eJournals Transforming cities 9/2

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0020
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2024
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Multifunktionale und nachhaltige Durchfahrtssperren

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2024
Norbert Gebbeken
Matthias Andrae
Jan Dirk van der Woerd
Der Schutz von öffentlichen Plätzen vor Angriffen mit Fahrzeugen, sogenannten Überfahrtaten, ist zu einem wichtigen Bestandteil bei der Planung von Innenstädten geworden. Planer und Planerinnen stehen hierbei vor der besonderen Herausforderung, sichere und lebenswerte Orte zu gestalten. Dabei kommt es häufig zu Zielkonflikten, denn die Errichtung von Durchfahrtssperren an prominenten öffentlichen Plätzen kann im Widerspruch stehen zu Leitbildern in der Stadtentwicklung, die darauf abzielen, eine offene urbane Atmosphäre zu schaffen. Daten zur Eintretenswahrscheinlichkeit von Überfahrtaten im Vergleich zu anderen allgemein akzeptierten Gefahren zeigen, dass die Gefahr, durch Überfahrtaten verletzt oder getötet zu werden, äußerst gering ist. Errichtete Durchfahrtssperren werden somit mit großer Wahrscheinlichkeit während ihrer Lebensdauer ihre Schutzwirkung nie zeigen müssen. Da eine Monofunktionalität in diesem Fall weder sicherheitstechnisch noch ökonomisch sinnvoll ist, plädieren wir für multifunktionale Durchfahrtssperren. Doch welche Kriterien sollten diese erfüllen? Angesichts des Klimawandels befürworten wir „grüne“ und „blaue“ statt „graue“ Durchfahrtssperren. Für die Gestaltung sicherer und lebenswerter Orte eignen sich insbesondere Elemente der Stadtmöblierung sowie der Landschafts- und Gartenarchitektur.
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56 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0020 Multifunktionale und nachhaltige Durchfahrtssperren Integrative Lösungen für sichere und lebenswerte öffentliche Plätze in urbanen Räumen Überfahrtaten, Terrorismus, Innovative Schutzelemente, Security-by-Design, Nachhaltigkeit, Urbanität Norbert Gebbeken, Matthias Andrae, Jan Dirk van der Woerd Der Schutz von öffentlichen Plätzen vor Angriffen mit Fahrzeugen, sogenannten Überfahrtaten, ist zu einem wichtigen Bestandteil bei der Planung von Innenstädten geworden. Planer und Planerinnen stehen hierbei vor der besonderen Herausforderung, sichere und lebenswerte Orte zu gestalten. Dabei kommt es häufig zu Zielkonflikten, denn die Errichtung von Durchfahrtssperren an prominenten öffentlichen Plätzen kann im Widerspruch stehen zu Leitbildern in der Stadtentwicklung, die darauf abzielen, eine offene urbane Atmosphäre zu schaffen. Daten zur Eintretenswahrscheinlichkeit von Überfahrtaten im Vergleich zu anderen allgemein akzeptierten Gefahren zeigen, dass die Gefahr, durch Überfahrtaten verletzt oder getötet zu werden, äußerst gering ist. Errichtete Durchfahrtssperren werden somit mit großer Wahrscheinlichkeit während ihrer Lebensdauer ihre Schutzwirkung nie zeigen müssen. Da eine Monofunktionalität in diesem Fall weder sicherheitstechnisch noch ökonomisch sinnvoll ist, plädieren wir für multifunktionale Durchfahrtssperren. Doch welche Kriterien sollten diese erfüllen? Angesichts des Klimawandels befürworten wir „grüne“ und „blaue“ statt „graue“ Durchfahrtssperren. Für die Gestaltung sicherer und lebenswerter Orte eignen sich insbesondere Elemente der Stadtmöblierung sowie der Landschafts- und Gartenarchitektur. 