eJournals Transforming Cities 10/Sonderausgabe

Transforming Cities
tc
2366-7281
2366-3723
expert verlag Tübingen
10.24053/TC-2025-0033
0616
2025
10Sonderausgabe

Hybride Partizipation für eine bürgergetragene Energiewende

0616
2025
Amando Reberhttps://orcid.org/0000-0001-5337-0652
Christina Simon-Philipphttps://orcid.org/0000-0001-7174-9295
Meera Prajapati
Rushikesh Padsalahttps://orcid.org/0000-0003-2866-8443
Volker Coorshttps://orcid.org/0000-0002-0413-8977
Es gibt kaum Beispiele für eine bürgergetragene urbane Energiewende zu Positive Energy Districts (PEDs). Trotz verfügbarer Energiesimulationstools bleibt die Anpassung an PEDs für Kommunen schwierig, was das EU-Ziel von 100 PEDs bis 2025 hemmt. DigiTwins4PEDs schließt diese Lücke durch innovative Forschung und partizipative Prozesse, bei denen Bürger*innen und Interessengruppen in Co-Design, Co-Creation und Co-Learning einbezogen werden. Hybride Partizipation und Urban Digital Twins (UDT) fördern Beteiligung und ermöglichen Bürger*innen, die lokale Energiewende aktiv mitzugestalten.
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Hybride Partizipation für eine bürgergetragene Energiewende Nutzung urbaner digitaler Zwillinge für Positive Energy Districts (PEDs) Urbane Transformation, Flexibilisierung der Energieversorgung, hybride Partizipation, Urban Digital Twins, Simulationen von PEDs Amando Reber, Meera Prajapati, Rushikesh Padsala, Christina Simon-Philipp, Volker Coors Es gibt kaum Beispiele für eine bürgergetragene urbane Energiewende zu Positive Energy Districts (PEDs). Trotz verfügbarer Energiesimulationstools bleibt die Anpassung an PEDs für Kommunen schwierig, was das EU-Ziel von 100 PEDs bis 2025 hemmt. DigiTwins4PEDs schließt diese Lücke durch innovative Forschung und partizipative Prozesse, bei denen Bürger*innen und Interessengruppen in Co-Design, Co- Creation und Co-Learning einbezogen werden. Hybride Partizipation und Urban Digital Twins (UDT) fördern Beteiligung und ermöglichen Bürger*innen, die lokale Energiewende aktiv mitzugestalten. Urbane Energiewende: Auf dem Weg zu PEDs Die Transformation von Städten erfordert innovative Ansätze für eine nachhaltige Energiewende. Positive Energy Districts (PEDs) sollen nicht nur Energie sparen, sondern auch Überschüsse erzeugen. Ihre Umsetzung erfordert technische Lösungen, urbane Energiesimulationen und die Einbindung aller gesellschaftlichen Akteur*innen. Reallabore bewähren sich zunehmend, um Stadtraum partizipativ zu erforschen. Dabei können digitale Stadtmodelle (Urban Digital Twins, kurz: UDT) unterstützen. Diese Kombination schafft neue Dimensionen der hybriden Partizipation, die eine intensivere Einbindung der Bürger*innen in Stadtentwicklungsprozesse ermöglichen. 88 Sonderausgabe · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0033 WOHLBEFINDEN IM URBANEN RAUM Hybride Partizipation al., 2024). Reallabore aktivieren urbane Ressourcen und tragen durch quartiersbezogene Ansätze wesentlich zu resilienter Stadtentwicklung bei, indem sie soziale und ökologische Ziele in experimentellen Prozessen verankern (Petrescu et al., 2022; Ziehl, 2021). Durch Co-Design-Prozesse entstehen langfristige Partnerschaften zwischen Wissenschaft, Stadtverwaltung und Stadt-gesellschaft (Zingraff- Hamed et al., 2020). Co-Design, Co-Creation und Co-Learning in DigiTwins4PEDs DigiTwins4PEDs nutzt den vorgestellten Ansatz der hybriden Partizipation unter Verwendung eines UDTs, der in Reallaborformaten umgesetzt wird. Stakeholder und Bürger*innen sind Teil des Co-Design-, Co-Creation- und Co-Learning-Prozesses, in dem die Forschungserkenntnisse entwickelt, bewertet