Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0045
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2024
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Der Stuttgarter Westen als Modell einer 15-Minuten-Stadt
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2024
Jana Eisenbarth
Dennis Dreher
Lutz Gaspers
Die 15-Minuten-Stadt gilt als wichtiges und zukunftsweisendes Konzept der Stadt- und Verkehrsplanung. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es zu beleuchten, inwieweit der Stuttgarter Westen bereits die Merkmale und Prinzipien einer 15-Minuten-Stadt widerspiegelt und welche relevanten Mobilitätsstrukturen vorhanden sind. Als wesentliche Grundlage dient das Verständnis des Konzepts der 15-Minuten-Stadt sowie der Mobilität in städtischen Gebieten. Die gewonnenen Erkenntnisse werden im Analyseteil auf den Stuttgarter Westen angewendet.
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Der Stuttgarter Westen als Modell einer 15-Minuten-Stadt Eine Analyse urbaner Mobilitätsstrukturen 15-Minuten-Stadt, Lebenswerte Stadt, Nachhaltige Mobilität, Lebensqualität, Verkehrswende Jana Eisenbarth, Dennis Dreher, Lutz Gaspers Die 15-Minuten-Stadt gilt als wichtiges und zukunftsweisendes Konzept der Stadt- und Verkehrsplanung. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es zu beleuchten, inwieweit der Stuttgarter Westen bereits die Merkmale und Prinzipien einer 15-Minuten-Stadt widerspiegelt und welche relevanten Mobilitätsstrukturen vorhanden sind. Als wesentliche Grundlage dient das Verständnis des Konzepts der 15-Minuten-Stadt sowie der Mobilität in städtischen Gebieten. Die gewonnenen Erkenntnisse werden im Analyseteil auf den Stuttgarter Westen angewendet. Die 15 - Minuten -St adt gilt als wichtiges und zukunftsweisendes Konzept der Stadt- und Verkehrsplanung. Ziel des vorliegenden Beitrags ist es zu beleuchten, inwieweit der Stuttgarter Westen bereits die Merkmale und Prinzipien einer 15 -Minuten-Stadt widerspiegelt und welche re levanten Mobilitätsstruk turen vorhanden sind. Als wesentliche Grundlage dient das Verständnis des Konzepts der 15 -Minuten- Stadt sowie der Mobilität in städtischen Gebieten. Die gewonnenen Erkenntnisse werden im auf den Stuttgarter Westen angewendet. 10 4 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0045 Städten und Stadtplanung wurde durch die zunehmend sichtbaren Auswirkungen des Klimawandels geweckt, was ihn dazu veranlasste, über die Rolle von Städten bei der Umweltwende nachzudenken. (Vgl. Moreno 2021) Das Konzept zielt darauf ab die Lebensqualität der Stadtbewohner zu erhöhen, die Umweltbelastung zu reduzieren und die städtische Infrastruktur nachhaltiger und effizienter zu gestalten. (Vgl. Allam u. a. 2022) Erreicht wird dies dadurch, dass die Bewohner eines definierten Gebietes innerhalb von 15 Minuten sechs wesentliche Einrichtungen erreichen können (siehe Abbildung 1). Für die folgende Untersuchung wird auf die Theorie der zentralen Orte nach Christaller zurückgegriffen. Hierbei erfolgt die hierarchische Untergliederung nach Grundzentrum, Mittelzentrum und Oberzentrum. Damit ein Gebiet nach dem Konzept der 15-Minuten-Stadt funktionieren kann wird angenommen, dass die Einrichtungen des Grundzentrums in jedem Fall vorhanden sein müssen sowie gegebenenfalls Elemente eines Mittelzentrums. Die Erfüllung dieser