eJournals Transforming Cities 10/1

Transforming Cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2025-0009
0428
2025
101

Brauchen wir mehr Governance für urbane Sicherheit?

0428
2025
Anna Rau
Janina Hentschel
Fragen der inneren Sicherheit sind nach den jüngsten Gewalttaten ganz oben auf der politischen Agenda. Kommunen spielen bei der Gewährleistung der lokalen Sicherheit und der Organisation des friedlichen Zusammenlebens eine zentrale Rolle. Allerdings verfolgen die wenigsten deutschen Kommunen einen strategischen und evidenzbasierten Ansatz in der Sicherheits- und Präventionsarbeit. Sie agieren hauptsächlich anlassbezogen und getrieben vom politischen Diskurs. Der vorliegende Beitrag stellt die Herausforderungen in den Kommunen dar und zeigt, wie eine moderne Governance von Sicherheit gelingen kann. Ein umfassender Beitrag zu diesem Thema erscheint in der Kongressausgabe des Deutschen Präventionstages 2024 unter dem Titel „Kommunale Prävention im Wandel“.
tc1010030
Brauchen wir mehr Governance für urbane Sicherheit? Impulse für mehr Mut zur strategischen Gestaltung von sicheren und lebenswerten Städten für alle Urbane Sicherheit, Kommunale Prävention, Ordnung, friedliches Zusammenleben, Sicherheitsgovernance Anna Rau, Janina Hentschel Fragen der inneren Sicherheit sind nach den jüngsten Gewalttaten ganz oben auf der politischen Agenda. Kommunen spielen bei der Gewährleistung der lokalen Sicherheit und der Organisation des friedlichen Zusammenlebens eine zentrale Rolle. Allerdings verfolgen die wenigsten deutschen Kommunen einen strategischen und evidenzbasierten Ansatz in der Sicherheits- und Präventionsarbeit. Sie agieren hauptsächlich anlassbezogen und getrieben vom politischen Diskurs. Der vorliegende Beitrag stellt die Herausforderungen in den Kommunen dar und zeigt, wie eine moderne Governance von Sicherheit gelingen kann. Ein umfassender Beitrag zu diesem Thema erscheint in der Kongressausgabe des Deutschen Präventionstages 2024 unter dem Titel „Kommunale Prävention im Wandel“. Grundlage dieses Beitrages ist ein Workshop des Deutsch Europäischen Forums für Urbane Sicherheit (DEFUS) mit seinen Mitgliedsstädten und anderen Präventionsexpert*innen im Februar 2024, auf dem über den aktuellen Stand sowie die Herausforderungen der kommunalen Prävention diskutiert wurde. Im Rahmen des Deutschen Präventionstages 2024 boten das Kommunale Büro für Prävention der Stadt Augsburg und DEFUS gemeinsam einen Workshop an, in dem mit den Teilnehmenden gelingende und 30 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0009 2. Aktuelle kommunale Präventions- und Sicherheitsarbeit - überfrachtet und überfordert? Die Aufgaben und Zuständigkeiten der Sicherheits- und Ordnungsbehörden sind gesetzlich klar geregelt. Für den konkreten Schutz der Bürger*innen vor Gewalt und Kriminalität sind in erster Linie Polizei und Justiz auf Bundes- und Landesebene verantwortlich. Den Kommunen kommt, neben der klassischen Gefahrenabwehr und Gestaltung des öffentlichen Raumes, vor allem eine Rolle bei der Stärkung des Sicherheitsgefühls zu. Weitere Pflichtaufgaben, die Überschneidungen mit kommunalen Sicherheits- und Präventionsfragen haben, liegen beispielsweise im Bereich der kommunalen Jugendämter, Gleichstellungsbeauftragten und Gesundheitsbehörden. 