Transforming Cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2025-0027
0616
2025
10Sonderausgabe
Wie kann die Wohngebäudeversicherung zur klimaneutralen Transformation von Gebäuden beitragen?
0616
2025
Martina Guß-Kilian
Joachim Jörghttps://orcid.org/0009-0001-8579-8343
Tobias Popovićhttps://orcid.org/0000-0002-7847-5925
tc10Sonderausgabe0064
Wie kann die Wohngebäudeversicherung zur klimaneutralen Transformation von Gebäuden beitragen? Sustainable Insurance, Nachhaltiges Produkt- und Schadenmanagement, Nachhaltige Mehrleistungen Martina Gruß-Kilian, Joachim Jörg, Tobias Popović Wohnimmobilien: Großer Sanierungsbedarf, hohe CO 2 -Emissionen Die spürbaren Auswirkungen des Klimawandels verdeutlichen die Notwendigkeit umfassender Maßnahmen auf regionaler und globaler Ebene. Dies erfordert koordinierte Anstrengungen sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene, unter Einbeziehung privater Haushalte, staatlicher Institutionen und wirtschaftlicher Akteure. Dem Gebäudesektor kommt hier eine zentrale Rolle zu, da dieser für nahezu 40-% des gesamten CO 2 -Ausstoßes in Deutschland verantwortlich ist (Dena, 2021). Die energetische Sanierung von Wohngebäuden ist daher von zentraler Bedeutung, da rund 60 % aller Wohngebäude vor Inkrafttreten der ersten Wärmeschutzverordnung (1978) errichtet wurden (Dena, 2023). Hiervon gehören 60 % zu den energieintensivsten Gebäudeklassen G und H (BMWi, 2020). Dieser hohe Anteil an energieintensiven Gebäuden gekoppelt mit einer geringen Sanierungsrate von derzeit deutlich unter 1 % pro Jahr (BuVEG, 2024) trägt erheblich zu den hohen Emissionen des Sektors bei. Versicherungen als Schlüsselakteure der nachhaltigen Transformation Versicherungen spielen eine zentrale Rolle in der klimaneutralen Transformation. Allein 2022 verwalteten deutsche Versicherer Kapitalanlagen von 1.876-Mrd. Euro (GDV, 2023). Durch gezielte nachhaltige Anlagestrategien und aktives Engagement in ihren Portfolios können sie erheblich zur Reduktion von Treibhausgasemissionen beitragen. Ein wesentlicher Hebel der „Sustainable Insurance“, also dem Fachgebiet zur Nachhaltigkeit im Versicherungswesen, findet erst langsam Einzug in die wissenschaftliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Diskussion: Das nachhaltige Produkt- und Schadenmanagement. Das NATIV E - Forschungsprojekt (DBU, A Z: 34710/ 01) entwickelte erstmals ein Bewertungssystem, das die Nachhaltigkeitsleistungen von Sachversicherungen anhand von über 300 Kriterien analysiert. Im Fokus steht die transformative Wirkung, also die Fähigkeit, durch Versicherungsprodukte ökologische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen voranzutreiben. Die Ergebnisse zeigen, dass Versicherer nicht nur über Kapitalanlagen, sondern auch durch Zeichnungsrichtlinien, Produktgestaltung, Beratung und Schadenmanagement die Treibhausgasemissionen des Gebäudesektors senken können (Popović et al., 2021). Besonders die Wohngebäudeversicherung (VGV) bietet großes Potenzial: 2023 wurden hier Schäden in Höhe von 8,6 Mrd. Euro reguliert (GDV, 2024). Durch gezielte Anreize für klimafreundliche Sanierungen, die Förderung nachhaltiger Energieinfrastrukturen, präventive Maßnahmen und eine nachhaltigkeitsorientierte Schadenregulierung kann die Versicherungsbranche wesentlich zur Emissionsreduktion beitragen. Forschungsfokus: Förderung von Sanierung und Modernisierung durch Versicherungen Das Forschungsprojekt CREATE (FKZ: 01LA2206A), gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung, untersucht die zentrale Fragestellung: „Wie und mit welchen ‚Offerings‘ (Angeboten, Produkten, Services) können Banken und Versicherungen die größtmögliche transformative Wirkung auf den Gebäudebestand erzielen? “ Ein Forschungsschwerpunkt des Projekts war daher die Förderung der Modernisierung und Sanie- 64 Sonderausgabe · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0027 FINANZIERUNGSKONZEPTE Wohngebäudeversicherung satzbausteine für Photovoltaik- und erneuerbare Energien sowie spezielle Nachhaltigkeits-Bausteine. Über die reine Risikoabsicherung hinaus kann die VGV eine Vielzahl weiterer nachhaltiger Elemente bzw. „Öko-Add-Ons“ enthalten oder bereitstellen, z.B. nachhaltige Kapitalanlage, Spenden, angepasste Versicherungsprämien bei präventiven Maßnahmen. Nachhaltige Mehrleistungen mit CO 2 -einsparender Wirkung Bei fokussierter Betrachtung der nachhaltigen