sechs Kriterien und die dazugehörigen Einrichtungen bilden die Grundlage einer 15-Minuten-Stadt. Die Kriterien können, je nach den Bedürfnissen der Bewohner der 15-Minuten-Stadt, unterschiedlich stark ausgeprägt sein und diverse Einrichtungen beinhalten. Das Hauptziel besteht jedoch darin ein Verhältnis zu finden, damit alle Einrichtungen in diesem Gebiet innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar sind. So wird sichergestellt, dass die Grundbedürfnisse aller Bewohner erfüllt sind und im Alltag auf Pkws verzichtet werden kann. Auch die Kombination verschiedener Wegeziele wird so vereinfacht. Mobilität in städtischen Gebieten Modellhafte Untersuchung des Stuttgarter Westens Die Stadt Stuttgart ist mit über 600.000 Einwohnern die größte Stadt Baden-Württembergs. Besonders an Stuttgart sind vor allem die einzigartigen topografischen Gegebenheiten. Nahezu das gesamte Stadtzentrum befindet sich in einer Kessellage, welche sowohl bauliche als auch klimatische Herausforderungen mit sich bringt. In dieser Kessellage befindet sich auch ein Großteil des Stadtbezirks Stuttgart-West, welcher sich von dem innerstädtischen Bereich des Berliner Platzes bis zum Rotwildpark am Killesberg erstreckt. Stuttgart-West erfüllt grundsätzlich die definierten Kriterien und Voraussetzungen der 15-Minuten-Stadt. Stadtplanerisch lässt sich Stuttgart-West mit anderen Entwicklungen in Stadt- und Verkehrsplanung Die Stadtplanung hat sich im Laufe der Jahrzehnte erheblich gewandelt. In der Nachkriegszeit dominierten Leitbilder wie die autogerechte Stadt und die verkehrsgerechte Stadt die städtische Entwicklung. Diese Konzepte zielten darauf ab, den motorisierten Individualverkehr (MIV) zu fördern und das Straßennetz entsprechend auszubauen. Dies führte jedoch zu einer Reihe von Problemen wie erhöhter Luftverschmutzung, Lärmbelästigung und einer Verringerung der Lebensqualität in den Städten. In den letzten Jahrzehnten hat sich das Leitbild der Stadtplanung stark verändert. Nachhaltigkeit und lebenswerte Städte sind in den Fokus gerückt. Begriffe wie Verkehrswende, Mobilitätswende und Antriebswende prägen die politische und gesellschaftliche Diskussion. Diese Wenden streben eine Reduktion des motorisierten Verkehrs, die Förderung umweltfreundlicher Mobilitätsformen und den Übergang zu emissionsfreien Antriebstechnologien an. Ein besonders aktuelles und relevantes Konzept in diesem Kontext ist die 15-Minuten-Stadt. Dieses Modell zielt darauf ab, alle wichtigen Einrichtungen und Dienstleistungen des täglichen Bedarfs innerhalb von 15 Minuten zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreichbar zu machen. Das Modell treibt so die Verkehrs- und Mobilitätswende voran. Dies fördert nicht nur die Nachhaltigkeit, sondern auch die Lebensqualität und soziale Teilhabe. Das Konzept der 15-Minuten-Stadt Der Ursprung des Konzeptes der 15-Minuten-Stadt geht auf den französisch-kolumbianischen Städteplaner und Forscher Carlos Moreno zurück. Sein Interesse an Bild 1: Kriterien in der 15-Minuten-Stadt. (HFT Stuttgart, Eisenbarth) Wohnen Arbeiten Handel Gesundheitsversorgung Bildung Unterhaltung PRAXIS + PROJEKTE 15-Minuten-Stadt 11 4 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0045 Anwendbarkeit des 15-Minuten-Stadt-Konzepts auf den Stuttgarter Westen Das Zus ammenspiel der verschiedenen Kriterien