2.1 Welche Themen und Aufgaben fallen in den Bereich der kommunalen Präventions- und Sicherheitsarbeit? Während die Aufgaben der Gefahrenabwehr klar geregelt sind, haben die Kommunen bei der kommunalen Prävention und der Verbesserung des Sicherheitsgefühls großen Gestaltungsspielraum. Kommunale Präventionsbemühungen fallen in den Bereich der freiwilligen Aufgabenwahrnehmung. Kommunen können selbst entscheiden, wie sie die Prävention in diesem Bereich organisieren und gestalten. Daher hängt deren Umsetzung auch stark von politischen Gegebenheiten, öffentlichen Diskursen und handelnden Personen ab. Die Themen der kommunalen Prävention haben sich, seit Beginn ihrer Tätigkeit in den 1990er Jahren, stetig erweitert. Sie widmen sich in vielen Kommunen komplexen und vielfältigen sozialen, gesellschaftlichen und pohemmende Faktoren derzeitiger kommunaler Präventionsarbeit identifiziert und der Frage nachgegangen wurde, was es bräuchte, um wirkungsvollere Präventionsarbeit leisten zu können. 1.Warum kommunale Prävention und Sicherheit neu denken? Persönliche Sicherheit ist ein Grundbedürfnis aller Menschen und ein Leben in Freiheit und Sicherheit ein Menschenrecht. Außerdem lässt sich festhalten, dass „Sicherheit und Ordnung Grundvoraussetzungen [sind] für unser Zusammenleben und für all das, was unsere Städte und Gemeinden lebenswert macht.“ 1 Der öffentliche Raum ist hierbei ein zentraler Ort für das gesellschaftliche Zusammenleben in unseren Städten. Er erfüllt zahlreiche Funktionen: Er verbindet Plätze und Orte, dient als Begegnungsraum und ist Bühne für verschiedenste Lebensstile uvm. Zugleich kristallisieren sich dort gesellschaftliche Spannungen und Konflikte. Dazu gehören die Proteste der „Letzten Generation“, die Montagsdemos während der Corona-Pandemie oder Demonstrationen als Reaktion auf Konflikte und Kriege in anderen Weltregionen. Auch Anschläge und Amoktaten im Rahmen von Veranstaltungen oder in belebten Innenstädten sowie der Anstieg der Kriminalität, auch wenn dieser moderat und nicht auf einem Höchststand ist, beschäftigen die Menschen, wirken sich auf das subjektive Sicherheitsgefühl und damit ihr Nutzungsverhalten aus. Die sozioökonomischen Bedingungen, steigende Armut, sichtbar mehr Wohnungslosigkeit, Verelendung und Migration beeinflussen das städtische Leben. Diskriminierung von Minderheiten, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und Hasskriminalität in digitalen und analogen Räumen verstärken das Gefühl der Unsicherheit bei den Betroffenen zunehmend. Diese Entwicklungen erfordern eine ganzheitliche, interdisziplinäre Herangehensweise der kommunalen Präventions- und Sicherheitsarbeit. Kommunen sind maßgeblich, wenn es um die Sicherheit in Gemeinden und Städten geht, denn dort lässt sich das friedliche Zusammenleben gestalten. In vielen Städten und Gemeinden sind die damit befassten Fachbereiche finanziell und auch personell nur unzureichend ausgestattet. Hinzu kommt, dass sie selten strategisch und organisatorisch so klar ausgerichtet sind, dass sie anstehenden Herausforderungen zügig und wirkungsvoll gerecht werden können. Angesichts gesellschaftlicher und globaler Veränderungen ist es notwendig, kommunale Prävention und Sicherheitsarbeit neu zu denken und im Sinne einer modernen Stadtentwicklung neu aufzustellen. Bild 1: „Themenfelder der kommunalen Prävention“ eigene Darstellung Anna Rau THEMA Moderne Stadtentwicklung 31 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0009 hen unübersichtliche Verantwortlichkeiten, die zu langen Entscheidungsprozessen und einer erschwerten Zusammenarbeit führen. Es mangelt oft an einer agilen und projektorientierten Arbeitsweise, die für die komplexe Thematik der kommunalen Prävention notwendig ist. Eine weitere Herausforderung besteht darin, dass