eJournals Transforming cities 9/3

Transforming cities
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2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0036
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Landwirtschaftliche und städtische Wasserwiederverwendung in Kommunen

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Daniel Kaufmann
Axel Dierich
Trockenperioden beeinträchtigen die Landwirtschaft und Stadtgrünpflege stark. Eine Lösung ist die Wiederverwendung von gereinigtem Abwasser. Im BMBF-Projekt Flexitility wurde eine Pilotanlage zur Klärung praktischer Umsetzungsfragen und des Risikomanagements entwickelt. Der Artikel beleuchtet die Machbarkeit und Umsetzung in Städten, abhängig von Faktoren wie Kläranlagengröße, Wasserqualität, geografischer Lage und Infrastruktur. Er bietet Grundlagen und Anregungen zur Wasserwiederverwendung.
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Landwirtschaftliche und städtische Wasserwiederverwendung in Kommunen Standortbewertung und erste Schritte zur Umsetzung Trockenperioden, Stadtgrünpflege, Pilotanlage, Machbarkeit, BMBF-Projekt Flexitility Daniel Kaufman, Axel Dierich Trockenperioden beeinträchtigen die Landwirtschaft und Stadtgrünpflege stark. Eine Lösung ist die Wiederverwendung von gereinigtem Abwasser. Im BMBF-Projekt Flexitility wurde eine Pilotanlage zur Klärung praktischer Umsetzungsfragen und des Risikomanagements entwickelt. Der Artikel beleuchtet die Machbarkeit und Umsetzung in Städten, abhängig von Faktoren wie Kläranlagengröße, Wasserqualität, geografischer Lage und Infrastruktur. Er bietet Grundlagen und Anregungen zur Wasserwiederverwendung. Hintergrund Klimawandel und Landwirtschaft Im Zuge des Klimawandels sind Landwirtschaft und Kommunen immer mehr von Trockenheit betroffen. So gab es deutschlandweit gemittelt in den letzten sechs Jahren vier Jahre mit einer geringeren Niederschlagsmenge im Vergleich zum Niederschlagsmittel der Jahre 1961 bis 1990. Dabei waren die Jahresmittelniederschläge 2018 um 25 %, 2022 um 15 %, 2020 um 10 % und 2019 um 7 % geringer als im Referenzzeitraum [1]. Diese Trockenperioden verringern den landwirtschaftlichen Ertrag erheblich. Um den dürrebedingten Ernteausfällen entgegenzuwirken und ausreichende Erträge zu realisieren, müssen Landwirte immer häufiger auf eine Bewässerung ihrer Felder zurückgreifen. Laut der Agrarstrukturerhebung 2016 [2] wurden im Jahr 2015 fast 452.000 ha landwirtschaftlicher Fläche bewässert. Dies macht etwa 2,7 % der gesamten landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland aus [2] [3]. Von diesen 452.000 ha wurden etwa 77 % mit Grundwasser, 11 % mit Oberflächenwasser, 11 % aus privaten und öffentlichen Versorgungsnetzten und 1 % aus anderen Quellen bewässert [2]. Es wird angenommen, dass der bewässerte Anteil an der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland steigen wird. Dies birgt bei der jetzigen Wasserherkunftsstruktur Gefährdungen für Grundwasserreserven und Oberflächengewässer. Um den Risiken entgegenzuwirken, müssen alternative Wasserquellen für die landwirtschaftliche Bewässerung erschlossen werden. Eine Möglichkeit hierzu ist die Wiederverwendung von gereinigtem und desinfiziertem Wasser nach dem Ablauf von Kläranlagen. Auch städtische Grünanlagen sind von Trockenheit betroffen. Um diese zu erhalten, bietet sich als alternative Wasserressource für die Bewässerung ebenfalls die Wiederverwendung desinfizierten Kläranlagenablaufs an. 54 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0036 wendungscheck des inter 3 Instituts für Ressourcenmanagement berechnet. Prüfkriterien für städtische Kläranlagen Aus den Erfahrungen des Projektes Flexitility und anderer Fallbeispiele hat inter 3 Prüfkriterien für städtische Kläranlagen entwickelt, mit deren Hilfe Städte und Gemeinden abschätzen können, ob eine WWV für deren Situation im Prinzip möglich ist. Darauf aufbauend können sie sich dann für detailliertere Untersuchungen im Rahmen eines Risikomanagementplans entscheiden. Nachfolgend sind einige zentrale Aspekte der Prüfkriterien zusammengefasst. 1. Bei der Planung der WW V spielt die Größe der Kläranlagen eine entscheidende Rolle für die Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Besonders Anlagen der Größenklasse 4 und höher, die für einen höheren Durchfluss ausgelegt sind, profitieren von einer besseren Kosten-Nutzen-Relation. Dies liegt unter anderem daran, dass Desinfektionsanlagen und andere technische Maschinen, die für die Aufbereitung des Wassers erforderlich sind, mit Investitionskosten verbunden sind. Solche Systeme rechnen sich erst bei einem entsprechend hohen Wasserdurchfluss. 