Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0024
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Unsichtbare Sicherheit
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Tillmann Schulze
Anlässlich des Sicherheitsbedürfnisses bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland befasst sich der Artikel mit dem Konzept „Crime Prevention Through Environmental Design“ (CPTED) beziehungsweise mit der „Städtebaulichen Kriminalprävention“, wie es im deutschen Fachjargon heißt. Im Fokus steht die Frage, wie Sicherheit unter Vermeidung von sogenannter „feindlicher Architektur“ hergestellt werden kann.
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79 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0024 Unsichtbare Sicherheit Europameisterschaft, Fahrzeugangriff, Terrorismus, feindliche Architektur Tillmann Schulze Anlässlich des Sicherheitsbedürfnisses bei der Fußball-Europameisterschaft in Deutschland befasst sich der Artikel mit dem Konzept „Crime Prevention Through Environmental Design“ (CPTED) beziehungsweise mit der „Städtebaulichen Kriminalprävention“, wie es im deutschen Fachjargon heißt. Im Fokus steht die Frage, wie Sicherheit unter Vermeidung von sogenannter „feindlicher Architektur“ hergestellt werden kann. welche Ereignisse muss man sich schützen? Und wie will man dies erreichen? Ein mögliches Szenario: ein Fahrzeugangriff. Auch wenn die Ereignisse von Nizza oder Berlin schon bald zehn Jahre zurückliegen, so sind sie in den Köpfen der Verantwortlichen doch immer noch sehr präsent. Eine solche Attacke gilt es zu verhindern. Um sich vor Fahrzeugangriffen zu schützen, hat beispielsweise Stuttgart im Hinblick auf die EM seine Schutzkonzepte für den öffentlichen Raum maßgeblich überarbeitet. In der Folge fand teilweise ein „Festungsbau“ statt. So zumindest titelte die „Stuttgarter Zeitung“ Mitte März in einem Artikel. Das, was man dort u. a. im Umfeld der Mercedes-Benz-Arena an Schutzmaßnahmen eingebaut hat, ist wuchtig; mit das Massivste, was derzeit zumindest nicht-militärische Ziele vor potenziellen Attacken schützen soll. Die In wenigen Wochen beginnt in Deutschland die Fußball-Europameisterschaft. Die Sorge vor möglichen Anschlägen ist vor alllem aufgrund der jüngeren sicherheitspolitischen Entwicklungen groß. Gerade die Städte, in deren Stadien Spiele stattfinden, bereiten sich schon seit langem auf mögliche sicherheitsrelevante Ereignisse vor. Aber auch sonst im Land wird es ab Juni eine Vielzahl an Public Viewings und ähnlichen Orten geben, an denen während des Turniers eine Vielzahl Menschen zusammenkommen wird. Das sind dann sogenannte „weiche Ziele“, wie es in der Fachsprache heißt. Ziele, die leicht zu treffen sind, wo sich großer Schaden anrichten lässt. Diese Events zu „härten“ war in den letzten Monaten eine der großen Herausforderungen der Sicherheitsverantwortlichen - und wird es bleiben, bis entschieden ist, wer die EM gewonnen hat. Aber gegen 80 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0024 THEMA Offene und sichere Städte auch auf das subjektive Sicherheitsempfinden aus - und zwar negativ. Zu viel sichtbarer Schutz, überdimensionierter Schutz und zu abschreckender Schutz können auch suggerieren: „Hier bist du gefährdet. Sonst müsste das alles nicht sein.