eJournals Transforming cities 9/3

Transforming cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0039
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Klimawirksam Boden gut machen: Baumstandorte mit Pflanzenkohle

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Peter Menke
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zum Heizen oder zur Elektrizitätsgewinnung einsetzen. „Insgesamt ist der Prozess der Pflanzenkohle- Herstellung exotherm, das heißt, es wird mehr Energie frei als man reinstecken muss“, so Glaser. Der eigentliche Clou aber ergibt sich aus der Nutzung der Pflanzenkohle, der weit über die stabile Fixierung von Kohlenstoff hinausgeht und eine Reihe positiver Effekte auf Ökosystemfunktionen umfasst. Richter: „Wir mischen die Pflanzenkohle in gärtnerische Substrate ein oder bringen sie in Das Europäische Klimagesetz gibt das Ziel vor, die EU bis 2050 klimaneutral zu machen. Deutschland will schon 2045 klimaneutral sein, d. h. bis 2045 sollen nicht mehr Treibhausgase ausgestoßen werden als auch wieder gebunden werden können. Der wichtigste Hebel ist, den Treibhausgasausstoß drastisch zu verringern. Darüber hinaus setzt die EU-Kommission aber auf CCS (carbon capture and sequestration storage), also das Abscheiden und unterirdische Einlagern von klimaschädlichem CO 2 . Die eleganteste Methode zur CO 2 -Fixierung haben Pflanzen entwickelt: Bei der Photosynthese entnehmen sie der Atmosphäre CO 2 und wandeln es in Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O 2 ) um. Den Kohlenstoff nutzen sie für ihr Wachstum und speichern es in ihrer Holz- und Laubmasse. Allerdings ist diese Methode nur befristet wirksam: Wenn das Holz verbrannt wird oder verrottet, wird der darin gespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt ... „Genau das ist ja unser Problem“, so Ron Richter, Geschäftsführer der klimafarmer GmbH aus Nierstein. „Wir verbrennen seit rund 200 Jahren immer mehr fossile Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas und Kohle, deren Energiegehalt aus über Millionen Jahre von Pflanzen fixiertem Kohlenstoff besteht.“ Die klimafarmer gehen den umgekehrten Weg und ihr Wirkstoff, ein nachwachsender Rohstoff, heißt: Pflanzenkohle. Klimaschutz mit Kohle Dr. Bruno Glaser ist Professor für Boden-Biogeochemie am der Universität Halle-Wittenberg und er hat den Begriff „Pflanzenkohle“ geprägt für ein Produkt, das erhebliche Vorteile bei der Anpassung an den Klimawandel und im Klimaschutz bietet. Die Herstellung von Pflanzenkohle erfolgt in einem thermochemischen Prozess (Pyrolyse) unter hohen Temperaturen und - durch Luftabschluss - sauerstoffarmen Bedingungen. Holz, Schnittgut und andere organische Reststoffe werden so in industriellem Maßstab mit relativ geringem Energieeinsatz verkohlt, zudem lässt sich die Abwärme Klimawirksam Boden gut machen: Baumstandorte mit Pflanzenkohle Peter Menke Bild 1: Ron Richter, Geschäftsführer der klimafarmer GmbH. © klimafarmer In Rüsselsheim entsteht das erste Klima- Dach Hessens. Eine halbe Tonne CO 2 ist hier in Form von aktivierter Pflanzenkohle dauerhaft versenkt worden. 65 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0039 als Problem und auch der unterirdisch sehr reduzierte Raum dazu, da immer mehr Infrastruktur unter der Erde verläuft. Kein Zweifel: Wir brauchen die Bäume, um sommerliche Hitzespitzen zu reduzieren, wir brauchen aber auch Versickerungsflächen, um Starkregen aufzufangen, um die wichtige Ressource Wasser zu speichern und sie nicht unnütz und ungebremst der Kanalisation zuzuführen, was indirekt Hochwasserschäden begünstigt. Aber Bäume brauchen eben auch Platz und den richtigen Untergrund, um gesund wurzeln zu können. Alles hängt mit allem zusammen. Das Schwammstadt-Prinzip verspricht hier schnell wirksame und effiziente Hilfe: Es gilt, das Regenwasser zu nutzen, statt es über die Kanalisation abzuführen. „Dafür braucht es so wenig Versiegelung wie möglich und möglichst viel offenen Boden“, so Ron Richter „der dann auch wasseraufnahmefähig sein muss.