für eine 15 - M in u te n - S t a d t in di e s e m Untersuchungsraum zeigt eine vielfältige und lebenswerte städtische Umgebung. Die Analyse der einzelnen Aspekte Wohnen, Handel, Gesundheitsversorgung, Bildung, Unterhaltung und Arbeit verdeutlicht, dass die notwendigen Grundlagen für eine 15-Minuten-Stadt vorhanden sind. Durch eine gleichmäßige Verteilung von Wohnraum und wichtigen Einrichtungen wird die Grundversorgung der Bewohner innerhalb kurzer Fußwege sichergestellt. Dies trägt nicht nur zur Bequemlichkeit bei, sondern unterstützt auch die Reduzierung von Verkehr und Emissionen durch kurze Wege. Die Verfügbarkeit von Gesundheits-, Bildungs- und Freizeiteinrichtungen innerhalb der 15-Minuten- Isochrone trägt zur Verbesserung der Lebensqualität und sozialen Integration der Bewohner bei. Insgesamt zeigt die Analyse, dass die Vision einer 15-Minuten-Stadt im betrachteten Untersuchungsraum grundsätzlich umsetzbar ist und Möglichkeiten bietet, die Lebensqualität und Nachhaltigkeit in der Stadt zu verbessern. Ausblick Die Untersuchung hat gezeig t, dass der Stuttgarter Westen eine solide Basis für die Entwicklung einer 15 -Minuten-Stadt bietet. Dieses Modell, das darauf abzielt, städtische Gebiete menschenzentrierter und nachhaltiger zu gestalten, ist in vielen Aspekten bereits erkennbar. Die dichte Besiedlung, die ausgewogene Verteilung von Wohnraum und Einrichtungen des täglichen Bedarfs sowie die vielfältigen Arbeitsplätze und Unterhaltungsangebote innerhalb eines 15-Minuten-Rachrone verdeutlicht, dass die Erreichbarkeit nicht gleichmäßig rund um den Häuserblock verteilt ist. Diese Unregelmäßigkeit resultiert aus der Berechnung, die auf den tatsächlichen Gehwegen und Straßenverläufen basiert. Dabei wird berücksichtigt, dass Fußgänger den Gebäuden und anderen Hindernissen ausweichen müssen. Darüber hinaus spielen topographische Faktoren wie Anstiege und Gefälle im Gelände eine Rolle. Besonders durch die Kessellage Stuttgarts beeinflussen diese Höhenunterschiede die Reisezeiten und somit die Form der Isochrone. Die Isochrone passt sich den Verläufen des Straßennetzes an und zeigt deutlich, dass die Erreichbarkeit entlang von Straßen und Fußwegen gemessen wird und die Isochrone diese Strukturen widerspiegelt. Die Isochrone für Radfahrer ist in Abbildung 3 dargestellt. Diese Isochrone liefert eine detaillierte und realistische Einschätzung der Fahrrad-Erreichbarkeit in Stuttgart. Sie verdeutlicht, welche Bereiche innerhalb eines festgelegten Zeitintervalls vom Startpunkt aus erreichbar sind, indem sie die tatsächlichen Straßenverläufe und die topographischen Besonderheiten berücksichtigt. deutschen Stadtgebieten vergleichen. So haben bspw. München- Schwabing, Hamburg-Eimsbüttel, Berlin-Charlottenburg oder Frankfurt-Nordend ähnliche Merkmale wie eine dichte Bebauung, historischen Gebäudebestand, eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr und Mischnutzungen. Die Untersuchung, ob ein Stadtgebiet wie Stuttgart West die Kriterien der 15-Minuten-Stadt erfüllt, erfolgt durch Reisezeitisochronen. Isochronen sind Linien gleicher Zeit, die alle Punkte verbinden, welche von einem bestimmten Ausgangspunkt innerhalb eines festgeleg ten Zeitinter valls erreichbar sind. Sie eignen sich besonders gut, um die Erreichbarkeit eines bestimmten Ortes zu veranschaulichen. In der Untersuchung