eJournals Transforming cities 9/3

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0037
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Von der Betonschlucht zum Schwamm: Wolkenbruchplan für Städte

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Gregor Grassl
Philipp Alber
Vollgelaufene Keller, überflutete Straßen und zahlreiche Evakuierungen: Im Juni dieses Jahres haben starke Unwetter und Regenfälle den Städten und Kommunen zugesetzt. Besonders schlimm war es in den Metropolregionen in Süddeutschland: Flüsse traten über die Ufer und verursachten erhebliche Schäden an Gebäuden und Infrastruktur. Solche Wetterextreme werden in den kommenden Jahren aufgrund der Klimakrise immer häufiger auftreten. Städte und Kommunen brauchen daher Klimaanpassungsstrategien, um sich und ihre Bewohner:innen vor Starkregen zu schützen.
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Von der Betonschlucht zum Schwamm: Wolkenbruchplan für Städte Unwetter, Regenfälle, Wetterextreme, Klimakrise, Starkregen, Schutz Gregor Grassl, Philipp Alber Vollgelaufene Keller, überflutete Straßen und zahlreiche Evakuierungen: Im Juni dieses Jahres haben starke Unwetter und Regenfälle den Städten und Kommunen zugesetzt. Besonders schlimm war es in den Metropolregionen in Süddeutschland: Flüsse traten über die Ufer und verursachten erhebliche Schäden an Gebäuden und Infrastruktur. Solche Wetterextreme werden in den kommenden Jahren aufgrund der Klimakrise immer häufiger auftreten. Städte und Kommunen brauchen daher Klimaanpassungsstrategien, um sich und ihre Bewohner: innen vor Starkregen zu schützen. Städte nur unzureichend geschützt Von einem sogenannten Starkregenereignis warnt der Deutsche Wetterdienst dann, wenn in einer Stunde an einem Ort mehr als 15 bis 25 Liter pro Quadratmeter oder binnen sechs Stunden 20 bis 35 Liter Niederschlag pro Quadratmeter erwartet werden. Solche Wolkenbrüche verfügen über ein enormes Verwüstungspotential. Sie bergen schwer kalkulierbare Überschwemmungsrisiken und können im schlimmsten Fall nicht nur Häuser zum Einsturz bringen, sondern auch Menschenleben gefährden. Gerade in Städten, wo ein Großteil der Flächen versiegelt sind, ist die Kanalisation in der Regel aus Kosten- und Platzgründen nicht auf Starkregenereignisse ausgelegt. Besonders anfällig sind tief liegende Stadtteile und Gebiete in Flussnähe. Alte Rohrleitungen und unzureichende Entwässerungssysteme verschärfen die Situation zusätzlich. Starkregenkarte zeigt Schwachstellen auf Solche potenziellen Risiken zu analysieren, ist der erste Schritt auf dem Weg zur Klimaanpassung. Eine gute 57 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0037 Das zurückgehaltene Niederschlagswasser wird nach Abklingen des Starkregens nach und nach in die Kanalisation abgegeben. Zudem ist es ratsam, an Stelle versiegelnder Materialien wie Asphalt oder Pflastersteine auf wasserdurchlässige Materialien wie Rasengittersteine zu setzen. Welche weiteren Materialien besonders vielversprechend sind, das erforscht das Gelsenkirchener Institut für Unterirdische Infrastruktur. In einem weltweit einmaligen Großversuchsstand für Starkregen testen die Forscher: innen, wie sich unterschiedliche Oberflächenmaterialien auf das Fließverhalten von Wasser auswirken. Die hier gewonnenen Erkenntnisse unterstützen Stadtplaner: innen dabei, die Folgen von Starkregen zu vermindern. Wolkenbruchpläne werten Städte auf Als Vorreiter eines erfolgreichen Starkregenkonzepts