eJournals Transforming cities 9/4

Transforming cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2024-0051
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2024
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Regionaler ÖPNV im Wandel

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2024
Thomas Bley
Die Energiewende erfordert einen flächendeckenden Zugang zu einem nachhaltigen ÖPNV, um die Klimaziele zu erreichen. Zugleich muss der Nahverkehr attraktiver, individueller und bezahlbar gestaltet werden. Wie können Verkehrsunternehmen und Energiedienstleister den Wandel nutzen, um den ÖPNV in unseren Regionen neu aufzustellen?
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Regionaler ÖPNV im Wandel Mobilitäts- und Energiewende verlangen nach digitalen, nachhaltigen und bedarfsorientierten Lösungen ÖPNV, Wandel, Digitalisierung, On-Demand, Mobilität Thomas Bley Die Energiewende erfordert einen flächendeckenden Zugang zu einem nachhaltigen ÖPNV, um die Klimaziele zu erreichen. Zugleich muss der Nahverkehr attraktiver, individueller und bezahlbar gestaltet werden. Wie können Verkehrsunternehmen und Energiedienstleister den Wandel nutzen, um den ÖPNV in unseren Regionen neu aufzustellen? Die Anforderungen an einen flächendeckenden, modernen und bezahlbaren öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV ) sind unübersehbar. Als regionaler Energiedienstleister, der sowohl in der Netzverteilung als auch im öffentlichen Transport tätig ist, stehen wir im Zentrum der ökonomischen und ökologischen Herausforderungen dieser Zeit. Wir engagieren uns daher in der Entwicklung und Umsetzung von Lösungsansätzen, die darauf abzielen, den vielfältigen Erwartungen unserer Stakeholder gerecht zu werden. Dazu zählen nicht nur unsere Kundinnen und Kunden, sondern auch Fachkräfte und die Industrie. Zu den Kernthemen, die unsere tägliche Arbeit prägen, gehören ƒ die Energiewende in der Region und das Erreichen der Klimaziele, ƒ die Mobilitätswende hin zu einem attraktiven, individuellen und zuverlässigen ÖPNV, der für Fahrgäste und Gebietskörperschaften bezahlbar ist, ƒ der städtische ÖPNV, dessen Unterhaltungskosten stetig steigen und dessen Aufenthaltspunkte oft negativ wahrgenommen werden, ƒ die ÖPNV-Anbindung ländlicher Gebiete sowie ƒ der Fachkräftemangel, insbesondere im Fahrbetrieb. Es stellt sich die Frage, wie wir die Bedingungen schaffen können, um den künftigen Anforderungen an den ÖPNV gerecht zu werden. Dabei lohnt sich ein Blick auf flexible und nachhaltige Mobilitätsangebote sowie die Potenziale der Digitalisierung. Innovationen für eine zukunftsweisende ÖPNV-Region Der größte Treiber für die Verkehrswende ist der Klimaschutz. Während Deutschland bis 2045 klimaneutral werden will, ist das Auto in der Perso- 49 4 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0051 sert die Servicequalität und macht den ÖPNV für die Menschen attraktiver, was letztlich zu einer umweltfreundlicheren und nachhaltigeren Mobilität beiträgt. Verkehrsmittel für nachhaltige Mobilität Neben neuen Möglichkeiten im On-Demand-Bereich bleibt der Bus ein wichtiger Bestandteil des regionalen Personenverkehrs. Der Wandel im ÖPNV geht einher mit der Verpflichtung, auch bei Bussen auf emissionsfreie Antriebstechnologien umzusteigen. Neben E-Fahrzeugen in Shuttle- und Sharing-Diensten sowie E-Scootern gewinnen auch E-Busse zunehmend an Bedeutung. Im Jahr 2022 stieg der Bestand an E-Bussen deutschlandweit um 620 Fahrzeuge. Das ist ein Zuwachs von fast 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Trotz dieser beeindruckenden Steigerung waren 2022 lediglich 1.884 E-Busse im Einsatz, was einem Anteil von 3,5 Prozent entspricht [5]. Bei der Förderung von Elektrofahrzeugen im ÖPNV spielt die technologische Weiterentwicklung eine entscheidende Rolle. Ein besonderer Fokus liegt auf der Erhöhung der Reichweite von E-Bussen, um die Einsatzmöglichkeiten zu erweitern und die Abhängigkeit von konventionellen Kraftstoffen zu reduzieren. Die steigende Anzahl batterieelektrischer Linienbusse erfordert eine rasche Weiterentwicklung der Ladestationen. Die Hersteller müssen qualitativ hochwertige Produkte mit kurzen Lieferzeiten anbieten, während die Technik der Ladestationen platzsparender und einfacher zu installieren sein muss. Dies kann eine Erhöhung der Netzkapazität erfordern, was eine enge Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern voraussetzt. Die Einführung von E-Bussen erfordert auch eine Qualifizierung des Personals. Was in Zeiten des Fachkräftemangels eine Herausforderung darstellt, bietet gleichzeitig die Chance, bestimmte Berufsgruppen attraktiver und zukunftsfähiger zu machen. Mitarbeitenden im Fahrbetrieb, in der Wartung und Instandhaltung von E-Fahrzeugen können Weiterbildungen zum Elektromobilitätstechniker, Lade- und Energiemanagementtechniker oder Ladesäuleninstallateur angeboten werden. Ein vernetztes Lademanagement schafft zugleich neue Jobs im Hintergrund: in der Datenanalyse und Softwareentwicklung, Infrastrukturplanung und Cyber-Security. Digitalisierung des ÖPNV Ein Schlüssel zur Modernisierung des ÖPNV liegt in der Schaffung moderner Busbahnhöfe. Diese sollten nicht nur als Verkehrsknotenpunkte, sondern auch als angstfreie Räume mit hoher Aufenthaltsqualität gestaltet werden. Umbauten wie in Mönchengladbach, Bonn und Heiligenstadt zeigen, wie Barrierefreiheit, optimierte Verkehrsanbindungen und multifunktionenverkehrsprognose 2024 immer noch die erste Wahl [1]. Noch nie besaßen so viele Menschen ein Auto, Tendenz steigend. Der Anteil der Elektroautos liegt derzeit erst bei rund zwei Prozent [2]. Die Gewerkschaft Verdi und die Klima-bewegung „Fridays for Future“ haben die Bundesregierung aufgefordert, den öffentlichen Nahverkehr bis 2030 zu verdoppeln [3]. Aus ökologischer Sicht muss der Anteil des ÖPNV am Modal Split des Personenverkehrs in Deutschland also drastisch steigen. Dies spiegelt auch den Wunsch der Bevölkerung nach Nachhaltigkeit wider: Die Fahrgastzahlen steigen, nicht zuletzt durch das 49-Euro-Ticket. Der Nahverkehr mit Bussen legte um sieben Prozent auf fast 2,5 Milliarden Fahrgäste zu, erreicht aber in der Regel noch nicht das Vor-Corona-Niveau. Das liegt unter anderem daran, dass sich für viele Menschen das mobile Arbeiten z. B. aus dem Homeoffice etabliert hat. Dadurch entfallen viele tägliche Fahrten ins Büro. Neben dem Ziel, den Verkehr umweltfreundlicher zu gestalten, werden Modernisierung und Instandhaltung immer teurer. Bei angespannten kommunalen Haushalten wird die Finanzierung des ÖPNV so zunehmend zu einem Kraftakt. Was ist also möglich? Was ist finanzierbar und trotzdem ressourcenschonend? Zielführend erscheint es, weniger über fixe und starre Nahverkehrspläne nachzudenken als vielmehr über bedarfsorientierte und flexible Mobilitätsangebote. Ein vielversprechender Ansatz zur Verbesserung des ländlichen ÖPNV sind Ruf- und Sammeltaxis. Beispiele wie in Mönchengladbach und einigen anderen Regionen Deutschlands - etwa im Main-Kinzig-Kreis, in Paderborn/ Höxter und Murnau bei Garmisch-Partenkirchen - zeigen, dass solche Modelle erprobt und umgesetzt werden. Bei uns im Raum Mönchengladbach können Kund: innen z. B. bequem und individuell per App eine Fahrt buchen. Die eingesetzten Elektrofahrzeuge bringen die Fahrgäste innerhalb des Bediengebietes von einem gewünschten Punkt zu ihrem Ziel. Unterwegs steigen weitere Fahrgäste zu - so wird die Fahrt für alle günstiger. Das kann zwar zu Umwegen führen, aber die Abholzeiten sind so kalkuliert, dass sie eingehalten werden können. Die genannten Beispiele zeigen, dass Veränderungen trotz etablierter Verkehrsmodelle möglich sind, wenn wir auf Flexibilität, Innovation und Kooperation setzen. Im Main-Kinzig-Kreis beispielsweise beteiligt sich der Bund an den Kosten für den Shuttle-Service. Neben flexiblen Mobilitätsangeboten wird auch eine flexiblere Linienplanung, die sich stärker an den Mobilitätsbedürfnissen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen orientiert, immer wichtiger. Sie ermöglicht einen effizienteren Mitteleinsatz, verbes- THEMA Transformation urbaner Mobilität 50 4 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0051 tätsalternative zu etablieren und hilft dabei, die Herausforderungen in Bezug auf Finanzierung und Flexibilität zu bewältigen. Fazit Das Angebot im ÖPNV muss sich stärker an den Mobilitätsbedürfnissen und den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen orientieren. Die Verkehrswende im ÖPNV ist entscheidend für die Erreichung der Klimaziele und die Förderung einer nachhaltigen Mobilität. Sie erfordert ein breites Spektrum an Maßnahmen - von der Einführung emissionsfreier Fahrzeuge über die Förderung von Ladetechnologien bis hin zur Ausbildung und Bindung von Fachkräften. Die Digitalisierung kann die Nachhaltigkeitsbestrebungen