“ Und nicht zuletzt schränkt feindliche Architektur, schränkt Festungsbau die Nutzungsqualität ein. Sein wir ehrlich: Fühlen wir uns wohl, umgeben mit Stahl, Beton und Technik? Ich denke die Antwort ist offensichtlich. Crime Prevention Through Environmental Design (CPTED) Aber ist es möglich, positiv auf die objektive Sicherheit wie auch auf das subjektive Sicherheitsempfinden einzuwirken ohne repressive, abschreckende Schutzmaßnahmen, ohne die Freiheit der Menschen einzuschränken, ohne die Qualitäten eines öffentlichen Raumes oder eines Gebäudes einzuschränken? Ja, dies ist möglich. Aber der Weg dorthin ist zumeist aufwändiger und braucht mehr Offenheit für den „Blick über den Tellerrand“. Das Konzept, das dahinter steht, kommt ursprünglichen aus den USA und ist schon viele Jahrzehnte alt. Heutzutage ist „CPTED“ die gebräuchlichste Abkürzung. Sie steht für „Crime Prevention Through Environmental Design“; also das Vermeiden krimineller Delikte durch die Gestaltung der Umwelt. Es gibt viele andere Programme bzw. Ansätze wie „Security by Design“, „Design Against Crime“ oder „Designing Out Crime“ - das Ziel ist aber immer das gleiche. Im deutschsprachigen Raum hat sich als Übersetzung von CPTED „Städtebauliche Kriminalprävention“ etabliert. Aber dieser Begriff ist nicht unumstritten. Denn CPTED hat nicht nur das Ziel, kriminelle Delikte präventiv zu verhindern, sondern es geht auch um die Einflussnahme auf Ereignisse, die unterhalb des Kriminalitätsschwelle liegen: beispielsweise das Verhindern von Littering, Ruhestörungen, von Nutzungskonflikten oder insgesamt das Steigern des subjektiven Sicherheitsempfindens. Die Idee dahinter klingt nicht so kompliziert: Es gilt zu überlegen, welche Maßnahmen es braucht, damit es zu mehr objektiver oder gefühlter Sicherheit und einer hohen Nutzungsqualität kommt. Dabei sollen diese Maßnahmen im Idealfall „unsichtbar “ sein. Denn wenn das gelingt, dann haben die Schutzmaßnahmen auch nichts offensichtlich Abschreckendes und damit ggf. auch nichts Beängstigendes und damit nichts die Freiheit von uns Menschen Einschränkendes. Doch wie gelingt es, unsichtbare Maßnahmen zu entwickeln, die in der Realität dann aber trotzdem die erforderliche Schutzwirkung erzielen? Die wohl wichtigsten Zutaten dafür sind aus meiner Erfahrung als Poller sollen Angriffsenergien eines 40-Tonnen-LKW standhalten, der mit 80 km/ h angreift. Das würden die Poller dann wohl auch, käme es zur Attacke. Aber braucht es eine solche Festung überhaupt? Gäbe es ggf. nicht andere Optionen, um weniger wuchtig und vielleicht auch mit weniger Kosten effektiv vor Fahrzeugangriffen zu schützen. Denn eines lässt sich festhalten: Poller, diese „wehrhaften Türme aus Stahl“, sind alles, nur nicht ästhetisch. Genauso wenig wie mobile, temporär errichtete Fahrzeugsperren, hohe Mauern, mit Spitzen bewehrte Zäune, Stacheldraht oder Videokameras. Solche Maßnahmen sollen vor allem eines erreichen: mehr Sicherheit. Aber sie gehören allesamt zu dem, was in der Fachsprache als „feindliche Architektur“ gilt. Es handelt sich um Maßnahmen, die darauf abzielen, Tatgelegenheiten zu verringern oder Schäden zu minimieren. Käme es zu einem Delikt, würde die Täterschaft stark eingeschränkt oder im Idealfall sogar daran gänzlich gehindert, die von ihr erwünschte Schadwirkung zu erreichen. Aber muss es nicht das Ziel sein, Tatgelegenheiten zu reduzieren, ohne offensichtlich abschreckende, ja sogar zum Teil erschreckende Maßnahmen? All die oben genannten Schutzmaßnahmen erreichen nicht nur mehr objektive Sicherheit. Sie wirken sich schnell Bild 1: Mailand: Pollereinsatz ohne jeden Plan zu Lasten der Nutzung Bild 2: Mailand: Sperrelement und Militär wirken auf das Sicherheitsempfinden 81 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0024 THEMA Offene und sichere Städte Überlegungen, die dann einen Entwurf verändern würden, stößt dies nicht selten auf Ablehnung. Der Vorwurf von mangelnder künstlerisch-ästhetischer Fähigkeit steht im Raum. Ein anderes Beispiel: Polizei- Angehörige von der Wirksamkeit von Ideen zu überzeugen, die nicht rein funktional sind. Ein nicht selten gehörtes, ablehnendes Argument: „Von Sicherheit haben die anderen doch keine Ahnung! “ Aber auch ein Denkmalschutz, der unter wirklich gar keinen Umständen bereit ist, auch nur kleinste Veränderungen an Gebäuden oder Parks zu akzeptieren, wird nicht den Weg zu kreativen, konsensualen Lösungen ermöglichen. Darum