2. Die Qualität des zu behandelnden Wassers ist ein weiterer entscheidender Faktor bei der Planung der WWV. Je geringer die Belastung des Kläranlagenablaufs ist, desto leichter und günstiger gestaltet sich der Reinigungsprozess. Relevant ist die Anwesenheit von großen Industriebetrieben oder stark verschmutzenden Unternehmen, die ihr vorgereinigtes Abwasser in die öffentliche Kanalisation einleiten. Also Einleiter, die besondere Gefahren in das Abwasser einbringen, z. B. spezielle Schwermetall- oder Chemikalienbelastungen. Diese erfordern dementsprechend aufwendige Reinigungsverfahren, um die gesetzlichen Qualitätsvorgaben für die Wasserwiederverwendung zu erfüllen. 3. Bei der Planung einer WWV muss der quantitative und qualitative Zustand des Vorfluters, also des Gewässers, in das das gereinigte Abwasser eingeleitet wird, berücksichtigt werden. Durch die WWV wird dem Vorfluter weniger Wasser zugeführt. Dies kann z. B. eine Verringerung von Wasserstand und Abflussmenge zur Folge haben, sodass mögliche Beeinträchtigungen auf Lebensräume im und um das Gewässer untersucht werden sollten, gerade wenn die Kläranlage die Hauptquelle für die Wasserzufuhr des Vorfluters darstellt. 4. Die geografische Lage der Kläranlage ist ein entscheidender Faktor für die Effizienz der WWV aufgrund der kostenträchtigen Transporte des aufbereiteten Wassers zu den Stellen, an denen es Rechtlicher Hintergrund Die ersten internationalen Richtlinien für die landwirtschaftliche Wasserwiederverwendung (WW V ) wurden von der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) im Jahr 1992 festgelegt. Bei dieser Regelung spielten die Vermeidung von gesundheitlichen Risiken für den Menschen und schadhafte Auswirkungen der landwirtschaftlichen WWV auf die Nutzpflanzen und Böden eine herausragende Rolle. [4] Anschließend wurden grundlegend überarbeitete Richtlinien zur WWV für Landwirtschaft und Aquakulturen im Jahr 2006 von der WHO herausgegeben. Auf europäischer Ebene verabschiedete die Europäische Kommission die EU-Verordnung 2020/ 741 im Jahr 2020 mit dem Ziel, die Regelungen für eine landwirtschaftliche Wasserwiederverwendung in der EU zu vereinheitlichen und sie europaweit zu ermöglichen. Damit bildet diese zurzeit die gültige rechtliche Grundlage auch in Deutschland. Diese Verordnung schreibt für jede Anwendung die Erstellung eines Risikomanagementplans vor, um das Risiko von gesundheitlichen Folgen zu minimieren und die verschiedenen Umweltkomponenten zu schützen. Zusätzlich veröffentlichte die EU im Jahr 2022 Leitlinien zur Anwendung der Verordnung 2020/ 741 über Mindestanforderungen an die Wasserwiederverwendung (2022/ C 298/ 01). Forschungsprojekt Flexitility Das BMBF-Forschungsprojekt Flexitility erprobt in einem seiner Teilprojekte die landwirtschaftliche WWV zum Zweck der Tierfutterproduktion. Dazu werden am Standort der Kläranlage Uebigau in Brandenburg praktische Erfahrungen gesammelt. Hauptziele des Projektes sind die Identifikation möglicher Risiken im Gesamtsystem und die Entwicklung konkreter Schutzmaßnahmen, welche in einem Risikomanagementplan zusammengefasst werden. Dieser kann auch als Vorlage für weitere Anwendungsfälle dienen. In der Versuchsregion werden zurzeit kaum landwirtschaftliche Flächen bewässert, sodass zunächst die Frage nach der Wirtschaftlichkeit einer Bewässerung beantwortet werden musste. Mittels Geodaten wurden Flächen im Umkreis von zwei Kilometern um die Kläranlagen des Herzberger Wasser- und Abwasserzweckverbands (HWAZ) räumliche Funktionen zugewiesen. Je nach Wasserbedarf wurden die landwirtschaftlichen Flächen in vier Kategorien eingeteilt und diejenigen Flächen ausgewählt, die bewässerungswürdig sind. Anschließend wurde der Wasserbedarf von verschiedenen potenziell anbaubaren Früchten mithilfe einer intelligenten Verknüpfung von Wetter-, Boden- und Landwirtschaftsdaten durch den Wasserwieder- THEMA Prinzip Schwammstadt 55 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0036 öffentliche Parks nicht in den Öffnungszeiten bzw. in den Nachtstunden bewässert werden, und die hygienischen Analysen der bewässerten Flächen rücken in den Mittelpunkt des Monitorings. Fazit In Deutschland ist in Zukunft mit einem steigenden Bewässerungsbedarf in der Landwirtschaft und bei städtischen Grünflächen zu rechnen. Dabei könnte gereinigtes Wasser aus kommunalen Kläranlagen in betroffenen Regionen eine wichtige und sichere Wasserquelle darstellen. Die hier vorgestellten Prüfkriterien ermöglichen eine erste Einschätzung zur Nutzung dieser Ressourcen für Landwirtschaft und Grünanlagen und tragen zur Lösung dieser Herausforderung bei. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Umesh Negi LITERATUR [1] UBA. (2023, June 16). Trockenheit in Deutschland - Fragen und Antworten. Umweltbundesamt. https: / / www. umweltbundesamt.de/ themen/ wasser/ extremereignisseklimawandel/ trockenheit-in-deutschland-fragenantworten#trockenheit-aktuelle-situation [2] StatistischesBundesamt(2017)Land-undForstwirtschaft, Fischerei- BewässerunginlanwirtschaftlichenBetrieben/ Agrarstrukturerhebung. https: / / www.destatis.de/ DE/ Themen/ Branchen-Unternehmen/ Landwirtschaft-Forstwirtschaft-Fischerei/ Landwirtschaftliche-Betriebe/ Publikationen/ Downloads-Landwirtschaftliche-Betriebe/ betriebswirtschaftliche-ausrichtung-standardoutput-2030214169005. xlsx? _ _blob=publicationFile [3] Statistisches Bundesamt (2017). Agrarstrukturerhebung 2016: 9 000 landwirtschaftliche Betriebe Weniger als im Jahr 2013. https: / / www.destatis.de/ DE/ Presse/ Pressemitteilungen/ 2017/ 01/ PD17_026_411.html [4] Pescod, M. B., Wastewater treatment and use in agriculture (1992). Rome; Food and Agriculture Organization of the United Nations. [5] Mohajeri, S.; Kaufman, D.; Kestin, M.: RisikomanagementplanfüreineWasserwiederverwendung.wwtPraxismagazin für Trink- und Abwassermanagement 4/ 2023, S. 30-33. www.umweltwirtschaft.com/ epaper/ umw/ 306/ epaper/ 3002/ 32/ index.html wiederverwendet werden soll. Es ist von Vorteil, wenn die Kläranlage in der Nähe von landwirtschaftlichen Flächen oder anderen Gebieten liegt, die das aufbereitete Wasser benötigen. 5. Die Nutzung vorhandener Infrastruktur kann Effizienz und Kosteneffektivität der WWV erheblich verbessern. Wenn bereits bestehende Systeme wie ein Bewässerungsnetz für die Landwirtschaft vorhanden sind oder größere Bewässerungsfahrzeuge für die Pflege städtischer Grünflächen existieren, können diese Ressourcen ideal integriert werden. In die Umsetzung kommen Nachdem die Entscheidung zur WWV getroffen und ein geeigneter Standort festgelegt wurde, steht die konkrete Umsetzung im Fokus. Wesentliche Schritte sind die Identifikation geeigneter Partner für die Nutzung des aufbereiteten Wassers und die gemeinsame Durchführung einer detaillierten Wirtschaftlichkeitsrechnung. Als Voraussetzungen für den sicheren und effektiven Einsatz des gereinigten Wassers ist die Erstellung eines Risikomanagementplans unerlässlich, der spezifische Vorsorgemaßnahmen und technische Anforderungen definiert, die für den Betrieb der Wasserwiederverwendungssysteme erforderlich sind. Dieser Plan gliedert sich in 11 Key Elements of Risk Management (KRM): 1. Beschreibung des Systems 2. Akteure und Rollen 3. Ermittlung der Gefahren 4. Gefährdete Umweltgegebenheiten und Bevölkerungsgruppen und Expositionswege 5. Bewertungen der Umwelt- und Gesundheitsrisiken 6. Zusätzliche Anforderungen 7. Vorsorgemaßnahmen 8. Qualitätskontrollsysteme 9. Umweltüberwachungssysteme 10. Notfallmanagement 11. Koordinierung Besonders im Fokus steht die Ermittlung und Bewertung der Risiken für die verschiedenen Umweltparameter und die Umsetzung der Vorsorgemaßnahme und des Monitoringsystems. [5] Mit diesen fundierten Unterlagen und einem klaren Konzept wendet man sich an die zuständige Wasserbehörde, um eine Genehmigung für die Wasserwiederverwendung zu beantragen. Für die Bewässerung von Stadtgrün muss ebenfalls ein Risikomanagementplan aufgestellt werden. Hier sind abweichend für die Landwirtschaft besondere Anforderungen und technische Sicherheitsvorkehrungen zu beachten. So sollten beispielsweise AUTOR*INNEN Daniel Kaufman, M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei inter 3 GmbH - Institut für Ressourcenmanagement, Otto-Suhr-Allee 59 10585 Berlin d.kaufman@inter3.de Axel Dierich, Dipl. -Pol., Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei inter 3 GmbH - Institut für Ressourcenmanagement, Otto-Suhr-Allee 59 10585 Berlin dierich@inter3.de THEMA Prinzip Schwammstadt 56 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0036