“ Es geht um jeden Quadratmeter Grün, ob privat, gewerblich oder öffentlich, aber der Platz ist teuer und knapp. Natürliche Standorte sind so gut wie nicht mehr vorhanden, auch wenn es oberirdisch so aussehen mag. Die Flächenkonkurrenz ist immens und deshalb ist die Optimierung der Pflanzstandorte ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Nutzung der grün-blauen Infrastruktur zur Klimaanpassung im urbanen Raum. Pflanzstandorte verbessern Wesentlich für den Anwachserfolg und die weitere Entwicklung von Jungbäumen ist neben ausreichend Pflanzraum vor allem die Bodenqualität am Pflanzort. Vermehrt kommen heute lokale Rohstoffe und Zuschlagsstoffe wie Pflanzenkohle bei der Herstellung von kommunalen Substraten zum Einsatz. Das sehr leichte, dennoch strukturstabile Kohlenstoffgerüst Defizite von Böden auszugleichen. Tatsächlich ist es die Bodenqualität, die maßgeblich bestimmt, was wie gut und wie lange wachsen und gedeihen kann. Dies gilt für die Landwirtschaft, aber auch für jeden privaten Garten, genauso für alle öffentlichen Freiräume, von der Baumscheibe am Straßenrand bis zum Park. Aufgrund des Klimawandels wird das Wetter immer extremer - Hitzeperioden mit anhaltender Trockenheit wechseln sich ab mit Zeiten extremer Niederschläge - diese Extreme abzupuffern sind viele Böden nicht mehr in der Lage. Im Sortiment der klimafarmer für Kommunen, beispielsweise zum Einsatz in Baumgruben, Urban Gardening oder der Dachbegrünung stehen torffreie Erden und Spezialsubstrate zur Verfügung, die, angereichert mit aktivierter Pflanzenkohle, zusätzlich für Bodenluft, Drainage und Wasserspeicher sorgen. Damit lassen sich auch bestehende, technische Substrate auf mineralischer Basis wie Lava und Bims mit wertvollem Bodenleben wie Mykorrhiza und natürlich-pflanzlichen Huminstoffen versorgen“, erläutert Ron Richter. In verdichteten urbanen Gebieten kommt erschwerend hinzu, dass die Flächen immer knapper werden, auf denen pflanzliches Wachstum überhaupt stattfinden kann. Dabei wird der Ruf nach mehr städtischem Grün aus der Bevölkerung immer lauter. Grünflächen und Bäume können Temperaturspitzen durch Verdunstung und Verschattung abmildern. Aber die Herausforderungen für die Städte wachsen auch, weil es immer schwieriger wird, den Lebensbedingungen von Bäumen über die Jahreszeiten hinweg dauerhaft gerecht zu werden. Grün in der Stadt Zu den heißen, trockenen Sommern kommt Bodenverdichtung landwirtschaftlich genutzte Böden und verbessern damit dauerhaft die Bodenqualität und seine Fruchtbarkeit.“ Mit Pflanzenkohle angereicherte Böden können mehr Wasser aufnehmen, besser Nährstoffe speichern, was vor Nitratauswaschung schützt, außerdem werden deutlich weniger Treibhausgase wie Methan oder Lachgas aus dem Boden emittiert. Die Summe dieser Vorteile ist der Grund, warum die Verwendung von Pflanzenkohle messbar zum Klimaschutz beiträgt. Boden gut machen Dass es dem Boden nicht gut geht, kann einem nicht mehr entgehen. Ackerböden sind durch Überbewirtschaftung belastet und in urbanem Gebiet sind die Böden durch Vermischung, Verdichtung, Bauschutt und viele andere Stoffe gestört. Problematisch ist das, weil die Bodenneubildung tausende Jahre dauert und nur unter guten Ausgangsbedingungen funktioniert, wenn förderliche Umweltfaktoren gegeben sind. „Es ist unsere Pflicht, mit der Lebensgrundlage achtsam umzugehen, diese zu schützen und in einem guten Zustand zu erhalten sowie klimaschützend weiterzuentwickeln“, sagt Ron Richter. Sein Unternehmen befasst sich damit, Bild 2: Mit der Pflanzenerde Terra Preta mit aktivierter Pflanzenkohle wird der Boden optimal verbessert, um das Pflanzenwachstum zu fördern, aber auch um gleichzeitig eine CO 2 -Senke zu schaffen. © klimafarmer PRODUKTE + LÖSUNGEN Pflanzenkohle 66 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0039 zu binden und damit urbane Kohlenstoffsenken aufzubauen.