Kommunalpolitiker*innen unter dem Druck stehen, schnell sichtbare Ergebnisse zu präsentieren, um ihre Kompetenz und Handlungsfähigkeit zu beweisen. In vielen Fällen führt dieser Druck zu einer kurzfristigen Fokussierung auf schnelle, sichtbare Maßnahmen, die meist nur Teilaspekte der komplexen Sicherheitsproblematik ansprechen. Solche aktionistischen Maßnahmen und eine tendenzielle „Versicherheitlichung“ sozialer Probleme sind oft wenig durchdacht und bieten nur kurzfristige Lösungen, während die tieferliegenden Ursachen für Gewalt, Kriminalität und soziale Unsicherheiten nicht nachhaltig bearbeitet werden. Dies hat zur Folge, dass solche Maßnahmen nur wenig Wirkung entfalten und keine langfristige Veränderung bewirken. Zudem kann festgestellt werden, dass es vielen Herangehensweisen an einer fundierten Analyse mangelt. So werden kaum daten- und evidenzbasierte Strategien entwickelt, um auf dieser Grundlage die örtliche Präventions- und Sicherheitsarbeit zu gestalten. Für eine nachhaltige und wirkungsvolle Präventionsarbeit ist es jedoch entscheidend, dass diese auf einer fundierten Analyse der bestehenden Probleme basiert. Fachlich fundierte Prozesse, die auf Datenanalyse und der Beteiligung von Betroffenen aufbauen, sind unerlässlich, um passgenaue Lösungen zu entwickeln. Beteiligung ist hierbei ein wesentlicher Aspekt, da nur durch die Einbeziehung von verantwortlichen Akteur*innen und den betroffenen Personen selbst langfristig effektive Ergebnisse erzielt werden können. Zentral ist hierbei auch das Verständnis darüber, was „echte“ Beteiligung beinhaltet und wie sie umgesetzt werden muss, damit sie Vertrauen schafft und langfristige Wirkung erzielen kann. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die kommunale Präventions- und Sicherheitsarbeit vor der Herausforderung steht, eine Balance zwischen politischen Erwartungen nach schnellen Ergebnissen und der Notwendigkeit einer langfristigen, fachlich fundierten Herangehensweise zu finden. Erfolgreiche Präventionsarbeit braucht mehr als nur aktionistische Maßnahmen; sie erfordert sorgfältige Planung, fundierte Analysen und vor allem die Beteiligung der betroffenen Akteur*innen. Langfristige, nachhaltige Lösungen können nur dann erreicht werden, wenn die Kommunen in der Lage sind, die litischen Herausforderungen, sind breit gefächert und betreffen nahezu alle Aspekte des städtischen Lebens (vgl. Bild1). Aus dem Blumenstrauß an Themen haben sich in den letzten Jahrzehnten eine Vielzahl an Handlungsfeldern und Aufgaben (vgl. Bild 2) herauskristallisiert, die in der Mehrzahl der Kommunen wahrgenommen werden, um die Themen adäquat zu bearbeiten. Die Aufgaben reichen von der Koordination themenspezifischer Gremien über die Konzeptentwicklung und Bürger*innenbeteiligung bis hin zur Umsetzung von Maßnahmen. Dieses Aufgabenspektrum gepaart mit der thematischen Vielfalt an häufig hochsensiblen gesellschaftlichen Themen macht deutlich, wie herausgefordert Kommunen im Bereich der kommunalen Prävention und Sicherheit sind. 2.2 Worin bestehen die zentralen Herausforderungen kommunaler Prävention? Die organisatorischen und inhaltlichen Schwerpunkte der kommunalen Präventionsarbeit sind von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich und individuell. Die zahlreichen Aufgaben und Projekte binden häufig ohnehin stark begrenzte Ressourcen und personelle Kapazitäten. Entsprechende Fachstellen, wenn überhaupt vorhanden, sind in der Regel personell unterbesetzt und haben, auf Grund der Arbeitsumstände, oft mit einer hohen Fluktuation zu