57 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0020 THEMA Offene und sichere Städte „Pollerisierung“ der Innenstädte kritisiert, also das Aufstellen zahlloser Poller zur Sicherung potenziell bedrohter Örtlichkeiten (Bild 1a). Soziologen und speziell Stadtsoziologen argumentieren, dass die Installation derartiger Poller-Anlagen den modernen Leitbildern der Stadtentwicklung [3] entgegenwirkt, die auf die Schaffung offener und zugänglicher Räume abzielt [1]. Ähnliche Wirkungen erzeugen aufgestellte Betonsperren, die anfangs häufig als Notlösung im Rahmen von Sicherheitskonzepten für Großveranstaltungen eingesetzt wurden (Abbildung 1b und c). Zwischenzeitlich erwiesen sich diese Lösungen weder als besonders attraktiv noch - viel wichtiger - als effektiv. Stadtplaner und Stadtplanerinnen sowie Sicherheitsingenieure und Sicherheitsingenieurinnen sind gemeinschaftlich gefordert, ausgewogene Lösungen zu finden, die einerseits die Sicherheit gewährleisten und andererseits gleichzeitig zu einer städtebaulichen Aufwertung führen. In diesem Beitrag werden mögliche Lösungsansätze erörtert, die von modernen Poller-Anlagen bis hin zu innovativen Durchfahrtssperren reichen. Es werden Empfehlungen zur Ermittlung des optimalen Schutzkonzepts gegeben. Durchfahrtssperren auf dem neuesten Stand der Technik Durchfahrtssperren, die dem neuesten Stand der Technik entsprechen, werden normengemäß physischen Tests unterzogen, um ihre zuverlässige Wirksamkeit gegen Angriffe mit Fahrzeugen zu gewähr- Urbanität und Sicherheit Urbanität bezieht sich auf die Merkmale und Qualitäten städtischer Räume in Bezug auf soziale, kulturelle, wirtschaftliche und physische Aspekte des städtischen Lebens. Der Begriff wird häufig dazu verwendet, um die Vielfalt und Lebendigkeit der Stadtkultur zu beschreiben [1]. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen unterstützt die Schaffung nachhaltiger städtebaulicher Strukturen, die zu einer Verbesserung der Lebensqualität führen [2]. Dies umfasst die Schaffung von öffentlichen Plätzen, grünen Freiflächen, kulturellen Einrichtungen, Bildungseinrichtungen, Veranstaltungsorten und öffentlicher Verkehrsinfrastruktur. Da eine Stadt nur dann als lebenswert und attraktiv gilt, wenn sich ihre Bewohner und Bewohnerinnen sicher fühlen, ist auch die urbane Sicherheit ein wichtiger Bestandteil von gelungener Urbanität. Sie umfasst verschiedene Aspekte wie die öffentliche Ordnung, die Kriminalprävention, die Notfallvorsorge und -reaktion sowie die Verkehrssicherheit. Die Sicherheit symbolisch wichtiger und stark frequentierter öffentlicher Plätze steht dabei häufig im Mittelpunkt. Als Reaktion auf mehrere Anschläge mit Fahrzeugen in den Jahren 2015 bis 2021 wurden in europäischen Innenstädten zahlreiche Durchfahrtssperren zum Schutz vor sogenannten Überfahrtaten installiert. In diesem Zusammenhang wird häufig die Bild 1: (a) Anti-Terror-Poller, (b) Betonblöcke und (c) Jersey-Sperren. © Gebbeken/ Andrae 58 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0020 THEMA Offene und sichere Städte öffentliche Räume gegen terroristische Angriffe [1]. Das Konzept basiert auf einem integrativen Ansatz, bei dem bauliche Schutzmaßnahmen in die städtische Umgebung eingebunden werden. Die fünf wichtigsten Prinzipien für Schutzmaßnahmen sind dabei: ƒ die Verhältnismäßigkeit, ƒ die Multifunktionalität, ƒ die Nachhaltigkeit, ƒ die Akzeptanz und ƒ die Ästhetik. Schutzmaßnahmen sollen gleichzeitig technisch wirksam, kosteneffizient, und akzeptabel sein sowie einen Mehrwert für urbane Räume im Hinblick auf Klimaanpassung und Katastrophenschutz liefern. Ein Grundgedanke des „ Securit y-by-Design“- Ansatzes ist es, die Sicherheit und mögliche Sicherheitskonzepte so früh wie möglich in die Planung des städtischen Raumes einzubeziehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es für den baulichen Schutz in der Regel keine „Einheitslösung“ gibt, da markante öffentliche Orte in der Regel einzigartig sind und individueller Lösungen bedürfen. Integrative Durchfahrtssperren Ein genauerer Blick in europäische Städte zeigt bereits einen beachtlichen Bestand von Schutzeinrichtungen im öffentlichen Raum. Bild 2 veranschaulicht derartige Beispiele für vorhandene Verkehrssperren im