Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0023
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Kraft der Gemeinschaft
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Lena Posselt
Sarah Kaltenegger
Schutz vor Krisen und Katastrophen – in Zeiten des Klimawandels unabdingbar, wenn wir über Sicherheit in Städten sprechen. Spontanhilfe kann bei der Bewältigung von Krisen eine Rolle spielen, damit die Situation effektiver bearbeitet werden kann. Allerdings gibt es für die Einbindung von ungebundenen Helfenden in den Bevölkerungsschutz noch keine einheitlichen Strukturen. Insbesondere für die Kommunikation zwischen Spontanhelfenden und Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) benötigt es in Krisen und Katastrophen noch Hilfestellungen.
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76 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0023 Kraft der Gemeinschaft Erfolgreiches Management von Spontanhelfenden durch Koordination und Kommunikation Bevölkerungsschutz, Kommunikation, Spontanhelfende, Resilienz Lena Posselt, Sarah Kaltenegger Schutz vor Krisen und Katastrophen - in Zeiten des Klimawandels unabdingbar, wenn wir über Sicherheit in Städten sprechen. Spontanhilfe kann bei der Bewältigung von Krisen eine Rolle spielen, damit die Situation effektiver bearbeitet werden kann. Allerdings gibt es für die Einbindung von ungebundenen Helfenden in den Bevölkerungsschutz noch keine einheitlichen Strukturen. Insbesondere für die Kommunikation zwischen Spontanhelfenden und Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS) benötigt es in Krisen und Katastrophen noch Hilfestellungen. Projekthintergrund Durch die Flut im Ahrtal wurde deutlich, dass in solchen Situationen viele Menschen vor Ort helfen wollen. Vor allem Spontanhelfende, die sich aus eigenem Antrieb und ohne Bindung an eine Hilfsorganisation engagieren, werden aktiv. Allerdings ist die Koordination von und die Kommunikation mit den Spontanhelfenden ohne richtige Hilfsmittel oft eine Herausforderung für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). In den Ausbildungen für Einsatz- und Führungskräfte findet das Thema Spontanhilfe bereits Berücksichtigung. Dennoch fehlt oft das Bewusstsein für Einsatzmöglichkeiten der Helfenden, die richtige Kommunikation in der Lage und weitere potenzielle Herausforderungen in der Zusammenarbeit. In dem Forschungsprojekt KatHelfer-PRO 1 wird ein technisches Backend-System 2 zur Koordination von Spontanhelfenden entwickelt. Das zentrale IT- System zur automatisierten Vermittlung von Auf- 77 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0023 THEMA Offene und sichere Städte Bestehende kommunale Notfallpläne basieren oft auf spezifischen Annahmen zur Zielgruppe oder verlangen Spezialwissen. Es wird etwa davon ausgegangen, dass Individuen beispielsweise aufgrund uneingeschränkter Mobilität oder ausreichender Sprachkenntnisse in der Lage sind, aktiv an Rettungsmaßnahmen teilzunehmen. Personen, die diesen Kriterien nicht entsprechen, finden oft keine angemessene Berücksichtigung. Zusätzlich weisen gängige Praktiken der Krisenkommunikation häufig Zugangsbarrieren auf [9]. Die Berücksichtigung von Vulnerabilität und Multikulturalität gewährleistet dabei jedoch den Schutz besonders gefährdeter Gruppen, verhindert Diskriminierung in einer diversen Gesellschaft und fördert die Inklusion sowie Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger. Der Einbezug unterschiedlicher Bedürfnisse und Perspektiven trägt so zur Stärkung der Resilienz der Stadtgesellschaft bei, indem diese besser auf Krisen reagieren, sich erholen und gestärkt daraus hervorgehen kann. Bezogen auf die Kommunikation während einer Krise oder Katastrophe bedeutet das das Überwinden von Sprachbarrieren, das Schaffen gaben an Spontanhelfenden in Krisenlagen wird in bereits bestehende Warn- und Helfendesysteme eingebunden. Begleitend zum technischen System werden auf sozioorganisatorischer Ebene Handlungsempfehlungen und