eJournals Transforming Cities 10/1

Transforming Cities
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expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2025-0006
0428
2025
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Lebensmittelsysteme in Städten nachhaltiger gestalten

0428
2025
Anette Mack
Lucia Hörner
Die meisten Lebensmittel werden in Städten konsumiert und entsorgt, und der Umgang damit hat große Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Im EU-Projekt FUSILLI wurden in zwölf europäischen Städten die Lebensmittelsysteme unter die Lupe genommen und nachhaltige Maßnahmen entwickelt. Das Steinbeis Europa Zentrum hat sie dokumentiert.
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Lebensmittelsysteme in Städten nachhaltiger gestalten Klima, Nachhaltigkeit, Living Labs, Lebensmittel, Verarbeitung, Vertrieb, Abfallmanagement, Ernährungspolitik Anette Mack und Lucia Hörner Die meisten Lebensmittel werden in Städten konsumiert und entsorgt, und der Umgang damit hat große Auswirkungen auf Klima und Umwelt. Im EU-Projekt FUSILLI wurden in zwölf europäischen Städten die Lebensmittelsysteme unter die Lupe genommen und nachhaltige Maßnahmen entwickelt. Das Steinbeis Europa Zentrum hat sie dokumentiert. Jeder Teil der Lebensmittelkette hat große Auswirkungen auf das Klima und bietet daher Ansatzpunkte für Innovation, um negative Auswirkungen zu minimieren. Hinzu kommt, dass Lebensmittelsysteme außerordentlich komplex sind; will man sie transformieren, muss man sie ganzheitlich betrachten und unterschiedliche Akteure wie private Unternehmen, politische Entscheidungsträger: innen, die Zivilgesellschaft, die Wissenschaft und viele mehr involvieren. Städte können dabei zu kraftvollen Akteuren werden und viel in Bewegung setzen. Sie spielen eine zentrale Rolle, um nachhaltige Veränderungen voranzutreiben. Das Steinbeis Europa Zentrum und 33 weitere Partner des EU- Projekts FUSILLI haben sich in den vergangenen vier Jahren intensiv mit diesen Herausforderungen auseinandergesetzt. In zwölf europäischen Städten wurden im Rahmen von „Living Labs“ insgesamt 324 Maßnahmen implementiert. Diese decken sämtliche Bereiche der Lebensmittelwertschöpfungskette ab - von der Produktion, Verarbeitung und Vertrieb bis hin zu Konsum, Abfallmanagement und kommunaler Ernährungspolitik. Die Europäische Union unterstützte das Projekt mit 12,1 Millionen Euro. Das „Lessons Learned Cookbook“ fasst Ergebnisse zusammen In der Broschüre „Lessons Learned Cookbook - Recipes for Transforming Urban Food Systems: Best Practices from FUSILLI ‘s Living Labs in Action“ hat das Steinbeis Europa Zentrum als Projektpartner für Kommunikation die Projektergebnisse zusammengefasst. Von der Verbesserung der lokalen Lebensmittelproduktion und der Abfallvermeidung bis hin zur Verbesserung der Lebensmittelsicherheit und der Förderung einer gesunden Ernährung haben die gewonnenen Erfahrungen das Verständnis geschärft und Impulse für neue Strategien für ein nachhaltiges Leben in der Stadt gesetzt. Die „Lessons Learned“ und weitere Projekterfolge wurden am 19. und 20. November 2024 auf der Abschlusskonferenz in Nilüfer (Bursa), Türkei präsentiert und diskutiert. Living Labs: Erfolgreiche Ansätze in vier Städten in der Türkei, Norwegen, Kroatien und Spanien Living Lab Nilüfer, Türkei: Optimierung der landwirtschaftlichen Produktion durch Bodenanalysen Das Living Lab in Nilüfer (Bursa), Türkei, konzentrierte sich auf das Zusammenspiel z wischen landwirtschaftlicher Produktion, digitaler Innovation und umweltfreundlichen Anbaumethoden. Bild 1a: Lessons Learned Cookbook Bild 1b: Abschlusskonferenz am 19. und 20. November 2024 in Nilüfer, Bursa, Foto: FUSILLI Projekt DOI: 10.24053/ TC-2025-0006 14 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES FORUM Lebensmittelsysteme nativen umwandelt. Dazu gehörte die Reduzierung des Fleischkonsums, die Abschaffung von Einwegplastik und die Bereitstellung von überschüssigen Lebensmitteln über einen „Trust Shop“. Partner des Living Lab waren Höegh Real Estate, Sodexo Norwegen und das Include Research Centre. Begleitend wurden Verkostungsveranstaltungen und regelmäßige „Food Talks “ zu klimafreundlicher Ernährung organisiert. Essbare Pflanzen auf der Dachterrasse und nachhaltige Verkaufsautomaten ergänzten das Konzept. Die Stadt Oslo führte zudem Informationskampagnen durch und etablierte einen kommunalen Beratungsdienst zur Unterstützung nachhaltiger Ernährung in Schulen, Kindergärten und Pflegeheimen. Die Einrichtung von Living Labs ist eine Herausforderung, denn es müssen gleichzeitig Interessensgruppen gewonnen und Visionen und Methoden entwickelt werden. Daher hat die Oslo Metropolitan University gemeinsam mit der Syddansk Universitet ein Manual For Food System Living Labs erstellt. Das Handbuch bietet eine Anleitung für die Einrichtung von Living Labs mit den Schwerpunkten Ernährung, Klima, Kreislaufwirtschaft und Innovation im Lebensmittelsystem. Es geht ausführlich auf die Methode ein, gibt Empfehlungen, warnt aber auch vor möglichen Fallstricken. Living Lab Rijeka, Kroatien: Abfallmanagement und Reduktion von Lebensmittelverschwendung In Kroatien fallen jährlich über 216.000 Tonnen Lebensmittelabfälle an, vor allem aus dem Gastgewerbe und aus privaten Haushalten. Wie kann man dieser Lebensmittelverschwendung entgegenwirken? Diese Frage stellte sich die Stadt Rijeka und engagiert sich deshalb in internationalen Projekten wie FUSILLI. Um das Bewusstsein für Lebensmittelabfälle zu erhöhen und den Umgang mit Lebensmitteln zu verändern, ent- Eine zentrale Maßnahme war die Ausweitung von Bodenanalysen. Die Gemeinde erwarb ein von der Schließung bedrohtes Labor, das nun von der Nilüfer Agricultural Development Cooperative (NILKO- OP) betrieben wird. Dieses Labor analysiert Nährstoffgehalte und -ungleichgewichte im Boden und gibt Empfehlungen zur optimalen Düngung. Dank dieser detaillierten Informationen können Landwirte gezielt herausfinden, wie sie ihre Erträge erhöhen, Produkte mit höherem Marktwert anpflanzen und dadurch ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können. Zudem untersucht und wertet das Labor heute Bodenproben aus der ganzen Türkei aus. Die erhobenen Daten sind als interaktive Bodenkarten online verfügbar, wodurch Landwirte digitale Unterstützung für eine standortgerechte Bewirtschaftung erhalten. Dank der Zusammenarbeit mit einem Landwirtschaftsingenieur lernten die Landwirte, ihre Erträge zu maximieren und gleichzeitig umweltfreundlicher zu arbeiten - denn der Anbau von Produkten, die besser zum Boden passen, spart nicht nur Kosten, sondern sorgt auch für eine nachhaltigere und wettbewerbsfähigere Landwirtschaft. Living Lab Oslo, Norwegen: Förderung nachhaltiger Ernährung am Arbeitsplatz In einer pulsierenden Stadt wie Oslo sind nachhaltige Essenspraktiken zu einem entscheidenden Faktor für die Förderung des Umweltschutzes und der öffentlichen Gesundheit geworden. An der Spitze dieser Bewegung steht die Kantine Karvesvingen 3 der Stadt Oslo, einem Arbeitsplatz von rund 800 Mitarbeitenden und anderen Mietern. Hier wurde im Rahmen von FUSILLI ein Living Lab eingerichtet, das traditionelle Essgewohnheiten in nachhaltige Alter- Bild 2: Besuch beim Nilüfer Agricultural Analysis Laboratory, Foto: Nilüfer Municipality Bild 3: Die Karvesvingen Kantine. Oslos Living Lab für nachhaltiges und gesundes Essen. Foto: Line Tveiten, City of Oslo DOI: 10.24053/ TC-2025-0006 FORUM Lebensmittelsysteme 15 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES und Zufriedenheit der lokalen Erzeuger. Zweitens wurde