kämpfen. Dies führt dazu, dass viele Projekte weniger wirksam sind, als sie es unter besseren Bedingungen sein könnten. In vielen Städten überschneiden sich in der kommunalen Prävention Zuständigkeiten und es beste- Bild 2: Grafik „Handlungsfelder der kommunalen Prävention“ eigene Darstellung Anna Rau THEMA Moderne Stadtentwicklung 32 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0009 dern unerwünschter Lagen erscheint angesichts der schieren Zunahme an Problemen, Themen und Herausforderungen auf den Straßen in unseren Städten nicht mehr ausreichend zu sein. Es fehlt eine gemeinsame Vision und ein positiv formuliertes Ziel, an dem alle Bereich der Stadtverwaltung gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Behörden und den Bürger*innen arbeiten können. Mögliche Visionen für eine moderne Stadtentwicklungspolitik könnte in Anlehnung an das kanadische Modell die Schaffung von sicheren und lebenswerten Kommunen sein. 3.2 Kommunen brauchen eine Strategie für die kommunale Sicherheits- und Präventionsarbeit - eine Governance der kommunalen Sicherheit Die Governance der kommunalen Sicherheit ist nicht zu verwechseln mit Sicherheitsmanagement, ein Begriff, der oft in im ordnungsrechtlichen Bereich Verwendung findet. Vielmehr verbirgt sich hinter dem Begriff die Idee eines ganzheitlichen und strategischen Ansatzes, der eine Vielzahl von Akteur*innen einbezieht. Diesen Ansatz schreiben auch die Leitlinien der Vereinten Nationen für die Gestaltung sicherer Städte vor. 4 Eine wichtige Dachorganisation für urbane Sicherheit in Europa ist das Europäische Forum für Urbane Sicherheit (EFUS). Es hat das Verständnis von urbaner Sicherheit weiterentwickelt, indem es das Konzept der „sicheren Stadt für alle“ formuliert. 5 Dieser Ansatz berücksichtigt neben der Prävention von Gewalt und Kriminalität auch Themen wie soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit und eine inklusive Stadtgestaltung. Die Governance der kommunalen Sicherheit und Prävention in diesem europäischen Rahmen hat sich als integrativ und weitreichend erwiesen, da sie nicht nur Sicherheit, sondern auch die Lebensqualität aller Stadtbewohner*innen umfasst. Das Deutsch-Europäische Forum hat angelehnt an diese Grundhaltung im Sinne der Governance ein thematisches Cluster entwickelt, das Kommunen Orientierung gibt, wie sie Strukturen ausrichten und Zuständigkeiten klarer strukturieren können. In der Darstellung findet sich die bereits dargelegte Themenvielfalt wieder (vgl. Bild 3) 6 . Deutlich wird auch, dass eine sichere und lebenswerte Stadt für alle nur in einer kooperativen und fachbereichsübergreifenden Gesamtanstrengung bewerkstelligt werden kann, die die Governance der lokalen Sicherheit und Prävention bewusst gestaltet. Auf staatlicher, nationaler Ebene wurde bislang keine entsprechende richtungsgebende Rahmenstrategie in Deutschland entwickelt. Kommunen bleiben nötigen Ressourcen bereitzustellen und strukturelle Bedingungen zu schaffen, die eine effiziente und koordinierte Präventionsarbeit ermöglichen. 3. Gelingensbedingungen für wirksame kommunale Präventions- und Sicherheitsarbeit Gelingendes Zusammenleben darf kein zufälliges Nebenprodukt von staatlichem Engagement sein, sondern muss in das Zentrum kommunalen Handelns gerückt werden. Bei dieser Aufgabe brauchen Städte und Gemeinden zuverlässige Unterstützung von allen politischen Ebenen. Die kommunale Präventions- und Sicherheitsarbeit in Deutschland könnte sich stärker an erfolgreichen lokalen, nationalen und internationalen Strategien und Arbeitsweisen orientieren. Es gilt, diesen Bereich zu stärken und hinsichtlich seiner Herausforderungen in den Blick zu nehmen, um ihn zukunftsfähig aufzustellen. 