Schulungsmaterialien zur Zusammenarbeit zwischen BOS und Spontanhelfenden entwickelt. Hierbei hat die Universität Stuttgart als Verbundpartner die vulnerablen und multikulturellen Gruppen als Spontanhelfende im Blick. Kommunikation in Krisenlagen Laut Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe umfasst Krisenkommunikation grundsätzlich den Informations- und Meinungsaustausch während einer Krise [1]. Somit ist sie anlassbezogen und auf einen kurzen Zeitraum beschränkt [1]. Angelehnt an grundlegende Regeln der Kommunikation [2], [3] erscheint es im Kontext der Spontanhilfe als essenziell, dass die vermittelnden Botschaften in der Lage klar, wahr, relevant und informativ sind. Dadurch kann sichergestellt werden, dass die beteiligten Personen ermutig werden, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen oder zu unterlassen. Somit können Sicherheit und Wohlbefinden gewährleistet werden. Außerhalb der verbalen Kommunikation ist der bewusste Einsatz von Gestik und Mimik ebenfalls von Bedeutung und sollte beachtet werden, da hier weitere Signale gesendet werden, die für Missverständnisse sorgen können. Ergebnisse aus Interviews mit BOS zeigen, dass Kommunikation auf Augenhöhe ebenso wie die Notwendigkeit, den richtigen Umgangston zu wählen und Anerkennung im Einsatz durch Respekt, Dankbarkeit und das Ernst-Nehmen des Gegenübers, wichtig für die Kommunikation zwischen BOS und Spontanhelfenden sind. Zudem ist eine freundlich-zugewandte, einfühlsame und respektvolle Kommunikation entscheidend, insbesondere wenn es darum geht, Spontanhelfende abzulehnen oder in Konfliktsituationen zu agieren. Stadtgesellschaft im Wandel Veränderungen der Gesellschaft, etwa aufgrund demografischer Entwicklungen, steigender sozialer Ungleichheiten oder technologischer Fortschritte, haben Auswirkungen auf verschiedene Aspekte des sozialen Zusammenlebens und prägen gemeinsam die Dynamik und Resilienz einer Gesellschaft [4], [5]. Faktoren wie die steigende Lebenserwartung, fortschreitende Digitalisierung oder zunehmende globale Mobilität führen dabei zur Steigerung der Multikulturalität und Vulnerabilität der Bevölkerung. Multikulturalität beschreibt das Nebeneinandersein von verschiedenen Kulturen in einer Gesellschaft. Das bedeutet, dass Menschen mit verschiedenen Ethnien und Nationalitäten mit ihren Lebensweisen, Sprachen und Traditionen zusammenleben [6]. Für den Bevölkerungsschutz ist damit die Einbindung von Menschen mit unterschiedlichen kulturellen Hintergründen für ein effektives Katastrophenmanagement unabdingbar. Die von Kultur geprägten Wahrnehmungen, Handlungen und Einstellungen in Bezug auf Risiken, Gefahren, Krisen und Katastrophen müssen berücksichtigt werden, damit eine vielfältige und kultursensible Kommunikation mit Spontanhelfenden möglich ist [7], [8]. Vulnerabilität ist die Anfälligkeit gegenüber Verletzungen und Beeinträchtigungen, damit sind vulnerable Personen verletzlich bzw. hilfebedürftig (9). Das Ausmaß der Vulnerabilität ist abhängig von verschiedenen Faktoren, die sich je nach Fall und Verlauf der Krise und Katastrophenlage ändern kann. So können je nach Krisenlage nicht nur Eigenschaften von Personen, sondern auch die Lebenssituation die Vulnerabilität beeinflussen: Menschen mit Behinderungen oder chronischen Krankheiten sowie Frauen, nichtbinäre Menschen und hilfsbzw. pflegebedürftige Menschen sind meisten anfälliger für die Auswirkungen von Krisen als andere Bevölkerungsgruppen [9]. 