sinnvoll unterstützen, den Fahrbetrieb effizienter gestalten und den Kundenservice verbessern. Nur mit diesem ganzheitlichen Ansatz können wir die Zukunft unseres ÖPNV gestalten und gleichzeitig unsere Umwelt schützen. Die technologischen Möglichkeiten für eine Energie- und Verkehrswende sind vorhanden. Um sie wahrzunehmen, sollten wir auf die Kooperation zwischen Wirtschaft, Bürger: innen und Wissenschaft, Planung und Effizienz setzen. Die Energiedienstleister müssen gut wirtschaften und die Voraussetzungen schaffen, um ihren Beitrag zu leisten: durch Netzausbau, Fachkräftequalifizierung, digitales Denken und den Ausbau Erneuerbarer Energien. Der Weg zu einem nachhaltigen, attraktiven und effizienten ÖPNV ist anspruchsvoll, aber er lohnt sich für die Zukunft unserer Regionen und unseres Planeten. LITERATUR [1] https: / / www.wiwo.de/ politik/ erstmal-die-fakten-diesevier-grafiken-verraten-wie-es-um-deutschlands-verkehr-steht-/ 29472992.html, letzter Zugriff: 28.03.2024. [2] https: / / www.tagesschau.de/ wirtschaft/ verbraucher/ autos-zulassungszahlen-100.html, letzter Zugriff: 28.03.2024. [3] https: / / jungefreiheit.de/ politik/ deutschland/ 2023/ fridays-for-future-oepnv/ , letzter Zugriff: 28.03.2024. [4] https: / / www.tagesschau.de/ wirtschaft/ verbraucher/ nahverkehr-fernverkehr-fahrgaeste-busse-bahnen-100. html, letzter Zugriff: 28.03.2024. [5] https: / / www.pwc.de/ de/ branchen-und-markte/ oeffentlicher-sektor/ e-bus-radar.html, letzter Zugriff: 28.03.2024. Eingangsabbildung: © NEW AG nale Gebäude den ÖPNV attraktiver machen können. Zentrale Omnibusbahnhöfe (ZOB) werden sinnvoller und ganzheitlicher in ihre Umgebung integriert, z. B. durch die Anbindung an Wohn-, Geschäfts- und Bürogebäude und die optimierte Flächennutzung: Es entstehen kurze Wege zwischen den wichtigsten Lebensräumen. Nutzer: innen wünschen sich eine offene, helle Gestaltung, möglichst ohne störenden Autoverkehr. Mögliche Lösung: klimagerechte und innovative Dachgestaltung, die Schutz vor Witterungseinflüssen bietet und begrünt ist. Helle Beleuchtung sorgt zusätzlich für angstfreiere Räume. Fahrradstationen, Taxistände, Fußgängerinseln und E-Mobilitätshubs runden das Bild eines modernen ZOBs ab und verknüpfen ihn sinnvoll mit dem Straßen-, Rad- und Fußwegenetz. Moderne Bahnhöfe zeichnen sich auch durch dynamische Fahrgastleitsysteme und die Möglichkeit der Etablierung alternativer Antriebskonzepte (z. B. Elektromobilität) aus. Ersteres zahlt auf das Konto „Digitalisierung“ ein und soll das Leben an Bahnhöfen und anderen Kontaktpunkten für Nutzer: innen und Personal einfacher machen. Das fängt ganz praktisch bei der Barrierefreiheit an: Sprechende Haltestellen ergänzen physische Blindenleitsysteme. Darüber hinaus ermöglichen digitale Angebote Echtzeitinformationen zu Fahrplänen, Auslastung, Verspätungen und Ausfällen. An Haltestellen können QR-Codes und digitale Anzeigen Papieraushänge ersetzen. Für das Personal stehen Apps zur Verfügung, um betriebliche Abläufe zu optimieren - z. B. digitales Schichtmanagement und Leistungsrückmeldungen. Die Fahrgäste wiederum haben über Kund: innen-Apps Zugriff auf umfangreiche Informationen wie Tarifdetails, digitale Tarifberatung und Ticketkauf sowie Fahrzeiten, Fahrplanänderungen und andere aktuelle Meldungen sowie die Möglichkeit, On-Demand-Dienste zu bestellen. Dies trägt wesentlich zur Verbesserung der Fahrgastorientierung, Effizienz und Servicequalität im ÖPNV bei. In Sachen Nachhaltigkeit haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich der Einsatz von Bordcomputern in Bussen mit Verbrennungsmotoren lohnt: Sie sind ein wichtiges Instrument, indem sie den Fahrer: innen Rückmeldung über eine umweltfreundliche Fahrweise geben und eine an die jeweilige Linie angepasste Navigation ermöglichen. Durch den Einsatz des Systems können bis zum kompletten Umstieg auf Elektromobilität pro Jahr rund 660.000 Kilogramm CO 2 und weitere Schadstoffe wie Kohlenmonoxid, Feinstaub und Stickoxide eingespart sowie die Betriebskosten und der Verkehrslärm der Busflotte gesenkt werden. Die Kraftstoffeinsparung liegt bei mehr als fünf Prozent. Die Digitalisierung spielt eine entscheidende Rolle, um den ÖPNV als nachhaltige und attraktive Mobili- AUTOR*INNEN Thomas Bley, Vorstand NEW AG thomas.bley@new.de THEMA Transformation urbaner Mobilität 51 4 · 2024 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2024-0051