braucht es Offenheit. Meine Erfahrung zeigt aber auch: Es IST möglich, Kreativität, Interdisziplinarität und Offenheit zu erreichen und damit den Nährboden für Maßnahmen zu schaffen, die Sicherheit UND Freiheit ermöglicht. Workshops bieten ein wunderbares Format, das es ermöglicht, zu informieren, zu sensibilisieren sowie Raum für Meinung und Expertise zu bieten. In einem nüchternen Sitzungszimmer unter Kunstlicht in einem „U“ zu sitzen und im Plenum zu diskutieren, ist dabei der definitiv falsche Ansatz. CPTED braucht Platz, braucht Aktivierung, braucht attraktiven Raum langjähriger CPTED-Coach und -Berater: Offenheit, Kreativität und Interdisziplinarität. Warum Kreativität? Ein Poller ist eine simple Maßnahme: Stahl im Boden, fest verankert in einem wuchtigen Fundament aus Beton. Eine Videokamera wiederum ist schnell angebracht und verbunden - das geht in wenigen Stunden. Doch wenn es darum geht, sich beispielsweise zu überlegen, wie man Sichtbeziehungen schafft, damit potenzielle Täter*innen das Gefühl haben, leicht beobachtet zu werden, dann braucht es Kreativität. Auch dann, wenn man prüft, wie sich die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs so weit senken lässt, dass dieses kaum noch Schäden erzeugen kann - ohne massive Poller. Oder welche unterschiedlichen Nutzungsgruppen einen Raum wie nutzen, wie sie interagieren, wo es zu Konflikten innerhalb und zwischen diesen Gruppen kommen kann. Dazu braucht es Kreativität und Einfühlungsvermögen. Warum Interdisziplinarität? Geht es um Sicherheit, gibt es die offensichtlichen Fachpersonen, die man zusammenbringt, um Schutzmaßnahmen zu entwickeln: Polizistinnen und Polizisten beispielsweise, Angehörige von privaten Sicherheitsdienstleistern, von Ordnungsämtern oder den sonst für Sicherheit zuständigen Verwaltungsstellen. Aber CPTED geht hier einen anderen Weg. Der Ansatz lebt von der Pluralität der Disziplinen. Dazu gehört es auch, beispielsweise die Jungendsozialarbeit mit an den Tisch zu bringen, die Stadtplanung, die Grünflächenämter, oder den Denkmalschutz. Und im Idealfall öffnet sich die Runde noch weiter und man bindet Jugendliche mit ein, überzeugt marginalisierte Gruppen teilzunehmen oder das Gewerbe. In allen diesen Köpfen, die es zusammenzubringen gilt, schlummern Ideen für Maßnahmen, die zu Sicherheit führen können. Und auch die Bedürfnisse einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Nutzungsgruppen können ihren Weg in den Diskurs finden. Diesen zu moderieren und Konsens zu erzielen, ist aufwändig. Aber wer bereit ist, diesen Aufwand auf sich zu nehmen, kann Lösungen jenseits von Stahl, Beton und Überwachungstechnik finden. Dafür braucht es Interdisziplinarität. Warum Offenheit? Verschiedene Disziplinen an einen Tisch zu bringen oder zu einem Workshop einzuladen, reicht nicht. Wenn alle Teilnehmenden dann auf ihrer Meinung beharren und nicht bereit sind, sich auf andere Sicht- und Denkweisen einzulassen, ist es nicht möglich, Konsens zu erzielen und nachhaltig wirkende Schutzmaßnahmen zu entwickeln, die Sicherheit ermöglichen, ohne die Freiheit einzuschränken. Das klingt einfacher als es in der Praxis ist. Konfrontiert man beispielsweise Architektur-Teams in der Planungsphase mit sicherheitsrelevanten Bild 3: Erfurt: Bundesgartenschau: Unverhältnismässiger Einsatz von Beton Bild 4: Luzern: Käfig im öffentlichen Raum. Sicherheit: ja, Freiheit: nein 82 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0024 THEMA Offene und sichere Städte könnte sich die Club-Besucherin morgens um 4 Uhr ganz konkret fürchten? Was könnte der betrunkene Eishockeyfan nach verlorenem Heimspiel vorhaben? Ergänzend binden wir die umliegenden Mieter/ Besitzer, die Polizei und andere Organisationen ein. Das Ganze findet so früh im Projekt statt, dass die Planungsteams genug Inputs/ Hinweise erhalten, um ihre Entwürfe so