78 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0023 THEMA Offene und sichere Städte A., Mertz, M. & Genske, A. (Hrsg.). Alternde Gesellschaft im Wandel. Schriften zu Gesundheit und Gesellschaft - Studies on Health and Society. Berlin, Heidelberg: Springer. [3] Grice, H. P. (1975). Logic and conversation. In: P. Cole & J. Morgan (Hrsg.), Syntax and semantics (Bd. 3, S. 41-58). New York: Academic Press.Rauh, A. (Hrsg.) (2017). Fremdheit und Interkulturalität: Aspekte kultureller Pluralität. Waxmann Verlag. [6] Reeb, J. (o.J.). Multikulturalität, Interkulturalität, Transkulturalität und Plurikulturalität. Online unter: https: / / www.ikud.de/ glossar/ multikulturalitaet-interkulturalitaet-transkulturalitaet-und-plurikulturalitaet.html. [2] Röhner, J. & Schütz, A. (2016). Psychologie der Kommunikation. Basiswissen Psychologie. Wiesbaden: Springer. [8] Teo, M., Goonetilleke, A., Deilami, K., Ahankoob, A., & Lawie, M. (2019). Engaging residents from different ethnic and language backgrounds in disaster preparedness. International Journal of Disaster Risk Reduction, 39, 1-10. DOI: 10.1016/ j.ijdrr.2019.101245. [9] Windsheimer, P., Schobert, M., Schmersal, E., Gabel, F. & Max, M. (2022). Situative Vulnerabilität identifizieren und gesellschaftliche Resilienz stärken: Hochwasserkatastrophen und COVID-19-Pandemie im Großraum Dresden. Berlin: DRK-Service GmbH. [5] Wink, R. (2022). Resilienz und resiliente Stadt. In: Denzel, M.A., Schötz, S., Töpel, V. (Hrsg.). Von der Industriemetropole zur resilienten Stadt. Historische Resilienz-Forschung. Wiesbaden: Springer. Endnoten 1 Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung; Projektträger VDI; Verbundpartner: T- Systems, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Malteser Hilfsdienst e.V., DRK Berlin Schöneberg-Wilmersdorf e.V., Universität Paderborn, Fraunhofer FOKUS 2 Damit werden die Verwaltung und Koordination durch ein externes System übernommen. Durch die Integration in bestehende Systeme können durch den Nutzenden dieselben Oberflächen genutzt werden. Eingangsabbildung: © iStock.com/ jacoblund von Bewusstsein für verschiedene Kulturen oder soziale Herkünfte und damit in Verbindung stehende Verhaltensweisen und Denkmuster sowie das Erlangen von Wissen über Einsatzmöglichkeiten und Bedürfnisse vulnerabler Gruppen. Was Städte lernen können Der Artikel hebt die Bedeutung von effektiver Krisenkommunikation und dem Management von Spontanhelfenden durch Koordination und Kommunikation hervor. Durch die Schaffung geeigneter Kommunikationsstrukturen können Städte sicherstellen, dass Informationen schnell und präzise an die relevanten Beteiligten weitergegeben werden, um eine effektive Bewältigung von Krisensituationen zu ermöglichen. Angesichts der zunehmenden Komplexität unserer urbanen Umgebungen müssen sich Städte bewusst sein, dass eine vielfältige Kommunikation erforderlich ist, um die Bedürfnisse aller Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen und eine inklusive Notfallplanung zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang wird im Projekt Kat- Helfer-PRO ein Kommunikationskonzept entwickelt, das darauf abzielt, die Koordination von Spontanhelfenden zu verbessern und die Zusammenarbeit mit BOS zu erleichtern. Städte können von diesen Entwicklungen profitieren, indem sie Forschungsergebnisse nutzen, um ihre eigenen Krisenkommunikationsstrategien zu optimieren und ihre Resilienz gegenüber zukünftigen Krisen und Katastrophen zu stärken. Grundlegend dafür ist es, gesellschaftliche Veränderungen wahrzunehmen und diese für den Bevölkerungsschutz und die sichere Stadt zu übersetzen. LITERATUR [1] Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) (2022). Risikokommunikation. Ein Hand-buch für die Praxis. Online unter: https: / / www.bbk.bund.de/ SharedDocs/ Downloads/ DE/ Mediathek/ Publikationen/ Risikomanagement/ handbuch-risikokommunikation. pdf ? _ _blob=publicationFile&v=5. [7] Clerveaux, V., Spence, B., & Katada, T. (2010). Promoting disaster awareness in multicultural socie-ties: the DAG approach. Disaster Prevention and Management, 19(2). ISSN: 0965-3562. [4] Genske, A., Janhsen, A., Mertz, M. & Woopen, C. (2020). Alternde Gesellschaft im Wandel. In: Woopen, C., Janhsen, Lena Posselt, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IAT Universität Stuttgart lena.posselt@iat.uni-stuttgart.de Sarah Kaltenegger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IAT Universität Stuttgart sarah.kaltenegger@iat.uni-stuttgart.de AUTOR*INNEN