gilt die Stadt Kopenhagen. Nachdem die dänische Metropole im Jahr 2011 nach schweren Unwettern mit Überflutungen zu kämpfen hatte, reagierte die dänische Hauptstadt mit einem Cloudburst-Management- Plan. Rund 1,5 Milliarden Euro fließen über einen Zeitraum von 20 Jahren in 300 Einzelprojekte. Der Plan beinhaltet zahlreiche Konversions- und Neubaumaßnahmen. Im Fokus steht dabei nicht nur die Begrenzung der drohenden Überflutungen im Stadtraum, sondern auch die Lösung infrastruktureller Probleme im Zusammenhang mit Mobilität, öffentlichem Raum, Sicherheit und Biodiversität. Grünflächen gegen Starkregen und Hitzeinseln Auch die baden-württembergische Stadt Rastatt hat ein Klimaanpassungskonzept auf den Weg gebracht. Mittels Baumrigolen, Tiefbeeten und Zisternen sowie neuen Retentionsflächen entlang der Flüsse Rhein und Murg schützt sich die Kommune besser vor Hochwasser und speichert gleichzeitig Wasser, das sie während Dürreperioden zur Bewässerung der Grünflächen abrufen kann. Mit über tausend neu gepflanzten Bäumen und Grünfassaden an Gebäuden sorgt die Stadt außerdem für ein besseres Mikroklima. Damit adressiert sie ein weiteres Problem des Klimawandels: Die immer stärkeren und häufiger auftretenden Hitzewellen während der Sommermonate. Städte neigen dazu, sich stärker aufzuheizen als ländliche Gebiete - ein Phänomen, das als urbane Hitzeinsel bekannt ist. Das größte Problem ist auch hier die hohe Versiegelung mit wärmespeichernden Materialien wie Beton, Asphalt oder Glas. Dadurch kommt es zum sogenannten Heat-Island-Effekt. In Städten kann es dann um bis zu 10 Grad wärmer als im Umland sein. Diese Wärme wird tagsüber gespeichert und nachts langsam wieder abgegeben. Tropische Nächte sind die Basis liefern sogenannte Starkregenkarten. Dabei handelt es sich um computergestützte Modelle, die sich auf topografische Gegebenheiten sowie die Leistungsfähigkeit des Kanalnetzes stützen und somit Starkregen- und auch Hochwasserrisiken berechnen können. Zudem müssen die örtlichen Gegebenheiten genau unter die Lupe genommen werden: Wie groß ist das Einzugsgebiet? Welchen Abflussbeiwert hat es und wie hoch ist das Risiko durch versiegelte Flächen? Wie ist der Zustand der Gewässer? Gibt es Retentionsflächen, die Wassermassen auffangen können? Wie dicht ist die Bebauung, sind Notwasserwege vorhanden? Zusätzlich gilt es, bestehende Hochwasserschutzmaßnahmen zu prüfen. Nicht immer lösen die Konzepte ein, was sie versprechen. Ein Beispiel dafür sind Dämme. Sie halten zwar das Wasser fern, drängen aber häufig die Wassermassen so stark zusammen, dass sich die Fließgeschwindigkeit erhöht und eine Flutwelle in einer Gemeinde weiter flussabwärts umso verheerender ausfallen kann. Die Gefahr wird teilweise verlagert auf andere Kommunen. Anstatt Wasser „blind“ weiterzuleiten, empfiehlt sich eine kommunal übergreifende und einzugsgebietsfokussierte Planung des Starkregen- und Hochwasserschutzes. Ein optimaler Schutz lässt sich nur durch gemeinschaftliche Prävention erreichen, an der beispielsweise auch Privathaushalte mit entsprechenden eigenen baulichen Maßnahmen oder Landwirte mit Bewirtschaftungsmaßnahmen mitwirken können. Städte wie Schwämme Bei Immobilien können Eigentümer: innen mit Grünflächen rund um die Gebäude oder auf dem Dach zusätzliche Rückhalteflächen schaffen. So entlasten sie die öffentliche Kanalisation, verzögern den Abfluss und verringern die Abflussspitzen. Darüber hinaus gibt es durchaus kostengünstige Maßnahmen, um