wird auch der Zeitverlust bzw. Zeitgewinn durch Steigungen bzw. abfallende Höhen berücksichtigt. Des Weiteren berücksichtigen die Isochronen das tatsächliche Wegenetz. Die Isochrone für Fußgänger ist in Abbildung 2 dargestellt. Die blau markierte Fläche stellt den Bereich dar, der innerhalb des definierten Zeitraumes von 15 Minuten zu Fuß erreichbar ist. Als Ausgangspunkt dient ein zentral gelegener Block. Die unregelmäßige Form der Iso- Bild 2: 15-Minuten- Isochrone Fußweg. (HFT Stuttgart, Eisenbarth) PRAXIS + PROJEKTE 15-Minuten-Stadt 12 4 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0045 LITERATUR: Allam, Zaheer, Simon Elias Bibri, Didier Chabaud, und Carlos Moreno. 2022. „The ‘15-Minute City ’ Concept Can Shape a Net-Zero Urban Future“. HumaniMes and Social Sciences CommunicaMons 9 (1): 1-5. h=ps: / / doi. org/ 10.1057/ s41599-022-01145-0. Moreno, Carlos, Zaheer Allam, Didier Chabaud, Catherine Gall, und Florent Pratlong. 2021. „Introducing the “15-Minute City”: Sustainability, Resilience and Place Iden- Sty in Future Post- Pandemic CiSes“. Smart CiMes 4 (1): 93- 111. h=ps: / / doi.org/ 10.3390/ smartciSes4010006. Eingangsabbildung: © iStock.com/ Nevena Ristic dius sind vielversprechende Ansätze. Die Veränderung der Denkweise der Bewohner spielt eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der 15-Minuten-Stadt. Durch Bildung und Aufklärung über die Vorteile nachhaltiger Mobilitätsformen kann das Bewusstsein für umweltfreundliche Verkehrsmittel geschärft werden. Kampagnen und Informationsveranstaltungen können dazu beitragen, die Akzeptanz und Nutzung dieser Verkehrsmittel zu erhöhen. Eine erfolgreiche Umsetzung der 15-Minuten-Stadt erfordert die Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen. Barrierefreie Infrastrukturen und spezielle Mobilitätsangebote sind notwendig, um eine inklusive und gerechte Stadtentwicklung zu gewährleisten. Hier muss insbesondere in der weiterführenden Forschung der Fokus daraufgelegt werden, dass die 15-Minuten-Stadt auch für mobilit ät s einge s chränk te oder ältere Personen zu einer realistischen Zukunftsvision werden kann. Der Stuttgarter Westen zeigt bereit s v iele Merkmale einer 15-Minuten-Stadt und bietet eine vielversprechende Grundlage für eine nachhaltige Stadtentwicklung. Durch gezielte Maßnahmen, die F örderung umweltfreundlicher Verkehrsmittel und die Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen kann die Vision einer lebens wer ten, nachhaltigen und gut vernetzten Stadt Wirklichkeit werden. Die kontinuierliche Verbesserung der Infrastruktur und die Veränderung der Denk weise der Bewohner sind dabei zentrale Erfolgsfaktoren. Der Stuttgarter Westen hat das Potenzial, ein Vorbild für andere städtische Gebiete zu werden und die Lebensqualität seiner Bewohner erheblich zu verbessern. Bild 3: 15-Minuten- Isochrone Fahrrad. (HFT Stuttgart, Eisenbarth). AUTOR*INNEN Jana Eisenbarth, B. Eng. Hochschule für Technik Stuttgart Schellingstr. 24, 70174 Stuttgart move@hft-stuttgart.de Dennis Dreher, M. Eng. Akademischer Mitarbeiter und Teamleitung MoVe, Hochschule für Technik Stuttgart Hf T dennis.dreher@hftstuttgart.de Prof. Dr.-Ing. Lutz Gaspers Professor für Verkehrsplanung und Sprecher MoVe lutz.gaspers@hftstuttgart.de PRAXIS + PROJEKTE 15-Minuten-Stadt 13 4 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0045