Mehrleistungen sind es insbesondere Merkmale im Zusammenhang mit der Sanierung von Heizungsanlagen sowie der Verbesserung der Dämmung, die eine zentrale Rolle bei der Einsparung von Treibhausgasen (THG) spielen. Darüber hinaus können bauliche Veränderungen nach einem Schadensfall zur Verringerung schädlicher Emissionen beitragen, sei es durch präventive Maßnahmen, und damit Steigerung der Resilienz, oder den Einsatz THG-reduzierter Schadenbehebungsprozesse und umweltfreundlicher Materialien. Im Folgenden ein paar Beispiele. Die Versicherungsklausel „Mehrleistung für behördlich nicht vorgeschriebene energetische Modernisierung“ zielt darauf ab, dass die Versicherung im Schadensfall nicht nur die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands übernimmt, sondern sich auch an den Kosten für die energetische Sanierung beteiligt, die die gesetzlichen Mindestvorgaben übertreffen. So kann beispielsweise anstatt Regulierung eines defekten konventionellen Gas- oder Ölkessels eine Wärmepumpe oder eine Hybridheizung mit Solarkollektoren die Regulierungsempfehlung sein. Als sinnvolle Grundlage gilt das Leistungsmerkmal „Mehrkosten für eine Beratung zur Modernisierung und Sanierung“ bzw. noch spezieller „Beratung durch rung von Ein- und Zweifamilienhäusern innerhalb der Wohngebäudeversicherung. Dazu wurden 34 Premium-Wohngebäudepolicen (10-11/ 2023) analysiert, zwei Umfragen mit Versicherungskund: innen und Versicherern durchgeführt sowie Expert: innen- Interviews ausgewertet. Transformative Produktkomponenten in der Wohngebäudeversicherung Die Untersuchungen zeigen, dass nachhaltige Aspekte in Versicherungstarifen vorrangig durch drei zentrale Elemente im Rahmen der Risikoabsicherung integriert werden: Versicherungsleistungen, Versicherungsgegenstand und Angebot an Zusatzbausteinen (Abb. 1). Im Rahmen der Versicherungsleistungen sind insbesondere die „Mehrleistungen für nachhaltigen Schadenersatz“ relevant. Konkret bedeutet dies, dass Versicherungen im Schadenfall Kosten und Aufwände übernehmen, die über die marktübliche Regulierung „nach gleicher Art und Güte“ hinausgehen und dem Prinzip „Nachhaltig verantwortungsvoller und besserer Art und Güte“ entsprechen. Ein weiterer wesentlicher Beitrag der Versicherungswirtschaft besteht in der Mitversicherung nachhaltiger Technologien (= Versicherungsgegenstand). Konkret also die Absicherung von nicht fest mit dem Wohngebäude verbundenen Geräten und Anlagen im Bereich der erneuerbaren Energien, nachhaltiger Mobilität und zur Energieeinsparung bzw. -speicherung. Zusätzlich kann der Versicherungsschutz über optionale Zusatzbausteine erweitert werden, um nachhaltige Aspekte gezielt abzudecken bzw. bedarfsgerecht zu erweitern. Dazu gehören Elementarschutzbzw. Naturgefahren-Deckungen, Zu- Bild 1: Transformative Produktkomponenten (eigene Darstellung) FINANZIERUNGSKONZEPTE Wohngebäudeversicherung 65 Sonderausgabe · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0027 Danksagung: Die Forschungsergebnisse entstanden mit der Unterstützung von Luca Louis, Anna Schirpke-Theel und Marcus Reichenberg (Greensurance Stiftung gGmbH). LITERATUR Bundesregierung. https: / / www.bmwk.de/ Redaktion/ DE/ Publikationen/ Energie/ langfristige-renovierungsstrategie-derbundesregierung.html BuVEG - Bundesverband energieeffiziente Gebäudehülle e.V. (2024, 25. Oktober). Sanierungsquote 2024: Weiter auf geringem Niveau [Pressemitteilung]. https: / / buveg.de/ pressemeldungen/ sanierungsquote-2024-weiter-auf-geringemniveau/ Dena - Deutsche Energie-Agentur (Hrsg.). (2021). DENA-GEBÄU- DEREPORT 2022. Zahlen, Daten, Fakten. https: / / www.dena. de/ infocenter/ dena-gebaeudereport-2022/ Dena - Deutsche Energie-Agentur (Hrsg.). (2023). DENA-GEBÄU- DEREPOR 2024. Zahlen, Daten, Fakten zum Klimaschutz im Gebäudebestand. https: / / www.dena.de/ infocenter/ denagebaeudereport-2024/ GDV - Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (Hrsg.). (2023). Statistiken zur deutschen Versicherungswirtschaft - Versicherungsbranche insgesamt. https: / / www.gdv.de/ gdv/ statistik/ statistiken-zur-deutschen-versicherungswirtschaft-uebersicht/ brancheinsgesamt#kapitalanlagen GDV - Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (Hrsg.). (2024). Statistiken zur deutschen Versicherungswirtschaft - 74a. Wohngebäudeversicherung: Schäden je Gefahr. https: / / www.gdv.de/ gdv/ statistik/ statistiken-zurdeutschen-versicherungswirtschaft-uebersicht/ schadenund-unfallversicherung/ einzelgefahren-verbundenenwohngebaeudeversicherung-schadenentwicklung-151986 Popović, T., Reichard-Chahine, J., Reichenberg, M., Schirpke, A., Seeberger, A. C. & Wozniak, A. (2021). Sustainable Insurance - Nachhaltiger Konsum am Beispiel von Versicherungsprodukten, -dienstleistungen und -beratung. In W. Wellbrock & D. Ludin (Hrsg.), Nachhaltiger Konsum: Best Practices aus Wissenschaft, Unternehmenspraxis, Gesellschaft, Verwaltung und Politik (S. 917-935). Springer Gabler. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-658-33353-9_55 vom BAFA zugelassene Energieberater bzw. qualifizierte baubiologische Berater“. Nach einem größeren Schadensfall müssen Hausbesitzer oft komplexe Entscheidungen treffen. Die Beratung hilft dabei, die besten Lösungen - etwa zur energetischen Sanierung oder zum Einsatz nachhaltiger Materialien - zu finden und gleichzeitig Fördermöglichkeiten zu nutzen. Die Klausel „Mehrleistung für umweltschonende und baubiologische Baumaterialien“ fördert den Einsatz ressourcenschonender, langlebiger und gesundheitlich unbedenklicher Materialien. Diese bestehen oft aus nachwachsenden Rohstoffen oder recycelten Materialien und weisen eine bessere Umweltbilanz als Beton oder Kunststoff auf, insbesondere über den gesamten Produktlebenszyklus hinweg. Mehrleistungen für Prävention zielen darauf ab, Schäden von vornherein zu vermeiden oder deren Ausmaß zu reduzieren. Sie können vorbeugend (exante) durch Schutzmaßnahmen oder nach einem Schadensfall (ex-post) zur Risikominderung eingesetzt werden. Praxisbeispiele zeigen, dass präventive Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) von Gebäuden deutlich erhöhen. Wasserdruckdichte Kellerfenster und -türen verringern das Risiko von Hochwasserschäden, während ein HKC-Hochwasserpass Gefährdungspotenziale identifiziert und Schutzmaßnahmen empfiehlt. Doch nicht nur klimabedingte Schäden sind relevant: Über 50 % der Schadenleistungen in der Wohngebäudeversicherung entfielen 2023 auf Leitungswasserschäden (GDV, 2024). Hier bieten Sensoren zur Leckerkennung eine wirksame Lösung, indem sie frühzeitig Schäden detektieren und so großen Reparaturaufwand sowie Folgeschäden verhindern. Fazit und Ausblick Die Versicherungsbranche hat das Potenzial, die Klimabilanz von Gebäuden durch nachhaltige Mehrleistungen erheblich zu verbessern. Notwendige Voraussetzung ist jedoch der Anspruch und die Anwendung dieser nachhaltigen Klauseln im Schadensfall. Damit diese Transformationsbemühungen glaubwürdig und wirksam sind, sollten daher nachhaltige Optionen nicht nur in Premium-Tarifen, sondern auch in gängigen Tarifvarianten verfügbar sein. Zudem ist es essenziell, Versicherte im Sinne einer „Bringschuld“ aktiv über nachhaltige Versicherungslösungen zu informieren - sowohl bei Vertragsabschluss als auch im Schadensfall, wo deren Anwendung systematisch gefördert werden sollte. Das CREATE-Projekt setzt hier an und entwickelt praxisorientierte Handlungsempfehlungen, um die Transformation der Versicherungsprodukte weiter voranzutreiben. Martina Gruß-Kilian, Dipl. Kauffr. Greensurance Stiftung gGmbH Kaltenmoserstraße 10, 82362 Weilheim i. OB gruss-kilian@greensurance-stiftung.de www.greensurance-stiftung.de Joachim Jörg, M. Sc. Hochschule für Technik Stuttgart chellingstr. 24, 70174 Stuttgart joachim.joerg@hft-stuttgart.de https: / / orcid.org/ 0009-0001-8579-8343 Prof. Dr. Tobias Popović Hochschule für Technik Stuttgart Schellingstr. 24, 70174 Stuttgart tobias.popovic@hft-stuttgart.de https: / / orcid.org/ 0000-0002-7847-5925 AUTOR: INNEN \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft \ Tourismus \ VWL \ Maschinenbau \ Politikwissenschaft \ Elektrotechnik \ Mathematik & Statistik \ Management \ Altphilologie \ Sport \ Gesundheit \ Romanistik \ Theologie \ Kulturwissenschaften \ Soziologie \ Theaterwissenschaft \ Geschichte \ Spracherwerb \ Philosophie \ Medien- und Kommunikationswissenschaft \ Linguistik \ Literaturgeschichte \ Anglistik \ Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft Bauwesen \ Fremdsprachendidaktik \ DaF \ Germanistik \ Literaturwissenschaft \ Rechtswissenschaft \ Historische Sprachwissenschaft \ Slawistik \ Skandinavistik \ BWL \ Wirtschaft 66 Sonderausgabe · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0027 FINANZIERUNGSKONZEPTE Wohngebäudeversicherung