historischen Stadtkern von München. Diese dienen derzeit nicht dem Schutz vor Überfahrtaten, sondern lediglich als Absperrelemente. Über die Ästhetik und den architektonischen Wert dieser Elemente lässt sich streiten, im Stadtbild sind sie jedoch weitgehend akzeptiert. Gelungene Urbanität zeichnet sich durch die harmonische Integration von urbaner Sicherheit aus. leisten. Dabei wird in einer realen Anprallprüfung ein Fahrzeug gegen die Sperre gefahren, um deren Effektivität bei bestimmten Anprallgeschwindigkeiten zu bestimmen. Derzeit sind die Prüfverfahren und Leistungsanforderungen für den europäischen Raum in der ISO 22343-1: 2023 [4] geregelt. Darüber hinaus legt die DIN SPEC 91414-1: 2021 [5] Anforderungen, Prüfverfahren und Leistungskriterien für mobile Durchfahrtssperren fest, die insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen zum Einsatz kommen. Ein weiterer technischer Leitfaden für mobile Durchfahrtssperren wurde von der Deutschen Hochschule der Polizei herausgegeben [6]. Eine umfassende Liste zertifizierter Durchfahrtssperren wird auf der Webseite [7] von der britischen National Protective Security Authority (NPSA) veröffentlicht und durchgehend aktualisiert. Besondere Beachtung sollte den Bedingungen geschenkt werden, unter denen eine Durchfahrtssperre getestet wurde. Moderne Durchfahrtssperren erfüllen zwar die wesentlichen Schutzziele, sind aber nicht immer ästhetisch ansprechend oder fügen sich harmonisch in das Stadtbild ein (siehe Abbildung 1). So kann der Eindruck einer stark überwachten Zone entstehen, ähnlich einem militärischen Kontrollpunkt [8]. Bei Besuchern und Anwohnern kann dies ein Gefühl der Unsicherheit oder Angst auslösen [1], was einem friedlichen und einladenden Stadtbild nicht zuträglich ist. Um sicherzustellen, dass Durchfahrtssperren ihre Schutzfunktion erfüllen, und um gleichzeitig ihre Auswirkungen auf das Befinden der Bevölkerung zu minimieren, ist es daher wichtig, die Gestaltung und Platzierung von Durchfahrtssperren sorgfältig zu planen. „Security-by-design“-Ansatz Im Jahr 2022 veröffentlichte die Gemeinsame Forschungsstelle der Europäischen Kommission ( JRC) ein Handbuch zum Konzept des „Security-by-Design“ für Bild 2: Vorhandene Verkehrssperren im historischen Stadtzentrum von München. © Gebbeken 59 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0020 THEMA Offene und sichere Städte fördern (Bild 3 c und d). Ergänzungen durch weitere Elemente der Stadtmöblierung und Landschaftsgestaltung wie Bänke, Brunnen, Lichtmasten, Fahrradständer, Gräben oder Tröge sind möglich. Die Kombination mit Wasserspielen schafft urbane „Coolspots“ zur Minderung von Hitzeproblemen. Angesichts des Klimawandels können „grüne“ und „blaue“ Durchfahrtssperren sichere, nachhaltige und lebenswerte Orte schaffen. Identifizieren des optimalen Schutzkonzeptes Tabelle 1 fasst einige der verfügbaren Normen und Leitlinien für die Planung und die Auswahl von Durchfahrtssperren zusammen. Weitere Hinweise finden sich in Karlos et al. [9]. Aus den Erfahrungen mit bestehenden Verkehrssperren kann die Hypothese aufgestellt werden, dass auch Durchfahrtssperren, die sich ästhetisch und gestalterisch in die Umgebung einfügen, dazu beitragen können, dass sich die Anwohner sicher und wohl fühlen. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass Schutzmaßnahmen in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Kommunen geplant werden, um sicherzustellen, dass sie sowohl funktional als auch ästhetisch ansprechend und somit akzeptabel sind. Verborgene Schutzelemente Es gibt viele bestehende Elemente, die einen „verborgenen“ Schutz für öffentliche Räume bieten können. Beispiele hierfür sind architektonische Kunstobjekte, begrünte Wände und Stadtmobiliar. Der Einsatz von „grünen“ Sperren (Bild 3a und Bild 3b) bietet zahlreiche Vorteile wie die Förderung der