und sich an den Projekten beteiligen. Kenntnisstand Kriminalwissenschaften und zu berücksichtigende rechtliche Rahmenbedingungen Der Einsatz von Sensor- und Kommunikationstechnik (IoT-Sensoren) im öffentlichen Raum bietet Städten im Rahmen der Transformation zur Smart City zahlreiche Potenziale, birgt aber auch nicht zu unterschätzende Risiken. Um zu keiner Zeit in den Verdacht der Schaffung eines Überwachungsstaates im Orwellschen Sinne zu geraten, muss bei entsprechenden Projekten von Anfang an eine größtmögliche Transparenz und Beteiligung der Bevölkerung er- Der Begriff Smart City findet sich seit dem Ende der 1990er-Jahre in wissenschaftlichen Publikationen. Die Häufigkeit stieg nach 2015 exponentiell an. Die Schwerpunktsetzungen und das Verständnis des Begriffs sind dabei durchaus unterschiedlich, was die Ableitung einer einheitlichen Definition erschwert. 1 Einem übergreifenden Ansatz zufolge versucht eine Smart City, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen und Herausforderungen wie Urbanisierung oder Klimawandel zu bewältigen. Dafür werden Akteure in der Stadt besser miteinander vernetzt und mithilfe von Daten und modernen Technologien in ihrer Arbeit zielgerichtet unterstützt. Ziel ist die Verbesserung der Lebensqualität durch bessere Dienstleistungen, ohne zugleich einen negativen Impact auf Dritte zu erzeugen. 2 Insgesamt kann festgestellt werden, dass das Thema Sicherheit dabei eine untergeordnete Rolle spielt. Zwar gibt es seit der Corona-Pandemie Forderungen zur Verknüpfung des Resilienz-Gedankens mit dem Smart City-Konzept, hierbei geht es im Wesentlichen aber um die Bewältigung von Katastrophen. 3 Parallel kann im Zusammenhang mit der informationstechnischen Umsetzung von Smart-City-Konzepten auch ein grundsätzliches Interesse an einer sicheren Umsetzung angenommen werden. Eine darüber hinausgehende Diskussion, wie grundsätzliche Sicherheitsbedarfe in einer Stadt definiert und im Rahmen eines Smart-City-Ansatzes berücksichtigt werden können, steht jedoch noch aus. Das Netzwerk SCHUSS beabsichtigt, durch Verknüpfung von Bedarfsanalysen in Städten mit innovativen technologischen Lösungen das Thema Sicherheit stärker in der Diskussion um die Stadt der Zukunft zu verankern. Im Folgenden wird das Netzwerk vorgestellt, bevor die kriminalwissenschaftlichen Grundlagen und rechtlichen Rahmenbedingungen des Einsatzes von Technologie im Sicherheitskontext aufgezeigt werden. Einer Diskussion zum Sicherheitsbegriff folgt eine Darstellung der mit dem Netzwerk verbundenen Forschung und ersten Ergebnissen. Das Netzwerk SCHUSS Unter dem Namen SCHUSS sollen Smart-City-Herausforderungen um Safety und Security erweitert werden. Das Netzwerk SCHUSS wird vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Die Förderung erfolgt im Rahmen des Zentralen Innovationsprogramms Mittelstand des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Ziel dieses Programmes ist die Stärkung von Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit mit- 41 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0017 THEMA Offene und sichere Städte ne Wohnung und der private Nahbereich, auch im öffentlichen Raum gibt es in einem gewissen Maße ein Recht auf Privatheit. Unterschieden werden neben der Intimsphäre die Privat-, Sozial- und Öffentlichkeitssphäre. Sozial- und Öffentlichkeitssphäre genießen einen weitaus geringeren Schutz als die Privatsphäre. Während die Sozialsphäre der Bereich ist, in dem Menschen mit anderen sozial agieren, ohne sich bewusst in der Öffentlichkeit darzustellen, definiert sich die Öffentlichkeitssphäre durch die bewusste soziale Entfaltung im öffentlichen Raum, bspw. bei der Teilnahme an Demonstrationen. Besonders geschützt gegen staatliche Eingriffe ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung, der Teil der Intim- und Privatsphäre ist. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht wird grundsätzlich nur soweit gewährt, wie das Verhalten des Betroffenen nicht die Rechte anderer verletzt und weder gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen Gesetze verstößt. Ein Recht auf Anonymität im öffentlichen Raum gibt es gesetzlich manifestiert, trotz lebhaft geführter Diskussion in der Politik, bisher aber grundsätzlich nicht. Weder das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung oder das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme werden schrankenlos gewährt. So darf in diese Rechte unter ständiger Beachtung der Verhältnismäßigkeit aufgrund einer gesetzlichen Ermächtigung eingegriffen werden, bspw. Videoüberwachung zur Strafverfolgung, zur Gefahrenabwehr nach dem Polizeirecht oder zur Wahrung des berechtigten Interesses gem. Art. 6 DSGVO. Beim Einsatz neuer Technologien muss also grundsätzlich die Frage gestellt werden, ob das (erwartete) Mehr an Sicherheit tatsächlich einen Eingriff in die Grundrechte rechtfertigt und wie minimal dieser Eingriff ausfallen kann (Eingriffsintensivität). Es gilt dabei grundsätzlich: „Dass die Freiheitswahrnehmung der Bürger nicht total erfasst und registriert werden darf, gehört zur verfassungsrechtlichen Identität der Bundesrepublik Deutschland.“ 10 Ein einheitliches Gesetz, welche alle denkbaren Fallkonstellationen der Überwachung des öffentlichen Raums regelt, existiert nicht. Rechtliche Grundlagen liefern die Datenschutz-Grundverordnung (DSVGO), das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), die Landesdatenschutzgesetze sowie diverse Spezialregelungen auf Bundes- und Länderebene. Während der Einsatz von Videotechnik im öffentlichen Raum zur Strafverfolgung und aus präventiven Gründen grundsätzlich geregelt ist, 11 wirft der Einsatz von vernetzten IoT-Sensoren noch zahlreiche datenschutzrechtliche Fragen auf. Intelligent vernetzte folgen. Bei der Erhebung, Verarbeitung, Analyse und Veröffentlichung von Daten sind mehrere Grundsätze und rechtliche Regelungen zu beachten. Öffentlicher Raum ist eine Voraussetzung städtischen Lebens und muss im Rahmen seiner Multifunktionalität als moderne Agora ( Verkehrsraum, Konsumraum, Kommunikationsraum, Erholungsraum etc.) auch die Möglichkeit bieten, anonym in der Masse verschwinden zu können. 5 Der öffentliche Raum ist explizit kein organisierter, verwalteter, rationaler, geplanter Raum, sondern ein spontaner, nicht kalkulierbarer, auch flüchtiger Raum, der sich in ständiger Bewegung befindet und sich gerade durch das Unvorhersehbare auszeichnet. 6 Damit geht ein Stück weit auch gesellschaftliche Unsicherheit einher, die durchaus wünschenswert ist. Bei der Projektplanung dürfen die Beteiligten nie der Utopie der vermeintlichen Sicherheit in prinzipiell unsicheren Räumen unterliegen 7 bzw. eine möglichst 100%ige (Pseudo-) Sicherheit als Maßstab anlegen. Zudem muss die kriminologische Erkenntnis berücksichtigt werden: Werden bestimmte Gebiete sicherer, so werden andere dafür zwangsläufig unsicherer. Die Überwachung des öffentlichen Raumes beeinflusst, wie verschiedene Studien gezeigt haben, das Verhalten von Menschen, bewusst oder unbewusst. Hier spielt auch der Gewöhnungseffekt eine Rolle. „Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Informationen dauerhaft gespeichert, verwendet und weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten. Dies würde nicht nur die individuellen Entfaltungschancen des Einzelnen beeinträchtigen, sondern auch das Gemeinwohl.