3.1 Kommunale Sicherheits- und Präventionsarbeit brauchen eine Vision Ein wegweisendes Beispiel bietet die kanadische Provinz Ontario, die seit 2020 alle Kommunen verpflichtet hat, einen umfassenden strategischen Plan für „Community Safety und Well Being“ nach Vorgaben der Regierung zu entwickeln. 2 Hierfür stellte die Regierung auch finanzielle Mittel zu Verfügung. 3 Der Begriff „Kriminalprävention“ wurde bewusst durch den Begriff „Community Safety and Well-Being“ ersetzt. Diese Veränderung hinsichtlich der Begrifflichkeiten bedeutet die Fokussierung auf das gemeinsame übergeordnete Ziel, eine Gesellschaft zu schaffen, in der sich alle Menschen sicher und wohl fühlen. Diese „hin-zu“-Ausrichtung birgt hohes Potenzial für zusammenhaltstiftendes Engagement und visionäre Strategien vom Stadtteil bis auf die Bundesebene. Zudem rückt dieser positive, integrative Ansatz das Wohl der Gemeinschaft ins Zentrum und berücksichtigt Themen wie mentale Gesundheit, Diskriminierung, Sucht und die Bedürfnisse vulnerabler Gruppen. In Ontario und anderen kanadischen Provinzen hat diese Ausweitung des Arbeitsfeldes dazu beigetragen, den Blick auf die sozialen Ursachen von Gewalt und Kriminalität zu schärfen. Kommunen werden somit in die Lage versetzt, ihre Präventionsstrategien auszuweiten und können damit besser an den Ursachen der gefühlten Unsicherheit arbeiten, soziale Konflikte abmildern und die Teilhabe insbesondere von besonders bedürftigen Gruppen verbessern. In Deutschland mangelt es an einem einheitlichen Verständnis davon, was kommunale Präventionsarbeit leisten soll und muss. Der Begriff der Prävention und dem damit verbundenen Fokus auf das Verhin- THEMA Moderne Stadtentwicklung 33 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0009 bei der Bearbeitung neuer Themen wird ein Lagebild erstellt. Dabei fließen sowohl statistische Daten als auch qualitative Informationen aus dem Dialog mit relevanten Partner*innen ein. Diese umfassende Datensammlung hilft, ein präzises Bild von der Situation vor Ort zu bekommen und die richtigen Maßnahmen zu entwickeln. Auf Grundlage des Lagebildes und der Konsultationen mit verschiedenen Akteur*innen werden konkrete Maßnahmen entwickelt. Diese können sowohl präventiv als auch intervenierend sein und müssen flexibel und anpassungsfähig an neue Entwicklungen in der Stadt sein. Damit hat Augsburg gezeigt, dass eine Einführung der Urban Safety Governance mit ersten wichtigen Impulsen möglich ist, wenn entsprechendes fachliches Know-how und personelle Kapazitäten zur Verfügung stehen. Beispiel Gelsenkirchen Die Stadt Gelsenkirchen ist mit ihrem Projekt Wahrung des sozialen Friedens 9 ebenfalls ein gutes Beispiel für einen ressourcenorientierten, datenbasierten und lösungsorientierten Ansatzes zur Stärkung des sozialen Miteinanders und der Sicherheit. Ziel des Projektes ist es, die Quartiere lebenswerter zu gestalten und den sozialen Frieden in Gelsenkirchen nachhaltig zu fördern. Dies soll durch die Schaffung langfristige soziale Angebote, die Verstärkung der mobilen Jugendarbeit, den Ausbau von Integrationsmaßnahmen und die Lösung von Konflikten direkt vor Ort erreicht werden. Das Projekt wird aktuell in zwei besonders belasteten Stadtteilen umgesetzt. Ein wichtiger Bestandteil ist die verstärkte Zusammenarbeit von Sozialarbeit, Streetwork, Quartiersmanagement und Stadtplanung. So sollen beispielsweise geschulte Integratidaher bislang mit den Themen der kommunalen Prävention und deren erfolgreicher Bearbeitung relativ auf sich gestellt. Dennoch gibt es in Deutschland einige Städte, die die Gelingensbedingungen für wirksame Sicherheits- und Präventionsarbeit im Sinne moderner Stadtentwicklung vorantreiben. Eine Stadt, die vorgemacht hat, wie Urban Safety Governance etabliert werden kann, ist Augsburg. 