Stadtökologie, Artenvielfalt, Lärmminderung, Verbesserung des Mikroklimas und Feinstaubbindung. Diese Aspekte können als Multifunktionalität der Sperre verstanden werden, da der städtische Raum einerseits geschützt und andererseits ökologisch aufgewertet wird, im Einklang mit den Leitbildern der Stadtentwicklung [3]. Auch die sogenannten verborgenen Sperren müssen hinsichtlich ihrer Wirksamkeit zertifiziert werden. Weitere Beispiele für Durchfahrtssperren sind architektonische Kunstobjekte und Skulpturen, welche die Aufenthaltsqualität in geschützten Bereichen Norm/ Leitfaden Inhalt UFC 4-022-02[10] Auswahl und Anwendung von Durchfahrtssperren ISO 22343-2: 2023 [11] Leitfaden für die Auswahl, Installation und Verwendung von Durchfahrtssperren DIN SPEC 91414-2: 2022 [12, S. 91414-2] Anforderungen an die Planung für den Zufahrtsschutz zur Verwendung von geprüften Fahrzeugsicherheitsbarrieren JRC-Leitlinie [13] Schutz des Gebäudeperimeters Deutsche Polizei TR [6] Mobile Durchfahrtssperren Tabelle 1: Verfügbare Normen und Leitlinien für die Auswahl von Durchfahrtssperren Bild 3: (a) Biodiverse grüne Wand, (b) grüne Moos- Wand, (c) architektonische Kunstobjekte aus Natursteinen, (d) Skulpturen. © Gebbeken 60 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0020 THEMA Offene und sichere Städte Beispiele für relevante Akteure mit hohem Interesse und Einfluss sind Rettungs- und Notfalleinsatzkräfte wie Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienste. Absperrungen schränken die Befahrbarkeit der Örtlichkeit ein, was wiederum die Einsatzfähigkeit dieser Akteure beeinträchtigen kann. Es ist daher von entscheidender Bedeutung, dass die Bedürfnisse und Anliegen der relevanten Akteure im Planungs- und Entscheidungsprozess Priorität haben. Es sollte festgelegt werden, welche Zugangswege zur zu schützenden Örtlichkeit erforderlich sind und welche Akteure eine Zugangsberechtigung erhalten. Ein Beispiel für eine Interessengruppe mit geringem Interesse und Einfluss sind Touristen und Touristinnen, die die geschützten Örtlichkeiten nur temporär besuchen. Diese Gruppe wird beispielsweise über die allgemeinen Kommunikationswege über Entscheidungen auf dem Laufenden gehalten, benötigt jedoch in der Regel keine Zufahrtsberechtigung. Analyse der technischen Aspekte Bei der Analyse der technischen Aspekte werden nur Lösungen berücksichtigt, die den gegebenen Randbedingungen des Standortes und der lokalen Interessengruppen entsprechen. Zunächst ist zu klären, ob die Durchfahrtssperren dauerhaft oder temporär am Standort installiert werden sollen. Dies ergibt sich aus der Risikoanalyse der Örtlichkeit. ƒ Ortsfest installierte Durchfahrtssperren werden meist mit einem Fundament in den Boden eingelassen. Solche Maßnahmen können für Örtlichkeiten geeignet sein, an denen ganzjährig eine hohe Personendichte herrscht und die dauerhaft geschützt werden sollen. ƒ Mobile Durchfahrtssperren werden für einen begrenzten Zeitraum aufgestellt, z. B. zum Schutz von Großveranstaltungen. Sie sind in der Regel freistehend oder nur oberflächlich im Boden verankert. Im innerstädtischen Bereich sind unterirdische Infrastrukturen wie Kanalisation, Wasserversorgung, Energieverteilung, Telekommunikationsnetze oder Schächte häufig bereits vorhanden. Bei der Planung der Fundamente einer ortsfesten Durchfahrtssperre ist es daher wichtig, den für die Fundamente zur Verfügung stehenden Raum im Untergrund zu ermitteln. Darüber hinaus ist die fachgerechte Ausführung der Fundamente entscheidend für die wirksame Ableitung der Aufprallkräfte in den umgebenden Boden. Die angenommene Tragfähigkeit des Bodens sollte durch ein Bodengutachten bestätigt werden. Ebenso sollten die Bodenverhältnisse, unter denen die Durchfahrtssperre getestet wurde, ermit- Um das optimale Schutzkonzept zu identifizieren, sollten verschiedene standortspezifische Varianten geprüft werden. Dazu ist es sinnvoll, den Standort, die lokalen Interessengruppen (Stakeholder) und technische Aspekte systematisch zu analysieren. Analyse der Örtlichkeit Die Planung von baulichen Schutzmaßnahmen im urbanen Raum basiert immer auf einer umfassenden Analyse der Örtlichkeit. Ziel ist es, die Eigenschaften und Rahmenbedingungen näher kennenzulernen. Im Idealfall werden folgende Schritte durchlaufen: 1. Bestandsaufnahme: Vorhandene Merkmale wie Gebäude, Infrastruktur, Vegetation und Topografie werden dokumentiert. 