“ 8 Des Weiteren wurde beispielsweise in Großbritannien bei Untersuchungen festgestellt, dass die elektronische Überwachung die soziale Verantwortlichkeit der Menschen sinken lässt. 9 Zudem ist empirisch belegt, dass bspw. die Videoüberwachung des öffentlichen Raums keine Kriminalität verhindert. Das als eigenständiges Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m Art. 1 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Persönlichkeitsrecht hat den Zweck, Eingriffe des Staates in die Privatsphäre des Einzelnen abzuwehren. Es schützt den autonomen Bereich privater und individueller Lebensführung, worunter das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das Recht am eigenen Bild und das Recht am eigenen Wort fällt. Unter die Privatsphäre fallen aber nicht nur die eige- 42 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0017 THEMA Offene und sichere Städte Kontrolle, sondern auch Datenbereitstellung und Einbindung stehen sollten. Dies erfordert ein über das Thema Kriminalität hinausgehendes Verständnis von Sicherheit in der Stadt. Dabei beinhaltet bereits der Begriff Sicherheit unterschiedliche Perspektiven, vereint er doch sowohl die Abwesenheit eines drohenden Schadens als auch die Gewissheit zu einem Sachverhalt. Im englischsprachigen Raum wird er in die Komponenten Safety und Security aufgeteilt, wobei Safety im Allgemeinen der Vorbeugung nicht-vorsätzlich herbeigeführter Schadensereignisse wie Unfälle oder Naturkatastrophen beinhaltet, während Security als Schutz vor böswilligen Angriffen betrachtet wird. Gleichzeitig hat sich in der Praxis erwiesen, dass Sicherheit als Zustandsbeschreibung ungeeignet ist, da eine damit verbundene absolute Wertung in der Realität selten möglich ist. Der zur differenzierten Betrachtung herangezogene Ansatz der Risikobewertung beinhaltet zusätzliche zustandsbezogene Bewertungen, üblicherweise die Eintrittswahrscheinlichkeit eines potenziellen Schadens in Kombination mit dem zu erwartenden Schadensausmaß. Aber auch diese Betrachtungsweise bringt Herausforderungen mit sich, da die entsprechenden Werte häufig allenfalls näherungsweise bestimmt werden können. Zusätzliche Perspektiven werden durch weitere Parameter wie Vulnerabilität, Exposition, Fragilität oder Robustheit ermöglicht. Aber auch hier besteht die Herausforderung, dass tendenziell statische Beziehungen analysiert werden und die Komplexität tatsächlicher Vorgänge nicht abgebildet wird. Als Lösungsansatz hat sich in den letzten Jahren der Begriff der Resilienz verstärkt im Sicherheitsmanagement durchgesetzt. Bezogen auf Schadensereignisse kann er als Ausdruck dafür verwendet werden, dass ein System sowohl eine Widerstandsfähigkeit als auch eine Bewältigungsfähigkeit hinsichtlich dieses Ereignisses aufweist. Aus der Betrachtung tatsächlicher Schadensereignisse ergibt sich zudem, dass Organisationen im weitesten Sinne dann besonders resilient waren, wenn sie sowohl interne Resilienzkompetenzen aufwiesen als auch in der Lage waren, mit externen Akteuren gemeinsam drohende oder eingetretene Schadensereignisse zu bewältigen. Daraus ergibt sich ein Resilienzmodell, das die Widerstandsfähigkeit und Bewältigungsfähigkeit mit nach innen wie nach außen gerichteten Handlungsempfehlungen verbindet und dem Ansatz sozialer Systeme folgend sowohl auf Individuen, Organisationen als auch auf eine örtliche Gemeinschaft angewendet werden kann. 14 Damit verbunden ist auch, dass die zeitliche Perspektive stärker eingebunden werden kann und Si- Objekte wie Akustik-, Optik-, Thermo-, Bewegungs- und Umwelt-/ Klimasensoren bieten die generelle Möglichkeit, personenbezogene Nutzungs- und Bewegungsprotokolle zu generieren, was ohne Ermächtigungsgrundlage und Zustimmung des Einzelnen grundsätzlich unzulässig ist und ordnungswidrigkeitenrechtliche sowie strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. 