Neu- und Bestandsbauten im Notfall vor Überschwemmungen zu schützen. Bewährt haben sich der Einbau von Rückschlagklappen, das Hochziehen von Lichtschächten oder der Einbau von Kellertüren und -fenstern, die dem Wasserdruck standhalten. Was Quartiere und Städte angeht, ist das Kernstück jeder Klimaanpassung die sogenannte blau-grüne Infrastruktur, welche sich gegenüber konventioneller Entwässerungsmethoden neben der Starkregenvorsorge auch positiv auf die Trockenperioden auswirkt. Sie verknüpft Grünflächen, Wassermanagement und ermöglicht auch den strategischen Einsatz moderner Technik. Ein Beispiel dafür sind Parks, die bei gutem Wetter als Erholungs- und Freizeitfläche dienen. Bei Wolkenbrüchen verwandeln sie sich in eine temporäre Wasserfläche. So nehmen sie auf natürlichem Weg große Wassermengen auf - wie ein Schwamm. THEMA Prinzip Schwammstadt 58 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0037 zudem die Möglichkeit, sowohl zu heizen als auch zu kühlen, wodurch ein saisonaler Wärmetransfer ermöglicht wird. Insgesamt bietet die Verbindung von Starkregen- und Hitzeschutz in Städten zahlreiche Synergieeffekte. Klug kombiniert tragen diese Maßnahmenpakete nicht nur zum Schutz vor Wetterextremen bei, sondern verbessern auch die Lebensqualität der Bewohner: innen und schaffen nachhaltigere urbane Räume. Eingangsabbildung: © iStock.com/ fotojog Folge, die Nachttemperaturen unangenehm hoch hält und das belastet die Gesundheit der Bewohner: innen. Besonders ältere Menschen und Kinder sind gefährdet, unter den hohen Temperaturen zu leiden. Helle Oberflächen und Nachtkühlung statt Klimaanlage Neben mehr Grün- und Wasserflächen wirken helle, reflektierende Materialien der Hitze in Städten entgegen. In der Stadtplanung wird dies als Albedo-Effekt bezeichnet. Werden bei der Gestaltung von Straßen und Gehwegen helle Materialien und raue Oberflächen kombiniert, heizen sich die Oberflächen weniger auf. Ganz ohne eine Kühlung des Innenraums geht es in vielen Fällen trotzdem nicht. Was viele nicht wissen: Klimaanlagen senken zwar die Temperatur in Gebäuden, heizen jedoch gleichzeitig durch die Abwärme den Außenraum noch weiter auf. Zudem sind sie enorme Stromfresser. Als Alternative bieten sich Low-Tech-Systeme an, wie etwa der Einsatz massiver Bauteile zur nächtlichen Kühlung durch Außenluft. Beispielsweise können Fußbodenheizungen im Sommer als Kühlboden genutzt werden, und die Aktivierung von Decken als Kühlfläche trägt zur Temperaturregulierung bei. Geothermie bietet AUTOR*INNEN Gregor Grassl ist Associate Partner und Leiter für grüne Stadtentwicklung beim auf Bau und Immobilien spezialisierten Beratungsunternehmen Drees & Sommer SE mit Hauptsitz in Stuttgart. Philipp Alber betreut als Senior Consultant bei Drees & Sommer die Themenfelder wasserbewusste Stadtentwicklung / Schwammstadt und integrierte Regenwasserbewirtschaftung. Die medienübergreifende Publikation Transforming Cities berichtet über Städte im Wandel, über die weltweite Urbanisierung und ihre Auswirkungen. Anspruch ist die ganzheitliche Analyse und Aufbereitung von Kernfaktoren zur aktiven Gestaltung der Stadt von morgen. www.transforming-cities.de Das sind unsere Themen 2024: 1 Kommunale Wärmewende 2 Offene und sichere Städte 3 Prinzip Schwammstadt 4 Transformation urbaner Mobilität Call for Papers 2024 Wir freuen uns über Ihre Beitragsvorschläge. Anzeige THEMA Prinzip Schwammstadt 59 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0037