“ Aber auch in Privatgärten, in Gefäßen auf Balkonen und Terrassen liegen große Flächenpotenziale, die Beiträge zur Anpassung an den Klimawandel und zum Schutz der Artenvielfalt leisten können und die mit Pflanzenkohle-optimierten Substraten Mehrwert haben. Weitere Informationen und ein Webshop für Klein- und Großverbraucher finden sich auf www.klimafarmer.de. Eingangsabbildung: © klimafarmer bau im Pyrolyseverfahren erzeugten Pflanzenkohle bringen wir den belebten Kohlenstoff rund um den Baum unter die Erde und dort verbleibt es dauerhaft. Das führt zu dem erwünschten Schwammeffekt, versorgt den Baum gleichmäßig mit Feuchtigkeit, begünstigt ein aktives Bodenleben und sorgt für gutes Wachstum.“ So muss in trockenen Perioden weniger gegossen werden, der Pflegeaufwand reduziert sich, die Bäume sind von Anfang an stärker und wachsen auch unter widrigen Witterungsbedingungen leichter. Urbane Kohlenstoffsenke Durch die Verwendung von Pflanzenkohle entsteht dauerhaft eine CO 2 -Senke. Denn durch Karbonisierung von holziger Biomasse wird der Kohlenstoff, den die Pflanze durch ihre Fotosyntheseleistung aufgenommen hat, in sehr stabile Strukturen umgewandelt. Ausgehend vom Kohlenstoffgehalt der Pflanzenkohle und nach Abzug aller mit der Herstellung verbunden Emissionen lässt sich das CO 2 -Äquivalent (CO 2 e) ermitteln. So speichert z. B. eine Tonne Pflanzenkohle aus urbanem Grünschnitt bis zu 2,5 Tonnen CO 2 e. Gleichzeitig bekommen die Bäume eine Grundlage, auf der sie besser gedeihen können. Damit werden sie sogar schneller klimaaktiv, senken Temperaturspitzen, erhöhen die Luftfeuchtigkeit und machen Straßen und Grünflächen für Menschen dauerhaft attraktiver und lebenswerter. Für viele Kommunalverantwortliche ist der „Nebeneffekt “ der dauerhaften Kohlenstoffbindung ein wesentliches Argument für die Verwendung von Pflanzenkohle. Ron Richter: „Es ist eine riesige Aufgabe für uns alle, schnellstmöglich die Klimaneutralität zu erreichen. Das städtische Grün kann hier einen wichtigen Beitrag leisten auch um zusätzliches CO 2 durch ein vitales Grün der Pflanzenkohle dient als Wasser- und Nährstoffspeicher sowie Habitat für bodenaufbauende Mikroorganismen und Bodenpilze. Diese „Belebung“ oder „Aktivierung“ spielt die entscheidende Rolle. „Wir setzen bei der verwendeten Pflanzenkohle auf das sogenannte European Biochar Certificate (EBC), eine Zertifizierung, die die Qualität der Pflanzenkohle sowie deren nachhaltige Herstellung überwacht “, so klimafarmer Ron Richter. Verwendet wird die Qualitätsstufe AgroBio, eine Premium- Qualität, der höchste Standard, den es für gärtnerische Erden gibt. Belebte Pflanzenkohle aktiviert den Boden dauerhaft Bei der „Initialisierung“ handelt es sich um ein Verfahren, bei der die Pflanzenkohle mikrobiell belebt und mit organischen Nährstoffen beladen wird. Dieser geschützte Prozess stellt ein Grundgleichgewicht zwischen Aufnahme und Abgabe von Nährstoffen her und hilft, eine förderliche Mikrobiologie und wertvolle Bodenpilze in der Erde zu etablieren. Ohne diesen Aktivierungsprozess kann es zu einer Nährstofffestlegung in Boden oder im eingesetzten Substrat kommen, was die Pflanze anfänglich hungern lässt. Erste Erdenwerke, Praktiker aus Gartenbau sowie Städte wie Rüsselsheim setzen auf diesen neuen Weg. So wird z. B. in Rüsselsheim das eingesetzte Baumsubstrat mit bis zu 15 Prozent dieser initialisierten Pflanzenkohle von klimafarmer verset z t. Im P f lanzloch muss durch diese Zugabe auch nicht der ganze Boden ausgetauscht werden, sondern nur ein Teil. Auch bei Problemstandorten im urbanen Raum ist diese Initialisierung äußerst wirkungsvoll. Richter erklärt die Wirkungsweise des nachwachsenden Rohstoffs: „Mit der regional aus Pflanzenresten und Schnittgut aus dem Landschafts- Bild 3: Ein wesentlicher Aspekt, der die Pflanzenkohle so wertvoll macht, ist die Speicherung von CO 2 . © klimafarmer PRODUKTE + LÖSUNGEN Pflanzenkohle 67 3 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0039