7 Beispiel Augsburg Die Stadt Augsburg verfolgt mit ihrem Büro für Kommunale Prävention (BKP) 8 einen innovativen und partizipativen Ansatz, um urbane Sicherheit zu gewährleisten. Der Ansatz der Urban Safety Governance, der seit 2021 praktiziert wird, zielt darauf ab, die spezifischen Risikofaktoren und besonders handlungsrelevanten Räume innerhalb der Stadt zu identifizieren und präventive sowie intervenierende Maßnahmen zu entwickeln. Ein zentraler Bestandteil der Arbeit des BKP ist die Identifikation von Risikofaktoren, die für die Stadt Augsburg spezifisch sind. Hierzu gehören sowohl soziale als auch gesellschaftliche Risiken, die das Sicherheitsgefühl und das allgemeine Wohlbefinden der Stadtbewohner*innen beeinträchtigen können. Partizipative Methoden sind ein Schlüsselelement des Ansatzes. Augsburg legt großen Wert darauf, alle relevanten Akteur*innen, darunter Verwaltung, Sicherheitsbehörden, Zivilgesellschaft und lokale Initiativen, in die Analyse der Situation und die Entwicklung von Maßnahmen einzubeziehen. Dabei unternimmt die Stabsstelle mit ihren Mitarbeitenden den Versuch, moderierend konsultative und ko-produktive Bearbeitungsszenarien und Konzepte zu entwickeln. Zu Beginn jedes Projekts oder Bild 3: Grafik eigene Darstellung von Anna Rau (DEFUS) THEMA Moderne Stadtentwicklung 34 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0009 durch die Gründung des Sonderstabs „Ordnung und Stadtleben“ 11 . Dieser arbeitet nach klassischen Krisenstabmethoden und ermöglicht es, schnell auf akute Probleme zu reagieren und relevante Dienststellen zu koordinieren. Die fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit und die hohe Priorität, die der Oberbürgermeister dem Thema einräumte, führten innerhalb eines Jahres zu sichtbaren Verbesserungen. Zentrale Gelingensbedingung war die konzentrierte Arbeit im Krisenmodus, die schnelle Entscheidungsprozesse und die direkte Umsetzung durch die Verwaltungsspitze ermöglichte. Während beide Städte auf agile und schnelle Arbeitsweisen setzen, die speziell für akute Sicherheitsprobleme gut geeignet sind, ist es unabdingbar, dass gleiches Engagement auch längerfristigen, vielleicht weniger sichtbaren Themen entgegengebracht wird. Dazu gehören aktuelle Entwicklungen im Bereich Gewalt gegen Frauen, mentale Gesundheit oder die Entwicklung von Depressionen und Ängsten bei Kindern und Jugendlichen. Hier könnte das Stabsmodell ebenfalls zur Anwendung kommen, um schneller und effektiver auch in diesen Fragen in wirkungsvolles Handeln zu kommen. 4. Mit moderner Stadtentwicklung sichere und friedliche Kommunen für alle schaffen Die Ansätze aus Kanada, Augsburg, Gelsenkirchen, Köln und Dortmund zeigen, dass die Arbeitsweise von Verwaltungen ein wesentlicher Dreh- und Angelpunkt ist, wenn wirkungsvolle Sicherheits- und Präventionsarbeit geleistet, der soziale Frieden gewahrt und das gesellschaftliche Zusammenleben organisiert werden sollen. Gleichzeitig erfordert dieses Vorgehen die Bereitschaft und den Mut, neue Wege zu gehen, wenn es um die Sicherheit und die Gestaltung lebenswerter Städte geht. Es ist an der Zeit, die Rolle von Kommunen