12 Die Datenerhebung muss nach Maßgabe der DSGVO mitgeteilt werden und ist zweckgebunden. 13 Personenbezogene Daten ermöglichen nach Definition der EU-Kommission die Identifizierung von Personen. Ermöglicht eine Anonymisierung auch durch Weiterverarbeitung keine Re-Identifizierung, ist der Personenbezug eines Datums aufgehoben. Eine Anonymisierung der erhobenen Daten führt dazu, dass diese weder der DSGVO oder dem BDSG noch einer Zweckbindung unterliegen. Für die Erhebung von anonymen Daten ist nach h. M. auch keine spezielle Ermächtigungsgrundlage erforderlich. Auch wenn technisch eine Anonymisierung gewährleistet werden kann und damit die datenschutzrechtlichen Bestimmungen nicht zur Anwendung gelangen, sieht auch die Smart City Charta des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) vor, dass Daten verantwortungsvoll zu generieren sind und stets die Datenhoheit zu behalten ist. Ein hehres Ziel, das in der praktischen Umsetzung durchaus mit Schwierigkeiten verbunden ist, da die Geräte ein hohes Maß an Funktionalität und Datenschutz vereinen müssen. Die freiwilligen Selbstverpflichtungen der Hersteller und Anbieter, Sensoren und smarte Objekte datenschutzkonform zu gestalten (Privacy-by-default und Privacy-by-design), sind zwar eine gute Grundlage, ob sie aber zur Gewährleistung des Datenschutzes ausreichen, muss im Einzelfall konzeptionell geprüft werden. Vernetzte Geräte sind immer ein Risiko. Es besteht stets die Gefahr, dass Systeme gehackt werden, dass sowohl die erhobenen Daten als auch die Technik für andere Zwecke missbraucht werden könnten als zum Zeitpunkt der Entwicklung angedacht. Der Einsatz von IoT-Sensoren sollte nicht nur unter dem Aspekt einer (vermeintlichen) Kriminalitätsreduzierung erfolgen. Da vernetzte IoT-Sensoren durchaus einen gesellschaftlichen Mehrwert generieren können, sollten entsprechende Projekte ihren Mehrwert klar bestimmen und mit zivilgesellschaftlicher Einbindung verknüpfen. Sicherheitsbedarfsmodell Aus der kriminalwissenschaftlichen und rechtlichen Betrachtung ergibt sich, dass im Fokus der Sicherheitsinnovationen nicht allein Datenerhebung und 43 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0017 THEMA Offene und sichere Städte spricht aufschlussreiche Erkenntnisse für das weitere Projekt. Im Anschluss an die Interviews wird die Transkription und eine umfassende inhaltliche Analyse der Gespräche erfolgen. Ziel ist es, durch diese qualitative Auswertung Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den Perspektiven der Befragten herauszuarbeiten und so ein differenziertes Verständnis der lokalen Sicherheitsbedürfnisse zu erlangen. Die Ergebnisse dieser Analyse bilden die Grundlage für die Entwicklung eines quantitativen Fragebogens, der es ermöglichen wird, die identifizierten Schlüsselthemen und Indikatoren in einer breiter angelegten Befragung der Bürgerinnen und Bürger in den jeweiligen Kommunen zu erfassen. Die zweite Phase der Untersuchung wird die quantitative Befragung umfassen. Diese hat das Ziel, statistisch signifikante Daten zu den Sicherheitsbedürfnissen und -wahrnehmungen sammeln. Die anschließende Analyse dieser Daten wird es erlauben, die spezifischen Sicherheitsbedürfnisse und Prioritäten der Bevölkerung präzise zu identifizieren und zu verstehen. Die aus beiden Forschungsphasen gewonnenen Erkenntnisse fließen in die Entwicklung und Implementierung zielgerichteter Maßnahmen, Dienstleistungen und Sicherheitsprodukte