in Kooperation mit der Supermarktkette EROSKI ein Bildungsprogramm für Kinder entwickelt, um frühzeitig ein Bewusstsein für gesunde und nachhaltige Ernährung zu schaffen. Drittens: Mit der Initiative „Donostia Urban Lur “ unterstützt Formento San Sebastian lokale landwirtschaftliche Betriebe. Menschen aus allen sozialen S chichten, die sich vorstellen können, ein landwirtschaftliches Projekt zu betreiben und sich in diesem Bereich selbstständig zu machen, erhielten im Stadtteil Alza geeignete Flächen und Infrastruktur für den Anbau, Werkzeuge, eine technische Ausbildung in der Landwirtschaft sowie Unterstützung und Beratung bei der Vermarktung der Produkte. Sechs Gemüsegärten mit einer Fläche von 2,7 Hektar wurden in sechs Parzellen zwischen 4.000 und 6.000 Quadratmetern aufgeteilt. Die Übertragung der landwirtschaftlichen Flächen ist für einen Zeitraum von drei Jahren angedacht, wobei im ersten Jahr ein Nachlass von 100 % auf den Pachtpreis gewährt wird. Die Initiative verfolgt ein doppeltes Ziel: die Förderung der Selbstständigkeit und die Steigerung der lokalen Lebensmittelproduktion in San Sebastián. Mehr erfahren: Broschüre: https: / / fusilli-project. eu/ outcomes/ lessons-learned/ Projekt-Website: www.fusilli-project.eu Living Lab San Sebastián, Spanien: Unterstützung der lokalen Landwirtschaft San Sebastián ist für seine hochwertige Gastronomie bekannt, doch s teigende Produk tions kosten und verändertes Kaufverhalten gefährden die lokale Lebensmittelproduktion. Um die Versorgung mit lokalen Produkten in San Sebastián zu fördern, haben die FUSILLI Partner Fomento de San Sebastián, das Umweltamt der Stadt und EROSKI die Bedürfnisse und Lücken zwischen der aktuellen Situation und den Projektzielen ermittelt. Mit drei Maßnahmen will San Sebastian das Lebensmittelsystem verbessern: Erstens wurde ein „Tag des lokalen Produkts “ mit einem Markt ins Leben gerufen, der bis zu 30 Stände mit regionalen Lebensmitteln bietet. Ergänzend wurde ein Preis für das „Engagement für lokale Produkte“ etabliert, um nachhaltige Gastronomie zu fördern. Auch Schulen, Verbände und Unternehmen tragen zum Markt bei. Ziel der Initiative ist es, lokale Lebensmittel und die Landwirtschaft zu fördern und Verbraucher: innen die Produkte in einem attraktiven Rahmen näher zu bringen, mit hoher Beteiligung schieden sich die Projektpartner des Living Labs für mehr Aufklärung und digitale Lösungen. In einer Umfrage wurde deutlich, dass über die Hälfte der Menschen Lebensmittel kauft, die sie später wegwerfen. Um dem entgegenzusteuern wurde die neue App „Food Waste Analyzer“ entwickelt. Die App ermöglicht es, Lebensmittelabfälle zu überwachen und erkennt Einsparpotenziale. Sie richtet sich vor allem an Akteure aus dem Gastgewerbe, um ihnen die Vorteile nachhaltiger Praktiken näherzubringen. Ein Schwerpunkt der Projektarbeit in Rijeka lag auf benachteiligten Gruppen wie Senioren und Arbeitslosen. Mit Ernährungsplänen und Workshops sollen sie sozial integriert und Lebensmittelüberschüsse gespendet werden, um die Verschwendung zu reduzieren. Ziel dabei ist es, eine nachhaltigere und gesündere Ernährung und stärkere soziale Unterstützung zu ermöglichen. Weitere Aktivitäten umfassten Kochkurse für abfallfreies Kochen, ein nachhaltiges Kochbuch sowie die Entwicklung neuer Speisepläne für Schulkantinen: https: / / fusilli-project.eu/ app/ uploads/ RIJ_Sustainable-Cookbook- Fusilli-2024_ENG.pdf Bild 4: Spaß, Essen und Gesundheit: EROSKI ’s session für Kinder in San Sebastián, Spanien. Foto: EROSKI AUTOR: INNEN Anette Mack, Steinbeis Europa Zentrum anette.mack@steinbeis-europa.de Lucia Hörner, Steinbeis Europa Zentrum lucia.hoerner@steinbeis-europa.de DOI: 10.24053/ TC-2025-0006 16 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES FORUM Lebensmittelsysteme