2. Identifizierung von Angriffsrouten: Die kritischen Routen zum geschützten Ort werden ermittelt. Daraus werden die erreichbare Anprallgeschwindigkeit und der Anprallwinkel eines potenziellen Tatfahrzeuges berechnet. 3. Beschaffung technischer Informationen: Technische Informationen über den Straßenaufbau, die unterirdische Infrastruktur und die angrenzenden Fundamente werden eingeholt. Falls zusätzliche technische Angaben benötigt werden, sind Untersuchungen vor Ort erforderlich (z. B. Bodeneigenschaften, Untergrundsituation, Festigkeiten von Bauelementen). Um zu entscheiden, ob eine Örtlichkeit dauerhaft oder nur temporär bei Großveranstaltungen durch Durchfahrtssperren geschützt werden muss, ist eine Risikoanalyse durchzuführen. Dabei ist es wichtig, die Personendichte bei „normaler“ Nutzung und bei Großveranstaltungen zu quantifizieren. Zur Berechnung der Anprallgeschwindigkeit und des Anprallwinkels eines potenziellen Tatfahrzeuges auf einer kritischen Angriffsroute kann die Vorgehensweise nach dem JRC-Leitfaden aus [9] hilfreich sein. Für die Ermittlung kritischer Angriffsrouten sind detaillierte Stadtpläne erforderlich. Analyse der lokalen Interessengruppen Die Beteiligung der lokalen Interessengruppen (Stakeholder) kann dabei helfen, deren Bedürfnisse, Anliegen und den Einfluss der verschiedenen Akteure zu identifizieren und zu bewerten. Ziel ist es, alle wichtigen Akteure von Anfang an in den Planungs- und Entscheidungsprozess einzubeziehen. Eine gut durchdachte Strategie kann dazu beitragen, die Erwartungen der Interessengruppen zu erfüllen, eine engere Zusammenarbeit aufzubauen und die Projektziele zu erreichen. 61 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0020 THEMA Offene und sichere Städte können über große Entfernungen (bis zu ca. 30 Meter) in den Schutzbereich geschleudert werden. Weiche Sperren wie Drahtseilsysteme, Leitplanken und Zäune bremsen das Fahrzeug hingegen „sanft “ mit geringen Bremsverzögerungen ab. Dies führt dazu, dass ein Fahrzeug tiefer in den geschützten Bereich eindringen kann als bei quasi-starren Durchfahrtssperren, dabei in der Regel jedoch weniger Trümmerteile abgerissen werden. Für mobile Durchfahrtssperren sieht die DIN SPEC 91414-1: 2021 [11] neben der Anprallprüfung mit hohen Anprallgeschwindigkeiten zudem eine sogenannte Verschiebeprüfung vor. Hierbei wird überprüft, ob das Fahrzeug aus dem Stand heraus die Durchfahrtssperre mit geringer Geschwindigkeit verschieben kann. Da mobile Durchfahrtssperren hauptsächlich die Oberflächenreibung als Wirkungsmechanismus nutzen, kann das Fahrzeug im Extremfall die Sperre ohne nennenswerte Beschädigung wegdrücken (z. B. einzelner Betonblock, Abbildung 1b). Schlussfolgerungen In diesem Beitrag wurden mögliche Lösungen zum Schutz vor Fahrzeugangriffen diskutiert, die von klassischen bis hin zu hochmodernen innovativen Durchfahrtssperren reichen. Es wurden Ansätze für die Entwicklung von Sicherheitskonzepten gegeben und technische Aspekte angesprochen. Klassische Durchfahrtssperren sind zwar wirksam, harmonieren aber oft nicht mit dem bestehenden Stadtbild. Der Einsatz von architektonischen Kunstobjekten, begrünten Wänden und Stadtmobiliar kann einen „verborgenen“ Schutz für den öffentlichen Raum bieten. Diese Elemente können strategisch angepasst und