ein, die im Rahmen des ZIM-Projekts realisiert werden sollen. Durch die synergetische Verbindung qualitativer und quantitativer Forschungsergebnisse wird ein tiefgreifendes und umfassendes Verständnis der urbanen Sicherheitsbedürfnisse erzeugt. Diese methodisch fundierte Herangehensweise bildet die Basis für die Konzeption effektiver und nachhaltiger Lösungen, die maßgeblich zur Erhöhung der Sicherheit und Lebensqualität in städtischen Gebieten beitragen werden. Erste Umfrageergebnisse und Ausblick Ein kursorischer Überblick über die bisherigen Befragungsergebnisse zeigt drei Bedarfsfelder auf. Da die Auswertung zum aktuellen Zeitpunkt noch läuft, können sich noch weitere Themenfelder ergeben. Zum einen wird die Überforderung bei der Unterbringung und Integration von geflüchteten Menschen und das aus einem empfundenen Kontrollverlust resultierende Unsicherheitsempfinden thematisiert. Ein zweites Bedarfsfeld sind lokale Unsicherheitsräume, die von Teilen der Bevölkerung gemieden werden. Das dritte Thema ist die trotz kommunalen und ehrenamtlichen Engagements empfundene fehlende Selbstwirksamkeit im Bevölkerungsschutz. Hingewiesen wurde von den Gesprächspartnern auch auf die Knappheit personeller Ressourcen vom Streetworker bis zum cherheit also umfangreicher interpretiert wird, da z. B. auch Klimaschutz und Energieeinsparung (Sicherheit vor Energierestriktionen durch Gesetzgebung oder aktuell Verknappung von Energieträgern) berücksichtigt werden können. Design der Untersuchung Die der Projektinitiierung vorgeschaltete Untersuchung im ZIM-Netzwerk SCHUSS stellt sich der komplexen Herausforderung, den gefühlten und tatsächlichen Sicherheitsbedarf in drei ausgewählten Kommunen detailliert zu untersuchen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, wurde ein umfassender methodischer Rahmen gewählt, der qualitative und quantitative Forschungsmethoden kombiniert, mit dem Ziel, ein ganzheitliches Bild der Sicherheitsbedürfnisse und -wahrnehmungen zu zeichnen. Dieser Mehr-Methoden-Ansatz ist geeignet, fundierte Grundlagen für die Entwicklung gezielter Maßnahmen zur Verbesserung der urbanen Sicherheit zu schaffen. Bereits in der Pre-Test-Phase des Projekts wurde Wert auf die sorgfältige Vorbereitung und Planung gelegt. Diese initiale Phase diente der Entwicklung eines Interview-Leitfadens, basierend auf vorangegangenen kriminologischen sowie Aspekten des Zivil- und Katastrophenschutzes. Parallel dazu erfolgte die Auswahl der zu untersuchenden Kommunen, wobei lokale Besonderheiten und der Zugang zu potenziellen Interviewpartnern berücksichtigt wurden. Die Identifizierung und Auswahl spezifischer Interviewpartner erfolgte durch einen systematischen Pre-Test, der darauf abzielte, aus einer umfassenden Liste von Organisationen und Personen die geeignetsten Kandidaten für die Interviews zu selektieren. Diese vorbereitenden Schritte wurden gewählt, um eine solide Basis für die anschließende qualitative und quantitative Datenerhebung zu legen und die Relevanz sowie die Aussagekraft der Forschungsergebnisse sicherzustellen. In der aktuell laufenden ersten Projektphase werden qualitative, teilstrukturierte Interviews mit insgesamt fünfzehn Personen aus dem öffentlichen Leben der Kommunen durchgeführt. Diese Gespräche, aufgeteilt auf fünf Interviews pro Kommune, zielen darauf ab, tiefgehende Einblicke in die individuellen und gemeinschaftlichen Sicherheitswahrnehmungen zu gewinnen. Der leitfadengestützte teilstrukturierte Ansatz ermöglichte eine flexible Gesprächsführung, die es den Teilnehmenden erlaubt, ihre persönlichen Erfahrungen und Sichtweisen in Bezug auf Sicherheit und deren Verbesserungsperspektiven offen zu teilen. Die Phase der Interviewführung nähert sich nun ihrem Abschluss und ver- 44 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0017 THEMA Offene und sichere Städte 8 BVerfG, NJW 1984, 422. 