stärker in den Mittelpunkt der Anstrengungen für gesellschaftlichen Frieden zu rücken und sie bei dieser wichtigen Aufgabe, die weit über die reine Präventionsarbeit hinaus gehen, zu unterstützen - davon wird nicht nur die moderne Stadtentwicklung profitieren, sondern alle Menschen, die in unseren Städten leben. Die Empfehlungen zur Stärkung kommunaler Präventions- und Sicherheitsarbeit sollen in drei zentralen Aspekten festgehalten werden: 1. Bundes und Landesbehörden müssen bei der Sicherheits- und Präventionsarbeit die Rolle der Kommunen stärker anerkennen und deren Arbeite unterstützen. Auf Landes- und Bundesebene erfordern politische Entscheidungen und weltweite Entwicklungen eine stärkere Anerkennung der Rolle der Kommunen. onslotsen helfen, Zugewanderte besser ins soziale Umfeld einzubinden, während Konflikte durch ein professionelles Beschwerdemanagement frühzeitig bearbeitet werden. Neben sozialen Maßnahmen geht es auch um städtebauliche Eingriffe. Problemimmobilien sollen vom Markt genommen und neue Räume für gemeinschaftliche Nutzung geschaffen werden. Zur Umsetzung des Projekts wurde das Personal in der Sozialarbeit und beim Ordnungsdienst deutlich verstärkt. Unterstützt wird das Projekt durch ein engmaschiges Monitoring der Entwicklung in den Stadtteilen mit Hilfe eine kontinuierlichen Datenanalyse. 3.3 Kommunen brauchen einen Kulturwandel hin zu agiler und projektorientierter Arbeitsweise Arbeitsweisen wie Agilität, projektorientiertes und wirkungsorientiertes Handeln sind Grundvoraussetzungen, wenn es um die Bewältigung von kommunalen Sicherheitsfragen geht. Die Realität des Verwaltungshandelns ist leider häufig noch weit entfernt davon, diese Aspekte und weitere zeitgenössische Arbeitsweisen und -haltungen selbstverständlich umzusetzen. Gleichzeitig gibt es auch hier Kommunen, die den Kulturwandel angestoßen haben. Beispiel Köln In Köln wurde beispielsweise der Fachkreis „Plätze mit besonderem Handlungsbedarf “ 2020 10 gegründet, um die Situation auf Plätze zu verbessern, die stark geprägt sind von alltäglichen Nutzungskonflikten und hohen Beschwerdelagen. Die funktionale Zusammenarbeit von verschiedenen städtischen Fachbereichen, der Polizei, dem städtischem Nahverkehrsanbieter und anderen relevanten Akteur*innen ermöglicht es, konkrete lokale Vorgehensweisen für jeden herausfordernden Platz zu entwickeln und auch umzusetzen. Ein wichtiger Aspekt dieses Ansatzes ist die Verantwortlichkeit, die auf verschiedene Ämter verteilt wird sowie die regelmäßige Kommunikation und enge Anbindung an die Verwaltungsspitze. Dies trägt dazu bei, die Umsetzung der Maßnahmen konsequent nachzuhalten und ggf. zu beschleunigen. Das Beispiel des Kölner Neumarkts zeigt, dass mit Hilfe dieses integrativen Ansatzes sichtbare Verbesserungen in kurzer Zeit erzielt werden können. Beispiel Dortmund Ein weiteres gelungenes Beispiel für ein proaktives Vorgehen, das durch Kulturwandel gekennzeichnet ist, bietet die Stadt Dortmund. Die Verantwortlichen der Stadt und die Polizei reagierten im Sommer 2023 auf multiple Problemlagen, wie die Verbreitung von Drogen und die Verelendung von Suchtkranken, THEMA Moderne Stadtentwicklung 35 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0009 ENDNOTEN 1 Hans Gerd von Lennep, Sebastian Kopitz, Michael Ortmann: Grundwissen Kommunalpolitik,6. Öffentliche Sicherheit und Ordnung. Überarbeitet Auflage 2024. https: / / library. fes.de/ pdf-files/ akademie/ kommunal/ 15866/ 15866-06. pdf (letzter Zugriff, 7.2.2025). 