anzupassen, dass sich die Ausführung später positiv auf die objektive Sicherheit oder das subjektive Sicherheitsempfinden auswirkt - ohne negative Einschränkungen auf die Ästhetik. Mit einem solchen Vorgehen entsteht zusätzlich gegenseitiges Verständnis. Schließlich sind die Investitionen in einer so frühen Phase sehr überschaubar im Vergleich zu den Kosten, die entstünden, wenn es nach der Realisierung, während der Nutzung zu sicherheitsrelevanten Ereignissen kommt oder Nutzungen nicht so stattfinden können, wie man sie sich erwünscht hatte. Kommen CPTED-Überlegungen hingegen zu spät hinzu, ist oft nur noch eine limitierte Einflussnahme möglich. Ein Beispiel dafür ist ein CPTED-Gutachten für eine neue Berufsschule mitten in einer Großstadt. Diese befand sich schon im Bau, der Gestaltungsspielraum war somit nur noch gering. Auch hier konnten wir zwar Maßnahmen identifizieren, um noch positiv auf Sicherheit und Sicherheitsempfinden einzuwirken. Der „große Wurf“ war aber nicht mehr möglich. Das spiegelte dann auch das Feedback der Bauherrin wider, nachdem sie den Schlussbericht gelesen hatte: „Es finden sich wirklich viele nützliche Handlungsempfehlungen im Bericht. Beim nächsten Mal müssen wir aber früher an diese Themen denken. Vieles lässt sich nicht mehr ändern.“ Schlussendlich funktioniert CPTED aber in jedem Stadium, auch im Bestand. Wie viel Handlungsmöglichkeiten man hat, hängt maßgeblich von den zur Verfügung stehenden Mitteln ab. Aber CPTED-Maßnahmen sind nicht nur baulicher Art und damit nicht per se zumeist kostenintensiv. Hier kommt wieder die Kreativität zum Tragen: Alles, was sich positiv auswirkt, ist erlaubt. Das können Maßnahmen im Bereich der Organisation sein („Wie erreichen wir soziale Kontrolle? “), der Kommunikation („Wie erleichtere ich die Orientierung, damit Menschen sich nicht verloren fühlen? “) oder der Aktivierung („Wie kann ich dafür sorgen, dass ein Raum nicht nur von einer Gruppe besetzt wird? “). Mit einem so offenen Ansatz ist es auch möglich, im Bestand erfolgreich zu sein. Selbst Erfolge bei Bahnhöfen lassen sich verzeichnen, die im Kontext des Themas Sicherheit immer wieder als „Hot-spots“ bezeichnet werden. Festzuhalten ist aber auch: CPTED kennt nicht nur den „Kuschelkurs“. Wenn es sein muss, sind repressive Maßnahmen der richtige Weg; dann kann es auch für Ideen und Diskurs. Und das funktioniert nicht im Sitzen und nicht passiv vor Laptop und Beamer. Wenn wir CPTED -Workshops moderieren, wird geklebt, geschrieben, gezeichnet und diskutiert - nicht selten mit dem Kaffee oder einem Brötchen in der Hand. Wann ist nun der richtige Zeitpunkt, um CPTED anzuwenden? Die Antwort ist einfach: so früh wie möglich. Im Idealfall schon in der frühen Planungsphase. Dazu ein Beispiel: Derzeit beraten wir einen Bauherren mit unserer CPTED-Expertise. Die Situation: In einem Gewerbegebiet wird in direkter Nachbarschaft zu einem Bauhof und einer Eishockey- und Mehrzweckhalle ein Gebäude weggerissen. Neu entstehen soll eines, in dem unter anderem eine Brauerei sowie ein Club, der mehrere Tausend Gäste fassen soll, zu Hause sein werden. Das Ganze ist auf der einen Seite eingeschlossen von Bahngleisen, auf der anderen von einem großen Autobahnzubringer. Keine Frage: ein anspruchsvolles Setting. Jetzt stellt sich die Frage: Wer wird das Gebäue und das Areal drumherum künftig wie nutzen? Und zu welchen Tages- und Nachtzeiten wird dies geschehen? Welche Nutzungsformen finden in der Nachbarschaft statt? Zu welchen Konflikten kann es kommen? Und wie lassen sich diese verhindern? Im Rahmen von Workshops vermitteln wir nun den Planungsteams CPTED-Grundlagen und lassen sie in die Rolle von Nutzungsgruppen schlüpfen. Wovor Bild 5: Bern: CPTED- Workshops sind bunt und kreativ Bild 6: Sursee: CPTED- Workshops laden ein zur Diskussion 83 2 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0024 