angeordnet werden, um die Urbanität zu stärken, ohne die Umgebung zu stören. Das Konzept des „Security-by-Design“ fördert die Entwicklung derartiger integrativer Schutzmaßnahmen, die verhältnismäßig, multifunktional, nachhaltig, barrierefrei und ästhetisch ansprechend sind. Durch die Einbeziehung der Sicherheitsplanung zu einem möglichst frühen Zeitpunkt der Planung können wirksame und zufriedenstellende Lösungen entwickelt werden, die Multifunktionalität und Synergien berücksichtigen. Um ein optimales Schutzkonzept zu identifizieren und auszuwählen, sollten verschiedene standortspezifische Varianten geprüft werden. Hierzu sind systematische Analysen der zu schützenden Örtlichkeit sowie die Berücksichtigung der relevanten Interessengruppen und technischer Aspekte notwendig. Der Beitrag verdeutlicht, dass die sachgerechte Planung und die Auswahl von Durchfahrtssperren von entscheidender Bedeutung sind, um die Sichertelt und mit den örtlichen Einbaubedingungen verglichen werden [14]. Mobile Durchfahrtssperren entfalten ihre Schutzwirkung normalerweise durch eine Kombination aus Massenträgheit und Oberflächenreibung. Die Oberflächenreibung ist abhängig von der Art der Fahrbahnoberfläche (Beton, Asphalt, Kopfsteinpflaster, Gehwegplatten, Erde) und deren Zustand (nass, trocken, vereist oder mit Schmutz bedeckt). Die Rauigkeit der Oberfläche beeinflusst die erzeugten Reibungseffekte. Bei der Planung von mobilen Durchfahrtssperren müssen daher die variierenden Eigenschaften der vorhandenen Fahrbahnoberfläche sorgfältig berücksichtigt werden. Eine weitere Unterscheidung von Durchfahrtssperren ist nach den vorhandenen Öffnungs- und Schließmechanismen möglich: ƒ Passive Durchfahrtssperren haben keine beweglichen Teile und ermöglichen keine Zufahrt. ƒ Aktive Durchfahrtssperren können geöffnet und geschlossen werden und ermöglichen berechtigten Fahrzeugen die Zufahrt. Die Auswahl eines geeigneten Öffnungs- und Schließmechanismus ergibt sich aus den erforderlichen Zufahrtsmöglichkeiten der Akteure zu der geschützten Örtlichkeit. Hierbei sind auch die Zuverlässigkeit und Resilienz des elektronischen Steuerungsmechanismus zu betrachten. Leistungsbewertung der Durchfahrtssperre Physische Anprallprüfungen, beispielsweise nach ISO 22343-1: 2023 [4], oder numerische Anprallprüfungen zeigen, ob eine Durchfahrtssperre das Fahrzeug bei den definierten Anprallgeschwindigkeiten (z. B. 80 km/ h) aufhalten kann. Im besten Fall wird das Fahrzeug außer Betrieb gesetzt, indem es eingeklemmt oder seinen Motor nicht mehr nutzen kann. Zwei wichtige Parameter für die Leistungsbewertung einer Durchfahrtssperre sind die maximale Eindringtiefe des Fahrzeugs (wenige Meter) und die Trümmerflugweite (bis zu ca. 30 Meter). Trümmer können dabei sowohl Teile des Fahrzeugs, der Ladung als auch der Sperre sein, die beim Anprall abreißen und in den geschützten Bereich geschleudert werden. Die Eindringtiefe und die Trümmerflugweite hängen nicht nur von der Art, der Masse und der Anprallgeschwindigkeit des Fahrzeugs ab, sondern auch von der Beschaffenheit der Durchfahrtssperre. Quasistarre Durchfahrtssperren wie Poller können zu relativ kurzen Eindringtiefen führen. Aufgrund der damit einhergehenden hohen Bremsverzögerung neigt das Fahrzeug jedoch dazu, beim Anprall in mehrere Teile zu brechen. Die dabei entstehenden Trümmer 62 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0020 THEMA Offene und sichere Städte [10] UFC 4-022-02, „Selection and Application of Vehicle Barriers“, United Stated Department of Defense, Technical Rule, 2010. [11] ISO 22343-2: 2023, „Security and resilience — Vehicle security barriers — Part 2: Application“, Beuth Verlag GmbH, Technical Rule, 2023. [12] DIN SPEC 91414-2: 2021-04, „Fahrzeugsicherheitsbarrieren für Sicherheitsanforderungen - Teil 2: Anforderungen an die Planung für den Zufahrtsschutz zur Verwendung von geprüften Fahrzeugsicherheitsbarrieren“, Beuth Verlag GmbH, Technical Rule, 2022. [13] V. Karlos und M. Larcher, „JRC121582 - Guideline on Building perimeter protection. Design recommendations for enhanced security against terrorist attacks“, Publications Office of the European Union, Luxembourg, Technical Report, 2020. doi: 10.2760/ 20368. [14] M. Andrae, D. Markovic, R. Schumacher, V. Karlos, und M. Larcher, „JRC136541 - Methodology for numerical simulations of vehicle impact on security barriers considering soil-barrier interaction.“, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2024. doi: doi: 10.2760/ 330343. Eingangsabbildung: © Gebbeken heit der Menschen in potenziell gefährdeten urbanen Bereichen zu gewährleisten, bei gleichzeitiger Erhaltung der Lebensqualität. Danksagung Die Autoren danken der Wehrtechnischen Dienststelle für Schutz- und Sondertechnik (WTD 52) für die Förderung der Forschungsarbeit. LITERATUR [1] CEU. JRC., Security by design: Protection of public spaces from terrorist attacks. LU: Publications Office, 2022. Zugegriffen: 23. März 2023. [Online]. Verfügbar unter: https: / / data.europa.eu/ doi/ 10.2760/ 924520. [2] „Informationen zur Städtebauförderung“, Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Zugegriffen: 8. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.staedtebaufoerderung.info/ . [3] J. Jessen, „Leitbilder der Stadtentwicklung“, in Handwörterbuch der Stadt- und Raumentwicklung, Hannover: ARL - Akademie für Raumforschung und Landesplanung, 2018, S. 1399-1410. [4] ISO 22343-1: 2023, „Security and resilience — Vehicle security barriers — Part 1: Performance requirement, vehicle impact test method and performance rating“, Beuth Verlag GmbH, Technical Rule, 2023. [5] DIN SPEC 91414-1: 2021-04, „Mobile Fahrzeugsicherheitsbarrieren für Sicherheitsanforderungen - Teil 1: Anforderungen, Prüfmethoden und Leistungskriterien“, Beuth Verlag GmbH, Technical Rule, 2021. [6] Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol), „Technische Richtlinie ‚Mobile Fahrzeugsperren‘ “, Polizeien der Länder und des Bundes, Technical Report Version 0.8, Stand: 26.06.2019, 2019. [7] UK Government ’s National Technical Authority for Physical and Personnel Protective Security, „HVM - Impact Rated“. Zugegriffen: 2. April 2024. [Online]. Verfügbar unter: https: / / www.npsa.gov.uk/ hvm-impact-rated. [8] GCDN (Global Cultural Districts Network), „Beyond concrete barriers: Innovation in urban furniture and security in public space“, 2018. [Online]. Verfügbar unter: https: / / gcdn.net/ wp-content/ uploads/ 2018/ 01/ GCDN-Urban- Furniture-Study-A4-FINAL-highres_web.pdf. [9] V. Karlos, M. Larcher, und G. Solomos, „JRC113778 - Guideline: Selecting proper security barrier solutions for public space protection: Protection against vehicle-ramming attacks“, European Commission. Joint Research Centre, Ispra, Technical Report, 2018. Norbert Gebbeken, Prof. Dr.-Ing. habil. EE., Forschungsgruppe BauProtect, Gründer des Forschungszentrums RISK, Fakultät für Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften, Universität der Bundeswehr (UniBW) München norbert.gebbeken@unibw.de Matthias Andrae, Dipl.-Ing. (Univ.), Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsgruppe BauProtect, Forschungszentrum RISK, Fakultät für Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften, Universität der Bundeswehr (UniBW) München matthias.andrae@unibw.de https: / / orcid.org/ 0000-0001-9433-9133 Jan Dirk van der Woerd, Dr.-Ing. Dipl.-Kfm., Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Forschungsgruppe BauProtect, Forschungszentrum RISK, Fakultät für Bauingenieurwesen und Umweltwissenschaften, Universität der Bundeswehr (UniBW) München jan.vanderwoerd@unibw.de https: / / orcid.org/ 0000-0003-0795-7377 AUTOR*INNEN Foto: © BayIka- Bau/ Tobias Hase