2 https: / / www.ontario.ca/ document/ community-safetyand-well-being-planning-framework-booklet-3-sharedcommitment-ontario/ section-1-introduction, letzter Zugriff 11.12.2024. 3 https: / / www.ontario.ca/ page/ community-safety-initiatives-and-resources#section-1, letzter Zugriff 11.12.2024. 4 https: / / unhabitat.org/ sites/ default/ files/ 2020/ 03/ un_systemwide_guidelines_on_safer_cities_and_human_settlements.pdf, letzter Zugriff 04.12.2024. 5 Siehe das Efus Manifest, www.defus.de, letzter Zugriff 17.12.2024. 6 www.defus.de, letzter Zugriff 18.12.2024. 7 https: / / unhabitat.org/ sites/ default/ files/ 2020/ 03/ un_systemwide_guidelines_on_safer_cities_and_human_settlements.pdf, letzter Zugriff 04.12.2024. 8 https: / / www.augsburg.de/ buergerservice-rathaus/ kommunale-praevention, letzter Zugriff 18.12.2024. 9 https: / / www.gelsenkirchen.de/ de/ _meta/ aktuelles/ artikel/ 62215-integrierter-ansatz-soll-zusammenhalt-inhorst-und-rotthausen-wahren (Letzter Zugriff 12.2.2025) 10 https: / / www.stadt-koeln.de/ leben-in-koeln/ sicherheitordnung/ zentrum-fuer-kriminalpraevention-sicherheit/ fachkreise-des-kriminalpraeventiven-rates-koeln, letzter Zugriff 11.12.2024. 11 https: / / www.dortmund.de/ newsroom/ nachrichten/ sonderstab-ordnung-und-stadtleben-berichtet-ueber-lagein-der-innenstadt.html , letzter Zugriff 18.12.2024. Eingangsabbildung: © iStock.com/ vm Kommunen können ihre Verantwortung nur in dem Maße gerecht werden, wie übergeordnete Ebenen sie unterstützen. Hierbei geht es nicht nur um finanzielle Mittel, sondern auch um mögliche strategische Vorgaben einer Urban Safety Governance für Deutschland oder Förderprogramme, die wirkungsvolle Prävention in den Mittelpunkt rücken. Zudem müssen zusätzliche Aufgaben für die Kommunen, wie beispielsweise die Umsetzung der Istanbul Konvention, auch entsprechend mit Ressourcen vom Bund unterfüttert werden. 2. Kommunen müssen wirkungsvolle Präventions- und Sicherheitsstrategien entwickeln. Evidenzbasierte und beteiligungsorientierte Ansätze sind entscheidend, um auf komplexe gesellschaftliche Herausforderungen wirkungsvoll zu reagieren. Es gilt, die Balance zwischen Sicherheit im Sinne von Versicherheitlichung und Sicherheit im Sinne von friedlichem Zusammenleben zu finden. Der Ansatz der Urban Safety Governance und das kanadische Vorbild des „Well-Beings“ bilden dafür wichtige Orientierungspunkte. 3. Es braucht mehr kommunalen Mut zu innovativen Arbeitsweisen. Verwaltungshandeln orientiert sich in der Regel an Zuständigkeiten. In Bezug auf die freiwillige Aufgabenwahrnehmung im Themenfeld Sicherheit und Prävention sind jedoch agile, projektorientierte Arbeitsweisen erfolgsversprechender. Städte wie Köln und Dortmund machen es vor. Verwaltungshandeln kommt an seine Grenzen, wenn sie in diesem Feld das Silo-Denken fortsetzt. Es geht um nicht weniger als einen Kulturwandel. Fragen der Sicherheit, das Sicherheitsgefühl und des gesellschaftlichen Friedens sind ein wichtiges Thema moderner Stadtentwicklung. Die Bewältigung der aufgeworfenen Fragen für kommunale Verantwortung in diesem Feld ist sicherlich ein zentraler Baustein dafür, wie sich gesellschaftliches Zusammenleben, Sicherheitsempfinden und objektive Sicherheit in den kommenden Jahren entwickeln werden. AUTOR: INNEN Anna Rau, Geschäftsführerin DEFUS, Kurt-Schumacher-Straße 29, 30159 Hannover rau@defus.de Janina Hentschel Freiberufliche Beraterin für urbane Friedensfragen https: / / www.linkedin.com/ in/ janina-hentschel-57920540/ ? THEMA Moderne Stadtentwicklung 36 1 · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0009