THEMA Offene und sichere Städte Tillmann Schulze, Dr., Leiter Urbane Sicherheit + Bevölkerungsschutz, EBP Schweiz AG, 8032 Zürich Tillmann.schulze@ebp.ch AUTOR*INNEN Am Ende aber braucht es immer eine Entscheidung. Eine Entscheidung darüber, welche Maßnahmen umgesetzt werden, welches Schutzziel erreicht werden soll, wie viel Sicherheit gewünscht und wie viel Freiheit gewährt wird. Im Fall von Stuttgart haben sich die Verantwortlichen für eine Vorbereitung auf den Worst-Case entschieden, den 40-Tonner, der mit Tempo 80 ungehindert in eine Menschengruppe fährt. Dieses Ereignis wollen sie verhindern. Ob ein solcher Schutz wirklich erforderlich ist, lässt sich nur schwer beurteilen - verhältnismäßig erscheint mir dieses Niveau aber nicht zu sein. Ich bin vielmehr überzeugt: Mit Kreativität, Interdisziplinarität und Offenheit im Vorfeld wäre es vermutlich möglich gewesen, Maßnahmen zu finden, die weniger wuchtig daherkommen und vielleicht auch weniger gekostet hätten - damit am Ende Sicherheit UND Freiheit möglich sind und dies auch künftig bleiben. Eingangsabbildung: © Tillmann Schulze Festungsbau in Mailand: abwehren, abhalten, ausgrenzen Stahl, Beton und Überwachungstechnik brauchen. Entscheidend ist der richtige Maßnahmenmix - und die Fähigkeit, diesen bei Bedarf anzupassen. Denn eines ist klar: Sicherheit ist dynamisch - vor allem in urbanen Räumen. Gefährdungsformen und Täterprofile von heute sind nicht unbedingt die, die noch in fünf Jahren Gültigkeit haben. Schützte man sich nach der Breitscheidplatz-Attacke vor allem gegen Angriffe mit Fahrzeugen, so lehrt uns nicht zuletzt der Krieg in der Ukraine, wie leicht mittlerweile auch Angriffe aus der Luft möglich sind. Da helfen auch Stahl und Beton im Boden nicht mehr. Zudem verändern sich die Anforderungen an Planungen und Nutzungen. Das Erfordernis der Stadtbegrünung beispielsweise oder die wachsende Zahl an Tempo- 30-Zonen und Fahrradwegen in den Innenstädten spielten vor einigen Jahren noch nicht die Rolle, die sie heute spielen. Diese neuen Anforderungen erfordern Flexibilität - auch in der Sicherheitsplanung. Schwierige Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit Fazit: Die Räume verändern sich, die Nutzungen verändern sich, die Motive wie auch die Tatmittel verändern sich. Daher gilt es regelmäßig zu überprüfen, ob es angezeigt ist, Sicherheitsmaßnahmen anzupassen oder zu ersetzen. Doch ständiges Antizipieren und Reagieren ist aufwändig. Es braucht Ressourcen - personelle wie auch finanzielle. Da diese nur sehr limitiert zur Verfügung stehen, gilt es bei dem, was die Verantwortlichen umsetzen, Augenmaß walten zu lassen. Die Frage der Verhältnismäßigkeit sollte daher immer auch Teil von Sicherheitsplanungen sein. Aus CPTED-Sicht gilt: so wenig wie möglich, so viel wie nötig. Nur stellt sich die Frage nach dem „Was ist denn wirklich nötig? “ Exakt beantworten lässt sich diese Frage nicht. Denn dazu müssten die Verantwortlichen wissen, was potenzielle Täter genau planen oder wie genau welche Menschen Sicherheit oder eben auch Unsicherheit empfinden. Letzteres lässt sich vielleicht noch repräsentativ erheben, beispielsweise durch Umfragen oder über sogenannte „Echogruppen“, bei denen Vertretende unterschiedlicher Gruppen zusammenkommen. Was potenzielle Täter planen, ist nur sehr schwierig in Erfahrung zu bringen - wenn überhaupt. Doch wir können abschätzen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass es zu einem sicherheitsrelevanten Ereignis kommt und was die Folgen bzw. die Schäden wären, würde es dazu kommen. Über Wahrscheinlichkeit und Schäden lässt sich das sogenannte Risiko eines Ereignisses abschätzen. Und dieses wiederum hilft dabei, einzuschätzen, wie viel Investitionen für eine Schutzmaßnahme noch verhältnismäßig sind. Bild 7: Zürich: Beton, Stahl und Stacheldraht gilt es zu vermeiden