und iterativ angepasst werden. Um den partizipativen Prozess zu unterstützen, werden neue Tools und Methoden unter Verwendung von UDTs entwickelt und angepasst, die es Bürger*innen ermöglichen, die lokale Energiewende auf Nachbarschaftsebene voranzutreiben und fundiertere Entscheidungen zu treffen. Hybride Partizipation Hybride Partizipationsformate, die digitale und analoge Methoden kombinieren, haben sich als vielversprechender Ansatz zur Förderung eines inklusiven und effektiven Engagements der Gemeinschaft erwiesen, indem sie Top-down- und Bottom-up- Ansätze kombinieren (Staffans et al., 2020). Digitale Methoden machen das Engagement für ein breiteres Publikum zugänglicher, während analoge Methoden wichtig sind, um Gruppen mit begrenzten digitalen Kenntnissen oder Zugang zu erreichen und durch persönliche Interaktion Inklusion zu gewährleisten (Unger & Lee, 2023). Hybride Formate nutzen die Stärken beider Ansätze, indem sie Veranstaltungen vor Ort mit Online-Interaktionen verbinden, um „erweiterte urbane Räume“ für Beteiligung, Wissensaustausch und gemeinschaftliche Planung zu schaffen - und so flexible Lösungen für städtische Herausforderungen zu entwickeln. In einer von der HFT Stuttgart entwickelten digitalen 3D-Beteiligungsplattform wurde die Anwendung von UDT in realen Szenarien erprobt (Würstle et al., 2021). Darauf aufbauend soll eine UDT-Plattform für PEDs entstehen, die Informationsaustausch und Mitgestaltung ermöglicht. Durch webbasierte Anwendungen mit CityGML-3D-Stadtmodellen können Energiebedarfsimulationen visualisiert werden, um Bürger: innen interaktive Einblicke und fundierte Entscheidungen zu bieten. Urbane Digitale Zwillinge (UDT) UDTs sind essenziell für urbane Herausforderungen, da sie datengestützte Planung, Partizipation und Integration fördern. Sie dienen als visuelle Schnittstelle, die Informationen des urbanen Raums integriert - von statischen, physischen Objekten bis hin zu dynamischen, urbanen Prozessen. 3D-Stadtmodelle wie z.B. CityGML dienen als Basis für UDTs, integrieren Simulationen und fördern partizipative Entscheidungen für eine bürgergeführte Energiewende, indem sie Wärme- und Strombedarf erfassen, Sanierungsszenarien bewerten und PV-Potenziale analysieren (Eicker et al., 2018). Urbane Reallabore (ULL) Urbane Reallabore bieten dynamische Testumgebungen für hybride Partizipationsansätze (Afacan, 2023). Als Plattformen für Co-Design und Co-Creation schaffen urbane Reallabore Experimentierräume, die Städte bei der Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen unterstützen (Frantzeskaki et al., 2018), soziale Interaktionen und bürgerliches Engagement stärken und damit den transformativen Wandel unterstützen (Robazza et Abb. 1: Im Nordbahnhofviertel leben rund 5.500 Menschen. Das Quartier ist durch einen hohen Anteil an Bewohner*innen mit Migrationshintergrund, Gentrifizierungsdruck und eine dichte Bebauung auf engem Raum im Stuttgarter Talkessel gekennzeichnet, Foto: Reber WOHLBEFINDEN IM URBANEN RAUM Hybride Partizipation 89 Sonderausgabe · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0033 Im Rahmen eines hybriden Partizipationsprozesses im Reallabor-Setting können Kinder und Jugendliche, Mieter*innen und Eigentümer*innen in temporäre, zielgruppenspezifische Interventionen eingebunden werden. Eine interaktive Plattform untersucht, wie UDTs die Energiewende unterstützen und welche Einsparpotenziale durch Verhaltensänderungen möglich sind. Drei baulich-räumliche Interventionen adressieren 1) Aktivierung zur Energiewende, 2) flexiblen Energieverbrauch und 3) PED-Konzepte. Schwerpunkte sind Produktion (PV, Wärmepumpen), Nachfrage (Effizienzmaßnahmen) und Flexibilisierung (z. B. Vehicle-to-Grid, Laststeuerung). Fazit und Ausblick In einem nächsten Schritt wird das Reallabor-Framework implementiert und in fallstudienspezifischen Reallaborkonzepten erprobt. DigiTwins4PEDs soll dazu beitragen, die Realisierung von PEDs voranzutreiben und die Herausforderungen flexibler Energienutzung zu bewältigen. Die Simulations- und Modellierungstools werden im Rahmen von Reallaboren in einem hybriden Partizipationsprozess erprobt und ermöglichen durch Co-Design und Co- Creation eine bürgergetragene Energiewende hin zu PEDs. Die in diesem Beitrag vorgestellten Arbeiten wurden vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klima-schutz (BMWK ) gefördert (Förderkennzeichen: 03EN3081A). Dieses Projekt wurde von den Partnern der DUT-Partnerschaft (https: / / dutpartnership.eu/ ) im Rahmen des Joint Call 2022 finanziert. Als solches erhielt dieses Projekt Fördermittel aus dem EU-Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon Europe unter der Fördervereinbarung Nr. 101069506. Um eine bestmögliche Beteiligung zu erreichen und Akzeptanz und Bewusstsein für die Energiewende hin zu PEDs zu schaffen, werden hybride Partizipationsformate genutzt. Dazu werden in vier Fallstudien in Europa Reallabore mit verschiedenen Schwerpunkten umgesetzt: Das Nordbahnhofviertel (Stuttgart, Deutschland) steht im Zuge von Stuttgart 21 vor städtebaulichen, sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen. Es stellt sich die Frage, wie die bestehenden und neuen Quartiere gemeinsam nachhaltig entwickelt werden können und wie die Lebensgrundlagen und das Wohlergehen der heutigen und zukünftigen Bewohner im Rahmen von PEDs berücksichtigt werden können. Im „Grätzl 20+2“ (Wien, Österreich) wird die Umstellung des gasbasierten Energiesystems auf erneuerbare Quellen untersucht, einschließlich der Auswirkungen auf Strom- und Wärmelastmanagement sowie Spitzenlasten. In Prinsenland und Feijenoord (Rotterdam, Niederlande) stehen innovative Kühlkonzepte im Fokus, um den steigenden Energiebedarf durch Photovoltaik und Speicherlösungen zu decken, ohne das Stromnetz zu überlasten. Kleczków (Wroclaw, Polen) erfordert flexible energetische Lösungen für eine heterogene Bebauung mit historischen Mietshäusern, Neubauten und veralteter Infrastruktur. Baulich-räumliche Interventionen in einem fallstudienübergreifenden Reallabor-Framework Die Umsetzung von PEDs ist herausfordernd, da sich nicht alle Fallstudiengebiete aufgrund ihrer spezifischen Merkmale leicht in PEDs umwandeln lassen. Daher liegt der Fokus darauf, Effizienz und Eigenverbrauch zu steigern, Verbraucherinnen zu Prosumenten zu machen und relevante Maßnahmen für Endnutzerinnen zu identifizieren. Abb. 2: Fallstudienübergreifendes Reallabor-Framework, © Amando Reber 90 Sonderausgabe · 2025 TR ANSFORMING CITIES DOI: 10.24053/ TC-2025-0033 WOHLBEFINDEN IM URBANEN RAUM Hybride Partizipation ence at Gangeviertel in Hamburg. RAUMFORSCHUNG UND RAUMORDNUNG-SPATIAL RESEARCH AND PLANNING, 79(4), 396-410. https: / / doi.org/ 10.14512/ rur.69 Zingraff-Hamed, A., Huesker, F., Lupp, G., Begg, C., Huang, J., Oen, A., Vojinovic, Z., Kuhlicke, C., & Pauleit, S. (2020). Stakeholder Mapping to Co-Create Nature-Based Solutions: Who Is on Board? SUSTAINABILI-TY, 12(20). https: / / doi.org/ 10.3390/ su12208625 Eingangsabbildung: © Rushikesh Padsala LITERATUR Afacan, Y. (2023). Impacts of urban living lab (ULL) on learning to design inclusive, sustainable, and climateresilient urban environments. LAND USE POLICY, 124. https: / / doi. org/ 10.1016/ j.landusepol.2022.106443 Eicker, U., Zirak, M., Bartke, N., Romero Rodríguez, L., & Coors, V. (2018). New 3D model based urban energy simulation for climate protection concepts. Energy and Buildings, 163, 79-91. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.enbuild.2017.12.019 Frantzeskaki, N., van Steenbergen, F., & Stedman, R. (2018). Sense of place and experimentation in urban sustainability transitions: The Resilience Lab in Carnisse, Rotterdam, The Netherlands. SUSTAINABILIT Y SCIENCE, 13(4), 1045-1059. https: / / doi.org/ 10.1007/ s11625-018-0562-5 Petrescu, D., Cermeño, H., Keller, C., Mou-jan, C., Belfield, A., Koch, F., Goff, D., Schalk, M., & Bernhardt, F. (2022). Sharing and Space-Commoning Knowledge Through Urban Living Labs Across Different European Cities. URBAN PLANNING, 7(3), 254-273. https: / / doi.org/ 10.17645/ up.v7i3.5402 Robazza, G., Priego-Hernández, J., Caputo, S., & Melis, A. (2024). Temporary Urbanism as a Catalyst for Social Resilience: Insights from an Urban Living Lab Practice-Based Research. BUILDINGS, 14(6). https: / / doi.org/ 10.3390/ buildings14061513 Staffans, A., Kahila-Tani, M., Geertman, S., Sillanpää, P., & Horelli, L. (2020). Communication-Oriented and Process-Sensitive Planning Support: International Journal of E-Planning Research, 9(2), 1-20. https: / / doi.org/ 10.4018/ IJEPR.2020040101 Unger, L., & Lee, D. (2023). Participation During and After the Pandemic: Lessons Learned from an Urban Revitalisation Project in Dortmund, Germany. In E. Lissandrello, J. Sørensen, K. Olesen, & R. N. Stef-fansen (Hrsg.), The ‘New Normal’ in Planning, Governance and Partici-pation: Transforming Urban Governance in a Post-pandemic World (S. 151-164). Springer International Publishing. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978- 3-031-32664-6_12 Würstle, P., Santhanavanich, T., Padsala, R., & Coors, V. (2021). DEVELOP-MENT OF A DIGITAL 3D PARTICI-PATION PLATFORM - CASE STUDY OF WEILIMDORF (STUTTGART, GERMANY). The International Archives of the Photogrammetry, Remote Sensing and Spatial Information Sciences, XLVI-4-W1-2021, 123-129. ISPRS TC IV, 6th International Conference on Smart Data and Smart Cities - 15.-17. September 2021, Stuttgart, Germany. https: / / doi.org/ 10.5194/ isprs-archives-XLVI-4-W1-2021-123-2021 Ziehl, M. (2021). Transdisciplinary real-world experiments and arts-based research practices. Co-producing urban resili- AUTOR: INNEN Amando Reber, M.Eng, Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Zentrum für Nachhaltige Stadtentwicklung (ZNS), Hochschule für Technik Stuttgart; Schellingstraße 24, 70174 Stuttgart amando.reber@hft-stutttgart.de ORCID: 0000-0001-5337-0652 Christina Simon-Philipp, Prof. Dr.-Ing., Leitung Zentrum für Nachhaltige Stadtentwicklung (ZNS), Schellingstraße 24, 70174 Stuttgart christina.simon@hft-stuttgart.de ORCID: 0000-0001-7174-9295 Meera Prajapati, M.Sc, Wissenschaftliche Hilfskraft / Zentrum für Nachhaltige Stadtentwicklung (ZNS), Hochschule für Technik Stuttgart; Schellingstraße 24, 70174 Stuttgart Rushikesh Padsala, M.Tech, Wissenschaftlicher Mitarbeiter / Zentrum für Geodäsie und Geoinformatik (ZGG), Hochschule für Technik Stuttgart; Schellingstraße 24, 70174 Stuttgart rushikesh.padsala@hft-stuttgart.de ORCID: 0000-0003-2866-8443 Volker Coors, Prof. Dr., Prorektor Forschung und Digitalisierung / Zentrum für Geodäsie und Geoinformatik (ZGG), Hochschule für Technik Stuttgart; Schellingstraße 24, 70174 Stuttgart volker.coors@hft-stuttgart.de ORCID: 0000-0002-0413-8977 WOHLBEFINDEN IM URBANEN RAUM Hybride Partizipation DOI: 10.24053/ TC-2025-0033 91 Sonderausgabe · 2025 TR ANSFORMING CITIES