9 Vgl. Nogala, Detlef; Sack, Fritz (1998). Technisierung sozialer Kontrolle und Verhaltenssteuerung durch Recht: Ergebnisskizze eines Forschungsprojekts nebst Anmerkungen zur rechtlichen Wirkungsforschung. In J. Reichertz (Hrsg.), Die Wirklichkeit des Rechts: rechts- und sozialwissenschaftliche Studien (S. 202-237). Opladen: Westdeutscher Verlag. 10 Vgl. BVerfGE 125, 260 [324]). 11 Vgl. Wissenschaftlicher Dienst des Deutschen Bundestags, WD 3 - 3000 - 133/ 16. 12 Vgl. Art. 83 DSGVO, § 42 BSG. 13 Vgl. Art. 5 DSGVO. 14 Vgl. Kerstan, Rico & Röhl, André (2023): Krisenresilienz als Anpassungsstrategie für Kommunen, in: Transforming Cities, 1-2023, S. 37-41. Eingangsabbildung: © iStock.com/ KanawatTH Wachpersonal und den damit verbundenen Bedarf an technischen Lösungen. Für alle drei Bedarfsfelder lassen sich nach dem skizzierten Resilienzmodell Handlungsempfehlungen für die individuelle und gemeinschaftliche Widerstandsfähigkeit und Bewältigungsfähigkeit nach innen wie nach außen ableiten. Nicht alle davon lassen sich durch technische Maßnahmen allein lösen, etwa wenn es um die grundsätzliche Ausgestaltung der Aufgabenübertragung an Kommunen durch Weiterentwicklung des Konnexitätsprinzips geht. Für andere sind typische Smart-City-Themen wie Fragen der Informationstransparenz und Analyse, der Kommunikation und technischen Einbindung relevanter Akteure bis hin zur situativen Förderung individuellen Sicherheitsempfindens durch technologische Lösungen denkbar. Diese werden nun in einem gemeinsamen Ansatz der beteiligten Partner entwickelt. Endnoten 1 Vgl. Camero, Andrés & Alba, Enrique (2019): Smart City and information technology: A review, in: Cities 93 (2019), S. 86f., 93, https: / / doi.org/ 10.1016/ j.cities.2019.04.014. 2 Vgl. International Organization for Standardization (2023): ISO/ IEC TS 5147: 2023, chapter 3.1.11 “smart city”. 3 Vgl. Samarakkody, Aravindi; Amaratunga, Dilanthi & Haigh, Richard (2022): Characterising Smartness to Make Smart Cities Resilient, in: Sustainability 14, no. 19: 12716, https: / / doi.org/ 10.3390/ su141912716. 4 Vgl. BMWK (o. J.): Richtlinie „Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM)“, https: / / www.zim.de/ ZIM/ Redaktion/ DE/ Downloads/ Richtlinien/ richtlinie-zim-2020. pdf ? _ _blob=publicationFile&v=1. 5 Vgl. Reicher, Christa, Kemme, Thomas (2009): Der öffentliche Raum: Ideen - Konzepte - Projekte. Berlin: Jovis, S. 15. 6 Vgl. Delgado, Manuel (1999). El animal público. Hacia una antropología de los espacios urbanos. Barcelona: Editorial Anagrama; Delgado, Manuel (2007). Sociedades Movedizas. Pasos hacia una antropología de las calles. Barcelona: Editorial Anagrama. 7 Vgl. Häfele, Joachim; Sack, Fritz, Eick, Volker; Hillen, Hergen (Hrsg.) (2017). Sicherheit und Kriminalprävention in urbanen Räumen. Wiesbaden: Springer VS. André Röhl, Prof. Dr., Studiengangleiter Sicherheitsmanagement / NBS Northern Business School Hamburg roehl@nbs.de Karl-Heinz Hollung, Projektleiter / HSC Hollung Security Consult GmbH, Gutenbergring 63, 22848 Norderstedt kh.hollung@hsc-security.de Heiko Nissen, Netzwerkmanager / HSC (s. o.) h.nissen@hsc-security.de Ulrich Graumann, Netzwerkmanager / HSC (s. o) u.graumann@hsc-security.de André Schulz, Prof. Dr., Professor für Kriminalwissenschaften / NBS Northern Business School Hamburg schulz@nbs.de Achim Wortmann, Prof. Dr., Professor für Wirtschaftspsychologie, Akademie für angewandte Wirtschaftspsychologie e. K. info@akawipsy.de AUTOR*INNEN
